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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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nachdem wir eine reiche Memoirenlitteratur erhalten haben, auch möglich, seinen
Aufzeichnungen oft bis ins einzelne hinein nachzugehn. Es ist eine Aufgabe
der Redaktion gewesen, in den Anmerkungen diese Belege beizubringen, ohne
daß Vollständigkeit der Nachweise erstrebt worden wäre. Sie sind reichlicher
in der ersten Hälfte, wo die großen Thatsachen sich drängen, sparsamer in
der zweiten, wo es meist mir darauf ankam, auf die im Texte oft nur ge¬
streiften Thatsachen mit kurzen Erläuterungen hinzuweisen.

Auf hohem Kothurn erscheint Fürst Bismcirck in diesen Blättern freilich
nicht, sondern im Hausrock, nicht im Parlament und im Kabinett, sondern im
Arbeitszimmer und im vertrauten Verkehr mit seinen Getreuen zu Hause bei
sich, kurz in einer Umgebung, wo er wie jeder sich frei und ungezwungen äußerte,
wo er rückhaltlos und wohl auch rücksichtslos feiner Stimmung und Ver¬
stimmung, seinem Verdruß und Zorn Ausdruck gab, wo er über Personen und
Dinge mit schneidender Schürfe, oft einmal wohl auch ungerecht urteilte.
Niemand wird ein solches Urteil als objektive historische Wahrheit auffassen,
niemand wird in jedem rasch hingeworfnen Satze ein Dogma sehen. Und wollten
wir den Fürsten Bismcirck uns immer uur als den großen Streitredner und den
genialen Staatsmann vorstellen, so würden wir ein höchst einseitiges, also ein
falsches Bild von ihm gewinnen; erst wenn wir ihn auch als Meuschen in
seiner alltäglichen Arbeit und Umgebung kennen lernen, haben wir ein voll¬
ständiges, also ein richtiges Bild des gewaltigen Mannes. Und wer wollte
sie missen, die Blicke in diese Seele voll genialer Gedanken, voll Stolz, Zorn,
Leidenschaft und Haß, aber auch voll guter Laune, voll heißer Vaterlandsliebe,
altgermanischer Königstreue und tiefer, ehrlicher Frömmigkeit! Wie er da immer
wieder scherzt und spottet oder klagt und zürnt und doch trotz aller Ermüdung
niemals die Hand vom Nuder läßt, weil er es für sündhaft hält, seinen greisen
König zu verlassen! Er selbst, der immer alle Pose haßte und eifrig bemüht war,
Legenden um seineDersvn zu zerstören, er hat niemals seine Gestalt nur von
der einen Seite zeigen wollen, weder in seinen "Gedanken und Erinnerungen,"
"och in dem, was er andre von sich veröffentliche" ließ, ohne seine Verant¬
wortung, aber meist anch ohne Widerspruch. Verkleinert wird sein Bild durch
solche Züge wahrhaftig nicht, sondern uns nur menschlich näher gerückt: er wird
"us so erst verständlich und nur noch teurer. Denn die wahre Größe gewinnt
in der Nähe, nur die falsche Größe verliert. Ähnlich ist es mit seiner Sprache.
Er konnte sich je nach den Umstünden vornehm und gewählt oder drastisch und
Populär ausdrücken, gerade wie sein Lieblingsdichter Shakespeare; beides gehörte
zu seiner Natur, und er handhabte beiderlei Ausdrucksweisen mit gleicher Voll¬
kommenheit. Das Bemühen, nnr die erste bei ihm zu finden, würde er selbst
als eine Fälschung verächtlich zurückgewiesen haben.

