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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

die Kasernen der Garden und ein Fischteich mit klarem Bergwasser und un¬
zähligen flinken Forellen, dort wandelte man im Schatten kühner Säulengänge,
hier war das Forum, dort betete man zu Jupiter -- nicht auf den Knieen, nicht
gebeugten Hauptes, nicht als demütiger Sünder, nicht als zerknirschter Erdenwurm,
Sphinx! -- in einem Tempel, geschmückt mit Hunderten von schönen Götterstatuen.
Siehst du nicht die Reste der Wasserleitung dort, die Zehntausende von Metern
weit die Wässer aus dem Gebirge herführte? Du sahest es ja selbst mit an, du
mußt es wissen, daß bei den Alten das Baden eine Kunst war und nicht ein
Reinigungsprozeß. Soll ich dir erzählen, wie schlecht die ersten Städte unsrer
Welt mit Wasser versorgt sind? Wie schmutzig wir sind? Wie wenig den Jetzigen
der Strahl der lebenspendenden Sonne zum Dasein notwendig ist, und wie sie
hohe Himmelskratzer bauen mit jämmerlichen Luft- und Lichtlöchern und noch
stolz darauf sind? ... Ist das Menschengeschlecht nicht auch häßlicher ge¬
worden, Sphinx? Sieh dir ihre Frauen an, wie sie sich kleiden, aufbauschen,
einschnüren, Moden wechseln, sie haben keinen Geschmack mehr, nicht wahr?

Ah, du bist ja stumm! Hast du doch geschwiegen seit der Zeit, wo Diokletianus
Cäsar, der dem absterbenden Römerreiche noch einmal Lebenskraft einflößte, hier
seinen Kohl baute, alle die langen, bangen Jahrhunderte, in denen eine im Vor¬
urteil befangne Geschichtschreibung seinen guten Namen verbaut und mit Schutt
zugedeckt hat, wie die Bürger von Salona seinen Palast zu Spalato? Ohne
Verwunderung sahst du jene Bürger vor den Avaren einst hierher flüchten
und hinter den festen Mauern des Schlosses Zuflucht suchen und Heimstätte
finden. Du sahst, wie Architrave und himmelstrebende Säulen, Porphyr- und
Marmorstatuen eingemauert wurden in die Häuser von Krämern und Bauern.
Wortlos starrtest du vor dich hin, als der schöne Tempel des Jupiter, vor
dem du liegst, in eine christliche Kirche verwandelt wurde, der Tempel, worin
der große Hasser der staatsgefährlichen Judeusekte einst zu seinem Gotte betete.
Nicht eine Tatze hast du zur Vertreibung gerührt, als sich der beflügelte Löwe
von Se. Markus neben dir niederließ und Dalmatiens Fluren ihres Wülder-
schmucks zur Herstellung seiner hölzernen Mauern beraubte, und als der letzte
der stolzen Dogen abdankte und man die Marseillaise um dich pfiff und die
Trikolore im Winde flattern ließ, und wie dann Österreichs Doppeladler hier
seine Krallen einschlug -- auch da hast du geschwiegen!

Du bist stumm und dumm, Sphinx! Oder sehr weise! Denn was geht
es dich an?

Und was geht es Sie an? fragte mein Wandergefährte spöttisch. Jedes
Jahrhundert hat seine besondern Aufgaben, das unsrige ist dem Gotte Dampf
und seiner Gemahlin Elektrizität geweiht.

Dann kamen noch einige Worte, wie Nöntgenstrahlen. sibirische Bahn,
Naturwissenschaften, und dann der Rat, schnell zum Dampfer zurückzukehren,
um nicht den Anschluß zu versäumen.


Aus den schwarzen Bergen

die Kasernen der Garden und ein Fischteich mit klarem Bergwasser und un¬
zähligen flinken Forellen, dort wandelte man im Schatten kühner Säulengänge,
hier war das Forum, dort betete man zu Jupiter — nicht auf den Knieen, nicht
gebeugten Hauptes, nicht als demütiger Sünder, nicht als zerknirschter Erdenwurm,
Sphinx! — in einem Tempel, geschmückt mit Hunderten von schönen Götterstatuen.
Siehst du nicht die Reste der Wasserleitung dort, die Zehntausende von Metern
weit die Wässer aus dem Gebirge herführte? Du sahest es ja selbst mit an, du
mußt es wissen, daß bei den Alten das Baden eine Kunst war und nicht ein
Reinigungsprozeß. Soll ich dir erzählen, wie schlecht die ersten Städte unsrer
Welt mit Wasser versorgt sind? Wie schmutzig wir sind? Wie wenig den Jetzigen
der Strahl der lebenspendenden Sonne zum Dasein notwendig ist, und wie sie
hohe Himmelskratzer bauen mit jämmerlichen Luft- und Lichtlöchern und noch
stolz darauf sind? ... Ist das Menschengeschlecht nicht auch häßlicher ge¬
worden, Sphinx? Sieh dir ihre Frauen an, wie sie sich kleiden, aufbauschen,
einschnüren, Moden wechseln, sie haben keinen Geschmack mehr, nicht wahr?

