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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

so thun wir ihnen kaum einen Zwang an. Dasselbe gegen Dänen oder Fran¬
zosen angewandt ist verletzend und muß als schwerer Druck empfunden werden.
Und es fragt sich, ob diese Maßregel nötig, ob sie politisch vorteilhaft ist.

Der national einheitliche Staat hat ohne Zweifel, und besonders seit das
Nationalprinzip aufgestellt und fast gleichzeitig auch gefälscht wurde, einen
sehr großen Vorzug vor dem national gemischten Staat. Er gewinnt an
Kraft dadurch, daß nicht nur die materiellen Interessen in gemeinsamer
Arbeit und unter gemeinsamem Schutz besser gedeihen, sondern auch die im¬
materiellen Güter nationaler Kultur mit einheitlicher Kraft besser gefordert oder
gewahrt werden können. Solange aber das öffentliche Wohl Inhalt und Zweck
jedes Staats ist, wird jede Gewalt, die dem Wohl, dem Glück und der Zufrieden¬
heit einer Minderheit angethan wird, nur so weit dem Staatszweck entsprechen, als
sie für das Wohl der Gesamtheit notwendig ist. Es scheint nicht für das
Wohl Deutschlands notwendig, daß die wendische Sprache in der Lausitz aus¬
gerottet werde; es ist nicht bewiesen, daß das Dänische in Nordschleswig, das
Französische in Lothringen mit dem Wohle des Reichs unvereinbar seien. So
lange die Notwendigkeit nicht feststeht, verlangt der Staatszweck nur, daß Dänen
und Franzosen ruhige Bürger bleiben, nicht allzu lästig fallen, und daß um¬
gekehrt der Staat sie in solchem Verhalten nicht durch nationale Zwangs-
maßregeln störe.

Der national einheitliche Staat hat außer diesem politischen Vorzüge den
andern, daß seine Verwaltung bequemer ist als im national gemischten Staat.
Wo in einem Staate dieselbe Sprache, dieselben auf nationale Sitten und Ge¬
wohnheiten gegründeten Lebensformen und bürgerlichen Einrichtungen bestehn,
ist die administrative Technik in Schule, Gericht, Polizei, in Handel und
Wandel weit einfacher, als wo jede Verordnung verschiednen Mundarten und
Bedürfnissen angepaßt werden muß. Hier reicht das Streben nach nationaler
Herrschaft dem Streben nach administrativer Unisormitüt, nach bürokratischer
Herrschaft die Hand. Hier heißt es zugleich: wir wollen, daß alles bei uns
deutsch sei, und wir wollen, daß alle staatlichen Einrichtungen dieselben seien:
kein Separatismus, keine Sonderrechte, keine Erschwerungen der Verwaltung
durch nationale oder territoriale oder lokale Ungleichheit.

Diese beiden Tendenzen sehen wir am stärksten und vollkommensten aus¬
gebildet zu festem System in den Lüuderu, wo das büreaukratische Regiment
am unumschränktesten gebietet, wie z. B. in Nußland. Seine Wirkung können
wir dort klar beobachten; sie ist unzweifelhaft kulturfeindlich. Aber dieses
System ist bequem für eine roh gearbeitete Staatsmaschine, es ist das System
politischer Mittelmäßigkeit, ein geistloser Mechanismus, dessen Hauptziel Herr¬
schaft, uicht Volkswohl ist. Diesem System der Uniformität gegenüber sehen
wir in Vergangenheit und Gegenwart die Staaten, Völker, selbst Nassen immer
durch ihre Tüchtigkeit hervorrage", die in ihrem Charakter oder durch ihre


Nation und Staat

so thun wir ihnen kaum einen Zwang an. Dasselbe gegen Dänen oder Fran¬
zosen angewandt ist verletzend und muß als schwerer Druck empfunden werden.
Und es fragt sich, ob diese Maßregel nötig, ob sie politisch vorteilhaft ist.

Der national einheitliche Staat hat ohne Zweifel, und besonders seit das
Nationalprinzip aufgestellt und fast gleichzeitig auch gefälscht wurde, einen
sehr großen Vorzug vor dem national gemischten Staat. Er gewinnt an
Kraft dadurch, daß nicht nur die materiellen Interessen in gemeinsamer
Arbeit und unter gemeinsamem Schutz besser gedeihen, sondern auch die im¬
materiellen Güter nationaler Kultur mit einheitlicher Kraft besser gefordert oder
gewahrt werden können. Solange aber das öffentliche Wohl Inhalt und Zweck
jedes Staats ist, wird jede Gewalt, die dem Wohl, dem Glück und der Zufrieden¬
heit einer Minderheit angethan wird, nur so weit dem Staatszweck entsprechen, als
sie für das Wohl der Gesamtheit notwendig ist. Es scheint nicht für das
Wohl Deutschlands notwendig, daß die wendische Sprache in der Lausitz aus¬
gerottet werde; es ist nicht bewiesen, daß das Dänische in Nordschleswig, das
Französische in Lothringen mit dem Wohle des Reichs unvereinbar seien. So
lange die Notwendigkeit nicht feststeht, verlangt der Staatszweck nur, daß Dänen
und Franzosen ruhige Bürger bleiben, nicht allzu lästig fallen, und daß um¬
gekehrt der Staat sie in solchem Verhalten nicht durch nationale Zwangs-
maßregeln störe.

