Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Aufstand beginnen und die Fremden fortschaffen, hier sei alles bereit, find jetzt
in die kläglichste Notwendigkeit versetzt, ihre blinde Wut bloß in Pasquillen
auszuschütten." Auch Feuerbach hatte in seinem neuen Wirkungskreise An¬
feindungen der widerlichsten Art zu erdulden, er erwies sich aber schlauer als
seine Gegner. An demselben Sonntag, an dem Thiersch das einfältige Billet
zugestellt wurde, kamen auch zu ihm Individuen in allerlei närrischen Ver¬
mummungen: Hundescherer, Lorgnettenfabrikanten, Mädchen mit Schachteln
voll von Pasquillen und solche, die angeblich gestohlne Ringe bei ihm suchten.
Zuletzt erschiene" noch die Totengräber, um ihn in den Sarg zu legen. Feuer¬
bach war sofort zum Polizeidirektor geeilt, die seltsamen Gäste wurden ein¬
gesteckt. Das Gerücht von alledem war bis zum Könige gedrungen. Der edle
Monarch glaubte dem Angegriffnen eine Erklärung schuldig zu sein. "Ich weiß
es, Sie sind durch die Bübereien den Winter hindurch angegriffen und wollen
von mir fort; als Freund muß ich Ihnen raten, zu bleiben, und als König
es befehlen, denn es wird weder Ihnen Ehre bringen, wenn Sie den Schein
geben, sich von Buben verdrängen zu laisser, die Sie und Ihren Geist fürchten
und deshalb über Ihren Abzug frohlocken würden, als König aber will ich
nicht zugeben, daß man sage, ich habe Sie nicht in meiner Nähe zu halten
gewußt und sei durch elende Intriguen genötigt worden, einen meiner treusten
und würdigsten Diener zu entfernen. Die Buben sollen nicht glauben, daß
sie mich zwingen können, zu thun, was ich nicht will." Mit diesen Worten
entließ ihn Max Joseph aufs freundlichste, und indem er ihm 2000 Gulden
aushändigen ließ, erlaubte er ihm, sich durch eine längere Reise neu zu stärken.

Trotzdem wurden die Gegner nicht eingeschüchtert. Noch war das letzte
Mittel, zu dem man in Bayern von jeher ohne viel Umstände gegriffen hatte,
nicht versucht. Es ließ nicht lange auf sich warten. Am 28. Februar 1811
ging Thiersch gegen neun Uhr abends vom Präsidenten Jacobi nach Hause.
Als er in die kleine und einsame Gasse zwischen der Akademie und dem
Studiengebnude, in dem jetzt das Ghmnasium der Benediktiner liegt, kam,
ging vor ihm einer seiner Kollegen, Professor Urban, mit einem Knaben, den
er bei sich hatte, ebenfalls nach der gemeinsamen Hausthüre. Er war schon
in das Haus getreten und im Begriff, sie hinter sich wieder zu verschließen.
Thiersch trat unmittelbar hinter ihm auf die Schwelle. Zu dem Augenblick,
wo er die Klinke drückte, fühlte er im Nacken eine heftige Erschütterung, wie
vom Schlage eines Hammers, die ihn in das Haus hineinwarf. Er sah noch
den Kerl in einen dunkeln Mantel entspringen und griff jetzt nach dem Nacken,
wo er nun einen Dolch stecken fühlte. Um sich nicht zu verbluten, ließ er
den Dolch in der Wunde und ging auf seine Stube. Die Wunde erwies sich
als nicht lebensgefährlich, das Messer war durch den Hut und zwischen den
Ohren in den Kopf gedrungen, ohne aber den Knochen zu durchstechen, war
daran herabgefahren und im Fleisch des Nackens sitzen geblieben. Der Vorfall'


Grenztwtkttit 1M9 Si!
Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Aufstand beginnen und die Fremden fortschaffen, hier sei alles bereit, find jetzt
in die kläglichste Notwendigkeit versetzt, ihre blinde Wut bloß in Pasquillen
auszuschütten." Auch Feuerbach hatte in seinem neuen Wirkungskreise An¬
feindungen der widerlichsten Art zu erdulden, er erwies sich aber schlauer als
seine Gegner. An demselben Sonntag, an dem Thiersch das einfältige Billet
zugestellt wurde, kamen auch zu ihm Individuen in allerlei närrischen Ver¬
mummungen: Hundescherer, Lorgnettenfabrikanten, Mädchen mit Schachteln
voll von Pasquillen und solche, die angeblich gestohlne Ringe bei ihm suchten.
Zuletzt erschiene» noch die Totengräber, um ihn in den Sarg zu legen. Feuer¬
bach war sofort zum Polizeidirektor geeilt, die seltsamen Gäste wurden ein¬
gesteckt. Das Gerücht von alledem war bis zum Könige gedrungen. Der edle
Monarch glaubte dem Angegriffnen eine Erklärung schuldig zu sein. „Ich weiß
es, Sie sind durch die Bübereien den Winter hindurch angegriffen und wollen
von mir fort; als Freund muß ich Ihnen raten, zu bleiben, und als König
es befehlen, denn es wird weder Ihnen Ehre bringen, wenn Sie den Schein
geben, sich von Buben verdrängen zu laisser, die Sie und Ihren Geist fürchten
und deshalb über Ihren Abzug frohlocken würden, als König aber will ich
nicht zugeben, daß man sage, ich habe Sie nicht in meiner Nähe zu halten
gewußt und sei durch elende Intriguen genötigt worden, einen meiner treusten
und würdigsten Diener zu entfernen. Die Buben sollen nicht glauben, daß
sie mich zwingen können, zu thun, was ich nicht will." Mit diesen Worten
entließ ihn Max Joseph aufs freundlichste, und indem er ihm 2000 Gulden
aushändigen ließ, erlaubte er ihm, sich durch eine längere Reise neu zu stärken.

Trotzdem wurden die Gegner nicht eingeschüchtert. Noch war das letzte
Mittel, zu dem man in Bayern von jeher ohne viel Umstände gegriffen hatte,
nicht versucht. Es ließ nicht lange auf sich warten. Am 28. Februar 1811
ging Thiersch gegen neun Uhr abends vom Präsidenten Jacobi nach Hause.
Als er in die kleine und einsame Gasse zwischen der Akademie und dem
Studiengebnude, in dem jetzt das Ghmnasium der Benediktiner liegt, kam,
ging vor ihm einer seiner Kollegen, Professor Urban, mit einem Knaben, den
er bei sich hatte, ebenfalls nach der gemeinsamen Hausthüre. Er war schon
in das Haus getreten und im Begriff, sie hinter sich wieder zu verschließen.
