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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

ßischen Dreikönigsbündnis und der Union feindselig entgegentrat. Abeken wollte
von der Annahme des österreichischen Vorschlags zur Wiederherstellung des
alten Bundestages am 1. September 1850 nichts wissen, und er war empört
über das Eintreten Österreichs für die Reaktion in Kurhessen. Von den nun
folgenden Verwicklungen bis zum Tode Graf Brandenburgs am 6. November
1850 giebt sein hier wieder eintretendes Tagebuch trotz aller Kürze ein sehr
lebendiges Bild; in einem Briefe vom 7. November widmet er dem verstorbnen
Minister einen warmen Nachruf. Auch über Nadowitz, den Minister des Aus¬
wärtigen (seit dem 26. September), der schon am 2. November zurückgetreten
war, weil die Mehrheit der Minister den Krieg nicht wollte, urteilt er sehr
günstig: "Er ist eiuer der wunderbarsten und bedeutendsten Männer, zum
Herrschen geboren, wenn er, mie Cäsar, sagen könnte: Du trägst den Cüsnr
und sein Glück!" Aber die Nachgiebigkeit Preußens war noch nicht am Ziele,
sie mußte zur völligen Demütigung werden, weil die Rüstungen infolge der
verspäteten Mobilisieruugsordrc vom 6. November noch zu weit zurückstanden.
"Wenn wir nur acht Tage weiter wären, dann würden wir eine andre Sprache
führen können," sagte der neue Ministerpräsident Otto von Manteuffel am
7. November. Diese Erwägung führte geradeswegs nach Olmütz.") Es war
Abeken beschicken, als Begleiter Manteuffels an den Verhandlungen und Ver¬
einbarungen von Olmütz persönlich teilnehmen zu müssen; mit dem friedlichen
Resultat, wie einmal die Dinge für Preußen damals lagen, war er einverstanden,
aber hinterher bereute er beinahe seineu Anteil an den friedlichen Ratschlägen
und empfand die tiefste Niedergeschlagenheit.

Es ist für seine persönliche Parteistellnng doch sehr bezeichnend, daß er
kurz nachher schreiben konnte: "Ich war unter dem gestürzten System zu sehr
gebraucht worden, um für das jetzige (Manteuffels) arbeite" zu können"; er
wurde deshalb für die eigentlich politische Korrespondenz bis 1858 nicht mehr
verwandt, sondern für die mehr geschäftliche, administrative, und er gewann
dadurch mehr Muße, "weil der Kopf frei ist." Die "griechische Gesellschaft"
(die 6r3,6<zg,), die er mit Wiese, Lepsius, E. Curtius, Gerhard und Wattenbach
gründete, brachte ihn beständig mit der Altertumswissenschaft und ihren Ver¬
tretern in Verbindung, und alle litterarisch-künstlerischen Ereignisse: die Ent¬
hüllung des Friedrichdcnkmals 1851, der Tod L. Tiecks, 28. April 1858,
beschäftigten ihn lebhaft. Ja er begann selbst wieder wissenschaftlich thätig zu
sein, richtete 1851 unter dem Titel "Babylon und Jerusalem" ein offnes
Sendschreiben an die zum Katholizismus übergetretne Gräfin Jda Hahn-Hahn,
hielt Vorlesungen 1853 über den Gottesdienst der alten Kirche, 1854 über
das religiöse Leben des Islam, 1856 über das ägyptische Museum. Auch



Vgl. dazu die Bemerkungen des damaligen Kriegsministers non Stockhausen zu
Bismarck in dessen Gedanken und Erinnerungen 1, 68 ff., die diesem zu seiner Rede in der
zweiten Kammer am 3. Dezember Veranlassung gaben.
Heinrich Abeken

ßischen Dreikönigsbündnis und der Union feindselig entgegentrat. Abeken wollte
von der Annahme des österreichischen Vorschlags zur Wiederherstellung des
alten Bundestages am 1. September 1850 nichts wissen, und er war empört
über das Eintreten Österreichs für die Reaktion in Kurhessen. Von den nun
folgenden Verwicklungen bis zum Tode Graf Brandenburgs am 6. November
1850 giebt sein hier wieder eintretendes Tagebuch trotz aller Kürze ein sehr
lebendiges Bild; in einem Briefe vom 7. November widmet er dem verstorbnen
Minister einen warmen Nachruf. Auch über Nadowitz, den Minister des Aus¬
wärtigen (seit dem 26. September), der schon am 2. November zurückgetreten
war, weil die Mehrheit der Minister den Krieg nicht wollte, urteilt er sehr
günstig: „Er ist eiuer der wunderbarsten und bedeutendsten Männer, zum
Herrschen geboren, wenn er, mie Cäsar, sagen könnte: Du trägst den Cüsnr
und sein Glück!" Aber die Nachgiebigkeit Preußens war noch nicht am Ziele,
sie mußte zur völligen Demütigung werden, weil die Rüstungen infolge der
verspäteten Mobilisieruugsordrc vom 6. November noch zu weit zurückstanden.
„Wenn wir nur acht Tage weiter wären, dann würden wir eine andre Sprache
führen können," sagte der neue Ministerpräsident Otto von Manteuffel am
7. November. Diese Erwägung führte geradeswegs nach Olmütz.") Es war
Abeken beschicken, als Begleiter Manteuffels an den Verhandlungen und Ver¬
einbarungen von Olmütz persönlich teilnehmen zu müssen; mit dem friedlichen
Resultat, wie einmal die Dinge für Preußen damals lagen, war er einverstanden,
aber hinterher bereute er beinahe seineu Anteil an den friedlichen Ratschlägen
und empfand die tiefste Niedergeschlagenheit.

