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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineaus Geschichtskonstruktion

Annahme für falsch erklären, daß die ägyptische Kultur aus Indien stamme,
womit zugleich der überschwänglichen Bewunderung, die Gobineau dem Brcch-
manentum und seiner Lebenskraft spendet, der Boden entzogen wird. Und
dergleichen auch dem Laien bemerkbare Gewaltschlüsse finden sich mehrere. Aber
wie gesagt, wir verzichten auf Eingriffe in die Rechte der Fachwissenschaft und
beschränken uns mit unsrer Kritik auf einige Punkte, an denen die Einseitigkeit
der Gobineauschen Geschichtstonstrnktion besonders auffällig hervortritt-

Nach eiuer Charakteristik der ganz sinnlichen altägyptischen und der assy¬
rischen Kunst, der man im allgemeinen zustimmen kann, fährt er Seite 172
fort: "Wenn wir mit den Griechen und den in dieser Sache kompetentesten
Beurteilern annehmen, daß Exaltation und Enthusiasmus das eigentliche Leben
des künstlerischen Genies sind, und daß dieses Genie selbst, wenn es vollkommen
ist, an Wahnsinn grenzt, so werden wir seine schöpferische Ursache in keiner
der organisierend-weisen Regungen unsers Wesens, sondern vielmehr in den
Aufwallungen der Sinne suchen, in dem eifernden Drange, der sie treibt, Geist
und Erscheinung zu vermählen, um ihnen ein etwas abzugewinnen, das besser
gefällt als die Wirklichkeit. Nun haben wir aber gesehen, daß bei den beiden
Urzivilisativnen das organisierende, disziplinierende, Gesetze erfindende, mit Hilfe
dieser Gesetze regierende, mit einem Worte, das vernünftig zu Werte gehende
das weiße (hamitische, arische und semitische) Element war. Damit ergiebt
sich uns dann der ganz unwiderlegliche Schluß, daß die Quelle, aus der die
Künste entsprungen sind, den zivilisatorischer Instinkten fern liegt. Sie liegt
im Blute der Schwarzen verborgen. Jene Allgewalt der Phantasie, welche
wir die Urzivilisation umfangen und durchdringen sehen, hat keine andre Ur¬
sache als den stets wachsenden Einfluß des schwarzen Elements." Demnach
werde die Gewalt der Kunst über die Massen immer im geraden Verhältnis
stehen zur Menge des schwarzen Blutes, das sie enthalten. An der Spitze
stehen in dieser Hinsicht nach Gobineau die Ägypter und Assyrier; ihnen folgten
die Inder, dann die Griechen; auf einer niedern Stufe zuerst die Italiener des
Mittelalters. "Weiter unten die Spanier, noch weiter unten die Franzosen
der Neuzeit. Nach diesen ziehen wir einen Strich und lassen nichts mehr
gelten, als Eingebungen aus zweiter Hand und Erzeugnisse einer gelehrten
Nachahmung, die für die Massen des Volkes nicht vorhanden sind." Das
heißt also, die Kunst der Germanen läßt er nicht als wahr und echt, sondern
mir als Nachahmung gelten. Weiterhin führt er dann noch aus, daß die
Schwarze", obwohl ihr Blut und ihre Phantasie die Quellen der Künste sind,
für sich allein, ohne die eingreifende organisatorische Kraft der Weißen, die
Künste nicht hätten schaffen können, und daß nur die Weißen seelische Zustände
und Ereignisse darzustellen und damit den Gipfel der Kunst zu erklimmen ver¬
mögen.

Es würde die Mühe lohnen, wenn ein Ästhetiker dieser Kunstlehre eine


Gobineaus Geschichtskonstruktion

Annahme für falsch erklären, daß die ägyptische Kultur aus Indien stamme,
womit zugleich der überschwänglichen Bewunderung, die Gobineau dem Brcch-
manentum und seiner Lebenskraft spendet, der Boden entzogen wird. Und
dergleichen auch dem Laien bemerkbare Gewaltschlüsse finden sich mehrere. Aber
wie gesagt, wir verzichten auf Eingriffe in die Rechte der Fachwissenschaft und
beschränken uns mit unsrer Kritik auf einige Punkte, an denen die Einseitigkeit
der Gobineauschen Geschichtstonstrnktion besonders auffällig hervortritt-

