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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

hielten, ließen es nicht zum Gefühl der Stammeseinheit kommen, und noch in
römischer Zeit war Delphi "das große monumentale Museum des Hasses von
Griechen gegen Griechen, mit höchster künstlerischer Verewigung des gegenseitig
angethanen Herzeleids." Die Griechen waren auch nicht mehr gastlich, wie
es bei Homer und noch bei Hesiod Vorschrift war, sie bedurften später in jeder
fremden Stadt "eines aparten Schutzes, den man dann mit anmutiger Sitte
und Geist verbrämte." In dem despotischen Persien brauchte man aber keinen
"Proxenos," da konnte jeder reisen und Geschäfte machen, der seine Sache
verstand und Geld hatte. Die Religion einigte die Griechen nicht, die Götter
nahmen am Kampf der Städte teil und stritten unter einander, eher gab der
Heldenmythus ein gewisses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, sowie ja
äußerlich alle Griechen den einen Homer hatten. Gegenüber den Barbaren ist
der Grieche individuell, d. h. "losgesprochen von allem Thun der Nassen und
Kasten" und mit seinesgleichen in beständigem Wettstreit. Dieses "Agonale"
fehlt dem Orient, weil das Kastenwesen den Wettstreit nicht duldet. Der
Grieche aber streitet auch im Scherz weiter, sein Witz weidet sich an dem
Kontrast zwischen den Dingen, wie sie sind, und wie sie sein sollten. Der
Orientale ist ernst wie das Tier und lacht nicht, außer bei Gaukelpossen.
"Wie alt ist der Judenwitz? vor der Diaspora wenigstens kennt man bei den
Juden nur das Pathos," fragt zwischen hinein eine vorlaute Anmerkung.
Der Orient kennt statt der "Konversation des Symposions," wenigstens nach
Ansicht der Griechen, bloß das scharfe Zechen. In dieser hübschen Parallele
ist nur die orientalische Spruchweisheit, selbstverständlich dem Parallelismus
zuliebe, unterdrückt. Gleich darauf finden wir ein echt Vurckhardtsches aller¬
liebstes Epigramm in Prosa, als Antwort nämlich auf die Frage, warum sich
die Athener insbesondre fromm vorgekommen wären? "Das Laienvolk im
vorzugsweisen Sinne fühlt sich deu andern gegenüber priesterlich, weil es besser
mit den Göttern umzugehn weiß." Ist das ein bloßes Wortspiel, so hat die
Ausführung, an deren Schluß sie steht, eine sachliche Unterlage: daß nämlich
die griechische Religion, so wenig sie die Griechenstädte unter einander habe
einigen können, sie doch gegen den Orient deutlich geschieden habe. Sodann
ist sehr lesenswert, welchen Einfluß die Griechen, nicht bloß als Söldner,
sondern als friedliche Bürger und freiwillige diplomatische Agenten im Perser¬
reiche hätten haben können, wenn sie nicht immer vom Heimweh nach Griechen¬
land oder wenigstens zu griechischen Siedlungen wären zurückgetrieben worden.
Und nun folgt eine kurze, anmutig und prickelnd unterhaltende Darlegung,
wie allmählich der Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren schwand. Die
Griechen hatten von einander inzwischen genügendes erduldet, mau unternahm
also mit der Sehnsucht jeder späten Kultur nach urtümlichen Zuständen eine
Barbarenverehrung, die man an die Namen entlegner Völker bei Homer oder
Äschylos anknüpfte, denn "schon das frühe Altertum hatte das Glück und die


