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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

Das heutige Kulturleben fordert in einem großen Staat einheitliche Formen
für gewisse Zweige des öffentlichen Wirkens. Strafrecht, einige Teile des
bürgerlichen Rechts, Prozeß und Justizverfassung, Geldwesen, Anstalten des
Verkehrs werden nur dann die modernen Bedürfnisse befriedigen tonnen,
wenn sie in Form und Verwaltung einheitlich sind. Wir finden in Deutschland
keinen Landesteil, in dem alle diese Dinge nicht zugleich der Wohlthat einer
einheitlichen, also einer einzigen Sprache genießen konnten. Wir finden geringe
Landesteile, in denen die deutsche Sprache im Schulwesen den Forderungen
der Bevölkerung widersteht. Es giebt gewiß nichts wesentlicheres für eine
Nation als die Sprache. Dennoch ist für den Staat die Einheitlichkeit der
Sprache keineswegs ein Lebensbedürfnis. Die Einheitlichkeit der Sprache
indessen ist eine Erleichterung für die Verwaltung und daher wünschenswert.
Ihre Verbreitung durch die Schule ist ein Mittel, um fremde Volksteilc
national aufzusaugen, und um fremde, in der Kultur niedriger stehende
Volksteile in der Kultur zu heben. Wo aber eine der unsrigen ebenbürtige
Kultur, oder wo ein starkes nationales Selbstgefühl der deutschen Schule ent¬
gegentritt, wo die deutsche Schule uur verbunden mit starkem staatlichem
Zwang arbeiten kann, da wird das Gute, das sie bringen soll, oft verschüttet
durch das Übel, das der Zwang hervorruft.

Mit der Sprache giebt man seine Nationalität ans. Das mag dein pol¬
nischen Bauern, der in die deutsche Schule gezwungen wird, nicht allzu schwer
fallen; es muß den Haß des gebildeten Polen, des Dänen erwecken, der leiden¬
schaftlich an seiner Nationalität hängt, und der sich in seiner persönlichen Frei¬
heit verletzt sühlt. Warum sollte es notwendig sein, ihnen ihre polnischen,
dänischen, französischen Schulen zu verbieten? Lehrt die Geschichte nicht, daß
verschiedne Nationalität den festen Zusammenhang, die Einigkeit der Staats¬
angehörigen keineswegs zu störe" braucht? In der nordamerikanischen Union,
in der Schweiz mag jeder Volksstamm in seiner Sprache Schulen errichten,
und sie bleiben doch alle gleich gute Schweizer oder Amerikaner. In Deutsch¬
land sind die nationalen Schwierigkeiten so gering, daß mau ohne Gefahr nicht
nur den Dänen, sondern auch den Polen und Franzosen erlauben dürfte, sich
ihre nationalen Schulen zu errichten. Soviel deutsch, als für den allgemeinen
Verkehr wünschenswert ist, würden sie freiwillig in dem heutigen regen Ver¬
kehrsleben selbst erlernen, und eine Nachhilfe bietet die Wehrpflicht. Aber
gerade diese, so sagt man, fordre die deutsche Schulung.

Die allgemeine Wehrpflicht hat einen großen Einfluß auf die nationalen
Verhältnisse gewonnen. In den Heeren alter Zeit kämpften Männer ver-
schiedner Nationalität neben einander, die einander oft sprachlich nicht ver¬
standen; der Deutsche, der Schweizer war überall in Enropa zu finden als
Soldat in fremden Heeren und schlug sich tapfer, ohne französisch, italienisch,
spanisch zu verstehn; die österreichischen Heere sind bis auf den heutigen Tag


Nation und Staat

Das heutige Kulturleben fordert in einem großen Staat einheitliche Formen
für gewisse Zweige des öffentlichen Wirkens. Strafrecht, einige Teile des
bürgerlichen Rechts, Prozeß und Justizverfassung, Geldwesen, Anstalten des
Verkehrs werden nur dann die modernen Bedürfnisse befriedigen tonnen,
wenn sie in Form und Verwaltung einheitlich sind. Wir finden in Deutschland
keinen Landesteil, in dem alle diese Dinge nicht zugleich der Wohlthat einer
einheitlichen, also einer einzigen Sprache genießen konnten. Wir finden geringe
Landesteile, in denen die deutsche Sprache im Schulwesen den Forderungen
der Bevölkerung widersteht. Es giebt gewiß nichts wesentlicheres für eine
Nation als die Sprache. Dennoch ist für den Staat die Einheitlichkeit der
Sprache keineswegs ein Lebensbedürfnis. Die Einheitlichkeit der Sprache
indessen ist eine Erleichterung für die Verwaltung und daher wünschenswert.
Ihre Verbreitung durch die Schule ist ein Mittel, um fremde Volksteilc
national aufzusaugen, und um fremde, in der Kultur niedriger stehende
Volksteile in der Kultur zu heben. Wo aber eine der unsrigen ebenbürtige
Kultur, oder wo ein starkes nationales Selbstgefühl der deutschen Schule ent¬
gegentritt, wo die deutsche Schule uur verbunden mit starkem staatlichem
Zwang arbeiten kann, da wird das Gute, das sie bringen soll, oft verschüttet
durch das Übel, das der Zwang hervorruft.

