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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zuflüsse in sich aufgenommen, hatte keinen Anlaß, sich von dem loszusagen,
was sie ursprünglich gut und vollkommen gefunden hatte, und was ihr auch
fernerhin so schien." Zuflüsse sind es freilich, die die Veränderungen erzeugen,
und nicht bloß die Zuflüsse, sondern schon die Berührungen in Krieg und
Handelsverkehr ohne Blutvermischung, aber auf die Farbe des Blutes oder
vielmehr der Haut kommt es dabei nicht an, kommt es höchstens insofern
an, als weiße Menschen reichere und kräftigere Anregungen zu bringen Pflegen
als gelbe und schwarze. Am Euphrat, in Syrien und Kleinasien, löste immer
ein eroberndes Volk das andre ab und zwang den Unterworfnen seine Kultur
auf, daher der Wechsel; jede dieser Kulturen für sich allein würde nicht beweg¬
licher und fortschrittlicher gewesen sein als die ägyptische, sondern würde,
nachdem sie ihre Eigentümlichkeiten entfaltet und damit ihre Schaffenskraft
erschöpft hatte, stehn geblieben sein. Im fünften Jahrhundert vor Christus
war die Kultur der Assyrier und Babylonier eben gar nicht mehr die assyrisch-
babylonische, sondern die medisch-persische, und um die Zeit von Christi Geburt
war die Kultur Syriens nicht mehr die semitische, sondern die griechisch¬
römische. Nicht weil ihr Blut aufgefrischt wurde, sondern weil sie andre
Herren und Vorbilder und Moden bekamen und von außen zu Neuerungen
gezwungen wurden, haben sich die Völker Vorderasiens so vielfach geändert.
Wo die von außen kommenden Einflüsse nicht hingelangt sind, da haben sich
auch die Semiten unveränderlich gezeigt; die Beduinen leben heute nicht
wesentlich anders als Abraham und Lot gelebt haben. Und reine Arier er¬
weisen sich, wenn sie in unzugängliche Gebirgsthäler eingesperrt leben, ganz
ebenso unveränderlich wie die alten Ägypter. Auch die Bauer" Norwegens,
der Sudeten und des Schwarzwaldes, ja sogar die der wenig von Fremden
besuchten ebnen Gegenden der Mark, Ostpreußens, Hannovers haben bis in
die neuere Zeit "keinen Anlaß gehabt, sich von dem loszusagen, was sie ur¬
sprünglich gut und vollkommen gefunden hatten"; und bis auf den heutigen
Tag hört man den konservativen Sinn unsrer Bauernschaft preisen. Wenn
dieses Lob oder dieser Tadel nur noch in sehr beschränktem Maße zutrifft, so
kommt das nicht von einem neuen Zufluß arischen Blutes, sondern vom
modernen Verkehr, den Umwälzungen des Wirtschaftslebens und dem modernen
Staate, die im Verein das Unterste zu oberst kehren, die entlegensten Thäler
wie die wüstesten Einöden zugänglich machen, einen jeden aus seiner Sippe
und seiner Heimat, mit der er polypenartig verwachsen ist, herausreißen und
in den sozialen Wirbel hineinziehen.

Und diese wilde Hetze des modernen Lebens ist, so ungemütlich sie sein
mag, als Schutz gegen das uns drohende Chinesentum und daher als eine
wohlthätige Fügung der Vorsehung zu preisen. Gobineau führt selbstver¬
ständlich auch das Chiuesentum aufs Blut zurück. Die politische Seite dieses
Chiuesentums besteht darin, daß China eine demokratische Despotie ist. Nun


Zuflüsse in sich aufgenommen, hatte keinen Anlaß, sich von dem loszusagen,
was sie ursprünglich gut und vollkommen gefunden hatte, und was ihr auch
fernerhin so schien." Zuflüsse sind es freilich, die die Veränderungen erzeugen,
und nicht bloß die Zuflüsse, sondern schon die Berührungen in Krieg und
Handelsverkehr ohne Blutvermischung, aber auf die Farbe des Blutes oder
vielmehr der Haut kommt es dabei nicht an, kommt es höchstens insofern
an, als weiße Menschen reichere und kräftigere Anregungen zu bringen Pflegen
als gelbe und schwarze. Am Euphrat, in Syrien und Kleinasien, löste immer
ein eroberndes Volk das andre ab und zwang den Unterworfnen seine Kultur
auf, daher der Wechsel; jede dieser Kulturen für sich allein würde nicht beweg¬
licher und fortschrittlicher gewesen sein als die ägyptische, sondern würde,
nachdem sie ihre Eigentümlichkeiten entfaltet und damit ihre Schaffenskraft
erschöpft hatte, stehn geblieben sein. Im fünften Jahrhundert vor Christus
war die Kultur der Assyrier und Babylonier eben gar nicht mehr die assyrisch-
babylonische, sondern die medisch-persische, und um die Zeit von Christi Geburt
war die Kultur Syriens nicht mehr die semitische, sondern die griechisch¬
römische. Nicht weil ihr Blut aufgefrischt wurde, sondern weil sie andre
Herren und Vorbilder und Moden bekamen und von außen zu Neuerungen
gezwungen wurden, haben sich die Völker Vorderasiens so vielfach geändert.
Wo die von außen kommenden Einflüsse nicht hingelangt sind, da haben sich
auch die Semiten unveränderlich gezeigt; die Beduinen leben heute nicht
wesentlich anders als Abraham und Lot gelebt haben. Und reine Arier er¬
weisen sich, wenn sie in unzugängliche Gebirgsthäler eingesperrt leben, ganz
ebenso unveränderlich wie die alten Ägypter. Auch die Bauer» Norwegens,
der Sudeten und des Schwarzwaldes, ja sogar die der wenig von Fremden
besuchten ebnen Gegenden der Mark, Ostpreußens, Hannovers haben bis in
die neuere Zeit „keinen Anlaß gehabt, sich von dem loszusagen, was sie ur¬
sprünglich gut und vollkommen gefunden hatten"; und bis auf den heutigen
Tag hört man den konservativen Sinn unsrer Bauernschaft preisen. Wenn
dieses Lob oder dieser Tadel nur noch in sehr beschränktem Maße zutrifft, so
kommt das nicht von einem neuen Zufluß arischen Blutes, sondern vom
modernen Verkehr, den Umwälzungen des Wirtschaftslebens und dem modernen
Staate, die im Verein das Unterste zu oberst kehren, die entlegensten Thäler
wie die wüstesten Einöden zugänglich machen, einen jeden aus seiner Sippe
und seiner Heimat, mit der er polypenartig verwachsen ist, herausreißen und
in den sozialen Wirbel hineinziehen.

