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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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ivie Bayern ein moderner Staat wurde

gegen die Furcht vor der Strafe abstumpfen, viel mehr eine Ursache von Ver¬
brechen, als ein Mittel dagegen. Ein Gesetz aber muß seine unbedachtsame
Strenge in immer wachsender Progression zum Extrem aller möglichen Grau¬
samkeiten hinaufsteigern, damit der vorige Stachel, gegen den sich immer die
Gemüter abstumpfen, eine neue schneidendere Spitze bekomme. Jener Kodex
verminderte nicht die Verbrechen, diese vermehrten sich vielmehr, sowie sich die
Galgen und Räder an den Straßen vermehrten.

Der Kodex drohte dem Duell nur dann die Todesstrafe, wenn eine Ent-
leibung geschehen ist. Eine Verordnung vou 1773 droht jedem Duellanten,
dem Urheber wie dem Teilnehmer das Schwert an, und eine Verordnung von
1779 setzt hinzu: die Todesstrafe soll ohne alle Weitläufigkeit nach bloß sum¬
marischen Prozeß erkannt und, wenn im Duell eine Tötung erfolgt ist, der
Entleibte vornehmen Stands auf dem Schindanger verscharrt, ein andrer an
dem Galgen aufgehängt werden. Im Jahre 1781 erschien eine Verordnung,
wonach im gelindesten Fall der Räuber einfach gerädert wird; wenn er den
Beraubten gebunden oder geschlagen hat, wird er lebendig, ohne vorhergehendes
Erdrosseln gerädert. Wenn der Beraubte an den Mißhandlungen gestorben ist,
wird der Räuber lebendig gerädert, empfängt den Gnadenstoß erst nach zwei oder
drei Stunden, alsdann wird sein Körper gevierteilt und stückweise auf öffent¬
lichen Straßen aufgehängt. Noch schienen die Qualen des Verbrechers die
gewünschte Höhe nicht erreicht zu haben -- in einer Verordnung aus derselben
Zeit läßt sich der Gesetzgeber herab, deu Scharfrichter zu instruieren, wie viele
Minuten er bei Exekution der Strafe des Rades zwischen jedem Stoße pau¬
sieren soll. Welch niedrigen Begriff mußten die regierenden Herren voll dem
Ehrgefühl der Bevölkerung haben, wenn sie einem Jnjnrmnten vornehmen
Standes, der einen andern desselben Standes durch Thätlichkeiten beleidigt
hat, die Zumutung machen, nicht nur knieend Abbitte zu thun, sondern auch
dem Beleidigten zu erklären, daß er eben so viel Schläge, als er ihm gegeben,
wieder zu empfangen gewärtig sei, oder ihm sonst danken wolle, wenn er ihm
diese Schläge in Güte nachlassen würde. Die Beisitzer des Scharfrichters
waren schon 1772 als kostspielige und überflüssige Einrichtung beseitigt worden.
Kein Zuchthaus war mehr geräumig genug, die Delinquenten aufzunehmen,
ein Grund mehr, "diese so schädliche und dem Publiko höchst beschwerlich
fallende törrav xond"zrg,(!)" auf kurzem Wege beiseite zu schaffen. Noch im
Jahre 1805 wurden in einer einzigen Stadt fünf bis sieben Personen inner¬
halb vierzehn Tagen gefoltert.

Dieser Zustand war es, der die Regierung bestimmte, Feuerbach ^mit der
Abfassung eines neuen Strafgesetzbuchs zu betrauen. Wie er diese schwierige
Aufgabe löste -- galt es doch, für die vielen zu einem neuen bayrischen
Staate bunt zusammengewürfelten Territorien und ihre einander oft schnur¬
stracks entgegenstehende,! Strafgesetze eine höhere, das Getrennte möglichst ver-


ivie Bayern ein moderner Staat wurde

gegen die Furcht vor der Strafe abstumpfen, viel mehr eine Ursache von Ver¬
brechen, als ein Mittel dagegen. Ein Gesetz aber muß seine unbedachtsame
Strenge in immer wachsender Progression zum Extrem aller möglichen Grau¬
samkeiten hinaufsteigern, damit der vorige Stachel, gegen den sich immer die
Gemüter abstumpfen, eine neue schneidendere Spitze bekomme. Jener Kodex
verminderte nicht die Verbrechen, diese vermehrten sich vielmehr, sowie sich die
Galgen und Räder an den Straßen vermehrten.

