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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rassen und Kriege

abändern. Die alten spanischen Veteranen (!"°) haben doch eine recht klägliche
Rolle gegenüber den amerikanischen Milizen gespielt. Heutzutage, wo der
Krieg mehr und mehr zu einer Entscheidung zwischen Schnellfeuergeschützen
geworden ist, spielt die Marschdisziplin nicht mehr die Rolle, wie im sieben¬
jährigen, in den napoleonischen und im Kriege von 1870. Feuerdisziplin und
Treffsicherheit sind die Kraftmittel, die letzten Endes entscheiden. Damit ver¬
lieren die regulären Truppen zum guten Teil ihr Übergewicht über voluutösrs
und Milizen, vorausgesetzt, daß sie ebenso gut geführt werden und aus mutige"
Völkern hervorgegangen sind."

Das liest sich alles recht schön und gut. Nur hat Peters dabei vergessen,
daß es zunächst auf den Feind ankommt, den man vor sich hat; daß stehende
Heere nicht allein wegen der Marschdisziplin ausgebildet werden, sondern um
ein ganzes Volk im Gebrauch der Waffen zu seiner Notwehr einzuüben; und
drittens, daß Feuerdisziplin und Treffsicherheit auch in frühern Kriegen, vor
allem in den friderizianischen, schon sehr nützlich und oft sogar ausschlag¬
gebend gewesen sind. (Mollwitz, um gleich das erste Beispiel herauszugreifen,
hat die Feuerdisziplin der "wandelnden Maschinen" in ein recht überraschendes
Licht gerückt, überraschend sogar für Friedrich, als er vernahm, daß die
preußische Infanterie im letzten Augenblick noch den Andrang der weit über¬
legnen österreichischen Reiterei zum Stehen gebracht und dann alles vor sich
hergetrieben hatte!) Und wenn die zähe Widerstandskraft und Mannszucht
der Hannoveraner und anglo-schottischen Fußtruppen bei Waterloo auch die
Schlacht nicht gewinnen konnten, so haben sie doch die Massenangriffe Napo¬
leons so lange ausgehalten, bis die Preußen kamen.

Der Hauptirrtum in der Beurteilung des spanisch-amerikanischen Krieges
scheint mir darin zu liegen, daß man von vornherein die Spanier zu hoch,
die Amerikaner zu niedrig eingeschätzt hatte, dann aber umgekehrt verfuhr, als
der Kampf vorüber war. Man hatte die Raffenunterschiede zu wenig berück¬
sichtigt.

Sehen wir uns einmal die amerikanischen Truppen etwas näher an.
Körperlich bestehen sie zunächst aus den ausgesuchtesten Leuten, die man sich
nur wünschen kann. Das kommt daher, weil in den Rekrutendepots der Union
eine sehr strenge Auswahl aus den massenhaften Anmeldungen zum Dienst in
der Flotte und Armee getroffen werden kann. Rohmaterial ist immer vor¬
handen. Physisch abgehärtete und verwegne Gesellen finden sich jederzeit
genug in dem bunten Völkergemisch der Union, die gegen hohen Sold einige
Jahre ihre wertlose Haut zu Markte tragen wollen. In Amerika ist das
Soldatspielen eine einfache Geschüftssache, wie jede andre. Doch werden bei



") ES scheint in Europa den wenigsten bekannt gewesen zu sein, daß weitaus die Mehr¬
zahl der "alten spanischen Veteranen" nuf Kuba junge Burschen zwischen 14 und 22 Jahren
waren.
Rassen und Kriege

abändern. Die alten spanischen Veteranen (!"°) haben doch eine recht klägliche
Rolle gegenüber den amerikanischen Milizen gespielt. Heutzutage, wo der
Krieg mehr und mehr zu einer Entscheidung zwischen Schnellfeuergeschützen
geworden ist, spielt die Marschdisziplin nicht mehr die Rolle, wie im sieben¬
jährigen, in den napoleonischen und im Kriege von 1870. Feuerdisziplin und
Treffsicherheit sind die Kraftmittel, die letzten Endes entscheiden. Damit ver¬
lieren die regulären Truppen zum guten Teil ihr Übergewicht über voluutösrs
und Milizen, vorausgesetzt, daß sie ebenso gut geführt werden und aus mutige»
Völkern hervorgegangen sind."

Das liest sich alles recht schön und gut. Nur hat Peters dabei vergessen,
daß es zunächst auf den Feind ankommt, den man vor sich hat; daß stehende
Heere nicht allein wegen der Marschdisziplin ausgebildet werden, sondern um
ein ganzes Volk im Gebrauch der Waffen zu seiner Notwehr einzuüben; und
drittens, daß Feuerdisziplin und Treffsicherheit auch in frühern Kriegen, vor
allem in den friderizianischen, schon sehr nützlich und oft sogar ausschlag¬
gebend gewesen sind. (Mollwitz, um gleich das erste Beispiel herauszugreifen,
hat die Feuerdisziplin der „wandelnden Maschinen" in ein recht überraschendes
Licht gerückt, überraschend sogar für Friedrich, als er vernahm, daß die
preußische Infanterie im letzten Augenblick noch den Andrang der weit über¬
legnen österreichischen Reiterei zum Stehen gebracht und dann alles vor sich
hergetrieben hatte!) Und wenn die zähe Widerstandskraft und Mannszucht
der Hannoveraner und anglo-schottischen Fußtruppen bei Waterloo auch die
Schlacht nicht gewinnen konnten, so haben sie doch die Massenangriffe Napo¬
leons so lange ausgehalten, bis die Preußen kamen.

