Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich Abeken

eine Gemeinde zu bilden und zusammenzuhalten," "weit übertroffen," und er
erkannte freudig das Verdienst des ersten Bischofs Alexander an, der der einzige
Mann sei, den Plan auszuführen, da er alle drei Elemente in seiner Person
vereinige (als getaufter Jude aus Breslau). An deutsch-nationale Aufgaben
des halbdeutschen Bistums Jerusalem dachte Abeken so wenig wie Bunsen und
der König; die Hauptsache war ihm die Intermission, und doch hat diese viel¬
bespöttelte Schöpfung des Romantikers auf dem Throne den Grund für die
heutige Machtstellung der Deutschen in Palästina gelegt. Erst im Spätherbst
ging Abeken nach Beirut, von dort nach Konstantinopel, von wo aus er Smyrna
und Sardes besuchte; dann kehrte er über Trieft und Venedig nach Rom
zurück. Hier erlebte er 1846 die Wahl Pius IX. und teilte eine Zeit lang den
Enthusiasmus für ihn; gerade die Arbeiten, die sich aus dem Thronwechsel
und aus dem Tode des Prinzen Heinrich von Preußen (November 1846) er¬
gaben, veranlaßten den preußischen Gesandten Graf Usedom, Abeken, da er so
lange den Charakter eines Attaches bei der Gesandtschaft getragen habe, nun
mich praktisch zu verwenden. Er lernte hier auch Moltke, den Adjutanten des
Prinzen Heinrich, kennen und lebte wieder viel in der Gesellschaft. Erst im
Mai 1847 verließ er Rom sür immer, um nach Deutschland zurückzukehren.

Seine langen Wanderjahre waren zu Ende, aber ein wirkliches Ziel hatte
er nicht erreicht. Zum praktischen Geistlichen fühlte er sich auch jetzt un¬
tauglich. Die dann in Aussicht gefaßte wissenschaftliche Laufbahn hatte er
auch aufgegeben, obwohl er mehrere Arbeiten über den Auszug der Jsrcieliten
aus Ägypten verfaßt hatte, die er indes nicht drucken ließ. Am meisten fühlte
er sich schließlich, nachdem er so manche Einblicke in die Diplomatie gethan
und auch praktisch an ihr gelegentlich teilgenommen hatte, zur Politik hinge¬
zogen. Freilich schrieb er noch am 25. August 1847 an Bunsen: "Ich weiß
sehr wohl, daß das in jedem Sinne ganz außer meiner Sphäre liegt"; aber
seine vielseitige und diese Bildung, seine Weltkenntnis, seine Sprachgewandtheit,
seine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, eine echte "Höflichkeit des Herzens,"
das alles waren doch auch wieder sehr verwertbare Eigenschaften des nunmehr
fast vierzigjährigen Mannes. Und nun brach im März 1848 zu seinem tiefsten
Schmerze auch das preußische Königtum vor einer schon besiegten Straßen-
revvlte, die Abeken in nächster Nähe beobachtete und zornig sofort als ein
wohl vorbereitetes Werk fremder Agitatoren erkannte, haltlos zusammen. Da
bedürfte es neuer und treuer Männer. So wurde Abeken um Mitte April
1848 als Hilfsarbeiter ins Auswärtige Amt berufen.

Er fand seine Stellung dort zunächst schwierig, denn die Ministerien
wechselten rasch, und alle ließen feste Entschlossenheit ebenso vermissen wie der
König. Abeken, der die Gegensätze klar genug übersah und im Orient gelernt
hatte, "über den Augenblick hinwegzublicken und nach Jahrhunderten oder Jahr¬
tausenden zu rechnen," war über die zu ergreifende Partei niemals zweifelhaft.


Heinrich Abeken

eine Gemeinde zu bilden und zusammenzuhalten," „weit übertroffen," und er
erkannte freudig das Verdienst des ersten Bischofs Alexander an, der der einzige
Mann sei, den Plan auszuführen, da er alle drei Elemente in seiner Person
vereinige (als getaufter Jude aus Breslau). An deutsch-nationale Aufgaben
des halbdeutschen Bistums Jerusalem dachte Abeken so wenig wie Bunsen und
der König; die Hauptsache war ihm die Intermission, und doch hat diese viel¬
bespöttelte Schöpfung des Romantikers auf dem Throne den Grund für die
heutige Machtstellung der Deutschen in Palästina gelegt. Erst im Spätherbst
ging Abeken nach Beirut, von dort nach Konstantinopel, von wo aus er Smyrna
und Sardes besuchte; dann kehrte er über Trieft und Venedig nach Rom
zurück. Hier erlebte er 1846 die Wahl Pius IX. und teilte eine Zeit lang den
Enthusiasmus für ihn; gerade die Arbeiten, die sich aus dem Thronwechsel
und aus dem Tode des Prinzen Heinrich von Preußen (November 1846) er¬
gaben, veranlaßten den preußischen Gesandten Graf Usedom, Abeken, da er so
lange den Charakter eines Attaches bei der Gesandtschaft getragen habe, nun
mich praktisch zu verwenden. Er lernte hier auch Moltke, den Adjutanten des
Prinzen Heinrich, kennen und lebte wieder viel in der Gesellschaft. Erst im
Mai 1847 verließ er Rom sür immer, um nach Deutschland zurückzukehren.

