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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

nach Berlin berufen wurde, so ergab sich im Juli die Gelegenheit, Abeken dem
Monarchen vorzustellen. Seine kirchlichen Anschauungen wie seine Arbeiten
bestimmten Bunsen, ihn im September mit nach London zu nehmen, wo er
die Verhandlungen über die Gründung eines preußisch-englischen Bistums in
Jerusalem, einen Lieblingsplan des Königs, zu führen hatte. Es war für
Abeken, ohne daß er es ahnte, der erste Schritt zum Übergange in die diplo¬
matische Laufbahn. In London schrieb er eine kleine Verteidigungsschrift sür
die deutschen evangelischen Kirchen gegen den katholisierenden E. B. Pusey
und eine geschichtliche Darlegung über das evangelische Bistum in Jerusalem.
Im Frühjahr 1842 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, trat er mit dem
König in noch nähere Beziehungen. Im Sommer ging er nach England.
Nach seiner Rückkehr, Ende August, wohnte er am 4. September begeistert
der Grundsteinlegung zum Hauptportal des Kölner Doms bei. Schon war
damals bestimmt, daß er Lepsius nach Ägypten folgen solle, wobei er, von
seiner Predigerstelle entbunden, formell der preußischen Gesandtschaft in Rom
attachiert blieb. Er stand an der Schwelle eines neuen Lebens und wollte
es im Orient beginnen: er gedachte zur historischen Wissenschaft, zum Studium
des Altertums überzugehn.

So zog er von Alexandria nach Kairo und mit Lepsius den Nil auf¬
wärts über Theben und Philä nach Korosko, durch die nubische Wüste nach
Abu Hammed, weiter nach Berber und Meroe und wieder zurück nach Korosko.
Hier trennte er sich um Mitte September 1844 von der Expedition und ging
allein nilabwärts nach Kairo, von dort nach Ostern 1845 zur Sinaihalbinsel,
auf dem Wege, den, wie er annahm, die Jsraeliten gezogen waren. Unbefangen
und offnen Auges nahm er überall die Eindrücke des ihn umgebenden Lebens
und der Denkmäler der verschiedensten Zeiten in sich auf: die altügyptischen
Bauten wie die Schöpfungen der arabischen Architektur, das erstarrte koptische
Christentum wie den erobernden Islam, dessen Macht über seine Bekenner er
erkannte, ohne sie ganz verstehn zu können. Aufs tiefste ergriff ihn die
feierliche starre Erhabenheit des Sinaigebirges, wo er mehrere Tage zu An¬
fang Juni 1845 im Kloster verweilte; er fand den Schauplatz wie "geschaffen,
um einem ganzen Volke Raum zu gewähren, Zeuge der größten Begebenheiten
zu sein," und meinte demütig: "Wo so viele Gott gesucht haben, da haben
ihn gewiß auch viele gefunden." Aber alles war doch übertroffen, als er am
21. Juni, einem Sonnabend, "in den letzten Strahlen der Sonne die heilige
Stadt mit ihren Kuppeln der Kirchen und Moscheen, ihren stattlichen Mauern
und Türmen in dem warmen Licht eines südlichen Abends, unter dem klaren,
wolkenlosen Himmel" vor sich liegen sah. Bei der nähern Betrachtung fand
er des Abstoßenden viel, aber auch genng des Erfreulichen. Vor allem waren
seine Erwartungen von der Wirksamkeit des jungen evangelischen Bistums,
das die schwierige Aufgabe hatte, "aus Deutschen, Engländern und Juden


Heinrich Abeken

nach Berlin berufen wurde, so ergab sich im Juli die Gelegenheit, Abeken dem
Monarchen vorzustellen. Seine kirchlichen Anschauungen wie seine Arbeiten
bestimmten Bunsen, ihn im September mit nach London zu nehmen, wo er
die Verhandlungen über die Gründung eines preußisch-englischen Bistums in
Jerusalem, einen Lieblingsplan des Königs, zu führen hatte. Es war für
Abeken, ohne daß er es ahnte, der erste Schritt zum Übergange in die diplo¬
matische Laufbahn. In London schrieb er eine kleine Verteidigungsschrift sür
die deutschen evangelischen Kirchen gegen den katholisierenden E. B. Pusey
und eine geschichtliche Darlegung über das evangelische Bistum in Jerusalem.
Im Frühjahr 1842 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, trat er mit dem
König in noch nähere Beziehungen. Im Sommer ging er nach England.
Nach seiner Rückkehr, Ende August, wohnte er am 4. September begeistert
der Grundsteinlegung zum Hauptportal des Kölner Doms bei. Schon war
damals bestimmt, daß er Lepsius nach Ägypten folgen solle, wobei er, von
seiner Predigerstelle entbunden, formell der preußischen Gesandtschaft in Rom
attachiert blieb. Er stand an der Schwelle eines neuen Lebens und wollte
es im Orient beginnen: er gedachte zur historischen Wissenschaft, zum Studium
des Altertums überzugehn.

