Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nation und Staat

Geschichte in sich differenziert waren, die nicht Uniformitcit, sondern Mannig¬
faltigkeit in den sozialen wie den staatlichen Lebensformen anstrebten und aus¬
gestalteten. Das Nomadentum ist uniform, das Kulturvolk differenziert. Auf
Uniformitcit baut sich am leichtesten der Despotismus, Kriegsmacht, Eroberungs¬
politik auf; Differenzierung fördert Verfeinerung, Geschmeidigkeit, Mehrung
der innern, der Kulturkraft, denn sie ermöglicht Freiheit, individuelle, terri¬
toriale, soziale Selbständigkeit.

In dieser Differenzierung ruht die Stärke der germanischen Nasse, ihre
Überlegenheit über die zur Uniformitcit neigenden Raffen. Darum ist der
Germane schwerer zu regieren, darum verträgt er besser die Freiheit in den
staatlichen Institutionen, darum ist er der geschickteste und sicherste Trüger
unsrer europäischen Kultur. Die Uniformitcit lahmt, die Mannigfaltigkeit
belebt. Kann man für diesen Satz ein schlagenderes Beispiel finden, als in
dem Verhältnis der beiden größten der europäischen Kulturwelt angehörenden
kontinentalen Reiche? Die gewaltige Überlegenheit der nordamerikanischen
Union über Rußland wurde im Verlauf eines Jahrhunderts errungen haupt¬
sächlich durch die Mannigfaltigkeit der nationalen, sozialen, staatlichen Elemente
und Einrichtungen. Für die Kultur, für das Volkswohl fagt es durchaus
gar nichts, daß Rußland eine Million Soldaten, die Union bisher nur dreißig¬
tausend Mann hatte.

Je großer ein Staat ist, um so verderblicher wirkt die Uniformitcit, und
um so stärker wird die natürliche Neigung, sich durch sie die Mühe des Re-
gierens zu erleichtern. Wenn 1866, wie viele wünschten, Preußen alle übrigen
Staaten in Deutschland weggefegt Hütte, so wäre es dennoch unmöglich ge¬
wesen, eine preußische Uniformitcit durchzuführen, ohne die Lebenskraft des
ganzen Volkes zu zerstören. In der instinktiven Furcht vor solchen Versuchen
wurzelt zu einem Teil die Abneigung, die noch heute im übrigen Deutschland
vielfach gegen Preußen fortlebt. Die preußische Staatsmaschine erscheint dem
Süddeutschen außerdem zu kalt, zu uniform, zu hart; berechtigte Eigentümlich¬
keiten, wie man das früher nannte, haben, wie man dort glaubt, unter ihr
zu wenig Spielraum, die ünßere Disziplin ist ihm zu scharf und rauh. Und
dieser instinktive Widerwille*) gegen staatliche Uniformitcit ist nicht nur be¬
rechtigt, sondern ein natürlicher Vorzug unsers Volkes, der sehr hoch zu schützen
ist, und der das Reich nicht hindert, die Aufgaben eines großen Staats zu
erfüllen. "Die wirkliche Freiheit, sagt ein französischer Historiker, ist nur vor¬
handen in dem örtlichen und provinziellen Geist, in der Ungleichheit der
Klassen, der Aufsichtsämter und selbst der staatlichen Gewalten. Einheitlichkeit
ist der mehr oder minder glänzend gekleidete Despotismus."



Der übrigens nur ein Vorurteil ist, denn Preußen ist gar uicht so "uniform" und
A. d, R> "zentralisiert/' wie man außerhalb glaubt.
Nation und Staat

Geschichte in sich differenziert waren, die nicht Uniformitcit, sondern Mannig¬
faltigkeit in den sozialen wie den staatlichen Lebensformen anstrebten und aus¬
gestalteten. Das Nomadentum ist uniform, das Kulturvolk differenziert. Auf
Uniformitcit baut sich am leichtesten der Despotismus, Kriegsmacht, Eroberungs¬
politik auf; Differenzierung fördert Verfeinerung, Geschmeidigkeit, Mehrung
der innern, der Kulturkraft, denn sie ermöglicht Freiheit, individuelle, terri¬
toriale, soziale Selbständigkeit.

In dieser Differenzierung ruht die Stärke der germanischen Nasse, ihre
Überlegenheit über die zur Uniformitcit neigenden Raffen. Darum ist der
Germane schwerer zu regieren, darum verträgt er besser die Freiheit in den
staatlichen Institutionen, darum ist er der geschickteste und sicherste Trüger
unsrer europäischen Kultur. Die Uniformitcit lahmt, die Mannigfaltigkeit
belebt. Kann man für diesen Satz ein schlagenderes Beispiel finden, als in
dem Verhältnis der beiden größten der europäischen Kulturwelt angehörenden
kontinentalen Reiche? Die gewaltige Überlegenheit der nordamerikanischen
Union über Rußland wurde im Verlauf eines Jahrhunderts errungen haupt¬
sächlich durch die Mannigfaltigkeit der nationalen, sozialen, staatlichen Elemente
und Einrichtungen. Für die Kultur, für das Volkswohl fagt es durchaus
gar nichts, daß Rußland eine Million Soldaten, die Union bisher nur dreißig¬
tausend Mann hatte.