Mit der Sprache giebt man seine Nationalität ans. Das mag dein pol¬
nischen Bauern, der in die deutsche Schule gezwungen wird, nicht allzu schwer
fallen; es muß den Haß des gebildeten Polen, des Dänen erwecken, der leiden¬
schaftlich an seiner Nationalität hängt, und der sich in seiner persönlichen Frei¬
heit verletzt sühlt. Warum sollte es notwendig sein, ihnen ihre polnischen,
dänischen, französischen Schulen zu verbieten? Lehrt die Geschichte nicht, daß
verschiedne Nationalität den festen Zusammenhang, die Einigkeit der Staats¬
angehörigen keineswegs zu störe» braucht? In der nordamerikanischen Union,
in der Schweiz mag jeder Volksstamm in seiner Sprache Schulen errichten,
und sie bleiben doch alle gleich gute Schweizer oder Amerikaner. In Deutsch¬
land sind die nationalen Schwierigkeiten so gering, daß mau ohne Gefahr nicht
nur den Dänen, sondern auch den Polen und Franzosen erlauben dürfte, sich
ihre nationalen Schulen zu errichten. Soviel deutsch, als für den allgemeinen
Verkehr wünschenswert ist, würden sie freiwillig in dem heutigen regen Ver¬
kehrsleben selbst erlernen, und eine Nachhilfe bietet die Wehrpflicht. Aber
gerade diese, so sagt man, fordre die deutsche Schulung.

Die allgemeine Wehrpflicht hat einen großen Einfluß auf die nationalen
Verhältnisse gewonnen. In den Heeren alter Zeit kämpften Männer ver-
schiedner Nationalität neben einander, die einander oft sprachlich nicht ver¬
standen; der Deutsche, der Schweizer war überall in Enropa zu finden als
Soldat in fremden Heeren und schlug sich tapfer, ohne französisch, italienisch,
spanisch zu verstehn; die österreichischen Heere sind bis auf den heutigen Tag


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[0704] Nation und Staat Das heutige Kulturleben fordert in einem großen Staat einheitliche Formen für gewisse Zweige des öffentlichen Wirkens. Strafrecht, einige Teile des bürgerlichen Rechts, Prozeß und Justizverfassung, Geldwesen, Anstalten des Verkehrs werden nur dann die modernen Bedürfnisse befriedigen tonnen, wenn sie in Form und Verwaltung einheitlich sind. Wir finden in Deutschland keinen Landesteil, in dem alle diese Dinge nicht zugleich der Wohlthat einer einheitlichen, also einer einzigen Sprache genießen konnten. Wir finden geringe Landesteile, in denen die deutsche Sprache im Schulwesen den Forderungen der Bevölkerung widersteht. Es giebt gewiß nichts wesentlicheres für eine Nation als die Sprache. Dennoch ist für den Staat die Einheitlichkeit der Sprache keineswegs ein Lebensbedürfnis. Die Einheitlichkeit der Sprache indessen ist eine Erleichterung für die Verwaltung und daher wünschenswert. Ihre Verbreitung durch die Schule ist ein Mittel, um fremde Volksteilc national aufzusaugen, und um fremde, in der Kultur niedriger stehende Volksteile in der Kultur zu heben. Wo aber eine der unsrigen ebenbürtige Kultur, oder wo ein starkes nationales Selbstgefühl der deutschen Schule ent¬ gegentritt, wo die deutsche Schule uur verbunden mit starkem staatlichem Zwang arbeiten kann, da wird das Gute, das sie bringen soll, oft verschüttet durch das Übel, das der Zwang hervorruft. Mit der Sprache giebt man seine Nationalität ans. Das mag dein pol¬ nischen Bauern, der in die deutsche Schule gezwungen wird, nicht allzu schwer fallen; es muß den Haß des gebildeten Polen, des Dänen erwecken, der leiden¬ schaftlich an seiner Nationalität hängt, und der sich in seiner persönlichen Frei¬ heit verletzt sühlt. Warum sollte es notwendig sein, ihnen ihre polnischen, dänischen, französischen Schulen zu verbieten? Lehrt die Geschichte nicht, daß verschiedne Nationalität den festen Zusammenhang, die Einigkeit der Staats¬ angehörigen keineswegs zu störe» braucht? In der nordamerikanischen Union, in der Schweiz mag jeder Volksstamm in seiner Sprache Schulen errichten, und sie bleiben doch alle gleich gute Schweizer oder Amerikaner. In Deutsch¬ land sind die nationalen Schwierigkeiten so gering, daß mau ohne Gefahr nicht nur den Dänen, sondern auch den Polen und Franzosen erlauben dürfte, sich ihre nationalen Schulen zu errichten. Soviel deutsch, als für den allgemeinen Verkehr wünschenswert ist, würden sie freiwillig in dem heutigen regen Ver¬ kehrsleben selbst erlernen, und eine Nachhilfe bietet die Wehrpflicht. Aber gerade diese, so sagt man, fordre die deutsche Schulung. Die allgemeine Wehrpflicht hat einen großen Einfluß auf die nationalen Verhältnisse gewonnen. In den Heeren alter Zeit kämpften Männer ver- schiedner Nationalität neben einander, die einander oft sprachlich nicht ver¬ standen; der Deutsche, der Schweizer war überall in Enropa zu finden als Soldat in fremden Heeren und schlug sich tapfer, ohne französisch, italienisch, spanisch zu verstehn; die österreichischen Heere sind bis auf den heutigen Tag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/704>, abgerufen am 23.07.2024.