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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

ihm sein bischen Schutz enorm teuer verkaufen, und wenn es für Wohlhabende
erfreulich gewesen wäre zu leben, so hätten nicht so viele, z. B. die Philo¬
sophen, sich einer freiwilligen Armut ergeben. Die Sykophanten werden mit
den Kundschaftern der spanischen Inquisition verglichen, der Demos wird ganz
wie Aristophanes und der Redenschreiber Lysias ihn schildern, angesehen, und
im vierten Jahrhundert gilt die Auffassung des Demosthenes als maßgebend.
Dem Pöbel traut Burckhardt jede Dummheit zu, wenn z. B. der "im tiefsten
Grunde laienhafte Staat sich kirchlich gebärdet, sobald er in Wut gerät," bei
Landesverrats- und Neligionsprozessen. ..Nie und nirgends hat ein so lächer¬
liches Mißverhältnis existiert zwischen der Rache für beleidigte und bezweifelte
Götter und der ethischen und theologischen Geringfügigkeit eben dieser Götter."
Aus dem Konfiskationswesen aber ergiebt sich die völlige Unsicherheit der
Justiz, wobei "jedermann mit Ausnahme der Lumpe in Kontravention ist."
Da an eine Skizzierung des Ganzen hier nicht zu denken war, so sollten die
einzelnen Züge wenigstens zugleich eine Vorstellung von der immer originellen
Ausdrucksart geben. Die politische Tendenz mag man in manchen Fällen für
übertrieben halten, insofern sich über die Tragweite einzelner Zeugnisse streiten
lassen wird. Im ganzen würde ich den Vorwurf nicht gelten lassen, weil ich
längst den Glauben habe, daß der ätherische Staat nicht besser war, als er
Burckhardt erschienen ist.

Zu einem sehr geistvollen kleinern Kapitel ist die "Demokratie außerhalb
Athens" zusammengefügt worden, worauf noch eins folgt über die "Lebens¬
zähigkeit der Stadtbevölkerungen." Die einzelnen Dinge darin sind ja nicht
unbekannt, aber die Zusammenfassung unter allgemeine Formeln ist höchst
glücklich. So wenn die Zähigkeit der Verbannten als "eine Teilkraft vom
Lebenswillen der Polis" angesehen wird im Anschluß an ein Wort des Jso-
krates, daß "Griechenstüdte furchtbar schwer starben."

Das Verhältnis des Griechen zum Griechen und das der Griechen zu
den Barbaren finden wir in einem größern Abschnitt behandelt. Die Phan¬
tasie ist hier weniger als bei Sparta und Athen durch schwierige Spezial-
forschung gehemmt, die Schilderung einzig schön und der gesamte Eindruck für
die Griechen sehr ungünstig. Die Behandlung unsrer Handbücher in ihrer
ängstlichen Neutralität hat es hier zu keinerlei Farbenwirkung kommen lassen.
Immer wird der Grieche bei Burckhardt als berechnend, kalt und grausam an¬
gesehen. Die Polis haßt die Polis, das ist der Lebensgrundsatz des inter¬
nationalen Verkehrs. Das Verfahren der Athener gegen Melos und Mytilene
im peloponnesischen Kriege, das die heutige Thukydidesforschung längst sich be¬
müht hat auf ein weniger grausames Maß von Wirklichkeit zu verringern,
gilt ihm in seinem vollen Umfange als Paradigma hellenischer Kriegführung.
Menschen schlachten und Bäume fällen in Feindesland, sowie das Verherr¬
lichen des Städtekriegs durch dauernde Trophäen, die die Feindschaft wach-


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

ihm sein bischen Schutz enorm teuer verkaufen, und wenn es für Wohlhabende
erfreulich gewesen wäre zu leben, so hätten nicht so viele, z. B. die Philo¬
sophen, sich einer freiwilligen Armut ergeben. Die Sykophanten werden mit
den Kundschaftern der spanischen Inquisition verglichen, der Demos wird ganz
wie Aristophanes und der Redenschreiber Lysias ihn schildern, angesehen, und
im vierten Jahrhundert gilt die Auffassung des Demosthenes als maßgebend.
Dem Pöbel traut Burckhardt jede Dummheit zu, wenn z. B. der „im tiefsten
Grunde laienhafte Staat sich kirchlich gebärdet, sobald er in Wut gerät," bei
Landesverrats- und Neligionsprozessen. ..Nie und nirgends hat ein so lächer¬
liches Mißverhältnis existiert zwischen der Rache für beleidigte und bezweifelte
Götter und der ethischen und theologischen Geringfügigkeit eben dieser Götter."
Aus dem Konfiskationswesen aber ergiebt sich die völlige Unsicherheit der
Justiz, wobei „jedermann mit Ausnahme der Lumpe in Kontravention ist."
Da an eine Skizzierung des Ganzen hier nicht zu denken war, so sollten die
einzelnen Züge wenigstens zugleich eine Vorstellung von der immer originellen
Ausdrucksart geben. Die politische Tendenz mag man in manchen Fällen für
übertrieben halten, insofern sich über die Tragweite einzelner Zeugnisse streiten
lassen wird. Im ganzen würde ich den Vorwurf nicht gelten lassen, weil ich
längst den Glauben habe, daß der ätherische Staat nicht besser war, als er
Burckhardt erschienen ist.

Zu einem sehr geistvollen kleinern Kapitel ist die „Demokratie außerhalb
Athens" zusammengefügt worden, worauf noch eins folgt über die „Lebens¬
zähigkeit der Stadtbevölkerungen." Die einzelnen Dinge darin sind ja nicht
unbekannt, aber die Zusammenfassung unter allgemeine Formeln ist höchst
glücklich. So wenn die Zähigkeit der Verbannten als „eine Teilkraft vom
Lebenswillen der Polis" angesehen wird im Anschluß an ein Wort des Jso-
krates, daß „Griechenstüdte furchtbar schwer starben."

Das Verhältnis des Griechen zum Griechen und das der Griechen zu
den Barbaren finden wir in einem größern Abschnitt behandelt. Die Phan¬
tasie ist hier weniger als bei Sparta und Athen durch schwierige Spezial-
forschung gehemmt, die Schilderung einzig schön und der gesamte Eindruck für
die Griechen sehr ungünstig. Die Behandlung unsrer Handbücher in ihrer
ängstlichen Neutralität hat es hier zu keinerlei Farbenwirkung kommen lassen.
Immer wird der Grieche bei Burckhardt als berechnend, kalt und grausam an¬
gesehen. Die Polis haßt die Polis, das ist der Lebensgrundsatz des inter¬
nationalen Verkehrs. Das Verfahren der Athener gegen Melos und Mytilene
im peloponnesischen Kriege, das die heutige Thukydidesforschung längst sich be¬
müht hat auf ein weniger grausames Maß von Wirklichkeit zu verringern,
gilt ihm in seinem vollen Umfange als Paradigma hellenischer Kriegführung.
Menschen schlachten und Bäume fällen in Feindesland, sowie das Verherr¬
lichen des Städtekriegs durch dauernde Trophäen, die die Feindschaft wach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/47>, abgerufen am 28.09.2024.