Und diese wilde Hetze des modernen Lebens ist, so ungemütlich sie sein
mag, als Schutz gegen das uns drohende Chinesentum und daher als eine
wohlthätige Fügung der Vorsehung zu preisen. Gobineau führt selbstver¬
ständlich auch das Chiuesentum aufs Blut zurück. Die politische Seite dieses
Chiuesentums besteht darin, daß China eine demokratische Despotie ist. Nun


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[0598] Zuflüsse in sich aufgenommen, hatte keinen Anlaß, sich von dem loszusagen, was sie ursprünglich gut und vollkommen gefunden hatte, und was ihr auch fernerhin so schien." Zuflüsse sind es freilich, die die Veränderungen erzeugen, und nicht bloß die Zuflüsse, sondern schon die Berührungen in Krieg und Handelsverkehr ohne Blutvermischung, aber auf die Farbe des Blutes oder vielmehr der Haut kommt es dabei nicht an, kommt es höchstens insofern an, als weiße Menschen reichere und kräftigere Anregungen zu bringen Pflegen als gelbe und schwarze. Am Euphrat, in Syrien und Kleinasien, löste immer ein eroberndes Volk das andre ab und zwang den Unterworfnen seine Kultur auf, daher der Wechsel; jede dieser Kulturen für sich allein würde nicht beweg¬ licher und fortschrittlicher gewesen sein als die ägyptische, sondern würde, nachdem sie ihre Eigentümlichkeiten entfaltet und damit ihre Schaffenskraft erschöpft hatte, stehn geblieben sein. Im fünften Jahrhundert vor Christus war die Kultur der Assyrier und Babylonier eben gar nicht mehr die assyrisch- babylonische, sondern die medisch-persische, und um die Zeit von Christi Geburt war die Kultur Syriens nicht mehr die semitische, sondern die griechisch¬ römische. Nicht weil ihr Blut aufgefrischt wurde, sondern weil sie andre Herren und Vorbilder und Moden bekamen und von außen zu Neuerungen gezwungen wurden, haben sich die Völker Vorderasiens so vielfach geändert. Wo die von außen kommenden Einflüsse nicht hingelangt sind, da haben sich auch die Semiten unveränderlich gezeigt; die Beduinen leben heute nicht wesentlich anders als Abraham und Lot gelebt haben. Und reine Arier er¬ weisen sich, wenn sie in unzugängliche Gebirgsthäler eingesperrt leben, ganz ebenso unveränderlich wie die alten Ägypter. Auch die Bauer» Norwegens, der Sudeten und des Schwarzwaldes, ja sogar die der wenig von Fremden besuchten ebnen Gegenden der Mark, Ostpreußens, Hannovers haben bis in die neuere Zeit „keinen Anlaß gehabt, sich von dem loszusagen, was sie ur¬ sprünglich gut und vollkommen gefunden hatten"; und bis auf den heutigen Tag hört man den konservativen Sinn unsrer Bauernschaft preisen. Wenn dieses Lob oder dieser Tadel nur noch in sehr beschränktem Maße zutrifft, so kommt das nicht von einem neuen Zufluß arischen Blutes, sondern vom modernen Verkehr, den Umwälzungen des Wirtschaftslebens und dem modernen Staate, die im Verein das Unterste zu oberst kehren, die entlegensten Thäler wie die wüstesten Einöden zugänglich machen, einen jeden aus seiner Sippe und seiner Heimat, mit der er polypenartig verwachsen ist, herausreißen und in den sozialen Wirbel hineinziehen. Und diese wilde Hetze des modernen Lebens ist, so ungemütlich sie sein mag, als Schutz gegen das uns drohende Chinesentum und daher als eine wohlthätige Fügung der Vorsehung zu preisen. Gobineau führt selbstver¬ ständlich auch das Chiuesentum aufs Blut zurück. Die politische Seite dieses Chiuesentums besteht darin, daß China eine demokratische Despotie ist. Nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/598>, abgerufen am 29.06.2024.