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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Gebälk, während vierundzwanzig Säulen, sämtlich mächtige Monolithen aus
ägyptischem Granit, den Bau von außen umkleiden. Den Eingang zum Tempel
bewacht eine ewige Sphinx -- eine von denen, die Ägypten einst über das
ganze Römerreich versandte --, wie um uns an den Geburtsort der Architektur,
zu erinnern.

Der ruhige Gesichtsausdruck der Sphinx imponiert dem Beschauer. Be¬
neidenswert ist diese eiserne Gleichgiltigkeit, dieses "was kümmerts mich?", diese!
Mischung von Stumpfsinn und Selbstbeherrschung. Was geht es die Sphinx ^
an, wenn die bildenden Künste untergegangen sind, und häßliche Karikatur,
jämmerlicher Plunder, lendenlahme Schwindsucht an ihre Stelle getreten sind?
Ju ihrer Heimat, am sonnigen Nil, da begann einst die Architektur, schwer
und unbeholfen noch und mehr durch ihre massige Wucht Eindruck schaffend.
Jahrhunderte später wurde das Ideal der Schönheit entdeckt und verwirklicht
in Athens Parthenon. Die Erinnerung an die Machtfülle Roms, selbst des
schon sinkenden Roms, ruft in uns dieser einzige, enorme Kaiserpalast wach,
und das, was später kam, zeigen beredt diese wie Vogelnester an die Überreste
gewaltiger Vorzeit geklebten, modernen Schmarotzerhäuser^ Die Reste der alten
Herrlichkeit sind noch immer besser erhalten, als der jetzt schon baufällige Nach¬
wuchs der spätern Zeit, verächtlich schauen die Kapitäle von ihren Säulen
herab auf kurzlebige, berstende Steine; die sind nicht für alle Zeiten gebaut^
die stammen nicht von ki-vena astsrng,! Verächtlich scheint auch die Sphinx
zu lächeln. Es liegt etwas wie Trauer in ihrem Blick. Vielleicht ist sie doch
nicht gefühllos.

Und was kam nach Rom? Wohl kann man sich in Westminster, an den
Ufern der Themse, an dem massigen Klotze des englischen Parlaments erfreuen,
erstaunt zu Mailands und Strcißburgs Domen und zum Wiener Rathaus
emporschauen -- aber in nichts verschwindet diese gepreßte, bizarre, groteske
Schönheit des gotischen Stils dem, der klassische Ideale im Herzen trägt. '
Die Einfachheit und Natürlichkeit fehlt der Gotik, diese Grundbedingung aller
Schönheit und darum aller Kunst -- das Ornament ordnet sich nicht der
Idee des Ganzen unter, sondern wird zur Hauptsache --, ein Spiegelbild der
Zeit, in der sie entstanden ist, wie auch unsrer Jahrhunderte, die überhaupt
keinen Baustil mehr erfunden haben, und die der strengen, sich alles unter¬
ordnenden Prinzipien so bitter ermangeln. ... Es ist zum Lachen, in welch
majestätischem Stumpfsinn das Vieh daliegt! Hör einmal, Sphinx! Schnüre
sich dir nicht melancholisch die Tierkehle zusammen, wenn du den Glanz und
die Hoheit der Vergangenheit mit der finstern Ohnmacht der Gegenwart ver¬
gleichst? Was sind Louvre und Tuilerien, Eremitage und Escorial gegen
den Kaiserpalast am Palatin, Hadrians Villa in Tivoli bei Rom, Domitians
am Albanersee und gegen den mächtigen Ausdruck des Willens dieses Soldaten¬
kaisers? Hier stand ein Theater, dort war ein mächtiges Mausoleum, hier


Grenzboten II 1899 44
Aus den schwarzen Bergen

Gebälk, während vierundzwanzig Säulen, sämtlich mächtige Monolithen aus
ägyptischem Granit, den Bau von außen umkleiden. Den Eingang zum Tempel
bewacht eine ewige Sphinx — eine von denen, die Ägypten einst über das
ganze Römerreich versandte —, wie um uns an den Geburtsort der Architektur,
zu erinnern.

Der ruhige Gesichtsausdruck der Sphinx imponiert dem Beschauer. Be¬
neidenswert ist diese eiserne Gleichgiltigkeit, dieses „was kümmerts mich?", diese!
Mischung von Stumpfsinn und Selbstbeherrschung. Was geht es die Sphinx ^
an, wenn die bildenden Künste untergegangen sind, und häßliche Karikatur,
jämmerlicher Plunder, lendenlahme Schwindsucht an ihre Stelle getreten sind?
Ju ihrer Heimat, am sonnigen Nil, da begann einst die Architektur, schwer
und unbeholfen noch und mehr durch ihre massige Wucht Eindruck schaffend.
Jahrhunderte später wurde das Ideal der Schönheit entdeckt und verwirklicht
in Athens Parthenon. Die Erinnerung an die Machtfülle Roms, selbst des
schon sinkenden Roms, ruft in uns dieser einzige, enorme Kaiserpalast wach,
und das, was später kam, zeigen beredt diese wie Vogelnester an die Überreste
gewaltiger Vorzeit geklebten, modernen Schmarotzerhäuser^ Die Reste der alten
Herrlichkeit sind noch immer besser erhalten, als der jetzt schon baufällige Nach¬
wuchs der spätern Zeit, verächtlich schauen die Kapitäle von ihren Säulen
herab auf kurzlebige, berstende Steine; die sind nicht für alle Zeiten gebaut^
die stammen nicht von ki-vena astsrng,! Verächtlich scheint auch die Sphinx
zu lächeln. Es liegt etwas wie Trauer in ihrem Blick. Vielleicht ist sie doch
nicht gefühllos.

