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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die Tagebuchblätter von Moritz Busch

des Reichskanzlers für die Presse thätig und mit der Ordnung des Stoffes
für die "Gedanken und Erinnerungen" beschäftigt war, zu denen der erste
Vorsatz mindestens schon 1877 gefaßt worden ist (s. Bd. II, 487), beides in
engster Gemeinschaft mit Lothar Bücher, dem der Fürst wie keinem andern in
seiner Umgebung vertraut hat, und dessen Verlust er aufs schmerzlichste empfand.
Aus Buchers eignen seinem Freunde Busch anvertrauten Aufzeichnungen wurden
solche Stücke gegeben, deren Neröffeutlichuug jetzt möglich ist. Anhangs- und
anmerkungsweise sind im dritten Bande einige ergänzende Darstellungen auf
Grund des in der englischen Ausgabe abgedruckten Briefmaterials beigefügt,
weil sich die Herausgeber noch nicht für berechtigt hielten, diese Schriftstücke
nach den Abschriften der deutscheu Originale im Wortlaute zu veröffentlichen.
Endlich folgen Tagebuchblätter, die Busch 1864 vor und während dem dänischen
Kriege im Lande selbst und während der Kriegswochen von 1866 in Leipzig
aufgezeichnet und schon in seinen "Neuen Tagebuchblätteru" 1879 veröffent¬
licht hat, die aber um so willkommner sein werden, als die damaligen Er¬
eignisse an vielen Stellen der vorliegenden Bände erwähnt werden.

Die Tagebuchblätter geben eine Reihe von kleinen Bildern auf dem großen
weltgeschichtlichen Hintergrunde dieser Zeit. Es sind viele Stimmungsbilder
darunter, aber eben Bilder von Bismarcks Stimmungen; zugleich sehen wir
in einer Weise, wie es bisher noch nicht möglich gewesen ist, in die Art
hinein, wie der Reichskanzler für seine Zwecke die Presse benutzte, deren
Wichtigkeit für diese er ebenso zu schätzen wußte, wie er gewöhnliche Zeitungs¬
artikel als "Druckerschwärze" mißachtete. Die Aufgabe, Bilder vou photo-
graphischer Treue zu liefern, wird selten ein Mensch so vollkommen gelöst
haben wie Busch. Welche Anspannung und Ausdauer dazu gehört hat, das
tritt vor altem in dem Tagebuche aus dem Kriege 1870/71 hervor. Kein
andrer in der Umgebung des Kanzlers hat es so vermocht, Bilder dieser Art
von seinem Leben in dieser großen Zeit festzuhalten, auch Abeken nicht; wie
wenig würden wir also ohne Busch von all den Dingen wissen, die uns aus
seinen Blättern so lebendig entgegentreten! Einzelne Irrtümer und falsche Auf-
fassungen sind bei solchen Aufzeichnungen ja ganz unvermeidlich, aber sie fallen
oft nicht einmal dem Verfasser zur Last, sondern dem, dessen Äußerungen er
wiedergiebt, und den Ton der Stimme, den Ausdruck des Sprechenden, die ganze
Situation kann ohnehin niemand in der Schrift festhalten, die können nur in der
Phantasie einigermaßen wiederhergestellt werden. Wer niemals ähnliches selbst
versucht hat, der hat über Aufzeichnungen dieser Art gar kein Urteil; wer sie
überhaupt verwirft, der muß auf das Eigentümlichste und Lebendigste verzichten,
der müßte auch Luthers Tischreden verwerfen. Und welches Recht hatten dann
die zahllosen Leute, mit denen Fürst Vismarck vor und nach 1890 zusammen¬
kam, ihre Eindrücke mitzuteilen, ohne daß sie der Kanzler kontrollierte, was er
anch bei Aufforderungen derart gewöhnlich abzulehnen pflegte? Steht aber die
subjektive Zuverlässigkeit des Tagebuchschrcibers außer Zweifel, so ist es jetzt,


