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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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U)le Bayer" ein moderner Staat wurde

erregte das größte Aufsehen. Thiersch schrieb an den König, um ihn darauf
aufmerksam zu machen, daß dieses Attentat nicht aus persönlichem Haß gegen
ihn gewagt worden sei, sondern daß es offenbar mit den frühern Anschlägen
gegen ihn und seine Freunde zusammenhange, und daß man ihn habe morden
wollen, um die andern zu erschrecken und zu verscheuchen. Feuerbach schrieb
damals an seinen Vater: "Der Mörder kann fast mit den Händen gedeutet
werden." Von der des Meuchelmordes allgemein bezichtigten Partei erschien
eine Schrift: "Aktenmäßige Aufschlüsse über den im Jahre 1811 auf den
Professor Thiersch in München versuchten meuchelmörderischen Anfall." Die
darin niedergelegte Ansicht, daß ein Verrückter, der anderthalb Jahre später im
Irrenhause starb, die That aus Eifersucht gethan habe, ist jedenfalls unrichtig,
da Thiersch in keinerlei Beziehung zum weiblichen Geschlechte stand. Erschreckt
wurden die Fremden allerdings, aber nicht verscheucht. Feuerbach ging seit
dem Vorfall abends nicht mehr auf die Straße, bei Tage mied er entferntere
Gegenden. Führte ihn sein Beruf weiter hinaus, so hatte er immer einen
Bedienten, zwei gut geladne Terzerole und eiuen tüchtigen Degen in seinem
Rocke. Nachts wurden alle Zugänge zu seiner Schlafstube wohl verriegelt,
auf dem Nachttische lagen zwei Pistolen.

So kam das Jahr 1813 heran. Bayern hatte das Jahr vorher zu der
großen Armee nach Rußland 30000 Mann gestellt, von denen nur wenige
zurückkehrten. Die ersten nnentschiednen Kämpfe wurden im Norden unsers
Vaterlandes gefochten -- Bayern verhielt sich ruhig. Ihm galt die ganze,
ewig ruhmwürdige Erhebung des preußischen Volkes als ein tollkühnes Unter¬
nehmen, von dem sich jeder Vernünftige fernhalten müsse. Von deutschem
nationalem Gefühl war so viel wie nichts in den altbayrischen Landen zu
spüren, die gegenüber den neuen fremdartigen Erwerbungen damals schon, wie
noch später, den Ton angaben. Woher auch? Für den Bayern gab es nur
ein Bayern, außerdem vielleicht uoch das stammverwandte Österreich und das
geistesverbündete Rom. In den letzten Jahren war noch das französische
Kaiserreich dazu getreten, das Bayern auf Gesamtkosteu Deutschlands und seiner
Einheitsbestrebungen groß gemacht hatte. Das Neinigungsfeuer der schweren
Not, die über Preußen hereingebrochen war, verschonte das neue Königreich.
Wie viel besser würde es gewesen sein, wenn Bayern an sich selbst das Schicksal
Preußens erlebt hätte! So blieben ihm die Wonnen der Siegesfreude, die
der am reichsten empfindet, der am tiefsten gelitten hat, fremd. Die teuersten
Güter des Lebens mußte Preußen mit seinem Herzblute wieder erkämpfen, aber
es lernte dafür auch in der bösen Zeit den Blick nach innen richten und die
argen Gebrechen erkennen, und in der großen Erhebung des Volkes vom
Jahre 1813 zeigte es, daß die Einkehr eine Umkehr geworden war.

In Bayern dagegen war es weder Sympathie noch Antipathie, was den
endlichen Anschluß an die verbündeten Mächte veranlaßte. Wird Preußen,


U)le Bayer» ein moderner Staat wurde

erregte das größte Aufsehen. Thiersch schrieb an den König, um ihn darauf
aufmerksam zu machen, daß dieses Attentat nicht aus persönlichem Haß gegen
ihn gewagt worden sei, sondern daß es offenbar mit den frühern Anschlägen
gegen ihn und seine Freunde zusammenhange, und daß man ihn habe morden
wollen, um die andern zu erschrecken und zu verscheuchen. Feuerbach schrieb
damals an seinen Vater: „Der Mörder kann fast mit den Händen gedeutet
werden." Von der des Meuchelmordes allgemein bezichtigten Partei erschien
eine Schrift: „Aktenmäßige Aufschlüsse über den im Jahre 1811 auf den
Professor Thiersch in München versuchten meuchelmörderischen Anfall." Die
darin niedergelegte Ansicht, daß ein Verrückter, der anderthalb Jahre später im
Irrenhause starb, die That aus Eifersucht gethan habe, ist jedenfalls unrichtig,
da Thiersch in keinerlei Beziehung zum weiblichen Geschlechte stand. Erschreckt
wurden die Fremden allerdings, aber nicht verscheucht. Feuerbach ging seit
dem Vorfall abends nicht mehr auf die Straße, bei Tage mied er entferntere
Gegenden. Führte ihn sein Beruf weiter hinaus, so hatte er immer einen
Bedienten, zwei gut geladne Terzerole und eiuen tüchtigen Degen in seinem
Rocke. Nachts wurden alle Zugänge zu seiner Schlafstube wohl verriegelt,
auf dem Nachttische lagen zwei Pistolen.

So kam das Jahr 1813 heran. Bayern hatte das Jahr vorher zu der
großen Armee nach Rußland 30000 Mann gestellt, von denen nur wenige
zurückkehrten. Die ersten nnentschiednen Kämpfe wurden im Norden unsers
Vaterlandes gefochten — Bayern verhielt sich ruhig. Ihm galt die ganze,
ewig ruhmwürdige Erhebung des preußischen Volkes als ein tollkühnes Unter¬
nehmen, von dem sich jeder Vernünftige fernhalten müsse. Von deutschem
nationalem Gefühl war so viel wie nichts in den altbayrischen Landen zu
spüren, die gegenüber den neuen fremdartigen Erwerbungen damals schon, wie
noch später, den Ton angaben. Woher auch? Für den Bayern gab es nur
ein Bayern, außerdem vielleicht uoch das stammverwandte Österreich und das
geistesverbündete Rom. In den letzten Jahren war noch das französische
Kaiserreich dazu getreten, das Bayern auf Gesamtkosteu Deutschlands und seiner
Einheitsbestrebungen groß gemacht hatte. Das Neinigungsfeuer der schweren
Not, die über Preußen hereingebrochen war, verschonte das neue Königreich.
Wie viel besser würde es gewesen sein, wenn Bayern an sich selbst das Schicksal
Preußens erlebt hätte! So blieben ihm die Wonnen der Siegesfreude, die
der am reichsten empfindet, der am tiefsten gelitten hat, fremd. Die teuersten
Güter des Lebens mußte Preußen mit seinem Herzblute wieder erkämpfen, aber
es lernte dafür auch in der bösen Zeit den Blick nach innen richten und die
argen Gebrechen erkennen, und in der großen Erhebung des Volkes vom
Jahre 1813 zeigte es, daß die Einkehr eine Umkehr geworden war.

In Bayern dagegen war es weder Sympathie noch Antipathie, was den
endlichen Anschluß an die verbündeten Mächte veranlaßte. Wird Preußen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/210>, abgerufen am 28.09.2024.