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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Lernsteni als Stoff für das Uunstgewerbe

im Rückstände gegen die Leistungen früherer Jahrhunderte, in denen es eine
Zeit lang einen hohen Rang unter den Liebhaberkünsten behauptete und sogar
von Fürsten betrieben wurde. Es fehlt auch hierin an guten Vorbilder" und
an der nötigen Schulung der Gewerbetreibenden.

Von der größten Wichtigkeit bei allen Bcrnsteinarbeiten sind die Metall-
fasfuugen. Diese sind bei dem natürlichen Vorkommen und den Eigenschaften
des Materials unentbehrlich; erst durch die Fassungen oder Montierungen ist
es möglich, größere kunstgewerbliche Gegenstände daraus herzustellen. Auch
für den Schmuck sind gute Fassungen eine Hauptsache; das Material kann
durch sie gehoben und zur Geltung gebracht werden; auch ist die Dauerhaftig¬
keit der Bernfteinsachen vielfach von der Fassung abhangig. Die Fassung kann
bei größern und teurem Gegenständen, wie zu frühern Zeiten, aus Edel¬
metallen, Gold, vergoldetem Silber oder Weißsilber bestehen. Für die billigern
Sachen, insbesondre Schmuck, würden Metallfasfuugen, wie sie in der Bijouterie¬
fabrikation üblich sind, genügen. Überhaupt könnte die Arbeitsweise der Halb¬
edelsteine verwendenden Vijouteriefabrikativn -- die im Nahethal (Oberstein)
in hoher Blüte steht und meist als Hausindustrie betrieben wird -- für die
Vernsteinverarbeitung zu Schmucksachen in vielen Punkten als Vorbild dienen.
Auch die Geschicklichkeit, die man in den Glashüttengegenden Nvrdböhmens in
der Fassung von Glasartikcln und von Jmitationsschmuck hat, könnte vielfach
als Muster für die Fabrikate herangezogen werden. Die nicht weit von
Reichenberg i. B. liegende Stadt Gablonz lebt fast nur von der Herstellung
derartiger Fassungen; die Mehrzahl der Gewerbetreibenden dort besteht aus
Gürtlern. Auch ist dort eine Fachschule, die dieses Spezialfach besonders
berücksichtigt.

Daß natürlich bei allen diesen Herstellungen ein geläuterter, mit dem
Material und dessen Wirkungen vertrauter Geschmack, sowie eine Kenntnis des
Marktes und eine Anpassungsfähigkeit an die Wechselnde Mode bei den Fabri¬
kanten vorhanden sein muß, ist von selbst klar. Aber diese Eigenschaften
würden sich wohl finden, wenn erst die ganze Fabrikation in die richtigen
Bahnen gebracht ist. Dazu müßte der Staat helfen, indem er mit dem bis¬
herigen llüsssr altfr bricht und nicht mehr in dem allerdings bequemen Export
des Rohstoffs allein das Heil sieht. Die Zeiten ändern sich; es ist vielleicht
richtig, schon jetzt daran zu denken, daß der Bernstein einmal alle wird, und
die Produktion beizeiten eingeschränkt werden muß. Dann ist aber um so mehr
Gewicht auf die kunstgewerbliche Verarbeitung zu legen. Auch die Ambroid-
sabrikatiou würde durch eine Einschränkung der Ausbeute erschwert und ge¬
lähmt, ihr Wettbewerb mit dem Naturbernstein sehr beschränkt werden.

Es wäre zunächst notwendig, um einen Umschwung in der deutschen
Vernsteinverarbeitung hervorzubringen, eine mit einer Lehrwerkstätte verbundne
Fachschule oder Fachabteilung für solche Arbeit zu schaffen, die in der Pro-


Grenzboten II 1899 38
Der Lernsteni als Stoff für das Uunstgewerbe

im Rückstände gegen die Leistungen früherer Jahrhunderte, in denen es eine
Zeit lang einen hohen Rang unter den Liebhaberkünsten behauptete und sogar
von Fürsten betrieben wurde. Es fehlt auch hierin an guten Vorbilder» und
an der nötigen Schulung der Gewerbetreibenden.

Von der größten Wichtigkeit bei allen Bcrnsteinarbeiten sind die Metall-
fasfuugen. Diese sind bei dem natürlichen Vorkommen und den Eigenschaften
des Materials unentbehrlich; erst durch die Fassungen oder Montierungen ist
es möglich, größere kunstgewerbliche Gegenstände daraus herzustellen. Auch
für den Schmuck sind gute Fassungen eine Hauptsache; das Material kann
durch sie gehoben und zur Geltung gebracht werden; auch ist die Dauerhaftig¬
keit der Bernfteinsachen vielfach von der Fassung abhangig. Die Fassung kann
bei größern und teurem Gegenständen, wie zu frühern Zeiten, aus Edel¬
metallen, Gold, vergoldetem Silber oder Weißsilber bestehen. Für die billigern
Sachen, insbesondre Schmuck, würden Metallfasfuugen, wie sie in der Bijouterie¬
fabrikation üblich sind, genügen. Überhaupt könnte die Arbeitsweise der Halb¬
edelsteine verwendenden Vijouteriefabrikativn — die im Nahethal (Oberstein)
in hoher Blüte steht und meist als Hausindustrie betrieben wird — für die
Vernsteinverarbeitung zu Schmucksachen in vielen Punkten als Vorbild dienen.
Auch die Geschicklichkeit, die man in den Glashüttengegenden Nvrdböhmens in
der Fassung von Glasartikcln und von Jmitationsschmuck hat, könnte vielfach
als Muster für die Fabrikate herangezogen werden. Die nicht weit von
Reichenberg i. B. liegende Stadt Gablonz lebt fast nur von der Herstellung
derartiger Fassungen; die Mehrzahl der Gewerbetreibenden dort besteht aus
Gürtlern. Auch ist dort eine Fachschule, die dieses Spezialfach besonders
berücksichtigt.