Seine langen Wanderjahre waren zu Ende, aber ein wirkliches Ziel hatte
er nicht erreicht. Zum praktischen Geistlichen fühlte er sich auch jetzt un¬
tauglich. Die dann in Aussicht gefaßte wissenschaftliche Laufbahn hatte er
auch aufgegeben, obwohl er mehrere Arbeiten über den Auszug der Jsrcieliten
aus Ägypten verfaßt hatte, die er indes nicht drucken ließ. Am meisten fühlte
er sich schließlich, nachdem er so manche Einblicke in die Diplomatie gethan
und auch praktisch an ihr gelegentlich teilgenommen hatte, zur Politik hinge¬
zogen. Freilich schrieb er noch am 25. August 1847 an Bunsen: „Ich weiß
sehr wohl, daß das in jedem Sinne ganz außer meiner Sphäre liegt"; aber
seine vielseitige und diese Bildung, seine Weltkenntnis, seine Sprachgewandtheit,
seine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, eine echte „Höflichkeit des Herzens,"
das alles waren doch auch wieder sehr verwertbare Eigenschaften des nunmehr
fast vierzigjährigen Mannes. Und nun brach im März 1848 zu seinem tiefsten
Schmerze auch das preußische Königtum vor einer schon besiegten Straßen-
revvlte, die Abeken in nächster Nähe beobachtete und zornig sofort als ein
wohl vorbereitetes Werk fremder Agitatoren erkannte, haltlos zusammen. Da
bedürfte es neuer und treuer Männer. So wurde Abeken um Mitte April
1848 als Hilfsarbeiter ins Auswärtige Amt berufen.

