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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische verfluchungstafeln

glauben Unterworfnen selbst sich nicht an solche Zauberkünste herangetrauen;
immerhin ist es noch nicht gar so lange her, daß sich in einer großen Stadt
der deutschen Schweiz eine Anzahl frommer Damen zusammenthat, um einen
zu liberalen Pfarrer "tot zu beten." Und daß dergleichen Tötungsversuche
"mit untauglichen Mitteln" bis auf den heutigen Tag immer wieder vorkommen,
davon wissen die Juristen zu erzählen. Und schließlich machen wir uns ja
selbst bisweilen einer ähnlichen Versündigung an der christlichen Vorschrift
schuldig, wenn wir uns in Bezug auf diesen oder jenen den frommen Wunsch
"Hol ihn der Teufel!" entschlüpfen lassen. Zum Glück meinen wir es damit
in der Regel ja nicht so sehr ernst, und wir würden, wenn der Teufel wirklich
einmal unserm Wunsche Folge leisten wollte, vermutlich die Konsequenzen
unsrer Voreiligkeit bedauern; aber immerhin ist es von Interesse, zu konstatieren,
daß wir uns mit solchem Wunsche ganz direkt auf den Boden des krassen
Heidentums stellen. Deal was wir wünschen, daß der "Teufel" den Be¬
treffenden hole, ist doch im Grunde nichts andres, als was der alte Grieche
oder Römer erreichen wollte, wenn er seinen Feind oder Nebenbuhler den
"Unterirdischen" weihte, nur daß wir uns mit dem bloßen Wunsche begnügen,
der abergläubische Heide aber wirklich Schritte that, die nach seinem Glauben
geeignet waren, solche Wünsche zu verwirklichen.

Der Gedanke einer solchen Verwünschung ist nun freilich vielfach so zu
verstehn, daß die Götter den Feind für das Unrecht strafen sollen, das er dem
andern zugefügt hat; und gerade deswegen werden besonders die Unterirdischen
angerufen, weil sie besonders die Nachegötter sind. So werden sie angerufen
in Verträgen, den zu strafen, der den Vertrag verletzt; so auf Grabinschriften
gegen den, der das Grab schändet oder sonst die Ruhe des Toten stört. Der¬
gleichen Verwünschungen haben sich inschriftlich mehrfach erhalten; sie gehören
noch ganz dem religiösen Gebiet an, geschehen offen vor aller Augen und
durften das, weil sie durchaus rechtmäßig Ware" und allgemeinen Charakter
trugen. Anders aber war es, sobald sich die Verfluchung gegen eine bestimmte
Persönlichkeit wendet, ein Racheakt wird; da mußte man seine bösen Wünsche
insgeheim äußern, und da trat, wie meist bei solchen Dingen, die von reli¬
giösem Brauch ausgehend als Geheimnis betrieben werden, zum religiösen Kern
vielfach noch allerlei abergläubisches Beiwerk hinzu.

Bekanntlich ist es ein verbreiteter antiker Aberglaube, daß man gewisse
Götter, namentlich Hekate und andre Unterirdische, durch Zauberformeln herbei¬
rufen könne. Das geschah zum Teil durch gesprochne oder gesungne Formeln;
aber wirksamer als das gesprochne war das geschriebn? Wort, eine Auffassung,
die sicher noch in jene alten Zeiten zurückgeht, wo die Kenntnis des Schreibens
nur erst wenigen eigen war; gerade auf solchen niedrigen Kulturstufen gilt ja
alle Schrift dem Ungebildeten als etwas Geheimnisvolles, Zauberkräftiges.
So schrieb man denn auch seine Verwünschung oder seinen Fluch auf; und damit


Über griechische und römische verfluchungstafeln

glauben Unterworfnen selbst sich nicht an solche Zauberkünste herangetrauen;
immerhin ist es noch nicht gar so lange her, daß sich in einer großen Stadt
der deutschen Schweiz eine Anzahl frommer Damen zusammenthat, um einen
zu liberalen Pfarrer „tot zu beten." Und daß dergleichen Tötungsversuche
„mit untauglichen Mitteln" bis auf den heutigen Tag immer wieder vorkommen,
davon wissen die Juristen zu erzählen. Und schließlich machen wir uns ja
selbst bisweilen einer ähnlichen Versündigung an der christlichen Vorschrift
schuldig, wenn wir uns in Bezug auf diesen oder jenen den frommen Wunsch
„Hol ihn der Teufel!" entschlüpfen lassen. Zum Glück meinen wir es damit
in der Regel ja nicht so sehr ernst, und wir würden, wenn der Teufel wirklich
einmal unserm Wunsche Folge leisten wollte, vermutlich die Konsequenzen
unsrer Voreiligkeit bedauern; aber immerhin ist es von Interesse, zu konstatieren,
daß wir uns mit solchem Wunsche ganz direkt auf den Boden des krassen
Heidentums stellen. Deal was wir wünschen, daß der „Teufel" den Be¬
treffenden hole, ist doch im Grunde nichts andres, als was der alte Grieche
oder Römer erreichen wollte, wenn er seinen Feind oder Nebenbuhler den
„Unterirdischen" weihte, nur daß wir uns mit dem bloßen Wunsche begnügen,
der abergläubische Heide aber wirklich Schritte that, die nach seinem Glauben
geeignet waren, solche Wünsche zu verwirklichen.

