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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Er sah alles Heil in einem kräftigen Auftreten der preußischen Regierung, sah
mit Geringschätzung auf die "stupide" und "vulgäre" preußische Nationalver¬
sammlung hinab und verhielt sich gegen die Souverünitätsansprüche der
Nationalversammlung in Frankfurt durchaus ablehnend, "Sie wird nicht
eher aufhören, schrieb er an Bunsen am 1. Juli 1848 nach der Wahl des
Erzherzogs Johann zum Reichsverweser, als bis sie irgend eine Negierung
gezwungen, ihr den Gehorsam zu versagen; dann wird es sich zeigen, wo die
wirkliche Macht ist," Dieser Fall trat ein, als Preußen im August gegen den
Willen der Frankfurter Zentralgewalt mit Dänemark den Waffenstillstand von
Malmö schloß; Abeken erwartete daher jetzt, daß sich Parlament und Zentral-
gewalt, belehrt durch deu Frankfurter Scptemberaufstand, Preußen "hingeben"
würden, und fügte hinzu: "Dadurch werden wir doch wohl auch endlich lernen,
den Wink des Schicksals zu verstehn." Freilich schrieb er am 2. Oktober:
"Die jetzigen Männer (Minister) Preußens sind nicht Preußen, aber wir müssen
nur sorgen, daß es den kommenden Männern nicht unmöglich werde, wieder
Preußen zu sein." Daher soll sich Preußen nicht "in Deutschland unter
Frankfurt auflösen lassen," denn dann "ist es für immer aus." Endlich be¬
lebten die Ernennung des Ministeriums Brandenburg am 3. November, die
Verlegung und Vertagung der Kammer, der Einmarsch der Truppen in Berlin
am 10. November, die Entwaffnung der Bürgerwehr und die Verkündigung
des Velagerungszustaudes am 12. November sein Vertrauen wieder. "Ich
hoffe, schrieb er am 1. Dezember, wir kommen bei uns zu Hanse durch und
können dann auch vielleicht unserm lieben Deutschland wieder helfen." Die
"Oktroyierung" der Verfassung am 5. Dezember gab dem Königtume endlich
wieder festen Boden unter die Füße. Inzwischen hatte sich auch Abekens eignes
Schicksal entschieden: er war schon am 18. Oktober zum Legationsrat ernannt
worden und erhielt am 14. Dezember seine endgiltige Anstellung im Ministerium
des Auswärtige".

Bald drüugteu die Dinge in Frankfurt zur letzten Entscheidung. Dem
Plane gegenüber, dem König die deutsche Kaiserkrone zu übertrage", verhielt
sich Abeken keineswegs unbedingt ablehnend; es werde nur schwer werden,
"den Rechtsboden nicht zu verlassen und doch das Notwendige . . . nicht zu
versäumen" (13. März 1849). Er war deshalb mit der Antwort, die der
König am 3. April der Kaiserdeputation gab, ganz zufrieden ("er konnte nicht
weitergehn") und betroffen, daß die Frankfurter sie schlechtweg als Ablehnung
auffaßten. Aus den nächsten bewegten Monaten vom 11. April bis zum
28. September 1849 liegen fast nur kurze Tagebuchnotizcn vor, die von seinem
Urteil wenig erkennen lassen. Ganz einverstanden war er mit dem am
30. September zwischen Preußen und Osterreich abgeschlossenen Vertrage über
die provisorische Übernahme der deutschen Zentralgewalt durch beide Großmächte
bis zum 1. Mai 1850, da sie Preußen die Parität gewähre; aber die daran
geknüpften Hoffnungen lösten sich rasch wieder auf, als Österreich dem preu-


Heinrich Abeken

Er sah alles Heil in einem kräftigen Auftreten der preußischen Regierung, sah
mit Geringschätzung auf die „stupide" und „vulgäre" preußische Nationalver¬
sammlung hinab und verhielt sich gegen die Souverünitätsansprüche der
Nationalversammlung in Frankfurt durchaus ablehnend, „Sie wird nicht
eher aufhören, schrieb er an Bunsen am 1. Juli 1848 nach der Wahl des
Erzherzogs Johann zum Reichsverweser, als bis sie irgend eine Negierung
gezwungen, ihr den Gehorsam zu versagen; dann wird es sich zeigen, wo die
wirkliche Macht ist," Dieser Fall trat ein, als Preußen im August gegen den
Willen der Frankfurter Zentralgewalt mit Dänemark den Waffenstillstand von
Malmö schloß; Abeken erwartete daher jetzt, daß sich Parlament und Zentral-
gewalt, belehrt durch deu Frankfurter Scptemberaufstand, Preußen „hingeben"
würden, und fügte hinzu: „Dadurch werden wir doch wohl auch endlich lernen,
den Wink des Schicksals zu verstehn." Freilich schrieb er am 2. Oktober:
„Die jetzigen Männer (Minister) Preußens sind nicht Preußen, aber wir müssen
nur sorgen, daß es den kommenden Männern nicht unmöglich werde, wieder
Preußen zu sein." Daher soll sich Preußen nicht „in Deutschland unter
Frankfurt auflösen lassen," denn dann „ist es für immer aus." Endlich be¬
lebten die Ernennung des Ministeriums Brandenburg am 3. November, die
Verlegung und Vertagung der Kammer, der Einmarsch der Truppen in Berlin
am 10. November, die Entwaffnung der Bürgerwehr und die Verkündigung
des Velagerungszustaudes am 12. November sein Vertrauen wieder. „Ich
hoffe, schrieb er am 1. Dezember, wir kommen bei uns zu Hanse durch und
können dann auch vielleicht unserm lieben Deutschland wieder helfen." Die
„Oktroyierung" der Verfassung am 5. Dezember gab dem Königtume endlich
wieder festen Boden unter die Füße. Inzwischen hatte sich auch Abekens eignes
Schicksal entschieden: er war schon am 18. Oktober zum Legationsrat ernannt
worden und erhielt am 14. Dezember seine endgiltige Anstellung im Ministerium
des Auswärtige».

Bald drüugteu die Dinge in Frankfurt zur letzten Entscheidung. Dem
Plane gegenüber, dem König die deutsche Kaiserkrone zu übertrage», verhielt
sich Abeken keineswegs unbedingt ablehnend; es werde nur schwer werden,
„den Rechtsboden nicht zu verlassen und doch das Notwendige . . . nicht zu
versäumen" (13. März 1849). Er war deshalb mit der Antwort, die der
König am 3. April der Kaiserdeputation gab, ganz zufrieden („er konnte nicht
weitergehn") und betroffen, daß die Frankfurter sie schlechtweg als Ablehnung
auffaßten. Aus den nächsten bewegten Monaten vom 11. April bis zum
28. September 1849 liegen fast nur kurze Tagebuchnotizcn vor, die von seinem
Urteil wenig erkennen lassen. Ganz einverstanden war er mit dem am
30. September zwischen Preußen und Osterreich abgeschlossenen Vertrage über
die provisorische Übernahme der deutschen Zentralgewalt durch beide Großmächte
bis zum 1. Mai 1850, da sie Preußen die Parität gewähre; aber die daran
geknüpften Hoffnungen lösten sich rasch wieder auf, als Österreich dem preu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/476>, abgerufen am 21.10.2024.