Und was kam nach Rom? Wohl kann man sich in Westminster, an den
Ufern der Themse, an dem massigen Klotze des englischen Parlaments erfreuen,
erstaunt zu Mailands und Strcißburgs Domen und zum Wiener Rathaus
emporschauen — aber in nichts verschwindet diese gepreßte, bizarre, groteske
Schönheit des gotischen Stils dem, der klassische Ideale im Herzen trägt. '
Die Einfachheit und Natürlichkeit fehlt der Gotik, diese Grundbedingung aller
Schönheit und darum aller Kunst — das Ornament ordnet sich nicht der
Idee des Ganzen unter, sondern wird zur Hauptsache —, ein Spiegelbild der
Zeit, in der sie entstanden ist, wie auch unsrer Jahrhunderte, die überhaupt
keinen Baustil mehr erfunden haben, und die der strengen, sich alles unter¬
ordnenden Prinzipien so bitter ermangeln. ... Es ist zum Lachen, in welch
majestätischem Stumpfsinn das Vieh daliegt! Hör einmal, Sphinx! Schnüre
sich dir nicht melancholisch die Tierkehle zusammen, wenn du den Glanz und
die Hoheit der Vergangenheit mit der finstern Ohnmacht der Gegenwart ver¬
gleichst? Was sind Louvre und Tuilerien, Eremitage und Escorial gegen
den Kaiserpalast am Palatin, Hadrians Villa in Tivoli bei Rom, Domitians
am Albanersee und gegen den mächtigen Ausdruck des Willens dieses Soldaten¬
kaisers? Hier stand ein Theater, dort war ein mächtiges Mausoleum, hier


Grenzboten II 1899 44
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[0353] Aus den schwarzen Bergen Gebälk, während vierundzwanzig Säulen, sämtlich mächtige Monolithen aus ägyptischem Granit, den Bau von außen umkleiden. Den Eingang zum Tempel bewacht eine ewige Sphinx — eine von denen, die Ägypten einst über das ganze Römerreich versandte —, wie um uns an den Geburtsort der Architektur, zu erinnern. Der ruhige Gesichtsausdruck der Sphinx imponiert dem Beschauer. Be¬ neidenswert ist diese eiserne Gleichgiltigkeit, dieses „was kümmerts mich?", diese! Mischung von Stumpfsinn und Selbstbeherrschung. Was geht es die Sphinx ^ an, wenn die bildenden Künste untergegangen sind, und häßliche Karikatur, jämmerlicher Plunder, lendenlahme Schwindsucht an ihre Stelle getreten sind? Ju ihrer Heimat, am sonnigen Nil, da begann einst die Architektur, schwer und unbeholfen noch und mehr durch ihre massige Wucht Eindruck schaffend. Jahrhunderte später wurde das Ideal der Schönheit entdeckt und verwirklicht in Athens Parthenon. Die Erinnerung an die Machtfülle Roms, selbst des schon sinkenden Roms, ruft in uns dieser einzige, enorme Kaiserpalast wach, und das, was später kam, zeigen beredt diese wie Vogelnester an die Überreste gewaltiger Vorzeit geklebten, modernen Schmarotzerhäuser^ Die Reste der alten Herrlichkeit sind noch immer besser erhalten, als der jetzt schon baufällige Nach¬ wuchs der spätern Zeit, verächtlich schauen die Kapitäle von ihren Säulen herab auf kurzlebige, berstende Steine; die sind nicht für alle Zeiten gebaut^ die stammen nicht von ki-vena astsrng,! Verächtlich scheint auch die Sphinx zu lächeln. Es liegt etwas wie Trauer in ihrem Blick. Vielleicht ist sie doch nicht gefühllos. Und was kam nach Rom? Wohl kann man sich in Westminster, an den Ufern der Themse, an dem massigen Klotze des englischen Parlaments erfreuen, erstaunt zu Mailands und Strcißburgs Domen und zum Wiener Rathaus emporschauen — aber in nichts verschwindet diese gepreßte, bizarre, groteske Schönheit des gotischen Stils dem, der klassische Ideale im Herzen trägt. ' Die Einfachheit und Natürlichkeit fehlt der Gotik, diese Grundbedingung aller Schönheit und darum aller Kunst — das Ornament ordnet sich nicht der Idee des Ganzen unter, sondern wird zur Hauptsache —, ein Spiegelbild der Zeit, in der sie entstanden ist, wie auch unsrer Jahrhunderte, die überhaupt keinen Baustil mehr erfunden haben, und die der strengen, sich alles unter¬ ordnenden Prinzipien so bitter ermangeln. ... Es ist zum Lachen, in welch majestätischem Stumpfsinn das Vieh daliegt! Hör einmal, Sphinx! Schnüre sich dir nicht melancholisch die Tierkehle zusammen, wenn du den Glanz und die Hoheit der Vergangenheit mit der finstern Ohnmacht der Gegenwart ver¬ gleichst? Was sind Louvre und Tuilerien, Eremitage und Escorial gegen den Kaiserpalast am Palatin, Hadrians Villa in Tivoli bei Rom, Domitians am Albanersee und gegen den mächtigen Ausdruck des Willens dieses Soldaten¬ kaisers? Hier stand ein Theater, dort war ein mächtiges Mausoleum, hier Grenzboten II 1899 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/353>, abgerufen am 28.09.2024.