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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Höchst merkwürdig spiegelt sich in diesem Gegensatze der beiden Brüder das
Verhältnis der beiden Mächte ab, aus deren Zusammenwirken das neue
Deutschland erwachsen ist, des preußischen Militär- und Beamtenstaats und
der reichen, freien Bildung unsrer klassischen Zeit. Eben in der Umgebung
des Königs und Kaisers Wilhelm, nicht in seiner Person, haben sich beide
vereinigt.

Fürst Bismarck gehörte keiner von beiden Richtungen ausschließlich an;
er hatte in seiner Jugend mehr humanistisch-klassische Bildungselemente in sich
aufgenommen, als man lange geglaubt hat, aber er stand doch durchaus auf
dem festen realen Boden des preußischen Staats und der ostelbischen Land¬
wirtschaft und einer gesunden, nüchternen, sozusagen hausbacknen Frömmigkeit,
die, seitdem er, im wesentlichen wohl durch seine Gemahlin, zu ihr hinüber¬
geführt worden war, der sittliche Kern seines Wesens war.*) Dagegen wird
man die Königin und Kaiserin Augusta, die als weimarische Prinzessin ge¬
boren (30. September 1811) in ihrer Jugend noch das Alter Goethes erlebt
hatte, als eine geistvolle Vertreterin unsrer klassischen Bildungsepoche betrachten
dürfen, die deshalb auch dem doch schließlich auf diesem Boden erwachsenen
politischen Liberalismus huldigte und in ihrer namentlich im Rheinlande aus¬
gebildeten Vorliebe für katholische Kirchenformen an ihren königlichen Schwager
erinnert. Ihr persönliches Verhältnis zu Bismarck ist Wohl auch in diesem
Gegensatze mit begründet.

Von demselben Bildungskreise ist auch ein Mann dieses Hofes ausge¬
gangen, der niemals eine selbständige politische Rolle gespielt hat, aber zwei
Königen ein Vierteljahrhundert lang ein treuer, persönlich vertrauter Diener,
dem Erneuerer des Deutschen Reichs ein unermüdlicher, vielgewandter Gehilfe
gewesen ist, Heinrich Abeken.^) Die jetzt von seiner Witwe herausgegebne
Biographie begnügt sich mit kurzen einleitenden und verbindenden Stücken zu
und zwischen den Briefen, die durchaus die Hauptmasse des Buches aus¬
machen. Schon diese reiche Korrespondenz (mit seinem Vater, dem Onkel Rudolf
Abeken in Osnabrück, dem Onkel Christian in Dresden, mit Bunsen und Frau,
in den spätern Jahren mit seiner ^zweiten^ Frau u. a. in.) verrät den Sohn unsrer
klassischen Zeit, die es liebte, ihre Empfindungen und Anschauungen in ver¬
trauten Briefen auszuströmen, während wir Kinder einer härtern Zeit wenig
Gefallen mehr daran finden und uns am liebsten mit dem Thatsächlichen be¬
gnügen, wenn wir überhaupt uoch Briefe schreiben. Eingeschoben sind dann




Vgl. darüber seine Äußerungen bei Busch, Tngebuchblntter I, 247 ff,, dazu III, 182
und seine Erklärung III, 57: "Ich bin Roualist in erster Linie, dann ein Preuße und ein
Deutscher" (1881).
"*) Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, aus Briefen zusammen¬
gestellt. Mit einem Bildnisse und einem Facsimile, Berlin, E, S. Mittler, 1898, VIII und
L44 S, Bisher gab es über ihn nur die kurze Skizze von seinem Freunde Ludwig Wiese
in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1, 9 ff, (1875).
Heinrich Abeken

Höchst merkwürdig spiegelt sich in diesem Gegensatze der beiden Brüder das
Verhältnis der beiden Mächte ab, aus deren Zusammenwirken das neue
Deutschland erwachsen ist, des preußischen Militär- und Beamtenstaats und
der reichen, freien Bildung unsrer klassischen Zeit. Eben in der Umgebung
des Königs und Kaisers Wilhelm, nicht in seiner Person, haben sich beide
vereinigt.

Fürst Bismarck gehörte keiner von beiden Richtungen ausschließlich an;
er hatte in seiner Jugend mehr humanistisch-klassische Bildungselemente in sich
aufgenommen, als man lange geglaubt hat, aber er stand doch durchaus auf
dem festen realen Boden des preußischen Staats und der ostelbischen Land¬
wirtschaft und einer gesunden, nüchternen, sozusagen hausbacknen Frömmigkeit,
die, seitdem er, im wesentlichen wohl durch seine Gemahlin, zu ihr hinüber¬
geführt worden war, der sittliche Kern seines Wesens war.*) Dagegen wird
man die Königin und Kaiserin Augusta, die als weimarische Prinzessin ge¬
boren (30. September 1811) in ihrer Jugend noch das Alter Goethes erlebt
hatte, als eine geistvolle Vertreterin unsrer klassischen Bildungsepoche betrachten
dürfen, die deshalb auch dem doch schließlich auf diesem Boden erwachsenen
politischen Liberalismus huldigte und in ihrer namentlich im Rheinlande aus¬
gebildeten Vorliebe für katholische Kirchenformen an ihren königlichen Schwager
erinnert. Ihr persönliches Verhältnis zu Bismarck ist Wohl auch in diesem
Gegensatze mit begründet.