Der national einheitliche Staat hat außer diesem politischen Vorzüge den
andern, daß seine Verwaltung bequemer ist als im national gemischten Staat.
Wo in einem Staate dieselbe Sprache, dieselben auf nationale Sitten und Ge¬
wohnheiten gegründeten Lebensformen und bürgerlichen Einrichtungen bestehn,
ist die administrative Technik in Schule, Gericht, Polizei, in Handel und
Wandel weit einfacher, als wo jede Verordnung verschiednen Mundarten und
Bedürfnissen angepaßt werden muß. Hier reicht das Streben nach nationaler
Herrschaft dem Streben nach administrativer Unisormitüt, nach bürokratischer
Herrschaft die Hand. Hier heißt es zugleich: wir wollen, daß alles bei uns
deutsch sei, und wir wollen, daß alle staatlichen Einrichtungen dieselben seien:
kein Separatismus, keine Sonderrechte, keine Erschwerungen der Verwaltung
durch nationale oder territoriale oder lokale Ungleichheit.

Diese beiden Tendenzen sehen wir am stärksten und vollkommensten aus¬
gebildet zu festem System in den Lüuderu, wo das büreaukratische Regiment
am unumschränktesten gebietet, wie z. B. in Nußland. Seine Wirkung können
wir dort klar beobachten; sie ist unzweifelhaft kulturfeindlich. Aber dieses
System ist bequem für eine roh gearbeitete Staatsmaschine, es ist das System
politischer Mittelmäßigkeit, ein geistloser Mechanismus, dessen Hauptziel Herr¬
schaft, uicht Volkswohl ist. Diesem System der Uniformität gegenüber sehen
wir in Vergangenheit und Gegenwart die Staaten, Völker, selbst Nassen immer
durch ihre Tüchtigkeit hervorrage«, die in ihrem Charakter oder durch ihre


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[0702] Nation und Staat so thun wir ihnen kaum einen Zwang an. Dasselbe gegen Dänen oder Fran¬ zosen angewandt ist verletzend und muß als schwerer Druck empfunden werden. Und es fragt sich, ob diese Maßregel nötig, ob sie politisch vorteilhaft ist. Der national einheitliche Staat hat ohne Zweifel, und besonders seit das Nationalprinzip aufgestellt und fast gleichzeitig auch gefälscht wurde, einen sehr großen Vorzug vor dem national gemischten Staat. Er gewinnt an Kraft dadurch, daß nicht nur die materiellen Interessen in gemeinsamer Arbeit und unter gemeinsamem Schutz besser gedeihen, sondern auch die im¬ materiellen Güter nationaler Kultur mit einheitlicher Kraft besser gefordert oder gewahrt werden können. Solange aber das öffentliche Wohl Inhalt und Zweck jedes Staats ist, wird jede Gewalt, die dem Wohl, dem Glück und der Zufrieden¬ heit einer Minderheit angethan wird, nur so weit dem Staatszweck entsprechen, als sie für das Wohl der Gesamtheit notwendig ist. Es scheint nicht für das Wohl Deutschlands notwendig, daß die wendische Sprache in der Lausitz aus¬ gerottet werde; es ist nicht bewiesen, daß das Dänische in Nordschleswig, das Französische in Lothringen mit dem Wohle des Reichs unvereinbar seien. So lange die Notwendigkeit nicht feststeht, verlangt der Staatszweck nur, daß Dänen und Franzosen ruhige Bürger bleiben, nicht allzu lästig fallen, und daß um¬ gekehrt der Staat sie in solchem Verhalten nicht durch nationale Zwangs- maßregeln störe. Der national einheitliche Staat hat außer diesem politischen Vorzüge den andern, daß seine Verwaltung bequemer ist als im national gemischten Staat. Wo in einem Staate dieselbe Sprache, dieselben auf nationale Sitten und Ge¬ wohnheiten gegründeten Lebensformen und bürgerlichen Einrichtungen bestehn, ist die administrative Technik in Schule, Gericht, Polizei, in Handel und Wandel weit einfacher, als wo jede Verordnung verschiednen Mundarten und Bedürfnissen angepaßt werden muß. Hier reicht das Streben nach nationaler Herrschaft dem Streben nach administrativer Unisormitüt, nach bürokratischer Herrschaft die Hand. Hier heißt es zugleich: wir wollen, daß alles bei uns deutsch sei, und wir wollen, daß alle staatlichen Einrichtungen dieselben seien: kein Separatismus, keine Sonderrechte, keine Erschwerungen der Verwaltung durch nationale oder territoriale oder lokale Ungleichheit. Diese beiden Tendenzen sehen wir am stärksten und vollkommensten aus¬ gebildet zu festem System in den Lüuderu, wo das büreaukratische Regiment am unumschränktesten gebietet, wie z. B. in Nußland. Seine Wirkung können wir dort klar beobachten; sie ist unzweifelhaft kulturfeindlich. Aber dieses System ist bequem für eine roh gearbeitete Staatsmaschine, es ist das System politischer Mittelmäßigkeit, ein geistloser Mechanismus, dessen Hauptziel Herr¬ schaft, uicht Volkswohl ist. Diesem System der Uniformität gegenüber sehen wir in Vergangenheit und Gegenwart die Staaten, Völker, selbst Nassen immer durch ihre Tüchtigkeit hervorrage«, die in ihrem Charakter oder durch ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/702>, abgerufen am 23.07.2024.