Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich Abeken

und wann auch Stücke aus seinem knappgefaßten Tagebuche, bei denen man
bedauert, daß es nicht, soweit es nicht gerade rein Persönliches betrifft, voll¬
ständig mit veröffentlicht worden ist. Manche zu unbestimmten oder ganz
mangelnden Zeitangaben würden sich daraus ergänzen lassen.

Abekens Vaterstadt Osnabrück, im anmutigen, von Hügelketten umrahmten
Thale der obern Hase gelegen, als Bischofssitz eine der ältesten und wichtigsten
Kulturstätten des niedersächsischen Landes, hatte auch nach 1648 eine eigen¬
tümliche Selbständigkeit bewahrt. Es blieb ein geistliches Fürstentum unter
einem abwechselnd lutherischen und katholischen Bischof, dem gegenüber die
Stände (Ritterschaft und Städte) ihren Anteil an der Gesetzgebung und Ver¬
waltung in allem Wandel der Zeiten um so zäher festhielten, als eine kräftige
monarchische Gewalt natürlich nicht bestand. Erst 1803 gingen Stadt und
Stistsgebiet an Hannover über, aber schon 1807 fielen sie an das neugebildete
Königreich Westfalen, 1810 wurden sie unmittelbar mit Frankreich vereinigt, erst
1814 kamen sie an das jetzt zum Königreich erhobne Hannover zurück. Dieser
fortwährende Herrschaftswechsel konnte das alte Bewußtsein abgeschlossener
Selbständigkeit nur verstärken, und auch der schwache, beständig schweren
Zuckungen unterworfne Körper des neuhannöverschen Staats vermochte das
starke Sonderleben der Teile nicht zu überwinden. So blieb Osnabrück eine
kleine Welt sür sich, und die Osnabrücker widmeten mit Vorliebe ihre Dienste
der Heimat, wie ihr Typus Bertram Stüve (1798 bis 1872), der, nachdem
er sehr schwer Hannoveraner geworden war, aber 1848 bis 1850 sogar als
Minister an der Spitze des Staats gestanden hatte, doch seine Thätigkeit
immer mit besondrer Vorliebe der Verwaltung und der Geschichte seiner Vater¬
stadt zuwandte.

Aus einer altosnabrückischen Familie stammte Heinrich Abeken. Von den
Brüdern seines Vaters Wilhelm hatte sich der eine, Christian, nach Sachsen
gewandt und dort in Dresden eine angesehene Familie begründet, der andre,
Rudolf Abeken (geb. 1780), war während seiner Studienzeit in Jena mit den
Weimarischen Kreisen in Beziehung getreten, dann als Erzieher der Kinder
Schillers 1808/10 völlig mit ihnen verwachsen. Als klassischer Philolog be¬
gann er seine Schulthätigkeit in Rudolstadt, kehrte aber schon 1813 nach Osna¬
brück zurück und entfaltete hier am Natsgymnasium erst als Korrektor, seit
1841 als Rektor eine ebenso pädagogisch wie wissenschaftlich fruchtbare
Thätigkeit bis in das höchste Alter (geht. 1866). Als echter Vertreter der
klassisch-humanistischen Zeit gewann er vor allem auf seinen Neffen Heinrich
großen Einfluß. Heinrichs Vater, Wilhelm, ein Kaufmann von mäßigem,
aber ausreichendem Vermögen, lebte mit seinen beiden Kindern, Heinrich (geb.
19. August 1809) und Bernhardine (geb. 1812), denen die zarte Mutter
Benedicta (Meder) schon 1814 durch einen frühen Tod entrissen wurde, in
dem alten winkligen, aber behaglichen Familienhause, wo nicht zwei Stuben
dasselbe Niveau hatten, und besaß vor dem Hasethore einen schönen Garten.