Der Gedanke einer solchen Verwünschung ist nun freilich vielfach so zu
verstehn, daß die Götter den Feind für das Unrecht strafen sollen, das er dem
andern zugefügt hat; und gerade deswegen werden besonders die Unterirdischen
angerufen, weil sie besonders die Nachegötter sind. So werden sie angerufen
in Verträgen, den zu strafen, der den Vertrag verletzt; so auf Grabinschriften
gegen den, der das Grab schändet oder sonst die Ruhe des Toten stört. Der¬
gleichen Verwünschungen haben sich inschriftlich mehrfach erhalten; sie gehören
noch ganz dem religiösen Gebiet an, geschehen offen vor aller Augen und
durften das, weil sie durchaus rechtmäßig Ware» und allgemeinen Charakter
trugen. Anders aber war es, sobald sich die Verfluchung gegen eine bestimmte
Persönlichkeit wendet, ein Racheakt wird; da mußte man seine bösen Wünsche
insgeheim äußern, und da trat, wie meist bei solchen Dingen, die von reli¬
giösem Brauch ausgehend als Geheimnis betrieben werden, zum religiösen Kern
vielfach noch allerlei abergläubisches Beiwerk hinzu.

Bekanntlich ist es ein verbreiteter antiker Aberglaube, daß man gewisse
Götter, namentlich Hekate und andre Unterirdische, durch Zauberformeln herbei¬
rufen könne. Das geschah zum Teil durch gesprochne oder gesungne Formeln;
aber wirksamer als das gesprochne war das geschriebn? Wort, eine Auffassung,
die sicher noch in jene alten Zeiten zurückgeht, wo die Kenntnis des Schreibens
nur erst wenigen eigen war; gerade auf solchen niedrigen Kulturstufen gilt ja
alle Schrift dem Ungebildeten als etwas Geheimnisvolles, Zauberkräftiges.
So schrieb man denn auch seine Verwünschung oder seinen Fluch auf; und damit


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[0488] Über griechische und römische verfluchungstafeln glauben Unterworfnen selbst sich nicht an solche Zauberkünste herangetrauen; immerhin ist es noch nicht gar so lange her, daß sich in einer großen Stadt der deutschen Schweiz eine Anzahl frommer Damen zusammenthat, um einen zu liberalen Pfarrer „tot zu beten." Und daß dergleichen Tötungsversuche „mit untauglichen Mitteln" bis auf den heutigen Tag immer wieder vorkommen, davon wissen die Juristen zu erzählen. Und schließlich machen wir uns ja selbst bisweilen einer ähnlichen Versündigung an der christlichen Vorschrift schuldig, wenn wir uns in Bezug auf diesen oder jenen den frommen Wunsch „Hol ihn der Teufel!" entschlüpfen lassen. Zum Glück meinen wir es damit in der Regel ja nicht so sehr ernst, und wir würden, wenn der Teufel wirklich einmal unserm Wunsche Folge leisten wollte, vermutlich die Konsequenzen unsrer Voreiligkeit bedauern; aber immerhin ist es von Interesse, zu konstatieren, daß wir uns mit solchem Wunsche ganz direkt auf den Boden des krassen Heidentums stellen. Deal was wir wünschen, daß der „Teufel" den Be¬ treffenden hole, ist doch im Grunde nichts andres, als was der alte Grieche oder Römer erreichen wollte, wenn er seinen Feind oder Nebenbuhler den „Unterirdischen" weihte, nur daß wir uns mit dem bloßen Wunsche begnügen, der abergläubische Heide aber wirklich Schritte that, die nach seinem Glauben geeignet waren, solche Wünsche zu verwirklichen. Der Gedanke einer solchen Verwünschung ist nun freilich vielfach so zu verstehn, daß die Götter den Feind für das Unrecht strafen sollen, das er dem andern zugefügt hat; und gerade deswegen werden besonders die Unterirdischen angerufen, weil sie besonders die Nachegötter sind. So werden sie angerufen in Verträgen, den zu strafen, der den Vertrag verletzt; so auf Grabinschriften gegen den, der das Grab schändet oder sonst die Ruhe des Toten stört. Der¬ gleichen Verwünschungen haben sich inschriftlich mehrfach erhalten; sie gehören noch ganz dem religiösen Gebiet an, geschehen offen vor aller Augen und durften das, weil sie durchaus rechtmäßig Ware» und allgemeinen Charakter trugen. Anders aber war es, sobald sich die Verfluchung gegen eine bestimmte Persönlichkeit wendet, ein Racheakt wird; da mußte man seine bösen Wünsche insgeheim äußern, und da trat, wie meist bei solchen Dingen, die von reli¬ giösem Brauch ausgehend als Geheimnis betrieben werden, zum religiösen Kern vielfach noch allerlei abergläubisches Beiwerk hinzu. Bekanntlich ist es ein verbreiteter antiker Aberglaube, daß man gewisse Götter, namentlich Hekate und andre Unterirdische, durch Zauberformeln herbei¬ rufen könne. Das geschah zum Teil durch gesprochne oder gesungne Formeln; aber wirksamer als das gesprochne war das geschriebn? Wort, eine Auffassung, die sicher noch in jene alten Zeiten zurückgeht, wo die Kenntnis des Schreibens nur erst wenigen eigen war; gerade auf solchen niedrigen Kulturstufen gilt ja alle Schrift dem Ungebildeten als etwas Geheimnisvolles, Zauberkräftiges. So schrieb man denn auch seine Verwünschung oder seinen Fluch auf; und damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/488>, abgerufen am 28.09.2024.