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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Hier wuchs Heinrich, ein kräftiger, derber Junge von guter Begabung, mit
seiner Schwester in einem innigen, von gegenseitiger Liebe durchleuchteten
Familienleben heran, das sein Herz für das ganze Leben mit dauernder Wärme
erfüllte. Denn des Vaters eignes Leben "bestand in der Lust, andre froh zu
machen, ihnen zu dienen und zu helfen. Sein ganzes Leben war Güte und
Liebe." Unter den Augen seines Oheims besuchte der Knabe das Gymnasium
und verließ es sehr jung zu Ostern 1827 mit einer Abschiedsrede auf Justus
Möser, den berühmtesten Sohn Osnabrücks, dessen Werke sein Onkel Rudolf
später (1842/43) gesammelt herausgab. Es sollte für sein Leben entscheidend
werden, daß er für sein Studium nicht die hannöversche Landesuniversität
Göttingen wählte, sondern Berlin (1827 bis 1831). Denn zwar war damals
Berlin noch nicht die Welt- und Millionenstadt wie heute, sondern noch ver¬
hältnismäßig klein, aber doch das größte geistige Zentrum Norddeutschlands,
und ihr noch bescheidner Umfang ermöglichte eine Regsamkeit des geselligen
Verkehrs, die alle bedeutender" Leute leicht zusammenführte. Mit der Viel¬
seitigkeit dieser für die deutsche Wissenschaft überaus glücklichen Zeit, die noch
in der Freude des ersten Findens schwelgte und noch nicht in exaktes aber oft
geistloses Spezialistentum verfallen war, trieb Abeken neben seinem theologischen
Fachstudium eifrig Philologie und Philosophie, später auch Botanik und
Mineralogie und interessierte sich aufs lebhafteste auch für Musik. Daneben
lief ein reger, geselliger und wissenschaftlicher Verkehr mit Chr. I. von Bunsen,
A. von Humboldt, D. Schleiermacher, Neander, Hegel, Zelter u. a.; mit
Ludwig Wiese, dem spätern Leiter des höhern Schulwesens in Preußen,
schloß er herzliche Freundschaft; mit I. G. Droysen u. ni. gründete er eine
litterarische Gesellschaft, die sogenannte Akademie, und neben seinen Fach¬
studien beschäftigte er sich besonders eifrig mit Goethes Werken und dessen
eben damals von ihm selbst herausgegebnen Briefwechsel mit Schiller (1828
bis 1830). Wie groß war daher seine Freude, als er im Sommer 1828 nach
Weimar kam und den Dichterfürsten sehen konnte! Das Weihnachtsfest des¬
selben Jahres, das er in Dresden bei seinem Onkel Christian verlebte, gab
ihm Gelegenheit, auch das Haupt der Romantiker, L. Tieck, zu besuchen und
seine Vortragskunst zu bewundern. So nahm er alle die reichen Bildungs¬
elemente seiner Zeit in sich auf. Er war Theolog in dem hohen und weiten
Sinne Schleiermachers; die Religion blieb ihm Sache des Herzens, der Liebe,
sie fiel ihm nicht in das Gebiet des Wissens, also auch nicht der Systemati¬
sierung und Dogmatisierung, sie war ihm auch ohne Philosophie denkbar,
während diese ohne Religion nichts sei, "weil Gott nicht gedacht werden kann."
Daher war ihm auch der damals heftig auflodernde Streit zwischen Nationa¬
listen und Pietisten aufs tiefste zuwider. Politische Fragen berührten ihn
damals gar nicht und sind ihm auch später schwerlich ganz Herzenssache ge-


