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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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anleimte Einheit zu finden --, darüber ist nur eine Stimme der Anerkennung-
Das beste Zeugnis aber ist, daß das neue Strafgesetzbuch unmittelbar nach
seinem Erscheinen in Oldenburg eingeführt wurde. Eine öffentliche Be¬
schimpfung, die bei Gelegenheit einer Promotion Feuerbach durch einen Schüler
Gönners auf dessen Anstiftung widerfuhr, bestimmte den schwergekränkten,
seine akademische Stellung zu verlassen; bald darauf erfolgte seine Berufung
als geheimer Referendar ins Justizministerium nach München. Aber auch dort
sollte er nicht die ersehnte Ruhe finden.

Durch vielfache Berufungen fremder, namentlich sächsischer Gelehrten hatte
sich in der Hauptstadt ein Kreis ausgezeichneter Männer gebildet, die von
Montgelas ausersehen waren, das arg verkommne höhere und niedere Schul¬
wesen umzugestalten. Es sei uns erlaubt, hierbei etwas länger zu verweilen,
teils weil es sich nirgends deutlicher zeigt, wie sehr Bayern in der kurfürst¬
lichen Zeit außer aller Verbindung mit dem übrigen Deutschland getreten war,
teils weil durch die Darlegung der damaligen Zustände ein Licht auf die auch
in unsern Tagen wieder hervortretende Verketzerungssucht alles dessen, was
nicht spezifisch bayrisch ist, fällt. Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß diese
Verfolgungen, die aus einem Gemisch der niedrigsten Leidenschaften hervor¬
gingen, damals wie heute nicht vom Publikum -- dies wird übereinstimmend
als gutmütig geschildert --, sondern von einer Koterie von Geistlichen und
Gelehrten ausgingen, die sich durch die Fremden in ihrer bisherigen Allein¬
herrschaft bedroht sahen.

Unter den Männern, die hier in Rede kommen, sind in erster Reihe drei
zu nennen, deren Namen auf immer mit der Geschichte des bayrischen Schul¬
wesens verknüpft bleiben werden: Thiersch, Jacobi und Jacobs. Thiersch kam
im März 1309 von Göttingen, wo er glänzende Lehrtalente entwickelt hatte,
an das Gymnasium in München, wo er sogleich mit der Kraft auftrat, durch
die er der eigentliche Begründer der philologischen Studien in Bayern ge¬
worden ist. Früher schon waren Jacobi und Jacobs, der erste als Präsident
der Akademie, der andre als Professor der klassischen Litteratur an das Lyceum
nach München berufen worden. Schon die Eröffnungsrede Jacobs "über Geist
"ut Zweck gelehrter Gesellschaften," worin einige Äußerungen über den Geist
des Mittelalters Anstoß erregt hatten, rief eine Gegenschrift des Professors
Rotthammer in Landshut hervor. Sodann schürte die Verleihung des neu¬
gestifteten Zivilverdienstordens an mehrere ausländische Gelehrte -- während
einige einheimische, die auf diese Auszeichnung gerechnet hatten, übergangen
wurden -- den Brand der Erbitterung. An der Spitze der Gekränkten stand
der Oberbibliothekar Freiherr von Arelim, der sich bei der Aufhebung der
Klöster und bei der Ausräumung ihrer Bibliotheken einen Namen gemacht hatte.
Dieser entpuppte sich allmählich als das Haupt der gegen die Fremden ge¬
richteten Partei; der Unmut und die Eifersucht über scheinbare Zurücksetzung


anleimte Einheit zu finden —, darüber ist nur eine Stimme der Anerkennung-
Das beste Zeugnis aber ist, daß das neue Strafgesetzbuch unmittelbar nach
seinem Erscheinen in Oldenburg eingeführt wurde. Eine öffentliche Be¬
schimpfung, die bei Gelegenheit einer Promotion Feuerbach durch einen Schüler
Gönners auf dessen Anstiftung widerfuhr, bestimmte den schwergekränkten,
seine akademische Stellung zu verlassen; bald darauf erfolgte seine Berufung
als geheimer Referendar ins Justizministerium nach München. Aber auch dort
sollte er nicht die ersehnte Ruhe finden.

Durch vielfache Berufungen fremder, namentlich sächsischer Gelehrten hatte
sich in der Hauptstadt ein Kreis ausgezeichneter Männer gebildet, die von
Montgelas ausersehen waren, das arg verkommne höhere und niedere Schul¬
wesen umzugestalten. Es sei uns erlaubt, hierbei etwas länger zu verweilen,
teils weil es sich nirgends deutlicher zeigt, wie sehr Bayern in der kurfürst¬
lichen Zeit außer aller Verbindung mit dem übrigen Deutschland getreten war,
teils weil durch die Darlegung der damaligen Zustände ein Licht auf die auch
in unsern Tagen wieder hervortretende Verketzerungssucht alles dessen, was
nicht spezifisch bayrisch ist, fällt. Ich brauche wohl kaum zu bemerken, daß diese
Verfolgungen, die aus einem Gemisch der niedrigsten Leidenschaften hervor¬
gingen, damals wie heute nicht vom Publikum — dies wird übereinstimmend
als gutmütig geschildert —, sondern von einer Koterie von Geistlichen und
Gelehrten ausgingen, die sich durch die Fremden in ihrer bisherigen Allein¬
herrschaft bedroht sahen.

Unter den Männern, die hier in Rede kommen, sind in erster Reihe drei
zu nennen, deren Namen auf immer mit der Geschichte des bayrischen Schul¬
wesens verknüpft bleiben werden: Thiersch, Jacobi und Jacobs. Thiersch kam
im März 1309 von Göttingen, wo er glänzende Lehrtalente entwickelt hatte,
an das Gymnasium in München, wo er sogleich mit der Kraft auftrat, durch
die er der eigentliche Begründer der philologischen Studien in Bayern ge¬
worden ist. Früher schon waren Jacobi und Jacobs, der erste als Präsident
der Akademie, der andre als Professor der klassischen Litteratur an das Lyceum
nach München berufen worden. Schon die Eröffnungsrede Jacobs „über Geist
»ut Zweck gelehrter Gesellschaften," worin einige Äußerungen über den Geist
des Mittelalters Anstoß erregt hatten, rief eine Gegenschrift des Professors
Rotthammer in Landshut hervor. Sodann schürte die Verleihung des neu¬
gestifteten Zivilverdienstordens an mehrere ausländische Gelehrte — während
einige einheimische, die auf diese Auszeichnung gerechnet hatten, übergangen
wurden — den Brand der Erbitterung. An der Spitze der Gekränkten stand
der Oberbibliothekar Freiherr von Arelim, der sich bei der Aufhebung der
Klöster und bei der Ausräumung ihrer Bibliotheken einen Namen gemacht hatte.
Dieser entpuppte sich allmählich als das Haupt der gegen die Fremden ge¬
richteten Partei; der Unmut und die Eifersucht über scheinbare Zurücksetzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/204>, abgerufen am 28.09.2024.