So zog er von Alexandria nach Kairo und mit Lepsius den Nil auf¬
wärts über Theben und Philä nach Korosko, durch die nubische Wüste nach
Abu Hammed, weiter nach Berber und Meroe und wieder zurück nach Korosko.
Hier trennte er sich um Mitte September 1844 von der Expedition und ging
allein nilabwärts nach Kairo, von dort nach Ostern 1845 zur Sinaihalbinsel,
auf dem Wege, den, wie er annahm, die Jsraeliten gezogen waren. Unbefangen
und offnen Auges nahm er überall die Eindrücke des ihn umgebenden Lebens
und der Denkmäler der verschiedensten Zeiten in sich auf: die altügyptischen
Bauten wie die Schöpfungen der arabischen Architektur, das erstarrte koptische
Christentum wie den erobernden Islam, dessen Macht über seine Bekenner er
erkannte, ohne sie ganz verstehn zu können. Aufs tiefste ergriff ihn die
feierliche starre Erhabenheit des Sinaigebirges, wo er mehrere Tage zu An¬
fang Juni 1845 im Kloster verweilte; er fand den Schauplatz wie „geschaffen,
um einem ganzen Volke Raum zu gewähren, Zeuge der größten Begebenheiten
zu sein," und meinte demütig: „Wo so viele Gott gesucht haben, da haben
ihn gewiß auch viele gefunden." Aber alles war doch übertroffen, als er am
21. Juni, einem Sonnabend, „in den letzten Strahlen der Sonne die heilige
Stadt mit ihren Kuppeln der Kirchen und Moscheen, ihren stattlichen Mauern
und Türmen in dem warmen Licht eines südlichen Abends, unter dem klaren,
wolkenlosen Himmel" vor sich liegen sah. Bei der nähern Betrachtung fand
er des Abstoßenden viel, aber auch genng des Erfreulichen. Vor allem waren
seine Erwartungen von der Wirksamkeit des jungen evangelischen Bistums,
das die schwierige Aufgabe hatte, „aus Deutschen, Engländern und Juden


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[0474] Heinrich Abeken nach Berlin berufen wurde, so ergab sich im Juli die Gelegenheit, Abeken dem Monarchen vorzustellen. Seine kirchlichen Anschauungen wie seine Arbeiten bestimmten Bunsen, ihn im September mit nach London zu nehmen, wo er die Verhandlungen über die Gründung eines preußisch-englischen Bistums in Jerusalem, einen Lieblingsplan des Königs, zu führen hatte. Es war für Abeken, ohne daß er es ahnte, der erste Schritt zum Übergange in die diplo¬ matische Laufbahn. In London schrieb er eine kleine Verteidigungsschrift sür die deutschen evangelischen Kirchen gegen den katholisierenden E. B. Pusey und eine geschichtliche Darlegung über das evangelische Bistum in Jerusalem. Im Frühjahr 1842 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, trat er mit dem König in noch nähere Beziehungen. Im Sommer ging er nach England. Nach seiner Rückkehr, Ende August, wohnte er am 4. September begeistert der Grundsteinlegung zum Hauptportal des Kölner Doms bei. Schon war damals bestimmt, daß er Lepsius nach Ägypten folgen solle, wobei er, von seiner Predigerstelle entbunden, formell der preußischen Gesandtschaft in Rom attachiert blieb. Er stand an der Schwelle eines neuen Lebens und wollte es im Orient beginnen: er gedachte zur historischen Wissenschaft, zum Studium des Altertums überzugehn. So zog er von Alexandria nach Kairo und mit Lepsius den Nil auf¬ wärts über Theben und Philä nach Korosko, durch die nubische Wüste nach Abu Hammed, weiter nach Berber und Meroe und wieder zurück nach Korosko. Hier trennte er sich um Mitte September 1844 von der Expedition und ging allein nilabwärts nach Kairo, von dort nach Ostern 1845 zur Sinaihalbinsel, auf dem Wege, den, wie er annahm, die Jsraeliten gezogen waren. Unbefangen und offnen Auges nahm er überall die Eindrücke des ihn umgebenden Lebens und der Denkmäler der verschiedensten Zeiten in sich auf: die altügyptischen Bauten wie die Schöpfungen der arabischen Architektur, das erstarrte koptische Christentum wie den erobernden Islam, dessen Macht über seine Bekenner er erkannte, ohne sie ganz verstehn zu können. Aufs tiefste ergriff ihn die feierliche starre Erhabenheit des Sinaigebirges, wo er mehrere Tage zu An¬ fang Juni 1845 im Kloster verweilte; er fand den Schauplatz wie „geschaffen, um einem ganzen Volke Raum zu gewähren, Zeuge der größten Begebenheiten zu sein," und meinte demütig: „Wo so viele Gott gesucht haben, da haben ihn gewiß auch viele gefunden." Aber alles war doch übertroffen, als er am 21. Juni, einem Sonnabend, „in den letzten Strahlen der Sonne die heilige Stadt mit ihren Kuppeln der Kirchen und Moscheen, ihren stattlichen Mauern und Türmen in dem warmen Licht eines südlichen Abends, unter dem klaren, wolkenlosen Himmel" vor sich liegen sah. Bei der nähern Betrachtung fand er des Abstoßenden viel, aber auch genng des Erfreulichen. Vor allem waren seine Erwartungen von der Wirksamkeit des jungen evangelischen Bistums, das die schwierige Aufgabe hatte, „aus Deutschen, Engländern und Juden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/474>, abgerufen am 28.09.2024.