Von demselben Bildungskreise ist auch ein Mann dieses Hofes ausge¬
gangen, der niemals eine selbständige politische Rolle gespielt hat, aber zwei
Königen ein Vierteljahrhundert lang ein treuer, persönlich vertrauter Diener,
dem Erneuerer des Deutschen Reichs ein unermüdlicher, vielgewandter Gehilfe
gewesen ist, Heinrich Abeken.^) Die jetzt von seiner Witwe herausgegebne
Biographie begnügt sich mit kurzen einleitenden und verbindenden Stücken zu
und zwischen den Briefen, die durchaus die Hauptmasse des Buches aus¬
machen. Schon diese reiche Korrespondenz (mit seinem Vater, dem Onkel Rudolf
Abeken in Osnabrück, dem Onkel Christian in Dresden, mit Bunsen und Frau,
in den spätern Jahren mit seiner ^zweiten^ Frau u. a. in.) verrät den Sohn unsrer
klassischen Zeit, die es liebte, ihre Empfindungen und Anschauungen in ver¬
trauten Briefen auszuströmen, während wir Kinder einer härtern Zeit wenig
Gefallen mehr daran finden und uns am liebsten mit dem Thatsächlichen be¬
gnügen, wenn wir überhaupt uoch Briefe schreiben. Eingeschoben sind dann




Vgl. darüber seine Äußerungen bei Busch, Tngebuchblntter I, 247 ff,, dazu III, 182
und seine Erklärung III, 57: „Ich bin Roualist in erster Linie, dann ein Preuße und ein
Deutscher" (1881).
"*) Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, aus Briefen zusammen¬
gestellt. Mit einem Bildnisse und einem Facsimile, Berlin, E, S. Mittler, 1898, VIII und
L44 S, Bisher gab es über ihn nur die kurze Skizze von seinem Freunde Ludwig Wiese
in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1, 9 ff, (1875).
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[0469] Heinrich Abeken Höchst merkwürdig spiegelt sich in diesem Gegensatze der beiden Brüder das Verhältnis der beiden Mächte ab, aus deren Zusammenwirken das neue Deutschland erwachsen ist, des preußischen Militär- und Beamtenstaats und der reichen, freien Bildung unsrer klassischen Zeit. Eben in der Umgebung des Königs und Kaisers Wilhelm, nicht in seiner Person, haben sich beide vereinigt. Fürst Bismarck gehörte keiner von beiden Richtungen ausschließlich an; er hatte in seiner Jugend mehr humanistisch-klassische Bildungselemente in sich aufgenommen, als man lange geglaubt hat, aber er stand doch durchaus auf dem festen realen Boden des preußischen Staats und der ostelbischen Land¬ wirtschaft und einer gesunden, nüchternen, sozusagen hausbacknen Frömmigkeit, die, seitdem er, im wesentlichen wohl durch seine Gemahlin, zu ihr hinüber¬ geführt worden war, der sittliche Kern seines Wesens war.*) Dagegen wird man die Königin und Kaiserin Augusta, die als weimarische Prinzessin ge¬ boren (30. September 1811) in ihrer Jugend noch das Alter Goethes erlebt hatte, als eine geistvolle Vertreterin unsrer klassischen Bildungsepoche betrachten dürfen, die deshalb auch dem doch schließlich auf diesem Boden erwachsenen politischen Liberalismus huldigte und in ihrer namentlich im Rheinlande aus¬ gebildeten Vorliebe für katholische Kirchenformen an ihren königlichen Schwager erinnert. Ihr persönliches Verhältnis zu Bismarck ist Wohl auch in diesem Gegensatze mit begründet. Von demselben Bildungskreise ist auch ein Mann dieses Hofes ausge¬ gangen, der niemals eine selbständige politische Rolle gespielt hat, aber zwei Königen ein Vierteljahrhundert lang ein treuer, persönlich vertrauter Diener, dem Erneuerer des Deutschen Reichs ein unermüdlicher, vielgewandter Gehilfe gewesen ist, Heinrich Abeken.^) Die jetzt von seiner Witwe herausgegebne Biographie begnügt sich mit kurzen einleitenden und verbindenden Stücken zu und zwischen den Briefen, die durchaus die Hauptmasse des Buches aus¬ machen. Schon diese reiche Korrespondenz (mit seinem Vater, dem Onkel Rudolf Abeken in Osnabrück, dem Onkel Christian in Dresden, mit Bunsen und Frau, in den spätern Jahren mit seiner ^zweiten^ Frau u. a. in.) verrät den Sohn unsrer klassischen Zeit, die es liebte, ihre Empfindungen und Anschauungen in ver¬ trauten Briefen auszuströmen, während wir Kinder einer härtern Zeit wenig Gefallen mehr daran finden und uns am liebsten mit dem Thatsächlichen be¬ gnügen, wenn wir überhaupt uoch Briefe schreiben. Eingeschoben sind dann Vgl. darüber seine Äußerungen bei Busch, Tngebuchblntter I, 247 ff,, dazu III, 182 und seine Erklärung III, 57: „Ich bin Roualist in erster Linie, dann ein Preuße und ein Deutscher" (1881). "*) Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, aus Briefen zusammen¬ gestellt. Mit einem Bildnisse und einem Facsimile, Berlin, E, S. Mittler, 1898, VIII und L44 S, Bisher gab es über ihn nur die kurze Skizze von seinem Freunde Ludwig Wiese in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1, 9 ff, (1875).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/469>, abgerufen am 28.09.2024.