Daß natürlich bei allen diesen Herstellungen ein geläuterter, mit dem
Material und dessen Wirkungen vertrauter Geschmack, sowie eine Kenntnis des
Marktes und eine Anpassungsfähigkeit an die Wechselnde Mode bei den Fabri¬
kanten vorhanden sein muß, ist von selbst klar. Aber diese Eigenschaften
würden sich wohl finden, wenn erst die ganze Fabrikation in die richtigen
Bahnen gebracht ist. Dazu müßte der Staat helfen, indem er mit dem bis¬
herigen llüsssr altfr bricht und nicht mehr in dem allerdings bequemen Export
des Rohstoffs allein das Heil sieht. Die Zeiten ändern sich; es ist vielleicht
richtig, schon jetzt daran zu denken, daß der Bernstein einmal alle wird, und
die Produktion beizeiten eingeschränkt werden muß. Dann ist aber um so mehr
Gewicht auf die kunstgewerbliche Verarbeitung zu legen. Auch die Ambroid-
sabrikatiou würde durch eine Einschränkung der Ausbeute erschwert und ge¬
lähmt, ihr Wettbewerb mit dem Naturbernstein sehr beschränkt werden.

Es wäre zunächst notwendig, um einen Umschwung in der deutschen
Vernsteinverarbeitung hervorzubringen, eine mit einer Lehrwerkstätte verbundne
Fachschule oder Fachabteilung für solche Arbeit zu schaffen, die in der Pro-


Grenzboten II 1899 38
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[0305] Der Lernsteni als Stoff für das Uunstgewerbe im Rückstände gegen die Leistungen früherer Jahrhunderte, in denen es eine Zeit lang einen hohen Rang unter den Liebhaberkünsten behauptete und sogar von Fürsten betrieben wurde. Es fehlt auch hierin an guten Vorbilder» und an der nötigen Schulung der Gewerbetreibenden. Von der größten Wichtigkeit bei allen Bcrnsteinarbeiten sind die Metall- fasfuugen. Diese sind bei dem natürlichen Vorkommen und den Eigenschaften des Materials unentbehrlich; erst durch die Fassungen oder Montierungen ist es möglich, größere kunstgewerbliche Gegenstände daraus herzustellen. Auch für den Schmuck sind gute Fassungen eine Hauptsache; das Material kann durch sie gehoben und zur Geltung gebracht werden; auch ist die Dauerhaftig¬ keit der Bernfteinsachen vielfach von der Fassung abhangig. Die Fassung kann bei größern und teurem Gegenständen, wie zu frühern Zeiten, aus Edel¬ metallen, Gold, vergoldetem Silber oder Weißsilber bestehen. Für die billigern Sachen, insbesondre Schmuck, würden Metallfasfuugen, wie sie in der Bijouterie¬ fabrikation üblich sind, genügen. Überhaupt könnte die Arbeitsweise der Halb¬ edelsteine verwendenden Vijouteriefabrikativn — die im Nahethal (Oberstein) in hoher Blüte steht und meist als Hausindustrie betrieben wird — für die Vernsteinverarbeitung zu Schmucksachen in vielen Punkten als Vorbild dienen. Auch die Geschicklichkeit, die man in den Glashüttengegenden Nvrdböhmens in der Fassung von Glasartikcln und von Jmitationsschmuck hat, könnte vielfach als Muster für die Fabrikate herangezogen werden. Die nicht weit von Reichenberg i. B. liegende Stadt Gablonz lebt fast nur von der Herstellung derartiger Fassungen; die Mehrzahl der Gewerbetreibenden dort besteht aus Gürtlern. Auch ist dort eine Fachschule, die dieses Spezialfach besonders berücksichtigt. Daß natürlich bei allen diesen Herstellungen ein geläuterter, mit dem Material und dessen Wirkungen vertrauter Geschmack, sowie eine Kenntnis des Marktes und eine Anpassungsfähigkeit an die Wechselnde Mode bei den Fabri¬ kanten vorhanden sein muß, ist von selbst klar. Aber diese Eigenschaften würden sich wohl finden, wenn erst die ganze Fabrikation in die richtigen Bahnen gebracht ist. Dazu müßte der Staat helfen, indem er mit dem bis¬ herigen llüsssr altfr bricht und nicht mehr in dem allerdings bequemen Export des Rohstoffs allein das Heil sieht. Die Zeiten ändern sich; es ist vielleicht richtig, schon jetzt daran zu denken, daß der Bernstein einmal alle wird, und die Produktion beizeiten eingeschränkt werden muß. Dann ist aber um so mehr Gewicht auf die kunstgewerbliche Verarbeitung zu legen. Auch die Ambroid- sabrikatiou würde durch eine Einschränkung der Ausbeute erschwert und ge¬ lähmt, ihr Wettbewerb mit dem Naturbernstein sehr beschränkt werden. Es wäre zunächst notwendig, um einen Umschwung in der deutschen Vernsteinverarbeitung hervorzubringen, eine mit einer Lehrwerkstätte verbundne Fachschule oder Fachabteilung für solche Arbeit zu schaffen, die in der Pro- Grenzboten II 1899 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/305>, abgerufen am 28.09.2024.