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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineans Geschichtskonstruktion

eigne Abhandlung widmen und nachweisen wollte, was und wie viel in der
Kunst dem Blute auf Rechnung zusetzen ist, denn etwas wird das allerdings
schon sein. Aber die Sache nur oberflächlich im groben angesehen, muß man
doch sagen: falscher kann man gar nicht schließen als Gobineau. Seinem
Schluß liegt die unsinnige Voraussetzung zu Grunde, daß die weißen Wesen
ohne Sinnlichkeit seien. Wären sie das, so wären sie längst verschwunden,
denn sie würden sich nicht fortgepflanzt haben. Die Weißen verdienen eben
deswegen als die vollkommenste Nasse bezeichnet zu werden, weil sie alle Eigen¬
schaften und Kräfte des Menschenwesens im höchsten Grade haben, und zu denen
gehören auch Sinnlichkeit und Phantasie. Der Unterschied zwischen ihnen und
deu Schwarzen besteht nicht darin, daß es ihnen an Sinnlichkeit, sondern daß
es den Schwarzen an Vernunft fehlt, die Sinnlichkeit zu beherrschen, und den
Weißen ist dann allerdings bei der Beherrschung der Sinnlichkeit durch die
Vernunft uoch das kalte Klima und der harte Kampf mit einem wenig er¬
giebigen Boden zu Hilfe gekommen. Gobineau hat eben, in seine einseitige
Bluttheorie verrannt, das Naturmilieu ganz außer acht gelassen. Daß die
Reinheit, Klarheit und Einfachheit der Formen in der griechischen Kunst mit
den Umrissen der südlichen Landschaftsbilder, ihrer hellen Beleuchtung und der
Vegetation Griechenlands ebenso zusammenhängt, wie die Monstrosität der
indischen Götzenbilder mit dem üppigen Gestrüpp des tropischen Urwalds und
der Unübersichtlichkeit endloser Ebnen und ungeheurer, unzugänglicher Berg¬
massen, darüber dürften Wohl heute alle Ästhetiker einig sein. Und daß die
Griechen schöne Leiber und schöne Gesichter gebildet haben, während es die
dunkelfarbigen Naturvölker nur zu Fratzen bringen, dafür liegt doch ein hin¬
reichender ErMrungsgrnnd schon in dem Umstände, daß der griechische Künstler
schöne Gestalten und schöne Antlitze um sich hatte, während der braune oder
schwarze Künstler meist nur häßliche Gesichter und schlecht gebaute Leiber zu
sehen bekommt. Nicht schwarzes Blut braucht der nordische Mensch, wenn ihm
das Reich der Schönheit aufgehn und er selbst Künstler werden soll, wohl aber
den Anblick südlicher Landschaften und ein Maß sinnlicher Behaglichkeit, das
vor Erfindung der Glasfenster und der Öfen nur ein wärmeres Klima zu ge¬
währen vermochte. Die Erfahrung, die nach dem schönen Aufsatze im vor¬
jährigen 51. Heft der Grenzboten Ludwig Richter gemacht hat, dürfte auf
einem allgemeinen Gesetze beruhen; erst im Anblick der Linienschönheit und
Farbenpracht der italienischen Landschaft -- einer Farbenpracht, die größten¬
teils auf der Zurückwerfung der Sonnenstrahlen von toten Felswänden beruht --
ist ihm die bescheidnere aber gemütlichere Schönheit der deutschen Landschaft
aufgegangen. Wahrscheinlich sind auffällige Formen und starke Farbeneffekte
dazu erforderlich, im nordischen Gemüte den Sinn für das Schöne zu wecken.
Rechnet man nun noch den frühern gänzlichen Mangel an Komfort hinzu, der
den Gedanken an Luxus gar nicht aufkommen ließ, so ist damit schon erklärt,


Gobineans Geschichtskonstruktion

eigne Abhandlung widmen und nachweisen wollte, was und wie viel in der
Kunst dem Blute auf Rechnung zusetzen ist, denn etwas wird das allerdings
schon sein. Aber die Sache nur oberflächlich im groben angesehen, muß man
doch sagen: falscher kann man gar nicht schließen als Gobineau. Seinem
Schluß liegt die unsinnige Voraussetzung zu Grunde, daß die weißen Wesen
ohne Sinnlichkeit seien. Wären sie das, so wären sie längst verschwunden,
denn sie würden sich nicht fortgepflanzt haben. Die Weißen verdienen eben
deswegen als die vollkommenste Nasse bezeichnet zu werden, weil sie alle Eigen¬
schaften und Kräfte des Menschenwesens im höchsten Grade haben, und zu denen
gehören auch Sinnlichkeit und Phantasie. Der Unterschied zwischen ihnen und
deu Schwarzen besteht nicht darin, daß es ihnen an Sinnlichkeit, sondern daß
es den Schwarzen an Vernunft fehlt, die Sinnlichkeit zu beherrschen, und den
Weißen ist dann allerdings bei der Beherrschung der Sinnlichkeit durch die
Vernunft uoch das kalte Klima und der harte Kampf mit einem wenig er¬
giebigen Boden zu Hilfe gekommen. Gobineau hat eben, in seine einseitige
Bluttheorie verrannt, das Naturmilieu ganz außer acht gelassen. Daß die
Reinheit, Klarheit und Einfachheit der Formen in der griechischen Kunst mit
den Umrissen der südlichen Landschaftsbilder, ihrer hellen Beleuchtung und der
Vegetation Griechenlands ebenso zusammenhängt, wie die Monstrosität der
indischen Götzenbilder mit dem üppigen Gestrüpp des tropischen Urwalds und
der Unübersichtlichkeit endloser Ebnen und ungeheurer, unzugänglicher Berg¬
massen, darüber dürften Wohl heute alle Ästhetiker einig sein. Und daß die
Griechen schöne Leiber und schöne Gesichter gebildet haben, während es die
dunkelfarbigen Naturvölker nur zu Fratzen bringen, dafür liegt doch ein hin¬
reichender ErMrungsgrnnd schon in dem Umstände, daß der griechische Künstler
schöne Gestalten und schöne Antlitze um sich hatte, während der braune oder
schwarze Künstler meist nur häßliche Gesichter und schlecht gebaute Leiber zu
sehen bekommt. Nicht schwarzes Blut braucht der nordische Mensch, wenn ihm
das Reich der Schönheit aufgehn und er selbst Künstler werden soll, wohl aber
den Anblick südlicher Landschaften und ein Maß sinnlicher Behaglichkeit, das
vor Erfindung der Glasfenster und der Öfen nur ein wärmeres Klima zu ge¬
währen vermochte. Die Erfahrung, die nach dem schönen Aufsatze im vor¬
jährigen 51. Heft der Grenzboten Ludwig Richter gemacht hat, dürfte auf
einem allgemeinen Gesetze beruhen; erst im Anblick der Linienschönheit und
Farbenpracht der italienischen Landschaft — einer Farbenpracht, die größten¬
teils auf der Zurückwerfung der Sonnenstrahlen von toten Felswänden beruht —
ist ihm die bescheidnere aber gemütlichere Schönheit der deutschen Landschaft
aufgegangen. Wahrscheinlich sind auffällige Formen und starke Farbeneffekte
dazu erforderlich, im nordischen Gemüte den Sinn für das Schöne zu wecken.
Rechnet man nun noch den frühern gänzlichen Mangel an Komfort hinzu, der
den Gedanken an Luxus gar nicht aufkommen ließ, so ist damit schon erklärt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/596>, abgerufen am 03.07.2024.