Die Tagebuchblätter von Moritz Busch

des Reichskanzlers für die Presse thätig und mit der Ordnung des Stoffes
für die „Gedanken und Erinnerungen" beschäftigt war, zu denen der erste
Vorsatz mindestens schon 1877 gefaßt worden ist (s. Bd. II, 487), beides in
engster Gemeinschaft mit Lothar Bücher, dem der Fürst wie keinem andern in
seiner Umgebung vertraut hat, und dessen Verlust er aufs schmerzlichste empfand.
Aus Buchers eignen seinem Freunde Busch anvertrauten Aufzeichnungen wurden
solche Stücke gegeben, deren Neröffeutlichuug jetzt möglich ist. Anhangs- und
anmerkungsweise sind im dritten Bande einige ergänzende Darstellungen auf
Grund des in der englischen Ausgabe abgedruckten Briefmaterials beigefügt,
weil sich die Herausgeber noch nicht für berechtigt hielten, diese Schriftstücke
nach den Abschriften der deutscheu Originale im Wortlaute zu veröffentlichen.
Endlich folgen Tagebuchblätter, die Busch 1864 vor und während dem dänischen
Kriege im Lande selbst und während der Kriegswochen von 1866 in Leipzig
aufgezeichnet und schon in seinen „Neuen Tagebuchblätteru" 1879 veröffent¬
licht hat, die aber um so willkommner sein werden, als die damaligen Er¬
eignisse an vielen Stellen der vorliegenden Bände erwähnt werden.

Die Tagebuchblätter geben eine Reihe von kleinen Bildern auf dem großen
weltgeschichtlichen Hintergrunde dieser Zeit. Es sind viele Stimmungsbilder
darunter, aber eben Bilder von Bismarcks Stimmungen; zugleich sehen wir
in einer Weise, wie es bisher noch nicht möglich gewesen ist, in die Art
hinein, wie der Reichskanzler für seine Zwecke die Presse benutzte, deren
Wichtigkeit für diese er ebenso zu schätzen wußte, wie er gewöhnliche Zeitungs¬
artikel als „Druckerschwärze" mißachtete. Die Aufgabe, Bilder vou photo-
graphischer Treue zu liefern, wird selten ein Mensch so vollkommen gelöst
haben wie Busch. Welche Anspannung und Ausdauer dazu gehört hat, das
tritt vor altem in dem Tagebuche aus dem Kriege 1870/71 hervor. Kein
andrer in der Umgebung des Kanzlers hat es so vermocht, Bilder dieser Art
von seinem Leben in dieser großen Zeit festzuhalten, auch Abeken nicht; wie
wenig würden wir also ohne Busch von all den Dingen wissen, die uns aus
seinen Blättern so lebendig entgegentreten! Einzelne Irrtümer und falsche Auf-
fassungen sind bei solchen Aufzeichnungen ja ganz unvermeidlich, aber sie fallen
oft nicht einmal dem Verfasser zur Last, sondern dem, dessen Äußerungen er
wiedergiebt, und den Ton der Stimme, den Ausdruck des Sprechenden, die ganze
Situation kann ohnehin niemand in der Schrift festhalten, die können nur in der
Phantasie einigermaßen wiederhergestellt werden. Wer niemals ähnliches selbst
versucht hat, der hat über Aufzeichnungen dieser Art gar kein Urteil; wer sie
überhaupt verwirft, der muß auf das Eigentümlichste und Lebendigste verzichten,
der müßte auch Luthers Tischreden verwerfen. Und welches Recht hatten dann
die zahllosen Leute, mit denen Fürst Vismarck vor und nach 1890 zusammen¬
kam, ihre Eindrücke mitzuteilen, ohne daß sie der Kanzler kontrollierte, was er
anch bei Aufforderungen derart gewöhnlich abzulehnen pflegte? Steht aber die
subjektive Zuverlässigkeit des Tagebuchschrcibers außer Zweifel, so ist es jetzt,


