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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische Verfluchungstafeln

die Unterirdischen, an die der Auftrag ging, auch Gelegenheit bekämen, ihn zu
lesen, that man die Schrift am besten in irgend ein Grab hinein. Um zu
verhindern, daß die Feuchtigkeit dieser unterirdischen Anlagen dem Schriftstücke
schade, wählte man dafür nicht Papier oder Pergament, sondern lieber Metall,
und zwar am häufigste" Blei, das sich aus verschiednen Gründen ganz be¬
sonders dazu eignete. Erstlich wurden Bleitafeln auch sonst in früher Zeit
zum Schreiben benutzt, weil ein spitzer Griffel ja sehr leicht Zeichen darauf
einritzt; Plinius erwähnt solche "bleierne Schriften," und Pausanias sah auf
dem Helikon eine bleierne Niederschrift der "Werke und Tage" Hesiods. Auch
Briefe wurden bisweilen auf Bleiplüttchen geschrieben, weil weder Hitze noch
Nässe der Schrift Schaden zufügt, und Reste von solchen haben sich noch er¬
halten. Aber nicht allein die praktische Brauchbarkeit empfahl dieses Material,
auch der Aberglaube selbst bestimmte seine Wahl. Das Metall ist schwer, kalt,
von graublauer, häßlicher Farbe: das alles erinnerte an die Leiche, zu der
man ja den Feind machen wollte; auch war das Blei in der Astrologie das
Zeichen des schädlichen Kronos oder Saturn. So erschien denn das Blei in
jeder Hinsicht geeignet für diese Zwecke.

Von solchen Devotionen oder Defixionen, wie sie die Römer nennen
(griechisch xtt-r"ac^co^, ist bei den Schriftstellern nicht selten die Rede. So
wird in den Metamorphosen des Apulejus von einer Zauberin erzählt, die
wegen ihrer Schandthaten von der Bevölkerung gesteinigt werden soll; da sie
aber durch ihre geheime Wissenschaft vorher Kunde von dem Vorhaben erhält,
bannt sie durch Täfelchen, die sie in Gräber thut, die gesamte Einwohner¬
schaft in ihre Häuser, dergestalt, daß kein Mensch imstande ist, seine Wohnung
zu verlassen. Bekannt ist der Bericht des Tacitus über die Gerüchte, die
beim Tode des Germaniens, den manche dem Piso zuschrieben, herumgingen:
man habe im Hause unterm Fußboden die Neste von Leichen gefunden, Zauber¬
sprüche und Verfluchungen, Vleitafeln mit dem Namen des Germaniens, auch
Asche halbverbrannter Körperteile und mehr dergleichen schändlicher Mittel,
"durch die man glaubt, die Seelen den Gottheiten der Unterwelt weihen zu
können."

Von derartigen Tafeln mit Verfluchungen hat sich nun eine nicht unbeträcht¬
liche Zahl erhalten, griechische wie lateinische. Die Mehrzahl der griechischen
ist in Attika gefunden worden; eine Zusammenstellung (mit den kleinern Frag¬
menten 220 Nummern) bietet der von Richard Wünsch herausgegebne Supple¬
mentband zum LorxnL Insorixtionurn. ^ttioarum/") Einen großen Teil dieser
Sammlung hat Wünsch selbst in Athen aus dem Nachlaß von Nhnsopulos
erworben -- zusammengerollt und schmutzbedeckt, also natürlich auch noch un-



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Grenzboten II 1399 . 01
Über griechische und römische Verfluchungstafeln

die Unterirdischen, an die der Auftrag ging, auch Gelegenheit bekämen, ihn zu
lesen, that man die Schrift am besten in irgend ein Grab hinein. Um zu
verhindern, daß die Feuchtigkeit dieser unterirdischen Anlagen dem Schriftstücke
schade, wählte man dafür nicht Papier oder Pergament, sondern lieber Metall,
und zwar am häufigste» Blei, das sich aus verschiednen Gründen ganz be¬
sonders dazu eignete. Erstlich wurden Bleitafeln auch sonst in früher Zeit
zum Schreiben benutzt, weil ein spitzer Griffel ja sehr leicht Zeichen darauf
einritzt; Plinius erwähnt solche „bleierne Schriften," und Pausanias sah auf
dem Helikon eine bleierne Niederschrift der „Werke und Tage" Hesiods. Auch
Briefe wurden bisweilen auf Bleiplüttchen geschrieben, weil weder Hitze noch
Nässe der Schrift Schaden zufügt, und Reste von solchen haben sich noch er¬
halten. Aber nicht allein die praktische Brauchbarkeit empfahl dieses Material,
auch der Aberglaube selbst bestimmte seine Wahl. Das Metall ist schwer, kalt,
von graublauer, häßlicher Farbe: das alles erinnerte an die Leiche, zu der
man ja den Feind machen wollte; auch war das Blei in der Astrologie das
Zeichen des schädlichen Kronos oder Saturn. So erschien denn das Blei in
jeder Hinsicht geeignet für diese Zwecke.

