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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Wiedergebenden Worte gaben dem im Dunkel schleichenden gefährlichen Kollegen
den Vorwand, seinen Wert als Lehrer vor seinen Schülern herabzusetzen und
das Vertrauen, das ihm die studierende Jugend entgegenbrachte, zu unter¬
graben. Als vollends Feuerbach von der Negierung mit dem Entwurf eines
neuen Strafgesetzbuchs beauftragt wurde, brach der Grimm gegen ihn in
lodernden Flammen aus. Niemand eignete sich besser zu der schwierigen Auf¬
gabe als Feuerbach. Ju einer ausführlichen Denkschrift verbreitete er sich über
die Mängel der alten Gesetzgebung. Wir entnehmen ihr nachstehende lehr¬
reiche Notizen.

Schon im Jahre 1616 erschien eine besondre Malefizordnung für die
Herzogtümer Ober- und Niederbayern, wodurch zwar Karls V. peinliche Ge¬
richtsordnung nicht aufgehoben, aber in wesentlichen Punkten erweitert und
verbessert werden sollte. Ihr Hauptzweck war die Organisierung des Jnqui-
sitionsprozesses; auch weht in ihr ein freundlicher Geist der Humanität. Sie
verbot die Strafe des Ertränkens und milderte den Tod jedes zum Feuertod
Verurteilten durch das vorhergehende Erdrosseln. Der Gotteslästerung droht
sie nur Geldbuße oder Beschimpfung, in Wiederholungsfällen die Kirchenbuße;
den Dieb, der nur fünf Gulden gestohlen hatte, spricht sie ausdrücklich von
der Strafe frei. Dieser Strafkodex mußte im Jahre 1751 dem von Kreitmahr
entworfnen Ooäsx M'is L^og-rivi eriminalis weichen. Die Strafbestimmungen
dieses Kodex sind fast durchweg in Dracos Geist gedacht. Das Lebendig¬
verbrennen ist wieder eingeführt, der Verbrecher wird zuweilen gerädert und
ohne Gnadenstoß lebendig auf das Rad gelegt, die Todesstrafe wird geschärft
durch Zangenreißen, durch Ausschneiden der Zunge und dadurch, daß dem
Verurteilten aus dem lebendigen Leibe Riemen geschnitten werden. Wer
zwanzig Gulden stiehlt, hat den Strang verwirkt. Kommt eine ledige Weibs¬
person heimlich nieder, und wird das Kind tot gefunden, so soll sie mit der
Entschuldigung, als sei das Kind tot abgegangen, nicht angehört und wie eine
erwiesene Kindsmörderin mit dem Schwerte hingerichtet werden. Auf die
Blutschande in gerader Linie folgt die Feuerstrafe, auf Bigamie Schwert, auf
den Abfall vom katholischen Glauben Schwert und Güterkonfiskation, auf
Gotteslästerung Feuer oder Schwert, alle ausländischen Bettler und andre
herumschweifende Personen, wenn sie zum erstenmal betreten werden und nichts
verübt haben, werden über die Grenze geschafft, nachdem ihnen vorher der
Buchstabe L zum Andenken aufgebrannt worden ist, wenn sie sich aber wieder
betreten lassen, ist Schwert oder Strang ihr Los. Der Richter hat alle Mittel,
um in dem Angeklagten den Schuldigen zu finden, aber der Angeklagte fast
nicht ein einziges, um seine Unschuld zu erweise". Ein entfernter Verdacht
begründet Spezialinquisition, auf nahe Anzeige wird der Leugnende der Tortur
unterworfen. Dem Angeklagten war niemals eine Verteidigung erlaubt, alle
Berufungen Ware" unstatthaft. Grausame Gesetze sind, indem sie die Gemüter


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Wiedergebenden Worte gaben dem im Dunkel schleichenden gefährlichen Kollegen
den Vorwand, seinen Wert als Lehrer vor seinen Schülern herabzusetzen und
das Vertrauen, das ihm die studierende Jugend entgegenbrachte, zu unter¬
graben. Als vollends Feuerbach von der Negierung mit dem Entwurf eines
neuen Strafgesetzbuchs beauftragt wurde, brach der Grimm gegen ihn in
lodernden Flammen aus. Niemand eignete sich besser zu der schwierigen Auf¬
gabe als Feuerbach. Ju einer ausführlichen Denkschrift verbreitete er sich über
die Mängel der alten Gesetzgebung. Wir entnehmen ihr nachstehende lehr¬
reiche Notizen.