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

hielten, ließen es nicht zum Gefühl der Stammeseinheit kommen, und noch in
römischer Zeit war Delphi „das große monumentale Museum des Hasses von
Griechen gegen Griechen, mit höchster künstlerischer Verewigung des gegenseitig
angethanen Herzeleids." Die Griechen waren auch nicht mehr gastlich, wie
es bei Homer und noch bei Hesiod Vorschrift war, sie bedurften später in jeder
fremden Stadt „eines aparten Schutzes, den man dann mit anmutiger Sitte
und Geist verbrämte." In dem despotischen Persien brauchte man aber keinen
„Proxenos," da konnte jeder reisen und Geschäfte machen, der seine Sache
verstand und Geld hatte. Die Religion einigte die Griechen nicht, die Götter
nahmen am Kampf der Städte teil und stritten unter einander, eher gab der
Heldenmythus ein gewisses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, sowie ja
äußerlich alle Griechen den einen Homer hatten. Gegenüber den Barbaren ist
der Grieche individuell, d. h. „losgesprochen von allem Thun der Nassen und
Kasten" und mit seinesgleichen in beständigem Wettstreit. Dieses „Agonale"
fehlt dem Orient, weil das Kastenwesen den Wettstreit nicht duldet. Der
Grieche aber streitet auch im Scherz weiter, sein Witz weidet sich an dem
Kontrast zwischen den Dingen, wie sie sind, und wie sie sein sollten. Der
Orientale ist ernst wie das Tier und lacht nicht, außer bei Gaukelpossen.
„Wie alt ist der Judenwitz? vor der Diaspora wenigstens kennt man bei den
Juden nur das Pathos," fragt zwischen hinein eine vorlaute Anmerkung.
Der Orient kennt statt der „Konversation des Symposions," wenigstens nach
Ansicht der Griechen, bloß das scharfe Zechen. In dieser hübschen Parallele
ist nur die orientalische Spruchweisheit, selbstverständlich dem Parallelismus
zuliebe, unterdrückt. Gleich darauf finden wir ein echt Vurckhardtsches aller¬
liebstes Epigramm in Prosa, als Antwort nämlich auf die Frage, warum sich
die Athener insbesondre fromm vorgekommen wären? „Das Laienvolk im
vorzugsweisen Sinne fühlt sich deu andern gegenüber priesterlich, weil es besser
mit den Göttern umzugehn weiß." Ist das ein bloßes Wortspiel, so hat die
Ausführung, an deren Schluß sie steht, eine sachliche Unterlage: daß nämlich
die griechische Religion, so wenig sie die Griechenstädte unter einander habe
einigen können, sie doch gegen den Orient deutlich geschieden habe. Sodann
ist sehr lesenswert, welchen Einfluß die Griechen, nicht bloß als Söldner,
sondern als friedliche Bürger und freiwillige diplomatische Agenten im Perser¬
reiche hätten haben können, wenn sie nicht immer vom Heimweh nach Griechen¬
land oder wenigstens zu griechischen Siedlungen wären zurückgetrieben worden.
Und nun folgt eine kurze, anmutig und prickelnd unterhaltende Darlegung,
wie allmählich der Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren schwand. Die
Griechen hatten von einander inzwischen genügendes erduldet, mau unternahm
also mit der Sehnsucht jeder späten Kultur nach urtümlichen Zuständen eine
Barbarenverehrung, die man an die Namen entlegner Völker bei Homer oder
Äschylos anknüpfte, denn „schon das frühe Altertum hatte das Glück und die


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[0048] Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte hielten, ließen es nicht zum Gefühl der Stammeseinheit kommen, und noch in römischer Zeit war Delphi „das große monumentale Museum des Hasses von Griechen gegen Griechen, mit höchster künstlerischer Verewigung des gegenseitig angethanen Herzeleids." Die Griechen waren auch nicht mehr gastlich, wie es bei Homer und noch bei Hesiod Vorschrift war, sie bedurften später in jeder fremden Stadt „eines aparten Schutzes, den man dann mit anmutiger Sitte und Geist verbrämte." In dem despotischen Persien brauchte man aber keinen „Proxenos," da konnte jeder reisen und Geschäfte machen, der seine Sache verstand und Geld hatte. Die Religion einigte die Griechen nicht, die Götter nahmen am Kampf der Städte teil und stritten unter einander, eher gab der Heldenmythus ein gewisses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, sowie ja äußerlich alle Griechen den einen Homer hatten. Gegenüber den Barbaren ist der Grieche individuell, d. h. „losgesprochen von allem Thun der Nassen und Kasten" und mit seinesgleichen in beständigem Wettstreit. Dieses „Agonale" fehlt dem Orient, weil das Kastenwesen den Wettstreit nicht duldet. Der Grieche aber streitet auch im Scherz weiter, sein Witz weidet sich an dem Kontrast zwischen den Dingen, wie sie sind, und wie sie sein sollten. Der Orientale ist ernst wie das Tier und lacht nicht, außer bei Gaukelpossen. „Wie alt ist der Judenwitz? vor der Diaspora wenigstens kennt man bei den Juden nur das Pathos," fragt zwischen hinein eine vorlaute Anmerkung. Der Orient kennt statt der „Konversation des Symposions," wenigstens nach Ansicht der Griechen, bloß das scharfe Zechen. In dieser hübschen Parallele ist nur die orientalische Spruchweisheit, selbstverständlich dem Parallelismus zuliebe, unterdrückt. Gleich darauf finden wir ein echt Vurckhardtsches aller¬ liebstes Epigramm in Prosa, als Antwort nämlich auf die Frage, warum sich die Athener insbesondre fromm vorgekommen wären? „Das Laienvolk im vorzugsweisen Sinne fühlt sich deu andern gegenüber priesterlich, weil es besser mit den Göttern umzugehn weiß." Ist das ein bloßes Wortspiel, so hat die Ausführung, an deren Schluß sie steht, eine sachliche Unterlage: daß nämlich die griechische Religion, so wenig sie die Griechenstädte unter einander habe einigen können, sie doch gegen den Orient deutlich geschieden habe. Sodann ist sehr lesenswert, welchen Einfluß die Griechen, nicht bloß als Söldner, sondern als friedliche Bürger und freiwillige diplomatische Agenten im Perser¬ reiche hätten haben können, wenn sie nicht immer vom Heimweh nach Griechen¬ land oder wenigstens zu griechischen Siedlungen wären zurückgetrieben worden. Und nun folgt eine kurze, anmutig und prickelnd unterhaltende Darlegung, wie allmählich der Gegensatz zwischen Hellenen und Barbaren schwand. Die Griechen hatten von einander inzwischen genügendes erduldet, mau unternahm also mit der Sehnsucht jeder späten Kultur nach urtümlichen Zuständen eine Barbarenverehrung, die man an die Namen entlegner Völker bei Homer oder Äschylos anknüpfte, denn „schon das frühe Altertum hatte das Glück und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/48>, abgerufen am 28.09.2024.