Der Kodex drohte dem Duell nur dann die Todesstrafe, wenn eine Ent-
leibung geschehen ist. Eine Verordnung vou 1773 droht jedem Duellanten,
dem Urheber wie dem Teilnehmer das Schwert an, und eine Verordnung von
1779 setzt hinzu: die Todesstrafe soll ohne alle Weitläufigkeit nach bloß sum¬
marischen Prozeß erkannt und, wenn im Duell eine Tötung erfolgt ist, der
Entleibte vornehmen Stands auf dem Schindanger verscharrt, ein andrer an
dem Galgen aufgehängt werden. Im Jahre 1781 erschien eine Verordnung,
wonach im gelindesten Fall der Räuber einfach gerädert wird; wenn er den
Beraubten gebunden oder geschlagen hat, wird er lebendig, ohne vorhergehendes
Erdrosseln gerädert. Wenn der Beraubte an den Mißhandlungen gestorben ist,
wird der Räuber lebendig gerädert, empfängt den Gnadenstoß erst nach zwei oder
drei Stunden, alsdann wird sein Körper gevierteilt und stückweise auf öffent¬
lichen Straßen aufgehängt. Noch schienen die Qualen des Verbrechers die
gewünschte Höhe nicht erreicht zu haben — in einer Verordnung aus derselben
Zeit läßt sich der Gesetzgeber herab, deu Scharfrichter zu instruieren, wie viele
Minuten er bei Exekution der Strafe des Rades zwischen jedem Stoße pau¬
sieren soll. Welch niedrigen Begriff mußten die regierenden Herren voll dem
Ehrgefühl der Bevölkerung haben, wenn sie einem Jnjnrmnten vornehmen
Standes, der einen andern desselben Standes durch Thätlichkeiten beleidigt
hat, die Zumutung machen, nicht nur knieend Abbitte zu thun, sondern auch
dem Beleidigten zu erklären, daß er eben so viel Schläge, als er ihm gegeben,
wieder zu empfangen gewärtig sei, oder ihm sonst danken wolle, wenn er ihm
diese Schläge in Güte nachlassen würde. Die Beisitzer des Scharfrichters
waren schon 1772 als kostspielige und überflüssige Einrichtung beseitigt worden.
Kein Zuchthaus war mehr geräumig genug, die Delinquenten aufzunehmen,
ein Grund mehr, „diese so schädliche und dem Publiko höchst beschwerlich
fallende törrav xond«zrg,(!)" auf kurzem Wege beiseite zu schaffen. Noch im
Jahre 1805 wurden in einer einzigen Stadt fünf bis sieben Personen inner¬
halb vierzehn Tagen gefoltert.

Dieser Zustand war es, der die Regierung bestimmte, Feuerbach ^mit der
Abfassung eines neuen Strafgesetzbuchs zu betrauen. Wie er diese schwierige
Aufgabe löste — galt es doch, für die vielen zu einem neuen bayrischen
Staate bunt zusammengewürfelten Territorien und ihre einander oft schnur¬
stracks entgegenstehende,! Strafgesetze eine höhere, das Getrennte möglichst ver-


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[0203] ivie Bayern ein moderner Staat wurde gegen die Furcht vor der Strafe abstumpfen, viel mehr eine Ursache von Ver¬ brechen, als ein Mittel dagegen. Ein Gesetz aber muß seine unbedachtsame Strenge in immer wachsender Progression zum Extrem aller möglichen Grau¬ samkeiten hinaufsteigern, damit der vorige Stachel, gegen den sich immer die Gemüter abstumpfen, eine neue schneidendere Spitze bekomme. Jener Kodex verminderte nicht die Verbrechen, diese vermehrten sich vielmehr, sowie sich die Galgen und Räder an den Straßen vermehrten. Der Kodex drohte dem Duell nur dann die Todesstrafe, wenn eine Ent- leibung geschehen ist. Eine Verordnung vou 1773 droht jedem Duellanten, dem Urheber wie dem Teilnehmer das Schwert an, und eine Verordnung von 1779 setzt hinzu: die Todesstrafe soll ohne alle Weitläufigkeit nach bloß sum¬ marischen Prozeß erkannt und, wenn im Duell eine Tötung erfolgt ist, der Entleibte vornehmen Stands auf dem Schindanger verscharrt, ein andrer an dem Galgen aufgehängt werden. Im Jahre 1781 erschien eine Verordnung, wonach im gelindesten Fall der Räuber einfach gerädert wird; wenn er den Beraubten gebunden oder geschlagen hat, wird er lebendig, ohne vorhergehendes Erdrosseln gerädert. Wenn der Beraubte an den Mißhandlungen gestorben ist, wird der Räuber lebendig gerädert, empfängt den Gnadenstoß erst nach zwei oder drei Stunden, alsdann wird sein Körper gevierteilt und stückweise auf öffent¬ lichen Straßen aufgehängt. Noch schienen die Qualen des Verbrechers die gewünschte Höhe nicht erreicht zu haben — in einer Verordnung aus derselben Zeit läßt sich der Gesetzgeber herab, deu Scharfrichter zu instruieren, wie viele Minuten er bei Exekution der Strafe des Rades zwischen jedem Stoße pau¬ sieren soll. Welch niedrigen Begriff mußten die regierenden Herren voll dem Ehrgefühl der Bevölkerung haben, wenn sie einem Jnjnrmnten vornehmen Standes, der einen andern desselben Standes durch Thätlichkeiten beleidigt hat, die Zumutung machen, nicht nur knieend Abbitte zu thun, sondern auch dem Beleidigten zu erklären, daß er eben so viel Schläge, als er ihm gegeben, wieder zu empfangen gewärtig sei, oder ihm sonst danken wolle, wenn er ihm diese Schläge in Güte nachlassen würde. Die Beisitzer des Scharfrichters waren schon 1772 als kostspielige und überflüssige Einrichtung beseitigt worden. Kein Zuchthaus war mehr geräumig genug, die Delinquenten aufzunehmen, ein Grund mehr, „diese so schädliche und dem Publiko höchst beschwerlich fallende törrav xond«zrg,(!)" auf kurzem Wege beiseite zu schaffen. Noch im Jahre 1805 wurden in einer einzigen Stadt fünf bis sieben Personen inner¬ halb vierzehn Tagen gefoltert. Dieser Zustand war es, der die Regierung bestimmte, Feuerbach ^mit der Abfassung eines neuen Strafgesetzbuchs zu betrauen. Wie er diese schwierige Aufgabe löste — galt es doch, für die vielen zu einem neuen bayrischen Staate bunt zusammengewürfelten Territorien und ihre einander oft schnur¬ stracks entgegenstehende,! Strafgesetze eine höhere, das Getrennte möglichst ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/203>, abgerufen am 28.09.2024.