Je großer ein Staat ist, um so verderblicher wirkt die Uniformitcit, und
um so stärker wird die natürliche Neigung, sich durch sie die Mühe des Re-
gierens zu erleichtern. Wenn 1866, wie viele wünschten, Preußen alle übrigen
Staaten in Deutschland weggefegt Hütte, so wäre es dennoch unmöglich ge¬
wesen, eine preußische Uniformitcit durchzuführen, ohne die Lebenskraft des
ganzen Volkes zu zerstören. In der instinktiven Furcht vor solchen Versuchen
wurzelt zu einem Teil die Abneigung, die noch heute im übrigen Deutschland
vielfach gegen Preußen fortlebt. Die preußische Staatsmaschine erscheint dem
Süddeutschen außerdem zu kalt, zu uniform, zu hart; berechtigte Eigentümlich¬
keiten, wie man das früher nannte, haben, wie man dort glaubt, unter ihr
zu wenig Spielraum, die ünßere Disziplin ist ihm zu scharf und rauh. Und
dieser instinktive Widerwille*) gegen staatliche Uniformitcit ist nicht nur be¬
rechtigt, sondern ein natürlicher Vorzug unsers Volkes, der sehr hoch zu schützen
ist, und der das Reich nicht hindert, die Aufgaben eines großen Staats zu
erfüllen. „Die wirkliche Freiheit, sagt ein französischer Historiker, ist nur vor¬
handen in dem örtlichen und provinziellen Geist, in der Ungleichheit der
Klassen, der Aufsichtsämter und selbst der staatlichen Gewalten. Einheitlichkeit
ist der mehr oder minder glänzend gekleidete Despotismus."