Er fand seine Stellung dort zunächst schwierig, denn die Ministerien
wechselten rasch, und alle ließen feste Entschlossenheit ebenso vermissen wie der
König. Abeken, der die Gegensätze klar genug übersah und im Orient gelernt
hatte, „über den Augenblick hinwegzublicken und nach Jahrhunderten oder Jahr¬
tausenden zu rechnen," war über die zu ergreifende Partei niemals zweifelhaft.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230907"/>
          <fw type="header" place="top"> Heinrich Abeken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1610" prev="#ID_1609"> eine Gemeinde zu bilden und zusammenzuhalten," &#x201E;weit übertroffen," und er<lb/>
erkannte freudig das Verdienst des ersten Bischofs Alexander an, der der einzige<lb/>
Mann sei, den Plan auszuführen, da er alle drei Elemente in seiner Person<lb/>
vereinige (als getaufter Jude aus Breslau). An deutsch-nationale Aufgaben<lb/>
des halbdeutschen Bistums Jerusalem dachte Abeken so wenig wie Bunsen und<lb/>
der König; die Hauptsache war ihm die Intermission, und doch hat diese viel¬<lb/>
bespöttelte Schöpfung des Romantikers auf dem Throne den Grund für die<lb/>
heutige Machtstellung der Deutschen in Palästina gelegt. Erst im Spätherbst<lb/>
ging Abeken nach Beirut, von dort nach Konstantinopel, von wo aus er Smyrna<lb/>
und Sardes besuchte; dann kehrte er über Trieft und Venedig nach Rom<lb/>
zurück. Hier erlebte er 1846 die Wahl Pius IX. und teilte eine Zeit lang den<lb/>
Enthusiasmus für ihn; gerade die Arbeiten, die sich aus dem Thronwechsel<lb/>
und aus dem Tode des Prinzen Heinrich von Preußen (November 1846) er¬<lb/>
gaben, veranlaßten den preußischen Gesandten Graf Usedom, Abeken, da er so<lb/>
lange den Charakter eines Attaches bei der Gesandtschaft getragen habe, nun<lb/>
mich praktisch zu verwenden. Er lernte hier auch Moltke, den Adjutanten des<lb/>
Prinzen Heinrich, kennen und lebte wieder viel in der Gesellschaft. Erst im<lb/>
Mai 1847 verließ er Rom sür immer, um nach Deutschland zurückzukehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Seine langen Wanderjahre waren zu Ende, aber ein wirkliches Ziel hatte<lb/>
er nicht erreicht. Zum praktischen Geistlichen fühlte er sich auch jetzt un¬<lb/>
tauglich. Die dann in Aussicht gefaßte wissenschaftliche Laufbahn hatte er<lb/>
auch aufgegeben, obwohl er mehrere Arbeiten über den Auszug der Jsrcieliten<lb/>
aus Ägypten verfaßt hatte, die er indes nicht drucken ließ. Am meisten fühlte<lb/>
er sich schließlich, nachdem er so manche Einblicke in die Diplomatie gethan<lb/>
und auch praktisch an ihr gelegentlich teilgenommen hatte, zur Politik hinge¬<lb/>
zogen. Freilich schrieb er noch am 25. August 1847 an Bunsen: &#x201E;Ich weiß<lb/>
sehr wohl, daß das in jedem Sinne ganz außer meiner Sphäre liegt"; aber<lb/>
seine vielseitige und diese Bildung, seine Weltkenntnis, seine Sprachgewandtheit,<lb/>
seine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, eine echte &#x201E;Höflichkeit des Herzens,"<lb/>
das alles waren doch auch wieder sehr verwertbare Eigenschaften des nunmehr<lb/>
fast vierzigjährigen Mannes. Und nun brach im März 1848 zu seinem tiefsten<lb/>
Schmerze auch das preußische Königtum vor einer schon besiegten Straßen-<lb/>
revvlte, die Abeken in nächster Nähe beobachtete und zornig sofort als ein<lb/>
wohl vorbereitetes Werk fremder Agitatoren erkannte, haltlos zusammen. Da<lb/>
bedürfte es neuer und treuer Männer. So wurde Abeken um Mitte April<lb/>
1848 als Hilfsarbeiter ins Auswärtige Amt berufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612" next="#ID_1613"> Er fand seine Stellung dort zunächst schwierig, denn die Ministerien<lb/>
wechselten rasch, und alle ließen feste Entschlossenheit ebenso vermissen wie der<lb/>
König. Abeken, der die Gegensätze klar genug übersah und im Orient gelernt<lb/>
hatte, &#x201E;über den Augenblick hinwegzublicken und nach Jahrhunderten oder Jahr¬<lb/>
tausenden zu rechnen," war über die zu ergreifende Partei niemals zweifelhaft.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] Heinrich Abeken eine Gemeinde zu bilden und zusammenzuhalten," „weit übertroffen," und er erkannte freudig das Verdienst des ersten Bischofs Alexander an, der der einzige Mann sei, den Plan auszuführen, da er alle drei Elemente in seiner Person vereinige (als getaufter Jude aus Breslau). An deutsch-nationale Aufgaben des halbdeutschen Bistums Jerusalem dachte Abeken so wenig wie Bunsen und der König; die Hauptsache war ihm die Intermission, und doch hat diese viel¬ bespöttelte Schöpfung des Romantikers auf dem Throne den Grund für die heutige Machtstellung der Deutschen in Palästina gelegt. Erst im Spätherbst ging Abeken nach Beirut, von dort nach Konstantinopel, von wo aus er Smyrna und Sardes besuchte; dann kehrte er über Trieft und Venedig nach Rom zurück. Hier erlebte er 1846 die Wahl Pius IX. und teilte eine Zeit lang den Enthusiasmus für ihn; gerade die Arbeiten, die sich aus dem Thronwechsel und aus dem Tode des Prinzen Heinrich von Preußen (November 1846) er¬ gaben, veranlaßten den preußischen Gesandten Graf Usedom, Abeken, da er so lange den Charakter eines Attaches bei der Gesandtschaft getragen habe, nun mich praktisch zu verwenden. Er lernte hier auch Moltke, den Adjutanten des Prinzen Heinrich, kennen und lebte wieder viel in der Gesellschaft. Erst im Mai 1847 verließ er Rom sür immer, um nach Deutschland zurückzukehren. Seine langen Wanderjahre waren zu Ende, aber ein wirkliches Ziel hatte er nicht erreicht. Zum praktischen Geistlichen fühlte er sich auch jetzt un¬ tauglich. Die dann in Aussicht gefaßte wissenschaftliche Laufbahn hatte er auch aufgegeben, obwohl er mehrere Arbeiten über den Auszug der Jsrcieliten aus Ägypten verfaßt hatte, die er indes nicht drucken ließ. Am meisten fühlte er sich schließlich, nachdem er so manche Einblicke in die Diplomatie gethan und auch praktisch an ihr gelegentlich teilgenommen hatte, zur Politik hinge¬ zogen. Freilich schrieb er noch am 25. August 1847 an Bunsen: „Ich weiß sehr wohl, daß das in jedem Sinne ganz außer meiner Sphäre liegt"; aber seine vielseitige und diese Bildung, seine Weltkenntnis, seine Sprachgewandtheit, seine gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, eine echte „Höflichkeit des Herzens," das alles waren doch auch wieder sehr verwertbare Eigenschaften des nunmehr fast vierzigjährigen Mannes. Und nun brach im März 1848 zu seinem tiefsten Schmerze auch das preußische Königtum vor einer schon besiegten Straßen- revvlte, die Abeken in nächster Nähe beobachtete und zornig sofort als ein wohl vorbereitetes Werk fremder Agitatoren erkannte, haltlos zusammen. Da bedürfte es neuer und treuer Männer. So wurde Abeken um Mitte April 1848 als Hilfsarbeiter ins Auswärtige Amt berufen. Er fand seine Stellung dort zunächst schwierig, denn die Ministerien wechselten rasch, und alle ließen feste Entschlossenheit ebenso vermissen wie der König. Abeken, der die Gegensätze klar genug übersah und im Orient gelernt hatte, „über den Augenblick hinwegzublicken und nach Jahrhunderten oder Jahr¬ tausenden zu rechnen," war über die zu ergreifende Partei niemals zweifelhaft.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/475>, abgerufen am 28.09.2024.