Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

daß die Nordländer nur als Schüler der Südländer zur Kunst gelangen konnten;
l>aben sie doch auch die Wissenschaften von diesen erlernt. Die Anlage hat
ihnen zu jener so wenig gefehlt wie zu diesen, und mit nicht minder ehr¬
fürchtiger Bewunderung, wie die Assyrier die Pracht ihrer Kvnigspalnste, haben
die Germanen die Bauten und Kunstwerke der Römerwelt angeschaut. Nicht
die orientalischen Kulturvölker endlich sind es, bei denen die Kunst am meisten
Macht gehabt hat über die Gemüter der Masse -- weit mächtiger waren hier
der grobsinnliche Genuß und ein furchtbarer religiöser Aberglaube --, sondern,
wie wohl alle Welt heute zugiebt, die Hellenen, und in deren Kunstwerken
steckt schlechterdings nichts schwarzes; zeichnen, den Stein bearbeiten, Farben
gewinnen und mischen, das haben sie freilich von Hcuniten und Semiten lernen
müssen, weil diese eben, wie immer auch ihr Blut und ihre Hautfarbe be¬
schaffen gewesen sein mag, früher zur Kultur, d. h. hier zur Ausbildung tech¬
nischer Fertigkeiten gelangt waren.

Noch auffälliger als diese Verwendung der Bluthypothese für die Ästhetik
ist die für Kulturgeschichte und Politik. Wenn Gobineau von den Ägyptern
sagt, ihre "geheimnisvolle Schlafsucht," die Unveränderlichkeit ihrer Kultur,
habe zu allen Zeiten Befremden erregt, und die Griechen und Römer seien so
gut darüber erstaunt gewesen wie wir, so ist darauf zu erwidern, daß "wir"
gar nicht erstaunt darüber sind; es hieße Lehrbücher für Knaben abschreiben,
wenn wir hier darlegen wollten, warum jedermann die Eigentümlichkeit wie
die Beharrlichkeit der ägyptischen Kultur ganz natürlich findet. Beides erklärt
sich daraus, daß die schmale Thalspalte des Nils ein Land ist, wie es kein
zweites mehr giebt und seinen Bewohnern Lebensbedingungen darbietet, die
nirgends auf der Erde mehr vorkommen, und daß es sich in den Zeiten der
unvollkommnen Verkehrsmittel einer Abgeschlossenheit erfreute, die es vor
fremden Einflüssen schützte. Von der Bedeutung dieser geographischen Be¬
dingungen weiß Gobineau nichts. Man habe die Priester als Verhinderer des
Fortschritts angeklagt, meint er; aber die Semiten, die Hannen, die Inder
hätten doch auch mächtige und herrschsüchtige Priester gehabt. Woher komme
es denn, "daß in diesen Ländern die Zivilisation regsam gewesen, vorwärts
gekommen, durch vielfache Phase" hindurchgegangen ist, daß die Künste Fort¬
schritte gemacht haben, die Schrift die Formen gewechselt und es zur Voll¬
endung gebracht hat?") Ganz einfach daher, daß in diesen verschiednen
Gegenden die Macht des Priestertums, so ungeheuer sie auch sein mochte, doch
nichts war gegen den Einfluß, welchem die Bestände des Blutes der Weißen,
dieser unversieglichen Quelle von Leben und Kraft, in nnunterbrvchner Folge
ausübten. ... Die ägyptische Gesellschaft, die nnr sehr wenige neue weiße



") Auch in Ägypten hat die Schrift die Formen gewechselt; zur Bollendung hat sie es
dort allerdings nicht gebracht,

daß die Nordländer nur als Schüler der Südländer zur Kunst gelangen konnten;
l>aben sie doch auch die Wissenschaften von diesen erlernt. Die Anlage hat
ihnen zu jener so wenig gefehlt wie zu diesen, und mit nicht minder ehr¬
fürchtiger Bewunderung, wie die Assyrier die Pracht ihrer Kvnigspalnste, haben
die Germanen die Bauten und Kunstwerke der Römerwelt angeschaut. Nicht
die orientalischen Kulturvölker endlich sind es, bei denen die Kunst am meisten
Macht gehabt hat über die Gemüter der Masse — weit mächtiger waren hier
der grobsinnliche Genuß und ein furchtbarer religiöser Aberglaube —, sondern,
wie wohl alle Welt heute zugiebt, die Hellenen, und in deren Kunstwerken
steckt schlechterdings nichts schwarzes; zeichnen, den Stein bearbeiten, Farben
gewinnen und mischen, das haben sie freilich von Hcuniten und Semiten lernen
müssen, weil diese eben, wie immer auch ihr Blut und ihre Hautfarbe be¬
schaffen gewesen sein mag, früher zur Kultur, d. h. hier zur Ausbildung tech¬
nischer Fertigkeiten gelangt waren.