Es ist für seine persönliche Parteistellnng doch sehr bezeichnend, daß er
kurz nachher schreiben konnte: „Ich war unter dem gestürzten System zu sehr
gebraucht worden, um für das jetzige (Manteuffels) arbeite» zu können"; er
wurde deshalb für die eigentlich politische Korrespondenz bis 1858 nicht mehr
verwandt, sondern für die mehr geschäftliche, administrative, und er gewann
dadurch mehr Muße, „weil der Kopf frei ist." Die „griechische Gesellschaft"
(die 6r3,6<zg,), die er mit Wiese, Lepsius, E. Curtius, Gerhard und Wattenbach
gründete, brachte ihn beständig mit der Altertumswissenschaft und ihren Ver¬
tretern in Verbindung, und alle litterarisch-künstlerischen Ereignisse: die Ent¬
hüllung des Friedrichdcnkmals 1851, der Tod L. Tiecks, 28. April 1858,
beschäftigten ihn lebhaft. Ja er begann selbst wieder wissenschaftlich thätig zu
sein, richtete 1851 unter dem Titel „Babylon und Jerusalem" ein offnes
Sendschreiben an die zum Katholizismus übergetretne Gräfin Jda Hahn-Hahn,
hielt Vorlesungen 1853 über den Gottesdienst der alten Kirche, 1854 über
das religiöse Leben des Islam, 1856 über das ägyptische Museum. Auch



Vgl. dazu die Bemerkungen des damaligen Kriegsministers non Stockhausen zu
Bismarck in dessen Gedanken und Erinnerungen 1, 68 ff., die diesem zu seiner Rede in der
zweiten Kammer am 3. Dezember Veranlassung gaben.
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[0477] Heinrich Abeken ßischen Dreikönigsbündnis und der Union feindselig entgegentrat. Abeken wollte von der Annahme des österreichischen Vorschlags zur Wiederherstellung des alten Bundestages am 1. September 1850 nichts wissen, und er war empört über das Eintreten Österreichs für die Reaktion in Kurhessen. Von den nun folgenden Verwicklungen bis zum Tode Graf Brandenburgs am 6. November 1850 giebt sein hier wieder eintretendes Tagebuch trotz aller Kürze ein sehr lebendiges Bild; in einem Briefe vom 7. November widmet er dem verstorbnen Minister einen warmen Nachruf. Auch über Nadowitz, den Minister des Aus¬ wärtigen (seit dem 26. September), der schon am 2. November zurückgetreten war, weil die Mehrheit der Minister den Krieg nicht wollte, urteilt er sehr günstig: „Er ist eiuer der wunderbarsten und bedeutendsten Männer, zum Herrschen geboren, wenn er, mie Cäsar, sagen könnte: Du trägst den Cüsnr und sein Glück!" Aber die Nachgiebigkeit Preußens war noch nicht am Ziele, sie mußte zur völligen Demütigung werden, weil die Rüstungen infolge der verspäteten Mobilisieruugsordrc vom 6. November noch zu weit zurückstanden. „Wenn wir nur acht Tage weiter wären, dann würden wir eine andre Sprache führen können," sagte der neue Ministerpräsident Otto von Manteuffel am 7. November. Diese Erwägung führte geradeswegs nach Olmütz.") Es war Abeken beschicken, als Begleiter Manteuffels an den Verhandlungen und Ver¬ einbarungen von Olmütz persönlich teilnehmen zu müssen; mit dem friedlichen Resultat, wie einmal die Dinge für Preußen damals lagen, war er einverstanden, aber hinterher bereute er beinahe seineu Anteil an den friedlichen Ratschlägen und empfand die tiefste Niedergeschlagenheit. Es ist für seine persönliche Parteistellnng doch sehr bezeichnend, daß er kurz nachher schreiben konnte: „Ich war unter dem gestürzten System zu sehr gebraucht worden, um für das jetzige (Manteuffels) arbeite» zu können"; er wurde deshalb für die eigentlich politische Korrespondenz bis 1858 nicht mehr verwandt, sondern für die mehr geschäftliche, administrative, und er gewann dadurch mehr Muße, „weil der Kopf frei ist." Die „griechische Gesellschaft" (die 6r3,6<zg,), die er mit Wiese, Lepsius, E. Curtius, Gerhard und Wattenbach gründete, brachte ihn beständig mit der Altertumswissenschaft und ihren Ver¬ tretern in Verbindung, und alle litterarisch-künstlerischen Ereignisse: die Ent¬ hüllung des Friedrichdcnkmals 1851, der Tod L. Tiecks, 28. April 1858, beschäftigten ihn lebhaft. Ja er begann selbst wieder wissenschaftlich thätig zu sein, richtete 1851 unter dem Titel „Babylon und Jerusalem" ein offnes Sendschreiben an die zum Katholizismus übergetretne Gräfin Jda Hahn-Hahn, hielt Vorlesungen 1853 über den Gottesdienst der alten Kirche, 1854 über das religiöse Leben des Islam, 1856 über das ägyptische Museum. Auch Vgl. dazu die Bemerkungen des damaligen Kriegsministers non Stockhausen zu Bismarck in dessen Gedanken und Erinnerungen 1, 68 ff., die diesem zu seiner Rede in der zweiten Kammer am 3. Dezember Veranlassung gaben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/477>, abgerufen am 28.09.2024.