Heinrich Abeken

und wann auch Stücke aus seinem knappgefaßten Tagebuche, bei denen man
bedauert, daß es nicht, soweit es nicht gerade rein Persönliches betrifft, voll¬
ständig mit veröffentlicht worden ist. Manche zu unbestimmten oder ganz
mangelnden Zeitangaben würden sich daraus ergänzen lassen.

Abekens Vaterstadt Osnabrück, im anmutigen, von Hügelketten umrahmten
Thale der obern Hase gelegen, als Bischofssitz eine der ältesten und wichtigsten
Kulturstätten des niedersächsischen Landes, hatte auch nach 1648 eine eigen¬
tümliche Selbständigkeit bewahrt. Es blieb ein geistliches Fürstentum unter
einem abwechselnd lutherischen und katholischen Bischof, dem gegenüber die
Stände (Ritterschaft und Städte) ihren Anteil an der Gesetzgebung und Ver¬
waltung in allem Wandel der Zeiten um so zäher festhielten, als eine kräftige
monarchische Gewalt natürlich nicht bestand. Erst 1803 gingen Stadt und
Stistsgebiet an Hannover über, aber schon 1807 fielen sie an das neugebildete
Königreich Westfalen, 1810 wurden sie unmittelbar mit Frankreich vereinigt, erst
1814 kamen sie an das jetzt zum Königreich erhobne Hannover zurück. Dieser
fortwährende Herrschaftswechsel konnte das alte Bewußtsein abgeschlossener
Selbständigkeit nur verstärken, und auch der schwache, beständig schweren
Zuckungen unterworfne Körper des neuhannöverschen Staats vermochte das
starke Sonderleben der Teile nicht zu überwinden. So blieb Osnabrück eine
kleine Welt sür sich, und die Osnabrücker widmeten mit Vorliebe ihre Dienste
der Heimat, wie ihr Typus Bertram Stüve (1798 bis 1872), der, nachdem
er sehr schwer Hannoveraner geworden war, aber 1848 bis 1850 sogar als
Minister an der Spitze des Staats gestanden hatte, doch seine Thätigkeit
immer mit besondrer Vorliebe der Verwaltung und der Geschichte seiner Vater¬
stadt zuwandte.