Noch auffälliger als diese Verwendung der Bluthypothese für die Ästhetik
ist die für Kulturgeschichte und Politik. Wenn Gobineau von den Ägyptern
sagt, ihre „geheimnisvolle Schlafsucht," die Unveränderlichkeit ihrer Kultur,
habe zu allen Zeiten Befremden erregt, und die Griechen und Römer seien so
gut darüber erstaunt gewesen wie wir, so ist darauf zu erwidern, daß „wir"
gar nicht erstaunt darüber sind; es hieße Lehrbücher für Knaben abschreiben,
wenn wir hier darlegen wollten, warum jedermann die Eigentümlichkeit wie
die Beharrlichkeit der ägyptischen Kultur ganz natürlich findet. Beides erklärt
sich daraus, daß die schmale Thalspalte des Nils ein Land ist, wie es kein
zweites mehr giebt und seinen Bewohnern Lebensbedingungen darbietet, die
nirgends auf der Erde mehr vorkommen, und daß es sich in den Zeiten der
unvollkommnen Verkehrsmittel einer Abgeschlossenheit erfreute, die es vor
fremden Einflüssen schützte. Von der Bedeutung dieser geographischen Be¬
dingungen weiß Gobineau nichts. Man habe die Priester als Verhinderer des
Fortschritts angeklagt, meint er; aber die Semiten, die Hannen, die Inder
hätten doch auch mächtige und herrschsüchtige Priester gehabt. Woher komme
es denn, „daß in diesen Ländern die Zivilisation regsam gewesen, vorwärts
gekommen, durch vielfache Phase» hindurchgegangen ist, daß die Künste Fort¬
schritte gemacht haben, die Schrift die Formen gewechselt und es zur Voll¬
endung gebracht hat?") Ganz einfach daher, daß in diesen verschiednen
Gegenden die Macht des Priestertums, so ungeheuer sie auch sein mochte, doch
nichts war gegen den Einfluß, welchem die Bestände des Blutes der Weißen,
dieser unversieglichen Quelle von Leben und Kraft, in nnunterbrvchner Folge
ausübten. ... Die ägyptische Gesellschaft, die nnr sehr wenige neue weiße