Nach eiuer Charakteristik der ganz sinnlichen altägyptischen und der assy¬
rischen Kunst, der man im allgemeinen zustimmen kann, fährt er Seite 172
fort: „Wenn wir mit den Griechen und den in dieser Sache kompetentesten
Beurteilern annehmen, daß Exaltation und Enthusiasmus das eigentliche Leben
des künstlerischen Genies sind, und daß dieses Genie selbst, wenn es vollkommen
ist, an Wahnsinn grenzt, so werden wir seine schöpferische Ursache in keiner
der organisierend-weisen Regungen unsers Wesens, sondern vielmehr in den
Aufwallungen der Sinne suchen, in dem eifernden Drange, der sie treibt, Geist
und Erscheinung zu vermählen, um ihnen ein etwas abzugewinnen, das besser
gefällt als die Wirklichkeit. Nun haben wir aber gesehen, daß bei den beiden
Urzivilisativnen das organisierende, disziplinierende, Gesetze erfindende, mit Hilfe
dieser Gesetze regierende, mit einem Worte, das vernünftig zu Werte gehende
das weiße (hamitische, arische und semitische) Element war. Damit ergiebt
sich uns dann der ganz unwiderlegliche Schluß, daß die Quelle, aus der die
Künste entsprungen sind, den zivilisatorischer Instinkten fern liegt. Sie liegt
im Blute der Schwarzen verborgen. Jene Allgewalt der Phantasie, welche
wir die Urzivilisation umfangen und durchdringen sehen, hat keine andre Ur¬
sache als den stets wachsenden Einfluß des schwarzen Elements." Demnach
werde die Gewalt der Kunst über die Massen immer im geraden Verhältnis
stehen zur Menge des schwarzen Blutes, das sie enthalten. An der Spitze
stehen in dieser Hinsicht nach Gobineau die Ägypter und Assyrier; ihnen folgten
die Inder, dann die Griechen; auf einer niedern Stufe zuerst die Italiener des
Mittelalters. „Weiter unten die Spanier, noch weiter unten die Franzosen
der Neuzeit. Nach diesen ziehen wir einen Strich und lassen nichts mehr
gelten, als Eingebungen aus zweiter Hand und Erzeugnisse einer gelehrten
Nachahmung, die für die Massen des Volkes nicht vorhanden sind." Das
heißt also, die Kunst der Germanen läßt er nicht als wahr und echt, sondern
mir als Nachahmung gelten. Weiterhin führt er dann noch aus, daß die
Schwarze», obwohl ihr Blut und ihre Phantasie die Quellen der Künste sind,
für sich allein, ohne die eingreifende organisatorische Kraft der Weißen, die
Künste nicht hätten schaffen können, und daß nur die Weißen seelische Zustände
und Ereignisse darzustellen und damit den Gipfel der Kunst zu erklimmen ver¬
mögen.

Es würde die Mühe lohnen, wenn ein Ästhetiker dieser Kunstlehre eine


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[0595] Gobineaus Geschichtskonstruktion Annahme für falsch erklären, daß die ägyptische Kultur aus Indien stamme, womit zugleich der überschwänglichen Bewunderung, die Gobineau dem Brcch- manentum und seiner Lebenskraft spendet, der Boden entzogen wird. Und dergleichen auch dem Laien bemerkbare Gewaltschlüsse finden sich mehrere. Aber wie gesagt, wir verzichten auf Eingriffe in die Rechte der Fachwissenschaft und beschränken uns mit unsrer Kritik auf einige Punkte, an denen die Einseitigkeit der Gobineauschen Geschichtstonstrnktion besonders auffällig hervortritt- Nach eiuer Charakteristik der ganz sinnlichen altägyptischen und der assy¬ rischen Kunst, der man im allgemeinen zustimmen kann, fährt er Seite 172 fort: „Wenn wir mit den Griechen und den in dieser Sache kompetentesten Beurteilern annehmen, daß Exaltation und Enthusiasmus das eigentliche Leben des künstlerischen Genies sind, und daß dieses Genie selbst, wenn es vollkommen ist, an Wahnsinn grenzt, so werden wir seine schöpferische Ursache in keiner der organisierend-weisen Regungen unsers Wesens, sondern vielmehr in den Aufwallungen der Sinne suchen, in dem eifernden Drange, der sie treibt, Geist und Erscheinung zu vermählen, um ihnen ein etwas abzugewinnen, das besser gefällt als die Wirklichkeit. Nun haben wir aber gesehen, daß bei den beiden Urzivilisativnen das organisierende, disziplinierende, Gesetze erfindende, mit Hilfe dieser Gesetze regierende, mit einem Worte, das vernünftig zu Werte gehende das weiße (hamitische, arische und semitische) Element war. Damit ergiebt sich uns dann der ganz unwiderlegliche Schluß, daß die Quelle, aus der die Künste entsprungen sind, den zivilisatorischer Instinkten fern liegt. Sie liegt im Blute der Schwarzen verborgen. Jene Allgewalt der Phantasie, welche wir die Urzivilisation umfangen und durchdringen sehen, hat keine andre Ur¬ sache als den stets wachsenden Einfluß des schwarzen Elements." Demnach werde die Gewalt der Kunst über die Massen immer im geraden Verhältnis stehen zur Menge des schwarzen Blutes, das sie enthalten. An der Spitze stehen in dieser Hinsicht nach Gobineau die Ägypter und Assyrier; ihnen folgten die Inder, dann die Griechen; auf einer niedern Stufe zuerst die Italiener des Mittelalters. „Weiter unten die Spanier, noch weiter unten die Franzosen der Neuzeit. Nach diesen ziehen wir einen Strich und lassen nichts mehr gelten, als Eingebungen aus zweiter Hand und Erzeugnisse einer gelehrten Nachahmung, die für die Massen des Volkes nicht vorhanden sind." Das heißt also, die Kunst der Germanen läßt er nicht als wahr und echt, sondern mir als Nachahmung gelten. Weiterhin führt er dann noch aus, daß die Schwarze», obwohl ihr Blut und ihre Phantasie die Quellen der Künste sind, für sich allein, ohne die eingreifende organisatorische Kraft der Weißen, die Künste nicht hätten schaffen können, und daß nur die Weißen seelische Zustände und Ereignisse darzustellen und damit den Gipfel der Kunst zu erklimmen ver¬ mögen. Es würde die Mühe lohnen, wenn ein Ästhetiker dieser Kunstlehre eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/595>, abgerufen am 23.07.2024.