Aus einer altosnabrückischen Familie stammte Heinrich Abeken. Von den
Brüdern seines Vaters Wilhelm hatte sich der eine, Christian, nach Sachsen
gewandt und dort in Dresden eine angesehene Familie begründet, der andre,
Rudolf Abeken (geb. 1780), war während seiner Studienzeit in Jena mit den
Weimarischen Kreisen in Beziehung getreten, dann als Erzieher der Kinder
Schillers 1808/10 völlig mit ihnen verwachsen. Als klassischer Philolog be¬
gann er seine Schulthätigkeit in Rudolstadt, kehrte aber schon 1813 nach Osna¬
brück zurück und entfaltete hier am Natsgymnasium erst als Korrektor, seit
1841 als Rektor eine ebenso pädagogisch wie wissenschaftlich fruchtbare
Thätigkeit bis in das höchste Alter (geht. 1866). Als echter Vertreter der
klassisch-humanistischen Zeit gewann er vor allem auf seinen Neffen Heinrich
großen Einfluß. Heinrichs Vater, Wilhelm, ein Kaufmann von mäßigem,
aber ausreichendem Vermögen, lebte mit seinen beiden Kindern, Heinrich (geb.
19. August 1809) und Bernhardine (geb. 1812), denen die zarte Mutter
Benedicta (Meder) schon 1814 durch einen frühen Tod entrissen wurde, in
dem alten winkligen, aber behaglichen Familienhause, wo nicht zwei Stuben
dasselbe Niveau hatten, und besaß vor dem Hasethore einen schönen Garten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230902"/>
          <fw type="header" place="top"> Heinrich Abeken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1598" prev="#ID_1597"> und wann auch Stücke aus seinem knappgefaßten Tagebuche, bei denen man<lb/>
bedauert, daß es nicht, soweit es nicht gerade rein Persönliches betrifft, voll¬<lb/>
ständig mit veröffentlicht worden ist. Manche zu unbestimmten oder ganz<lb/>
mangelnden Zeitangaben würden sich daraus ergänzen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1599"> Abekens Vaterstadt Osnabrück, im anmutigen, von Hügelketten umrahmten<lb/>
Thale der obern Hase gelegen, als Bischofssitz eine der ältesten und wichtigsten<lb/>
Kulturstätten des niedersächsischen Landes, hatte auch nach 1648 eine eigen¬<lb/>
tümliche Selbständigkeit bewahrt. Es blieb ein geistliches Fürstentum unter<lb/>
einem abwechselnd lutherischen und katholischen Bischof, dem gegenüber die<lb/>
Stände (Ritterschaft und Städte) ihren Anteil an der Gesetzgebung und Ver¬<lb/>
waltung in allem Wandel der Zeiten um so zäher festhielten, als eine kräftige<lb/>
monarchische Gewalt natürlich nicht bestand. Erst 1803 gingen Stadt und<lb/>
Stistsgebiet an Hannover über, aber schon 1807 fielen sie an das neugebildete<lb/>
Königreich Westfalen, 1810 wurden sie unmittelbar mit Frankreich vereinigt, erst<lb/>
1814 kamen sie an das jetzt zum Königreich erhobne Hannover zurück. Dieser<lb/>
fortwährende Herrschaftswechsel konnte das alte Bewußtsein abgeschlossener<lb/>
Selbständigkeit nur verstärken, und auch der schwache, beständig schweren<lb/>
Zuckungen unterworfne Körper des neuhannöverschen Staats vermochte das<lb/>
starke Sonderleben der Teile nicht zu überwinden. So blieb Osnabrück eine<lb/>
kleine Welt sür sich, und die Osnabrücker widmeten mit Vorliebe ihre Dienste<lb/>
der Heimat, wie ihr Typus Bertram Stüve (1798 bis 1872), der, nachdem<lb/>
er sehr schwer Hannoveraner geworden war, aber 1848 bis 1850 sogar als<lb/>
Minister an der Spitze des Staats gestanden hatte, doch seine Thätigkeit<lb/>
immer mit besondrer Vorliebe der Verwaltung und der Geschichte seiner Vater¬<lb/>
stadt zuwandte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1600" next="#ID_1601"> Aus einer altosnabrückischen Familie stammte Heinrich Abeken. Von den<lb/>
Brüdern seines Vaters Wilhelm hatte sich der eine, Christian, nach Sachsen<lb/>
gewandt und dort in Dresden eine angesehene Familie begründet, der andre,<lb/>
Rudolf Abeken (geb. 1780), war während seiner Studienzeit in Jena mit den<lb/>
Weimarischen Kreisen in Beziehung getreten, dann als Erzieher der Kinder<lb/>
Schillers 1808/10 völlig mit ihnen verwachsen. Als klassischer Philolog be¬<lb/>
gann er seine Schulthätigkeit in Rudolstadt, kehrte aber schon 1813 nach Osna¬<lb/>