") Auch in Ägypten hat die Schrift die Formen gewechselt; zur Bollendung hat sie es
dort allerdings nicht gebracht,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230283"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2439" prev="#ID_2438"> daß die Nordländer nur als Schüler der Südländer zur Kunst gelangen konnten;<lb/>
l&gt;aben sie doch auch die Wissenschaften von diesen erlernt. Die Anlage hat<lb/>
ihnen zu jener so wenig gefehlt wie zu diesen, und mit nicht minder ehr¬<lb/>
fürchtiger Bewunderung, wie die Assyrier die Pracht ihrer Kvnigspalnste, haben<lb/>
die Germanen die Bauten und Kunstwerke der Römerwelt angeschaut. Nicht<lb/>
die orientalischen Kulturvölker endlich sind es, bei denen die Kunst am meisten<lb/>
Macht gehabt hat über die Gemüter der Masse &#x2014; weit mächtiger waren hier<lb/>
der grobsinnliche Genuß und ein furchtbarer religiöser Aberglaube &#x2014;, sondern,<lb/>
wie wohl alle Welt heute zugiebt, die Hellenen, und in deren Kunstwerken<lb/>
steckt schlechterdings nichts schwarzes; zeichnen, den Stein bearbeiten, Farben<lb/>
gewinnen und mischen, das haben sie freilich von Hcuniten und Semiten lernen<lb/>
müssen, weil diese eben, wie immer auch ihr Blut und ihre Hautfarbe be¬<lb/>
schaffen gewesen sein mag, früher zur Kultur, d. h. hier zur Ausbildung tech¬<lb/>
nischer Fertigkeiten gelangt waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2440" next="#ID_2441"> Noch auffälliger als diese Verwendung der Bluthypothese für die Ästhetik<lb/>
ist die für Kulturgeschichte und Politik. Wenn Gobineau von den Ägyptern<lb/>
sagt, ihre &#x201E;geheimnisvolle Schlafsucht," die Unveränderlichkeit ihrer Kultur,<lb/>
habe zu allen Zeiten Befremden erregt, und die Griechen und Römer seien so<lb/>
gut darüber erstaunt gewesen wie wir, so ist darauf zu erwidern, daß &#x201E;wir"<lb/>
gar nicht erstaunt darüber sind; es hieße Lehrbücher für Knaben abschreiben,<lb/>
wenn wir hier darlegen wollten, warum jedermann die Eigentümlichkeit wie<lb/>
die Beharrlichkeit der ägyptischen Kultur ganz natürlich findet. Beides erklärt<lb/>
sich daraus, daß die schmale Thalspalte des Nils ein Land ist, wie es kein<lb/>
zweites mehr giebt und seinen Bewohnern Lebensbedingungen darbietet, die<lb/>
nirgends auf der Erde mehr vorkommen, und daß es sich in den Zeiten der<lb/>
unvollkommnen Verkehrsmittel einer Abgeschlossenheit erfreute, die es vor<lb/>
fremden Einflüssen schützte. Von der Bedeutung dieser geographischen Be¬<lb/>
dingungen weiß Gobineau nichts. Man habe die Priester als Verhinderer des<lb/>
Fortschritts angeklagt, meint er; aber die Semiten, die Hannen, die Inder<lb/>
hätten doch auch mächtige und herrschsüchtige Priester gehabt. Woher komme<lb/>
es denn, &#x201E;daß in diesen Ländern die Zivilisation regsam gewesen, vorwärts<lb/>
gekommen, durch vielfache Phase» hindurchgegangen ist, daß die Künste Fort¬<lb/>
schritte gemacht haben, die Schrift die Formen gewechselt und es zur Voll¬<lb/>
endung gebracht hat?") Ganz einfach daher, daß in diesen verschiednen<lb/>
Gegenden die Macht des Priestertums, so ungeheuer sie auch sein mochte, doch<lb/>
nichts war gegen den Einfluß, welchem die Bestände des Blutes der Weißen,<lb/>
dieser unversieglichen Quelle von Leben und Kraft, in nnunterbrvchner Folge<lb/>
ausübten. ... Die ägyptische Gesellschaft, die nnr sehr wenige neue weiße</p><lb/>
          <note xml:id="FID_121" place="foot"> ") Auch in Ägypten hat die Schrift die Formen gewechselt; zur Bollendung hat sie es<lb/>
dort allerdings nicht gebracht,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0597] daß die Nordländer nur als Schüler der Südländer zur Kunst gelangen konnten; l>aben sie doch auch die Wissenschaften von diesen erlernt. Die Anlage hat ihnen zu jener so wenig gefehlt wie zu diesen, und mit nicht minder ehr¬ fürchtiger Bewunderung, wie die Assyrier die Pracht ihrer Kvnigspalnste, haben die Germanen die Bauten und Kunstwerke der Römerwelt angeschaut. Nicht die orientalischen Kulturvölker endlich sind es, bei denen die Kunst am meisten Macht gehabt hat über die Gemüter der Masse — weit mächtiger waren hier der grobsinnliche Genuß und ein furchtbarer religiöser Aberglaube —, sondern, wie wohl alle Welt heute zugiebt, die Hellenen, und in deren Kunstwerken steckt schlechterdings nichts schwarzes; zeichnen, den Stein bearbeiten, Farben gewinnen und mischen, das haben sie freilich von Hcuniten und Semiten lernen müssen, weil diese eben, wie immer auch ihr Blut und ihre Hautfarbe be¬ schaffen gewesen sein mag, früher zur Kultur, d. h. hier zur Ausbildung tech¬ nischer Fertigkeiten gelangt waren. Noch auffälliger als diese Verwendung der Bluthypothese für die Ästhetik ist die für Kulturgeschichte und Politik. Wenn Gobineau von den Ägyptern sagt, ihre „geheimnisvolle Schlafsucht," die Unveränderlichkeit ihrer Kultur, habe zu allen Zeiten Befremden erregt, und die Griechen und Römer seien so gut darüber erstaunt gewesen wie wir, so ist darauf zu erwidern, daß „wir" gar nicht erstaunt darüber sind; es hieße Lehrbücher für Knaben abschreiben, wenn wir hier darlegen wollten, warum jedermann die Eigentümlichkeit wie die Beharrlichkeit der ägyptischen Kultur ganz natürlich findet. Beides erklärt sich daraus, daß die schmale Thalspalte des Nils ein Land ist, wie es kein zweites mehr giebt und seinen Bewohnern Lebensbedingungen darbietet, die nirgends auf der Erde mehr vorkommen, und daß es sich in den Zeiten der unvollkommnen Verkehrsmittel einer Abgeschlossenheit erfreute, die es vor fremden Einflüssen schützte. Von der Bedeutung dieser geographischen Be¬ dingungen weiß Gobineau nichts. Man habe die Priester als Verhinderer des Fortschritts angeklagt, meint er; aber die Semiten, die Hannen, die Inder hätten doch auch mächtige und herrschsüchtige Priester gehabt. Woher komme es denn, „daß in diesen Ländern die Zivilisation regsam gewesen, vorwärts gekommen, durch vielfache Phase» hindurchgegangen ist, daß die Künste Fort¬ schritte gemacht haben, die Schrift die Formen gewechselt und es zur Voll¬ endung gebracht hat?") Ganz einfach daher, daß in diesen verschiednen Gegenden die Macht des Priestertums, so ungeheuer sie auch sein mochte, doch nichts war gegen den Einfluß, welchem die Bestände des Blutes der Weißen, dieser unversieglichen Quelle von Leben und Kraft, in nnunterbrvchner Folge ausübten. ... Die ägyptische Gesellschaft, die nnr sehr wenige neue weiße ") Auch in Ägypten hat die Schrift die Formen gewechselt; zur Bollendung hat sie es dort allerdings nicht gebracht,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/597
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/597>, abgerufen am 01.07.2024.