Der übrigens nur ein Vorurteil ist, denn Preußen ist gar uicht so „uniform" und
A. d, R> „zentralisiert/' wie man außerhalb glaubt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0703" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230389"/>
          <fw type="header" place="top"> Nation und Staat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2976" prev="#ID_2975"> Geschichte in sich differenziert waren, die nicht Uniformitcit, sondern Mannig¬<lb/>
faltigkeit in den sozialen wie den staatlichen Lebensformen anstrebten und aus¬<lb/>
gestalteten. Das Nomadentum ist uniform, das Kulturvolk differenziert. Auf<lb/>
Uniformitcit baut sich am leichtesten der Despotismus, Kriegsmacht, Eroberungs¬<lb/>
politik auf; Differenzierung fördert Verfeinerung, Geschmeidigkeit, Mehrung<lb/>
der innern, der Kulturkraft, denn sie ermöglicht Freiheit, individuelle, terri¬<lb/>
toriale, soziale Selbständigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2977"> In dieser Differenzierung ruht die Stärke der germanischen Nasse, ihre<lb/>
Überlegenheit über die zur Uniformitcit neigenden Raffen. Darum ist der<lb/>
Germane schwerer zu regieren, darum verträgt er besser die Freiheit in den<lb/>
staatlichen Institutionen, darum ist er der geschickteste und sicherste Trüger<lb/>
unsrer europäischen Kultur. Die Uniformitcit lahmt, die Mannigfaltigkeit<lb/>
belebt. Kann man für diesen Satz ein schlagenderes Beispiel finden, als in<lb/>
dem Verhältnis der beiden größten der europäischen Kulturwelt angehörenden<lb/>
kontinentalen Reiche? Die gewaltige Überlegenheit der nordamerikanischen<lb/>
Union über Rußland wurde im Verlauf eines Jahrhunderts errungen haupt¬<lb/>
sächlich durch die Mannigfaltigkeit der nationalen, sozialen, staatlichen Elemente<lb/>
und Einrichtungen. Für die Kultur, für das Volkswohl fagt es durchaus<lb/>
gar nichts, daß Rußland eine Million Soldaten, die Union bisher nur dreißig¬<lb/>
tausend Mann hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2978"> Je großer ein Staat ist, um so verderblicher wirkt die Uniformitcit, und<lb/>
um so stärker wird die natürliche Neigung, sich durch sie die Mühe des Re-<lb/>
gierens zu erleichtern. Wenn 1866, wie viele wünschten, Preußen alle übrigen<lb/>
Staaten in Deutschland weggefegt Hütte, so wäre es dennoch unmöglich ge¬<lb/>
wesen, eine preußische Uniformitcit durchzuführen, ohne die Lebenskraft des<lb/>
ganzen Volkes zu zerstören. In der instinktiven Furcht vor solchen Versuchen<lb/>
wurzelt zu einem Teil die Abneigung, die noch heute im übrigen Deutschland<lb/>
vielfach gegen Preußen fortlebt. Die preußische Staatsmaschine erscheint dem<lb/>
Süddeutschen außerdem zu kalt, zu uniform, zu hart; berechtigte Eigentümlich¬<lb/>
keiten, wie man das früher nannte, haben, wie man dort glaubt, unter ihr<lb/>
zu wenig Spielraum, die ünßere Disziplin ist ihm zu scharf und rauh. Und<lb/>
dieser instinktive Widerwille*) gegen staatliche Uniformitcit ist nicht nur be¬<lb/>
rechtigt, sondern ein natürlicher Vorzug unsers Volkes, der sehr hoch zu schützen<lb/>
ist, und der das Reich nicht hindert, die Aufgaben eines großen Staats zu<lb/>
erfüllen. &#x201E;Die wirkliche Freiheit, sagt ein französischer Historiker, ist nur vor¬<lb/>
handen in dem örtlichen und provinziellen Geist, in der Ungleichheit der<lb/>
Klassen, der Aufsichtsämter und selbst der staatlichen Gewalten. Einheitlichkeit<lb/>
ist der mehr oder minder glänzend gekleidete Despotismus."</p><lb/>
          <note xml:id="FID_131" place="foot"> Der übrigens nur ein Vorurteil ist, denn Preußen ist gar uicht so &#x201E;uniform" und<lb/><note type="byline"> A. d, R&gt;</note> &#x201E;zentralisiert/' wie man außerhalb glaubt. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0703] Nation und Staat Geschichte in sich differenziert waren, die nicht Uniformitcit, sondern Mannig¬ faltigkeit in den sozialen wie den staatlichen Lebensformen anstrebten und aus¬ gestalteten. Das Nomadentum ist uniform, das Kulturvolk differenziert. Auf Uniformitcit baut sich am leichtesten der Despotismus, Kriegsmacht, Eroberungs¬ politik auf; Differenzierung fördert Verfeinerung, Geschmeidigkeit, Mehrung der innern, der Kulturkraft, denn sie ermöglicht Freiheit, individuelle, terri¬ toriale, soziale Selbständigkeit. In dieser Differenzierung ruht die Stärke der germanischen Nasse, ihre Überlegenheit über die zur Uniformitcit neigenden Raffen. Darum ist der Germane schwerer zu regieren, darum verträgt er besser die Freiheit in den staatlichen Institutionen, darum ist er der geschickteste und sicherste Trüger unsrer europäischen Kultur. Die Uniformitcit lahmt, die Mannigfaltigkeit belebt. Kann man für diesen Satz ein schlagenderes Beispiel finden, als in dem Verhältnis der beiden größten der europäischen Kulturwelt angehörenden kontinentalen Reiche? Die gewaltige Überlegenheit der nordamerikanischen Union über Rußland wurde im Verlauf eines Jahrhunderts errungen haupt¬ sächlich durch die Mannigfaltigkeit der nationalen, sozialen, staatlichen Elemente und Einrichtungen. Für die Kultur, für das Volkswohl fagt es durchaus gar nichts, daß Rußland eine Million Soldaten, die Union bisher nur dreißig¬ tausend Mann hatte. Je großer ein Staat ist, um so verderblicher wirkt die Uniformitcit, und um so stärker wird die natürliche Neigung, sich durch sie die Mühe des Re- gierens zu erleichtern. Wenn 1866, wie viele wünschten, Preußen alle übrigen Staaten in Deutschland weggefegt Hütte, so wäre es dennoch unmöglich ge¬ wesen, eine preußische Uniformitcit durchzuführen, ohne die Lebenskraft des ganzen Volkes zu zerstören. In der instinktiven Furcht vor solchen Versuchen wurzelt zu einem Teil die Abneigung, die noch heute im übrigen Deutschland vielfach gegen Preußen fortlebt. Die preußische Staatsmaschine erscheint dem Süddeutschen außerdem zu kalt, zu uniform, zu hart; berechtigte Eigentümlich¬ keiten, wie man das früher nannte, haben, wie man dort glaubt, unter ihr zu wenig Spielraum, die ünßere Disziplin ist ihm zu scharf und rauh. Und dieser instinktive Widerwille*) gegen staatliche Uniformitcit ist nicht nur be¬ rechtigt, sondern ein natürlicher Vorzug unsers Volkes, der sehr hoch zu schützen ist, und der das Reich nicht hindert, die Aufgaben eines großen Staats zu erfüllen. „Die wirkliche Freiheit, sagt ein französischer Historiker, ist nur vor¬ handen in dem örtlichen und provinziellen Geist, in der Ungleichheit der Klassen, der Aufsichtsämter und selbst der staatlichen Gewalten. Einheitlichkeit ist der mehr oder minder glänzend gekleidete Despotismus." Der übrigens nur ein Vorurteil ist, denn Preußen ist gar uicht so „uniform" und A. d, R> „zentralisiert/' wie man außerhalb glaubt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/703
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/703>, abgerufen am 23.07.2024.