Der Hauptirrtum in der Beurteilung des spanisch-amerikanischen Krieges
scheint mir darin zu liegen, daß man von vornherein die Spanier zu hoch,
die Amerikaner zu niedrig eingeschätzt hatte, dann aber umgekehrt verfuhr, als
der Kampf vorüber war. Man hatte die Raffenunterschiede zu wenig berück¬
sichtigt.

Sehen wir uns einmal die amerikanischen Truppen etwas näher an.
Körperlich bestehen sie zunächst aus den ausgesuchtesten Leuten, die man sich
nur wünschen kann. Das kommt daher, weil in den Rekrutendepots der Union
eine sehr strenge Auswahl aus den massenhaften Anmeldungen zum Dienst in
der Flotte und Armee getroffen werden kann. Rohmaterial ist immer vor¬
handen. Physisch abgehärtete und verwegne Gesellen finden sich jederzeit
genug in dem bunten Völkergemisch der Union, die gegen hohen Sold einige
Jahre ihre wertlose Haut zu Markte tragen wollen. In Amerika ist das
Soldatspielen eine einfache Geschüftssache, wie jede andre. Doch werden bei



") ES scheint in Europa den wenigsten bekannt gewesen zu sein, daß weitaus die Mehr¬
zahl der „alten spanischen Veteranen" nuf Kuba junge Burschen zwischen 14 und 22 Jahren
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[0179] Rassen und Kriege abändern. Die alten spanischen Veteranen (!"°) haben doch eine recht klägliche Rolle gegenüber den amerikanischen Milizen gespielt. Heutzutage, wo der Krieg mehr und mehr zu einer Entscheidung zwischen Schnellfeuergeschützen geworden ist, spielt die Marschdisziplin nicht mehr die Rolle, wie im sieben¬ jährigen, in den napoleonischen und im Kriege von 1870. Feuerdisziplin und Treffsicherheit sind die Kraftmittel, die letzten Endes entscheiden. Damit ver¬ lieren die regulären Truppen zum guten Teil ihr Übergewicht über voluutösrs und Milizen, vorausgesetzt, daß sie ebenso gut geführt werden und aus mutige» Völkern hervorgegangen sind." Das liest sich alles recht schön und gut. Nur hat Peters dabei vergessen, daß es zunächst auf den Feind ankommt, den man vor sich hat; daß stehende Heere nicht allein wegen der Marschdisziplin ausgebildet werden, sondern um ein ganzes Volk im Gebrauch der Waffen zu seiner Notwehr einzuüben; und drittens, daß Feuerdisziplin und Treffsicherheit auch in frühern Kriegen, vor allem in den friderizianischen, schon sehr nützlich und oft sogar ausschlag¬ gebend gewesen sind. (Mollwitz, um gleich das erste Beispiel herauszugreifen, hat die Feuerdisziplin der „wandelnden Maschinen" in ein recht überraschendes Licht gerückt, überraschend sogar für Friedrich, als er vernahm, daß die preußische Infanterie im letzten Augenblick noch den Andrang der weit über¬ legnen österreichischen Reiterei zum Stehen gebracht und dann alles vor sich hergetrieben hatte!) Und wenn die zähe Widerstandskraft und Mannszucht der Hannoveraner und anglo-schottischen Fußtruppen bei Waterloo auch die Schlacht nicht gewinnen konnten, so haben sie doch die Massenangriffe Napo¬ leons so lange ausgehalten, bis die Preußen kamen. Der Hauptirrtum in der Beurteilung des spanisch-amerikanischen Krieges scheint mir darin zu liegen, daß man von vornherein die Spanier zu hoch, die Amerikaner zu niedrig eingeschätzt hatte, dann aber umgekehrt verfuhr, als der Kampf vorüber war. Man hatte die Raffenunterschiede zu wenig berück¬ sichtigt. Sehen wir uns einmal die amerikanischen Truppen etwas näher an. Körperlich bestehen sie zunächst aus den ausgesuchtesten Leuten, die man sich nur wünschen kann. Das kommt daher, weil in den Rekrutendepots der Union eine sehr strenge Auswahl aus den massenhaften Anmeldungen zum Dienst in der Flotte und Armee getroffen werden kann. Rohmaterial ist immer vor¬ handen. Physisch abgehärtete und verwegne Gesellen finden sich jederzeit genug in dem bunten Völkergemisch der Union, die gegen hohen Sold einige Jahre ihre wertlose Haut zu Markte tragen wollen. In Amerika ist das Soldatspielen eine einfache Geschüftssache, wie jede andre. Doch werden bei ") ES scheint in Europa den wenigsten bekannt gewesen zu sein, daß weitaus die Mehr¬ zahl der „alten spanischen Veteranen" nuf Kuba junge Burschen zwischen 14 und 22 Jahren waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/179>, abgerufen am 28.09.2024.