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[0634] Die Tagebuchblätter von Moritz Busch des Reichskanzlers für die Presse thätig und mit der Ordnung des Stoffes für die „Gedanken und Erinnerungen" beschäftigt war, zu denen der erste Vorsatz mindestens schon 1877 gefaßt worden ist (s. Bd. II, 487), beides in engster Gemeinschaft mit Lothar Bücher, dem der Fürst wie keinem andern in seiner Umgebung vertraut hat, und dessen Verlust er aufs schmerzlichste empfand. Aus Buchers eignen seinem Freunde Busch anvertrauten Aufzeichnungen wurden solche Stücke gegeben, deren Neröffeutlichuug jetzt möglich ist. Anhangs- und anmerkungsweise sind im dritten Bande einige ergänzende Darstellungen auf Grund des in der englischen Ausgabe abgedruckten Briefmaterials beigefügt, weil sich die Herausgeber noch nicht für berechtigt hielten, diese Schriftstücke nach den Abschriften der deutscheu Originale im Wortlaute zu veröffentlichen. Endlich folgen Tagebuchblätter, die Busch 1864 vor und während dem dänischen Kriege im Lande selbst und während der Kriegswochen von 1866 in Leipzig aufgezeichnet und schon in seinen „Neuen Tagebuchblätteru" 1879 veröffent¬ licht hat, die aber um so willkommner sein werden, als die damaligen Er¬ eignisse an vielen Stellen der vorliegenden Bände erwähnt werden. Die Tagebuchblätter geben eine Reihe von kleinen Bildern auf dem großen weltgeschichtlichen Hintergrunde dieser Zeit. Es sind viele Stimmungsbilder darunter, aber eben Bilder von Bismarcks Stimmungen; zugleich sehen wir in einer Weise, wie es bisher noch nicht möglich gewesen ist, in die Art hinein, wie der Reichskanzler für seine Zwecke die Presse benutzte, deren Wichtigkeit für diese er ebenso zu schätzen wußte, wie er gewöhnliche Zeitungs¬ artikel als „Druckerschwärze" mißachtete. Die Aufgabe, Bilder vou photo- graphischer Treue zu liefern, wird selten ein Mensch so vollkommen gelöst haben wie Busch. Welche Anspannung und Ausdauer dazu gehört hat, das tritt vor altem in dem Tagebuche aus dem Kriege 1870/71 hervor. Kein andrer in der Umgebung des Kanzlers hat es so vermocht, Bilder dieser Art von seinem Leben in dieser großen Zeit festzuhalten, auch Abeken nicht; wie wenig würden wir also ohne Busch von all den Dingen wissen, die uns aus seinen Blättern so lebendig entgegentreten! Einzelne Irrtümer und falsche Auf- fassungen sind bei solchen Aufzeichnungen ja ganz unvermeidlich, aber sie fallen oft nicht einmal dem Verfasser zur Last, sondern dem, dessen Äußerungen er wiedergiebt, und den Ton der Stimme, den Ausdruck des Sprechenden, die ganze Situation kann ohnehin niemand in der Schrift festhalten, die können nur in der Phantasie einigermaßen wiederhergestellt werden. Wer niemals ähnliches selbst versucht hat, der hat über Aufzeichnungen dieser Art gar kein Urteil; wer sie überhaupt verwirft, der muß auf das Eigentümlichste und Lebendigste verzichten, der müßte auch Luthers Tischreden verwerfen. Und welches Recht hatten dann die zahllosen Leute, mit denen Fürst Vismarck vor und nach 1890 zusammen¬ kam, ihre Eindrücke mitzuteilen, ohne daß sie der Kanzler kontrollierte, was er anch bei Aufforderungen derart gewöhnlich abzulehnen pflegte? Steht aber die subjektive Zuverlässigkeit des Tagebuchschrcibers außer Zweifel, so ist es jetzt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/634>, abgerufen am 23.07.2024.