Thiersch trat unmittelbar hinter ihm auf die Schwelle. Zu dem Augenblick,
wo er die Klinke drückte, fühlte er im Nacken eine heftige Erschütterung, wie
vom Schlage eines Hammers, die ihn in das Haus hineinwarf. Er sah noch
den Kerl in einen dunkeln Mantel entspringen und griff jetzt nach dem Nacken,
wo er nun einen Dolch stecken fühlte. Um sich nicht zu verbluten, ließ er
den Dolch in der Wunde und ging auf seine Stube. Die Wunde erwies sich
als nicht lebensgefährlich, das Messer war durch den Hut und zwischen den
Ohren in den Kopf gedrungen, ohne aber den Knochen zu durchstechen, war
daran herabgefahren und im Fleisch des Nackens sitzen geblieben. Der Vorfall'


Grenztwtkttit 1M9 Si!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230641"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie Bayern ein moderner Staat wurde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> Aufstand beginnen und die Fremden fortschaffen, hier sei alles bereit, find jetzt<lb/>
in die kläglichste Notwendigkeit versetzt, ihre blinde Wut bloß in Pasquillen<lb/>
auszuschütten." Auch Feuerbach hatte in seinem neuen Wirkungskreise An¬<lb/>
feindungen der widerlichsten Art zu erdulden, er erwies sich aber schlauer als<lb/>
seine Gegner. An demselben Sonntag, an dem Thiersch das einfältige Billet<lb/>
zugestellt wurde, kamen auch zu ihm Individuen in allerlei närrischen Ver¬<lb/>
mummungen: Hundescherer, Lorgnettenfabrikanten, Mädchen mit Schachteln<lb/>
voll von Pasquillen und solche, die angeblich gestohlne Ringe bei ihm suchten.<lb/>
Zuletzt erschiene» noch die Totengräber, um ihn in den Sarg zu legen. Feuer¬<lb/>
bach war sofort zum Polizeidirektor geeilt, die seltsamen Gäste wurden ein¬<lb/>
gesteckt. Das Gerücht von alledem war bis zum Könige gedrungen. Der edle<lb/>
Monarch glaubte dem Angegriffnen eine Erklärung schuldig zu sein. &#x201E;Ich weiß<lb/>
es, Sie sind durch die Bübereien den Winter hindurch angegriffen und wollen<lb/>
von mir fort; als Freund muß ich Ihnen raten, zu bleiben, und als König<lb/>
es befehlen, denn es wird weder Ihnen Ehre bringen, wenn Sie den Schein<lb/>
geben, sich von Buben verdrängen zu laisser, die Sie und Ihren Geist fürchten<lb/>
und deshalb über Ihren Abzug frohlocken würden, als König aber will ich<lb/>
nicht zugeben, daß man sage, ich habe Sie nicht in meiner Nähe zu halten<lb/>
gewußt und sei durch elende Intriguen genötigt worden, einen meiner treusten<lb/>
und würdigsten Diener zu entfernen. Die Buben sollen nicht glauben, daß<lb/>
sie mich zwingen können, zu thun, was ich nicht will." Mit diesen Worten<lb/>
entließ ihn Max Joseph aufs freundlichste, und indem er ihm 2000 Gulden<lb/>
aushändigen ließ, erlaubte er ihm, sich durch eine längere Reise neu zu stärken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659" next="#ID_660"> Trotzdem wurden die Gegner nicht eingeschüchtert. Noch war das letzte<lb/>
Mittel, zu dem man in Bayern von jeher ohne viel Umstände gegriffen hatte,<lb/>
nicht versucht. Es ließ nicht lange auf sich warten. Am 28. Februar 1811<lb/>
ging Thiersch gegen neun Uhr abends vom Präsidenten Jacobi nach Hause.<lb/>
Als er in die kleine und einsame Gasse zwischen der Akademie und dem<lb/>
Studiengebnude, in dem jetzt das Ghmnasium der Benediktiner liegt, kam,<lb/>
ging vor ihm einer seiner Kollegen, Professor Urban, mit einem Knaben, den<lb/>
er bei sich hatte, ebenfalls nach der gemeinsamen Hausthüre. Er war schon<lb/>
in das Haus getreten und im Begriff, sie hinter sich wieder zu verschließen.<lb/>
Thiersch trat unmittelbar hinter ihm auf die Schwelle. Zu dem Augenblick,<lb/>
wo er die Klinke drückte, fühlte er im Nacken eine heftige Erschütterung, wie<lb/>
vom Schlage eines Hammers, die ihn in das Haus hineinwarf. Er sah noch<lb/>