brück zurück und entfaltete hier am Natsgymnasium erst als Korrektor, seit<lb/>
1841 als Rektor eine ebenso pädagogisch wie wissenschaftlich fruchtbare<lb/>
Thätigkeit bis in das höchste Alter (geht. 1866). Als echter Vertreter der<lb/>
klassisch-humanistischen Zeit gewann er vor allem auf seinen Neffen Heinrich<lb/>
großen Einfluß. Heinrichs Vater, Wilhelm, ein Kaufmann von mäßigem,<lb/>
aber ausreichendem Vermögen, lebte mit seinen beiden Kindern, Heinrich (geb.<lb/>
19. August 1809) und Bernhardine (geb. 1812), denen die zarte Mutter<lb/>
Benedicta (Meder) schon 1814 durch einen frühen Tod entrissen wurde, in<lb/>
dem alten winkligen, aber behaglichen Familienhause, wo nicht zwei Stuben<lb/>
dasselbe Niveau hatten, und besaß vor dem Hasethore einen schönen Garten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0470] Heinrich Abeken und wann auch Stücke aus seinem knappgefaßten Tagebuche, bei denen man bedauert, daß es nicht, soweit es nicht gerade rein Persönliches betrifft, voll¬ ständig mit veröffentlicht worden ist. Manche zu unbestimmten oder ganz mangelnden Zeitangaben würden sich daraus ergänzen lassen. Abekens Vaterstadt Osnabrück, im anmutigen, von Hügelketten umrahmten Thale der obern Hase gelegen, als Bischofssitz eine der ältesten und wichtigsten Kulturstätten des niedersächsischen Landes, hatte auch nach 1648 eine eigen¬ tümliche Selbständigkeit bewahrt. Es blieb ein geistliches Fürstentum unter einem abwechselnd lutherischen und katholischen Bischof, dem gegenüber die Stände (Ritterschaft und Städte) ihren Anteil an der Gesetzgebung und Ver¬ waltung in allem Wandel der Zeiten um so zäher festhielten, als eine kräftige monarchische Gewalt natürlich nicht bestand. Erst 1803 gingen Stadt und Stistsgebiet an Hannover über, aber schon 1807 fielen sie an das neugebildete Königreich Westfalen, 1810 wurden sie unmittelbar mit Frankreich vereinigt, erst 1814 kamen sie an das jetzt zum Königreich erhobne Hannover zurück. Dieser fortwährende Herrschaftswechsel konnte das alte Bewußtsein abgeschlossener Selbständigkeit nur verstärken, und auch der schwache, beständig schweren Zuckungen unterworfne Körper des neuhannöverschen Staats vermochte das starke Sonderleben der Teile nicht zu überwinden. So blieb Osnabrück eine kleine Welt sür sich, und die Osnabrücker widmeten mit Vorliebe ihre Dienste der Heimat, wie ihr Typus Bertram Stüve (1798 bis 1872), der, nachdem er sehr schwer Hannoveraner geworden war, aber 1848 bis 1850 sogar als Minister an der Spitze des Staats gestanden hatte, doch seine Thätigkeit immer mit besondrer Vorliebe der Verwaltung und der Geschichte seiner Vater¬ stadt zuwandte. Aus einer altosnabrückischen Familie stammte Heinrich Abeken. Von den Brüdern seines Vaters Wilhelm hatte sich der eine, Christian, nach Sachsen gewandt und dort in Dresden eine angesehene Familie begründet, der andre, Rudolf Abeken (geb. 1780), war während seiner Studienzeit in Jena mit den Weimarischen Kreisen in Beziehung getreten, dann als Erzieher der Kinder Schillers 1808/10 völlig mit ihnen verwachsen. Als klassischer Philolog be¬ gann er seine Schulthätigkeit in Rudolstadt, kehrte aber schon 1813 nach Osna¬ brück zurück und entfaltete hier am Natsgymnasium erst als Korrektor, seit 1841 als Rektor eine ebenso pädagogisch wie wissenschaftlich fruchtbare Thätigkeit bis in das höchste Alter (geht. 1866). Als echter Vertreter der klassisch-humanistischen Zeit gewann er vor allem auf seinen Neffen Heinrich großen Einfluß. Heinrichs Vater, Wilhelm, ein Kaufmann von mäßigem, aber ausreichendem Vermögen, lebte mit seinen beiden Kindern, Heinrich (geb. 19. August 1809) und Bernhardine (geb. 1812), denen die zarte Mutter Benedicta (Meder) schon 1814 durch einen frühen Tod entrissen wurde, in dem alten winkligen, aber behaglichen Familienhause, wo nicht zwei Stuben dasselbe Niveau hatten, und besaß vor dem Hasethore einen schönen Garten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/470
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/470>, abgerufen am 21.10.2024.