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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Schlegel gelegentlich ein Stück Anerkennung Schillers zu Markt bringen, die
Herablassung, mit der in der zweiten (jungdeutschen) litterarischen Revolution
Ludolf Wienbarg den rückhaltenden Uhland und seine beiden vaterländischen
Dramen als höchsten Gewinn der deutschen Bühne charakterisiert, die Art und
Weise, mit der ein Vorkämpfer der dritten "modernen" Revolution (K. Alberti)
Gustav Freytag ein anerkennendes Büchlein widmet, um sofort zu empfinden,
daß die jeweiligen Anwandlungen, die Litteratur der Gegenwart ihrer Totalität
nach zu erkennen und zu würdigen, ganz vorübergehend waren. Das Bestreben,
nur einen Teil und gerade den Teil der zeitgenössischen Produktion zu be¬
fehden, der die beste Folie für die neuen Programme abgiebt, tritt in allen
drei Bewegungen immer wieder in den Vordergrund.

Gemeinsam ist diesen Bewegungen ferner der eigentümliche Zug und Drang,
die eigentliche Litteratur und Poesie erst von sich aus zu datieren, der Wahn, daß
die Schöpfungen und Leistungen der Jahrhunderte, ja der Jahrtausende gewisser¬
maßen nur Vorstufen zu ihren Schöpfungen, schwache Präludien zu den großen
Symphonien ihrer Schule vorgestellt hätten. Was die Romantik, Jungdeutsch¬
land und Jüngstdeutschland erstreben und bevorzugen, ist im innersten Wesen
grundverschieden und fordert darum grundverschicdne Würdigung. Aber die
Äußerlichkeit des unerhörten und maßlosen Anspruchs, das unverhohlne Ver¬
langen, wo nicht die Geschichte, so doch eine höchste und tiefste Wirkung der
Litteratur an die eigne Periode zu knüpfen, erneut sich in allen drei Revolu¬
tionen. Die Aussprüche Friedrich Schlegels: "Die romantische Dichtart kann
durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte
es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie
sie allein frei ist und das als erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des
Dichters kein Gesetz über sich leide," und Hardenbergs (Novalis) gewichtiges
Wort: "Die Kunst, Bücher zu schreiben, ist noch nicht erfunden. Sie ist aber
auf dem Punkte, erfunden zu werden" zeigen, einander ergänzend, den An¬
spruch der Romantik.

Für Jungdeutschland hat Ludolf Wienbarg in den "Ästhetischen Feld¬
zügen" das Wort genommen: "Das Streben der neuen Zeit sucht jene sittlichen
und politischen Fundamente zu schaffen, die nötig sind, daß die allgemeinen
Zustände allen Edelwollenden ein Leben in Freiheit und Schönheit gestatten,
wie es Goethe für sich erstrebte. Die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner
Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie
mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet,
ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt ein Buch des Lebens mit dem
ehernen Griffel der Geschichte. Die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehe"
nicht mehr, wie vormals, allein im Dienste der Musen, sondern auch im
Dienste des Vaterlandes, und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Ver¬
bündete. Ja sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst,


Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur

Schlegel gelegentlich ein Stück Anerkennung Schillers zu Markt bringen, die
Herablassung, mit der in der zweiten (jungdeutschen) litterarischen Revolution
Ludolf Wienbarg den rückhaltenden Uhland und seine beiden vaterländischen
Dramen als höchsten Gewinn der deutschen Bühne charakterisiert, die Art und
Weise, mit der ein Vorkämpfer der dritten „modernen" Revolution (K. Alberti)
Gustav Freytag ein anerkennendes Büchlein widmet, um sofort zu empfinden,
daß die jeweiligen Anwandlungen, die Litteratur der Gegenwart ihrer Totalität
nach zu erkennen und zu würdigen, ganz vorübergehend waren. Das Bestreben,
nur einen Teil und gerade den Teil der zeitgenössischen Produktion zu be¬
fehden, der die beste Folie für die neuen Programme abgiebt, tritt in allen
drei Bewegungen immer wieder in den Vordergrund.