Die Frage, inwieweit es taktvoll oder taktlos, diskret oder indiskret sei,
dies oder jenes von dem Gehörten und Gesehenen öffentlich zu erzählen, wird
je uach der Empfindung des Einzelnen immer verschieden beantwortet werden.


nachdem wir eine reiche Memoirenlitteratur erhalten haben, auch möglich, seinen
Aufzeichnungen oft bis ins einzelne hinein nachzugehn. Es ist eine Aufgabe
der Redaktion gewesen, in den Anmerkungen diese Belege beizubringen, ohne
daß Vollständigkeit der Nachweise erstrebt worden wäre. Sie sind reichlicher
in der ersten Hälfte, wo die großen Thatsachen sich drängen, sparsamer in
der zweiten, wo es meist mir darauf ankam, auf die im Texte oft nur ge¬
streiften Thatsachen mit kurzen Erläuterungen hinzuweisen.

Auf hohem Kothurn erscheint Fürst Bismcirck in diesen Blättern freilich
nicht, sondern im Hausrock, nicht im Parlament und im Kabinett, sondern im
Arbeitszimmer und im vertrauten Verkehr mit seinen Getreuen zu Hause bei
sich, kurz in einer Umgebung, wo er wie jeder sich frei und ungezwungen äußerte,
wo er rückhaltlos und wohl auch rücksichtslos feiner Stimmung und Ver¬
stimmung, seinem Verdruß und Zorn Ausdruck gab, wo er über Personen und
Dinge mit schneidender Schürfe, oft einmal wohl auch ungerecht urteilte.
Niemand wird ein solches Urteil als objektive historische Wahrheit auffassen,
niemand wird in jedem rasch hingeworfnen Satze ein Dogma sehen. Und wollten
wir den Fürsten Bismcirck uns immer uur als den großen Streitredner und den
genialen Staatsmann vorstellen, so würden wir ein höchst einseitiges, also ein
falsches Bild von ihm gewinnen; erst wenn wir ihn auch als Meuschen in
seiner alltäglichen Arbeit und Umgebung kennen lernen, haben wir ein voll¬
ständiges, also ein richtiges Bild des gewaltigen Mannes. Und wer wollte
sie missen, die Blicke in diese Seele voll genialer Gedanken, voll Stolz, Zorn,
Leidenschaft und Haß, aber auch voll guter Laune, voll heißer Vaterlandsliebe,
altgermanischer Königstreue und tiefer, ehrlicher Frömmigkeit! Wie er da immer
wieder scherzt und spottet oder klagt und zürnt und doch trotz aller Ermüdung
niemals die Hand vom Nuder läßt, weil er es für sündhaft hält, seinen greisen
König zu verlassen! Er selbst, der immer alle Pose haßte und eifrig bemüht war,
Legenden um seineDersvn zu zerstören, er hat niemals seine Gestalt nur von
der einen Seite zeigen wollen, weder in seinen „Gedanken und Erinnerungen,"
»och in dem, was er andre von sich veröffentliche» ließ, ohne seine Verant¬
wortung, aber meist anch ohne Widerspruch. Verkleinert wird sein Bild durch
solche Züge wahrhaftig nicht, sondern uns nur menschlich näher gerückt: er wird
»us so erst verständlich und nur noch teurer. Denn die wahre Größe gewinnt
in der Nähe, nur die falsche Größe verliert. Ähnlich ist es mit seiner Sprache.
Er konnte sich je nach den Umstünden vornehm und gewählt oder drastisch und
Populär ausdrücken, gerade wie sein Lieblingsdichter Shakespeare; beides gehörte
zu seiner Natur, und er handhabte beiderlei Ausdrucksweisen mit gleicher Voll¬
kommenheit. Das Bemühen, nnr die erste bei ihm zu finden, würde er selbst
als eine Fälschung verächtlich zurückgewiesen haben.

Die Frage, inwieweit es taktvoll oder taktlos, diskret oder indiskret sei,
dies oder jenes von dem Gehörten und Gesehenen öffentlich zu erzählen, wird
je uach der Empfindung des Einzelnen immer verschieden beantwortet werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/635>, abgerufen am 23.07.2024.