den Kerl in einen dunkeln Mantel entspringen und griff jetzt nach dem Nacken,<lb/>
wo er nun einen Dolch stecken fühlte. Um sich nicht zu verbluten, ließ er<lb/>
den Dolch in der Wunde und ging auf seine Stube. Die Wunde erwies sich<lb/>
als nicht lebensgefährlich, das Messer war durch den Hut und zwischen den<lb/>
Ohren in den Kopf gedrungen, ohne aber den Knochen zu durchstechen, war<lb/>
daran herabgefahren und im Fleisch des Nackens sitzen geblieben. Der Vorfall'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenztwtkttit 1M9 Si!</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Wie Bayern ein moderner Staat wurde Aufstand beginnen und die Fremden fortschaffen, hier sei alles bereit, find jetzt in die kläglichste Notwendigkeit versetzt, ihre blinde Wut bloß in Pasquillen auszuschütten." Auch Feuerbach hatte in seinem neuen Wirkungskreise An¬ feindungen der widerlichsten Art zu erdulden, er erwies sich aber schlauer als seine Gegner. An demselben Sonntag, an dem Thiersch das einfältige Billet zugestellt wurde, kamen auch zu ihm Individuen in allerlei närrischen Ver¬ mummungen: Hundescherer, Lorgnettenfabrikanten, Mädchen mit Schachteln voll von Pasquillen und solche, die angeblich gestohlne Ringe bei ihm suchten. Zuletzt erschiene» noch die Totengräber, um ihn in den Sarg zu legen. Feuer¬ bach war sofort zum Polizeidirektor geeilt, die seltsamen Gäste wurden ein¬ gesteckt. Das Gerücht von alledem war bis zum Könige gedrungen. Der edle Monarch glaubte dem Angegriffnen eine Erklärung schuldig zu sein. „Ich weiß es, Sie sind durch die Bübereien den Winter hindurch angegriffen und wollen von mir fort; als Freund muß ich Ihnen raten, zu bleiben, und als König es befehlen, denn es wird weder Ihnen Ehre bringen, wenn Sie den Schein geben, sich von Buben verdrängen zu laisser, die Sie und Ihren Geist fürchten und deshalb über Ihren Abzug frohlocken würden, als König aber will ich nicht zugeben, daß man sage, ich habe Sie nicht in meiner Nähe zu halten gewußt und sei durch elende Intriguen genötigt worden, einen meiner treusten und würdigsten Diener zu entfernen. Die Buben sollen nicht glauben, daß sie mich zwingen können, zu thun, was ich nicht will." Mit diesen Worten entließ ihn Max Joseph aufs freundlichste, und indem er ihm 2000 Gulden aushändigen ließ, erlaubte er ihm, sich durch eine längere Reise neu zu stärken. Trotzdem wurden die Gegner nicht eingeschüchtert. Noch war das letzte Mittel, zu dem man in Bayern von jeher ohne viel Umstände gegriffen hatte, nicht versucht. Es ließ nicht lange auf sich warten. Am 28. Februar 1811 ging Thiersch gegen neun Uhr abends vom Präsidenten Jacobi nach Hause. Als er in die kleine und einsame Gasse zwischen der Akademie und dem Studiengebnude, in dem jetzt das Ghmnasium der Benediktiner liegt, kam, ging vor ihm einer seiner Kollegen, Professor Urban, mit einem Knaben, den er bei sich hatte, ebenfalls nach der gemeinsamen Hausthüre. Er war schon in das Haus getreten und im Begriff, sie hinter sich wieder zu verschließen. Thiersch trat unmittelbar hinter ihm auf die Schwelle. Zu dem Augenblick, wo er die Klinke drückte, fühlte er im Nacken eine heftige Erschütterung, wie vom Schlage eines Hammers, die ihn in das Haus hineinwarf. Er sah noch den Kerl in einen dunkeln Mantel entspringen und griff jetzt nach dem Nacken, wo er nun einen Dolch stecken fühlte. Um sich nicht zu verbluten, ließ er den Dolch in der Wunde und ging auf seine Stube. Die Wunde erwies sich als nicht lebensgefährlich, das Messer war durch den Hut und zwischen den Ohren in den Kopf gedrungen, ohne aber den Knochen zu durchstechen, war daran herabgefahren und im Fleisch des Nackens sitzen geblieben. Der Vorfall' Grenztwtkttit 1M9 Si!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/209>, abgerufen am 28.09.2024.