Schon im Jahre 1616 erschien eine besondre Malefizordnung für die
Herzogtümer Ober- und Niederbayern, wodurch zwar Karls V. peinliche Ge¬
richtsordnung nicht aufgehoben, aber in wesentlichen Punkten erweitert und
verbessert werden sollte. Ihr Hauptzweck war die Organisierung des Jnqui-
sitionsprozesses; auch weht in ihr ein freundlicher Geist der Humanität. Sie
verbot die Strafe des Ertränkens und milderte den Tod jedes zum Feuertod
Verurteilten durch das vorhergehende Erdrosseln. Der Gotteslästerung droht
sie nur Geldbuße oder Beschimpfung, in Wiederholungsfällen die Kirchenbuße;
den Dieb, der nur fünf Gulden gestohlen hatte, spricht sie ausdrücklich von
der Strafe frei. Dieser Strafkodex mußte im Jahre 1751 dem von Kreitmahr
entworfnen Ooäsx M'is L^og-rivi eriminalis weichen. Die Strafbestimmungen
dieses Kodex sind fast durchweg in Dracos Geist gedacht. Das Lebendig¬
verbrennen ist wieder eingeführt, der Verbrecher wird zuweilen gerädert und
ohne Gnadenstoß lebendig auf das Rad gelegt, die Todesstrafe wird geschärft
durch Zangenreißen, durch Ausschneiden der Zunge und dadurch, daß dem
Verurteilten aus dem lebendigen Leibe Riemen geschnitten werden. Wer
zwanzig Gulden stiehlt, hat den Strang verwirkt. Kommt eine ledige Weibs¬
person heimlich nieder, und wird das Kind tot gefunden, so soll sie mit der
Entschuldigung, als sei das Kind tot abgegangen, nicht angehört und wie eine
erwiesene Kindsmörderin mit dem Schwerte hingerichtet werden. Auf die
Blutschande in gerader Linie folgt die Feuerstrafe, auf Bigamie Schwert, auf
den Abfall vom katholischen Glauben Schwert und Güterkonfiskation, auf
Gotteslästerung Feuer oder Schwert, alle ausländischen Bettler und andre
herumschweifende Personen, wenn sie zum erstenmal betreten werden und nichts
verübt haben, werden über die Grenze geschafft, nachdem ihnen vorher der
Buchstabe L zum Andenken aufgebrannt worden ist, wenn sie sich aber wieder
betreten lassen, ist Schwert oder Strang ihr Los. Der Richter hat alle Mittel,
um in dem Angeklagten den Schuldigen zu finden, aber der Angeklagte fast
nicht ein einziges, um seine Unschuld zu erweise». Ein entfernter Verdacht
begründet Spezialinquisition, auf nahe Anzeige wird der Leugnende der Tortur
unterworfen. Dem Angeklagten war niemals eine Verteidigung erlaubt, alle
Berufungen Ware» unstatthaft. Grausame Gesetze sind, indem sie die Gemüter


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[0202] Wie Bayern ein moderner Staat wurde Wiedergebenden Worte gaben dem im Dunkel schleichenden gefährlichen Kollegen den Vorwand, seinen Wert als Lehrer vor seinen Schülern herabzusetzen und das Vertrauen, das ihm die studierende Jugend entgegenbrachte, zu unter¬ graben. Als vollends Feuerbach von der Negierung mit dem Entwurf eines neuen Strafgesetzbuchs beauftragt wurde, brach der Grimm gegen ihn in lodernden Flammen aus. Niemand eignete sich besser zu der schwierigen Auf¬ gabe als Feuerbach. Ju einer ausführlichen Denkschrift verbreitete er sich über die Mängel der alten Gesetzgebung. Wir entnehmen ihr nachstehende lehr¬ reiche Notizen. Schon im Jahre 1616 erschien eine besondre Malefizordnung für die Herzogtümer Ober- und Niederbayern, wodurch zwar Karls V. peinliche Ge¬ richtsordnung nicht aufgehoben, aber in wesentlichen Punkten erweitert und verbessert werden sollte. Ihr Hauptzweck war die Organisierung des Jnqui- sitionsprozesses; auch weht in ihr ein freundlicher Geist der Humanität. Sie verbot die Strafe des Ertränkens und milderte den Tod jedes zum Feuertod Verurteilten durch das vorhergehende Erdrosseln. Der Gotteslästerung droht sie nur Geldbuße oder Beschimpfung, in Wiederholungsfällen die Kirchenbuße; den Dieb, der nur fünf Gulden gestohlen hatte, spricht sie ausdrücklich von der Strafe frei. Dieser Strafkodex mußte im Jahre 1751 dem von Kreitmahr entworfnen Ooäsx M'is L^og-rivi eriminalis weichen. Die Strafbestimmungen dieses Kodex sind fast durchweg in Dracos Geist gedacht. Das Lebendig¬ verbrennen ist wieder eingeführt, der Verbrecher wird zuweilen gerädert und ohne Gnadenstoß lebendig auf das Rad gelegt, die Todesstrafe wird geschärft durch Zangenreißen, durch Ausschneiden der Zunge und dadurch, daß dem Verurteilten aus dem lebendigen Leibe Riemen geschnitten werden. Wer zwanzig Gulden stiehlt, hat den Strang verwirkt. Kommt eine ledige Weibs¬ person heimlich nieder, und wird das Kind tot gefunden, so soll sie mit der Entschuldigung, als sei das Kind tot abgegangen, nicht angehört und wie eine erwiesene Kindsmörderin mit dem Schwerte hingerichtet werden. Auf die Blutschande in gerader Linie folgt die Feuerstrafe, auf Bigamie Schwert, auf den Abfall vom katholischen Glauben Schwert und Güterkonfiskation, auf Gotteslästerung Feuer oder Schwert, alle ausländischen Bettler und andre herumschweifende Personen, wenn sie zum erstenmal betreten werden und nichts verübt haben, werden über die Grenze geschafft, nachdem ihnen vorher der Buchstabe L zum Andenken aufgebrannt worden ist, wenn sie sich aber wieder betreten lassen, ist Schwert oder Strang ihr Los. Der Richter hat alle Mittel, um in dem Angeklagten den Schuldigen zu finden, aber der Angeklagte fast nicht ein einziges, um seine Unschuld zu erweise». Ein entfernter Verdacht begründet Spezialinquisition, auf nahe Anzeige wird der Leugnende der Tortur unterworfen. Dem Angeklagten war niemals eine Verteidigung erlaubt, alle Berufungen Ware» unstatthaft. Grausame Gesetze sind, indem sie die Gemüter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/202>, abgerufen am 20.10.2024.