Gemeinsam ist diesen Bewegungen ferner der eigentümliche Zug und Drang,
die eigentliche Litteratur und Poesie erst von sich aus zu datieren, der Wahn, daß
die Schöpfungen und Leistungen der Jahrhunderte, ja der Jahrtausende gewisser¬
maßen nur Vorstufen zu ihren Schöpfungen, schwache Präludien zu den großen
Symphonien ihrer Schule vorgestellt hätten. Was die Romantik, Jungdeutsch¬
land und Jüngstdeutschland erstreben und bevorzugen, ist im innersten Wesen
grundverschieden und fordert darum grundverschicdne Würdigung. Aber die
Äußerlichkeit des unerhörten und maßlosen Anspruchs, das unverhohlne Ver¬
langen, wo nicht die Geschichte, so doch eine höchste und tiefste Wirkung der
Litteratur an die eigne Periode zu knüpfen, erneut sich in allen drei Revolu¬
tionen. Die Aussprüche Friedrich Schlegels: „Die romantische Dichtart kann
durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte
es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie
sie allein frei ist und das als erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des
Dichters kein Gesetz über sich leide," und Hardenbergs (Novalis) gewichtiges
Wort: „Die Kunst, Bücher zu schreiben, ist noch nicht erfunden. Sie ist aber
auf dem Punkte, erfunden zu werden" zeigen, einander ergänzend, den An¬
spruch der Romantik.

Für Jungdeutschland hat Ludolf Wienbarg in den „Ästhetischen Feld¬
zügen" das Wort genommen: „Das Streben der neuen Zeit sucht jene sittlichen
und politischen Fundamente zu schaffen, die nötig sind, daß die allgemeinen
Zustände allen Edelwollenden ein Leben in Freiheit und Schönheit gestatten,
wie es Goethe für sich erstrebte. Die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner
Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie
mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet,
ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt ein Buch des Lebens mit dem
ehernen Griffel der Geschichte. Die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehe»
nicht mehr, wie vormals, allein im Dienste der Musen, sondern auch im
Dienste des Vaterlandes, und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Ver¬
bündete. Ja sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst,


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[0148] Drei Revolutionen in der deutschen Litteratur Schlegel gelegentlich ein Stück Anerkennung Schillers zu Markt bringen, die Herablassung, mit der in der zweiten (jungdeutschen) litterarischen Revolution Ludolf Wienbarg den rückhaltenden Uhland und seine beiden vaterländischen Dramen als höchsten Gewinn der deutschen Bühne charakterisiert, die Art und Weise, mit der ein Vorkämpfer der dritten „modernen" Revolution (K. Alberti) Gustav Freytag ein anerkennendes Büchlein widmet, um sofort zu empfinden, daß die jeweiligen Anwandlungen, die Litteratur der Gegenwart ihrer Totalität nach zu erkennen und zu würdigen, ganz vorübergehend waren. Das Bestreben, nur einen Teil und gerade den Teil der zeitgenössischen Produktion zu be¬ fehden, der die beste Folie für die neuen Programme abgiebt, tritt in allen drei Bewegungen immer wieder in den Vordergrund. Gemeinsam ist diesen Bewegungen ferner der eigentümliche Zug und Drang, die eigentliche Litteratur und Poesie erst von sich aus zu datieren, der Wahn, daß die Schöpfungen und Leistungen der Jahrhunderte, ja der Jahrtausende gewisser¬ maßen nur Vorstufen zu ihren Schöpfungen, schwache Präludien zu den großen Symphonien ihrer Schule vorgestellt hätten. Was die Romantik, Jungdeutsch¬ land und Jüngstdeutschland erstreben und bevorzugen, ist im innersten Wesen grundverschieden und fordert darum grundverschicdne Würdigung. Aber die Äußerlichkeit des unerhörten und maßlosen Anspruchs, das unverhohlne Ver¬ langen, wo nicht die Geschichte, so doch eine höchste und tiefste Wirkung der Litteratur an die eigne Periode zu knüpfen, erneut sich in allen drei Revolu¬ tionen. Die Aussprüche Friedrich Schlegels: „Die romantische Dichtart kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide," und Hardenbergs (Novalis) gewichtiges Wort: „Die Kunst, Bücher zu schreiben, ist noch nicht erfunden. Sie ist aber auf dem Punkte, erfunden zu werden" zeigen, einander ergänzend, den An¬ spruch der Romantik. Für Jungdeutschland hat Ludolf Wienbarg in den „Ästhetischen Feld¬ zügen" das Wort genommen: „Das Streben der neuen Zeit sucht jene sittlichen und politischen Fundamente zu schaffen, die nötig sind, daß die allgemeinen Zustände allen Edelwollenden ein Leben in Freiheit und Schönheit gestatten, wie es Goethe für sich erstrebte. Die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet, ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt ein Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geschichte. Die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehe» nicht mehr, wie vormals, allein im Dienste der Musen, sondern auch im Dienste des Vaterlandes, und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Ver¬ bündete. Ja sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/148>, abgerufen am 28.09.2024.