Von solchen Devotionen oder Defixionen, wie sie die Römer nennen
(griechisch xtt-r«ac^co^, ist bei den Schriftstellern nicht selten die Rede. So
wird in den Metamorphosen des Apulejus von einer Zauberin erzählt, die
wegen ihrer Schandthaten von der Bevölkerung gesteinigt werden soll; da sie
aber durch ihre geheime Wissenschaft vorher Kunde von dem Vorhaben erhält,
bannt sie durch Täfelchen, die sie in Gräber thut, die gesamte Einwohner¬
schaft in ihre Häuser, dergestalt, daß kein Mensch imstande ist, seine Wohnung
zu verlassen. Bekannt ist der Bericht des Tacitus über die Gerüchte, die
beim Tode des Germaniens, den manche dem Piso zuschrieben, herumgingen:
man habe im Hause unterm Fußboden die Neste von Leichen gefunden, Zauber¬
sprüche und Verfluchungen, Vleitafeln mit dem Namen des Germaniens, auch
Asche halbverbrannter Körperteile und mehr dergleichen schändlicher Mittel,
„durch die man glaubt, die Seelen den Gottheiten der Unterwelt weihen zu
können."

Von derartigen Tafeln mit Verfluchungen hat sich nun eine nicht unbeträcht¬
liche Zahl erhalten, griechische wie lateinische. Die Mehrzahl der griechischen
ist in Attika gefunden worden; eine Zusammenstellung (mit den kleinern Frag¬
menten 220 Nummern) bietet der von Richard Wünsch herausgegebne Supple¬
mentband zum LorxnL Insorixtionurn. ^ttioarum/") Einen großen Teil dieser
Sammlung hat Wünsch selbst in Athen aus dem Nachlaß von Nhnsopulos
erworben — zusammengerollt und schmutzbedeckt, also natürlich auch noch un-



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[0489] Über griechische und römische Verfluchungstafeln die Unterirdischen, an die der Auftrag ging, auch Gelegenheit bekämen, ihn zu lesen, that man die Schrift am besten in irgend ein Grab hinein. Um zu verhindern, daß die Feuchtigkeit dieser unterirdischen Anlagen dem Schriftstücke schade, wählte man dafür nicht Papier oder Pergament, sondern lieber Metall, und zwar am häufigste» Blei, das sich aus verschiednen Gründen ganz be¬ sonders dazu eignete. Erstlich wurden Bleitafeln auch sonst in früher Zeit zum Schreiben benutzt, weil ein spitzer Griffel ja sehr leicht Zeichen darauf einritzt; Plinius erwähnt solche „bleierne Schriften," und Pausanias sah auf dem Helikon eine bleierne Niederschrift der „Werke und Tage" Hesiods. Auch Briefe wurden bisweilen auf Bleiplüttchen geschrieben, weil weder Hitze noch Nässe der Schrift Schaden zufügt, und Reste von solchen haben sich noch er¬ halten. Aber nicht allein die praktische Brauchbarkeit empfahl dieses Material, auch der Aberglaube selbst bestimmte seine Wahl. Das Metall ist schwer, kalt, von graublauer, häßlicher Farbe: das alles erinnerte an die Leiche, zu der man ja den Feind machen wollte; auch war das Blei in der Astrologie das Zeichen des schädlichen Kronos oder Saturn. So erschien denn das Blei in jeder Hinsicht geeignet für diese Zwecke. Von solchen Devotionen oder Defixionen, wie sie die Römer nennen (griechisch xtt-r«ac^co^, ist bei den Schriftstellern nicht selten die Rede. So wird in den Metamorphosen des Apulejus von einer Zauberin erzählt, die wegen ihrer Schandthaten von der Bevölkerung gesteinigt werden soll; da sie aber durch ihre geheime Wissenschaft vorher Kunde von dem Vorhaben erhält, bannt sie durch Täfelchen, die sie in Gräber thut, die gesamte Einwohner¬ schaft in ihre Häuser, dergestalt, daß kein Mensch imstande ist, seine Wohnung zu verlassen. Bekannt ist der Bericht des Tacitus über die Gerüchte, die beim Tode des Germaniens, den manche dem Piso zuschrieben, herumgingen: man habe im Hause unterm Fußboden die Neste von Leichen gefunden, Zauber¬ sprüche und Verfluchungen, Vleitafeln mit dem Namen des Germaniens, auch Asche halbverbrannter Körperteile und mehr dergleichen schändlicher Mittel, „durch die man glaubt, die Seelen den Gottheiten der Unterwelt weihen zu können." Von derartigen Tafeln mit Verfluchungen hat sich nun eine nicht unbeträcht¬ liche Zahl erhalten, griechische wie lateinische. Die Mehrzahl der griechischen ist in Attika gefunden worden; eine Zusammenstellung (mit den kleinern Frag¬ menten 220 Nummern) bietet der von Richard Wünsch herausgegebne Supple¬ mentband zum LorxnL Insorixtionurn. ^ttioarum/") Einen großen Teil dieser Sammlung hat Wünsch selbst in Athen aus dem Nachlaß von Nhnsopulos erworben — zusammengerollt und schmutzbedeckt, also natürlich auch noch un- vskixiollllm taboHs,« L.dei<zg,v. lüollsAit, oollvLts,» piÄSmissg. prasks-tiovo oäiäii Rios,r<Ins ^Vünsoli. lZorol, Nsimor, 1897. Grenzboten II 1399 . 01

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/489>, abgerufen am 20.10.2024.