Ah, du bist ja stumm! Hast du doch geschwiegen seit der Zeit, wo Diokletianus
Cäsar, der dem absterbenden Römerreiche noch einmal Lebenskraft einflößte, hier
seinen Kohl baute, alle die langen, bangen Jahrhunderte, in denen eine im Vor¬
urteil befangne Geschichtschreibung seinen guten Namen verbaut und mit Schutt
zugedeckt hat, wie die Bürger von Salona seinen Palast zu Spalato? Ohne
Verwunderung sahst du jene Bürger vor den Avaren einst hierher flüchten
und hinter den festen Mauern des Schlosses Zuflucht suchen und Heimstätte
finden. Du sahst, wie Architrave und himmelstrebende Säulen, Porphyr- und
Marmorstatuen eingemauert wurden in die Häuser von Krämern und Bauern.
Wortlos starrtest du vor dich hin, als der schöne Tempel des Jupiter, vor
dem du liegst, in eine christliche Kirche verwandelt wurde, der Tempel, worin
der große Hasser der staatsgefährlichen Judeusekte einst zu seinem Gotte betete.
Nicht eine Tatze hast du zur Vertreibung gerührt, als sich der beflügelte Löwe
von Se. Markus neben dir niederließ und Dalmatiens Fluren ihres Wülder-
schmucks zur Herstellung seiner hölzernen Mauern beraubte, und als der letzte
der stolzen Dogen abdankte und man die Marseillaise um dich pfiff und die
Trikolore im Winde flattern ließ, und wie dann Österreichs Doppeladler hier
seine Krallen einschlug — auch da hast du geschwiegen!

Du bist stumm und dumm, Sphinx! Oder sehr weise! Denn was geht
es dich an?

Und was geht es Sie an? fragte mein Wandergefährte spöttisch. Jedes
Jahrhundert hat seine besondern Aufgaben, das unsrige ist dem Gotte Dampf
und seiner Gemahlin Elektrizität geweiht.

Dann kamen noch einige Worte, wie Nöntgenstrahlen. sibirische Bahn,
Naturwissenschaften, und dann der Rat, schnell zum Dampfer zurückzukehren,
um nicht den Anschluß zu versäumen.


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[0354] Aus den schwarzen Bergen die Kasernen der Garden und ein Fischteich mit klarem Bergwasser und un¬ zähligen flinken Forellen, dort wandelte man im Schatten kühner Säulengänge, hier war das Forum, dort betete man zu Jupiter — nicht auf den Knieen, nicht gebeugten Hauptes, nicht als demütiger Sünder, nicht als zerknirschter Erdenwurm, Sphinx! — in einem Tempel, geschmückt mit Hunderten von schönen Götterstatuen. Siehst du nicht die Reste der Wasserleitung dort, die Zehntausende von Metern weit die Wässer aus dem Gebirge herführte? Du sahest es ja selbst mit an, du mußt es wissen, daß bei den Alten das Baden eine Kunst war und nicht ein Reinigungsprozeß. Soll ich dir erzählen, wie schlecht die ersten Städte unsrer Welt mit Wasser versorgt sind? Wie schmutzig wir sind? Wie wenig den Jetzigen der Strahl der lebenspendenden Sonne zum Dasein notwendig ist, und wie sie hohe Himmelskratzer bauen mit jämmerlichen Luft- und Lichtlöchern und noch stolz darauf sind? ... Ist das Menschengeschlecht nicht auch häßlicher ge¬ worden, Sphinx? Sieh dir ihre Frauen an, wie sie sich kleiden, aufbauschen, einschnüren, Moden wechseln, sie haben keinen Geschmack mehr, nicht wahr? Ah, du bist ja stumm! Hast du doch geschwiegen seit der Zeit, wo Diokletianus Cäsar, der dem absterbenden Römerreiche noch einmal Lebenskraft einflößte, hier seinen Kohl baute, alle die langen, bangen Jahrhunderte, in denen eine im Vor¬ urteil befangne Geschichtschreibung seinen guten Namen verbaut und mit Schutt zugedeckt hat, wie die Bürger von Salona seinen Palast zu Spalato? Ohne Verwunderung sahst du jene Bürger vor den Avaren einst hierher flüchten und hinter den festen Mauern des Schlosses Zuflucht suchen und Heimstätte finden. Du sahst, wie Architrave und himmelstrebende Säulen, Porphyr- und Marmorstatuen eingemauert wurden in die Häuser von Krämern und Bauern. Wortlos starrtest du vor dich hin, als der schöne Tempel des Jupiter, vor dem du liegst, in eine christliche Kirche verwandelt wurde, der Tempel, worin der große Hasser der staatsgefährlichen Judeusekte einst zu seinem Gotte betete. Nicht eine Tatze hast du zur Vertreibung gerührt, als sich der beflügelte Löwe von Se. Markus neben dir niederließ und Dalmatiens Fluren ihres Wülder- schmucks zur Herstellung seiner hölzernen Mauern beraubte, und als der letzte der stolzen Dogen abdankte und man die Marseillaise um dich pfiff und die Trikolore im Winde flattern ließ, und wie dann Österreichs Doppeladler hier seine Krallen einschlug — auch da hast du geschwiegen! Du bist stumm und dumm, Sphinx! Oder sehr weise! Denn was geht es dich an? Und was geht es Sie an? fragte mein Wandergefährte spöttisch. Jedes Jahrhundert hat seine besondern Aufgaben, das unsrige ist dem Gotte Dampf und seiner Gemahlin Elektrizität geweiht. Dann kamen noch einige Worte, wie Nöntgenstrahlen. sibirische Bahn, Naturwissenschaften, und dann der Rat, schnell zum Dampfer zurückzukehren, um nicht den Anschluß zu versäumen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/354>, abgerufen am 28.09.2024.