Heinrich Abeken

Hier wuchs Heinrich, ein kräftiger, derber Junge von guter Begabung, mit
seiner Schwester in einem innigen, von gegenseitiger Liebe durchleuchteten
Familienleben heran, das sein Herz für das ganze Leben mit dauernder Wärme
erfüllte. Denn des Vaters eignes Leben „bestand in der Lust, andre froh zu
machen, ihnen zu dienen und zu helfen. Sein ganzes Leben war Güte und
Liebe." Unter den Augen seines Oheims besuchte der Knabe das Gymnasium
und verließ es sehr jung zu Ostern 1827 mit einer Abschiedsrede auf Justus
Möser, den berühmtesten Sohn Osnabrücks, dessen Werke sein Onkel Rudolf
später (1842/43) gesammelt herausgab. Es sollte für sein Leben entscheidend
werden, daß er für sein Studium nicht die hannöversche Landesuniversität
Göttingen wählte, sondern Berlin (1827 bis 1831). Denn zwar war damals
Berlin noch nicht die Welt- und Millionenstadt wie heute, sondern noch ver¬
hältnismäßig klein, aber doch das größte geistige Zentrum Norddeutschlands,
und ihr noch bescheidner Umfang ermöglichte eine Regsamkeit des geselligen
Verkehrs, die alle bedeutender» Leute leicht zusammenführte. Mit der Viel¬
seitigkeit dieser für die deutsche Wissenschaft überaus glücklichen Zeit, die noch
in der Freude des ersten Findens schwelgte und noch nicht in exaktes aber oft
geistloses Spezialistentum verfallen war, trieb Abeken neben seinem theologischen
Fachstudium eifrig Philologie und Philosophie, später auch Botanik und
Mineralogie und interessierte sich aufs lebhafteste auch für Musik. Daneben
lief ein reger, geselliger und wissenschaftlicher Verkehr mit Chr. I. von Bunsen,
A. von Humboldt, D. Schleiermacher, Neander, Hegel, Zelter u. a.; mit
Ludwig Wiese, dem spätern Leiter des höhern Schulwesens in Preußen,
schloß er herzliche Freundschaft; mit I. G. Droysen u. ni. gründete er eine
litterarische Gesellschaft, die sogenannte Akademie, und neben seinen Fach¬
studien beschäftigte er sich besonders eifrig mit Goethes Werken und dessen
eben damals von ihm selbst herausgegebnen Briefwechsel mit Schiller (1828
bis 1830). Wie groß war daher seine Freude, als er im Sommer 1828 nach
Weimar kam und den Dichterfürsten sehen konnte! Das Weihnachtsfest des¬
selben Jahres, das er in Dresden bei seinem Onkel Christian verlebte, gab
ihm Gelegenheit, auch das Haupt der Romantiker, L. Tieck, zu besuchen und
seine Vortragskunst zu bewundern. So nahm er alle die reichen Bildungs¬
elemente seiner Zeit in sich auf. Er war Theolog in dem hohen und weiten
Sinne Schleiermachers; die Religion blieb ihm Sache des Herzens, der Liebe,
sie fiel ihm nicht in das Gebiet des Wissens, also auch nicht der Systemati¬
sierung und Dogmatisierung, sie war ihm auch ohne Philosophie denkbar,
während diese ohne Religion nichts sei, „weil Gott nicht gedacht werden kann."
Daher war ihm auch der damals heftig auflodernde Streit zwischen Nationa¬
listen und Pietisten aufs tiefste zuwider. Politische Fragen berührten ihn
damals gar nicht und sind ihm auch später schwerlich ganz Herzenssache ge-


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[0471] Heinrich Abeken Hier wuchs Heinrich, ein kräftiger, derber Junge von guter Begabung, mit seiner Schwester in einem innigen, von gegenseitiger Liebe durchleuchteten Familienleben heran, das sein Herz für das ganze Leben mit dauernder Wärme erfüllte. Denn des Vaters eignes Leben „bestand in der Lust, andre froh zu machen, ihnen zu dienen und zu helfen. Sein ganzes Leben war Güte und Liebe." Unter den Augen seines Oheims besuchte der Knabe das Gymnasium und verließ es sehr jung zu Ostern 1827 mit einer Abschiedsrede auf Justus Möser, den berühmtesten Sohn Osnabrücks, dessen Werke sein Onkel Rudolf später (1842/43) gesammelt herausgab. Es sollte für sein Leben entscheidend werden, daß er für sein Studium nicht die hannöversche Landesuniversität Göttingen wählte, sondern Berlin (1827 bis 1831). Denn zwar war damals Berlin noch nicht die Welt- und Millionenstadt wie heute, sondern noch ver¬ hältnismäßig klein, aber doch das größte geistige Zentrum Norddeutschlands, und ihr noch bescheidner Umfang ermöglichte eine Regsamkeit des geselligen Verkehrs, die alle bedeutender» Leute leicht zusammenführte. Mit der Viel¬ seitigkeit dieser für die deutsche Wissenschaft überaus glücklichen Zeit, die noch in der Freude des ersten Findens schwelgte und noch nicht in exaktes aber oft geistloses Spezialistentum verfallen war, trieb Abeken neben seinem theologischen Fachstudium eifrig Philologie und Philosophie, später auch Botanik und Mineralogie und interessierte sich aufs lebhafteste auch für Musik. Daneben lief ein reger, geselliger und wissenschaftlicher Verkehr mit Chr. I. von Bunsen, A. von Humboldt, D. Schleiermacher, Neander, Hegel, Zelter u. a.; mit Ludwig Wiese, dem spätern Leiter des höhern Schulwesens in Preußen, schloß er herzliche Freundschaft; mit I. G. Droysen u. ni. gründete er eine litterarische Gesellschaft, die sogenannte Akademie, und neben seinen Fach¬ studien beschäftigte er sich besonders eifrig mit Goethes Werken und dessen eben damals von ihm selbst herausgegebnen Briefwechsel mit Schiller (1828 bis 1830). Wie groß war daher seine Freude, als er im Sommer 1828 nach Weimar kam und den Dichterfürsten sehen konnte! Das Weihnachtsfest des¬ selben Jahres, das er in Dresden bei seinem Onkel Christian verlebte, gab ihm Gelegenheit, auch das Haupt der Romantiker, L. Tieck, zu besuchen und seine Vortragskunst zu bewundern. So nahm er alle die reichen Bildungs¬ elemente seiner Zeit in sich auf. Er war Theolog in dem hohen und weiten Sinne Schleiermachers; die Religion blieb ihm Sache des Herzens, der Liebe, sie fiel ihm nicht in das Gebiet des Wissens, also auch nicht der Systemati¬ sierung und Dogmatisierung, sie war ihm auch ohne Philosophie denkbar, während diese ohne Religion nichts sei, „weil Gott nicht gedacht werden kann." Daher war ihm auch der damals heftig auflodernde Streit zwischen Nationa¬ listen und Pietisten aufs tiefste zuwider. Politische Fragen berührten ihn damals gar nicht und sind ihm auch später schwerlich ganz Herzenssache ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/471>, abgerufen am 28.09.2024.