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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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richt von ihm erhalten hatte. Bedenken machte ihm nur die (geheime) Konven¬
tion mit Nußland, die in Petersburg während des von ihm in Begleitung
von Bismarck und Moltke dort abschatteten Besuchs (27. April bis 8. Mai)
1873 von Moltke und Barjatinsky abgeschlossen und von beiden Kaisern, aber
ohne Bismarcks Gegenzeichnung, unterschrieben war und beide Mächte zur gegen¬
seitigen Unterstützung gegen Angriffe verpflichtete. Ohne dieses Petersburger
Abkommen zu kündigen, meinte Kaiser Wilhelm jetzt einen Vertrag mit
Österreich nicht abschließen zu können; andernfalls war er geneigt, Rußland
den Beitritt zu einem solchen offen zu lassen.

Mit großer Mühe gelang es dem Grafen Stolberg, Bismarcks Vertreter,
den Kaiser zur Genehmigung des beabsichtigten Vertrages mit Österreich zu
bewegen, aber auch jetzt verlangte der alte Herr, daß dabei jede Möglichkeit
ausgeschlossen bleibe, Österreich gegen Rußland zu unterstützen (was doch der
Kern des Bündnisses war), indem er sich aus jene Konvention von 1873 be¬
rief. Er nahm Stolberg den Handschlag darauf ab, daß er mit niemand
als mit Bismarck darüber sprechen wolle. Auch nach der Genehmigung war
er sehr bewegt, sagte, dieser Entschluß sei ihm äußerst schwer geworden, aber er
habe doch geglaubt, Fürst Bismarcks bewährten Rate folgen zu sollen. Nach
dem Vorschlage Stolbergs, der darüber dem Reichskanzler aus Berlin am
17. September berichtete, sollte daher bei dem Abkommen ein Zusatz gemacht
werden, wonach der Kaiser an Alexander II. wolle schreiben können, er sei von
den friedlichen Eröffnungen Saburows (der zum russischen Botschafter in Berlin
bestimmt war) befriedigt und wolle als Beweis seiner Solidarität und Offen¬
heit mitteilen, daß er im Begriffe stünde, mit Österreich einen Vertrag abzu¬
schließen, durch den die sorgsame Pflege guter Beziehungen versprochen und
nnr für Angriffsfälle gegenseitige Hilfe zugesagt würde.

Inzwischen hatte Fürst Bismarck auch dem Könige von Bayern am 10. Sep¬
tember Mitteilung von seiner Absicht gemacht und von diesem unter dein
16. September die Versicherung vollster Zustimmung erhalten, worauf er am 19.
dankend erwiderte.") Im Besitz auch der Mitteilungen Stolbergs schrieb er am
20. September an Andrassy, der Kaiser habe sein prinzipielles Einverständnis
mit einer Konvention erklärt, vermöge deren sich beide Mächte gegenseitig ver¬
sprechen würden, auch serner für die Erhaltung des Friedens und namentlich
für die Pflege ihrer gegenseitigen friedlichen Beziehungen mit Rußland einzu¬
treten, in dem Falle aber, daß eine von ihnen von einer oder mehreren Mächten
angegriffen werden sollte, diesen Angriff mit ganzer Macht gemeinsam abzu¬
wehren. Er sei also ermächtigt, eine Defensivallianz bedingungslos und mit
oder ohne bestimmte Zeitdauer vorzuschlagen und bäte um eine mündliche Be¬
sprechung. An demselben Tage reiste er nach Salzburg, am 21. September



") Gedanken und Ennncnmnen ff.

richt von ihm erhalten hatte. Bedenken machte ihm nur die (geheime) Konven¬
tion mit Nußland, die in Petersburg während des von ihm in Begleitung
von Bismarck und Moltke dort abschatteten Besuchs (27. April bis 8. Mai)
1873 von Moltke und Barjatinsky abgeschlossen und von beiden Kaisern, aber
ohne Bismarcks Gegenzeichnung, unterschrieben war und beide Mächte zur gegen¬
seitigen Unterstützung gegen Angriffe verpflichtete. Ohne dieses Petersburger
Abkommen zu kündigen, meinte Kaiser Wilhelm jetzt einen Vertrag mit
Österreich nicht abschließen zu können; andernfalls war er geneigt, Rußland
den Beitritt zu einem solchen offen zu lassen.

Mit großer Mühe gelang es dem Grafen Stolberg, Bismarcks Vertreter,
den Kaiser zur Genehmigung des beabsichtigten Vertrages mit Österreich zu
bewegen, aber auch jetzt verlangte der alte Herr, daß dabei jede Möglichkeit
ausgeschlossen bleibe, Österreich gegen Rußland zu unterstützen (was doch der
Kern des Bündnisses war), indem er sich aus jene Konvention von 1873 be¬
rief. Er nahm Stolberg den Handschlag darauf ab, daß er mit niemand
als mit Bismarck darüber sprechen wolle. Auch nach der Genehmigung war
er sehr bewegt, sagte, dieser Entschluß sei ihm äußerst schwer geworden, aber er
habe doch geglaubt, Fürst Bismarcks bewährten Rate folgen zu sollen. Nach
dem Vorschlage Stolbergs, der darüber dem Reichskanzler aus Berlin am
17. September berichtete, sollte daher bei dem Abkommen ein Zusatz gemacht
werden, wonach der Kaiser an Alexander II. wolle schreiben können, er sei von
den friedlichen Eröffnungen Saburows (der zum russischen Botschafter in Berlin
bestimmt war) befriedigt und wolle als Beweis seiner Solidarität und Offen¬
heit mitteilen, daß er im Begriffe stünde, mit Österreich einen Vertrag abzu¬
schließen, durch den die sorgsame Pflege guter Beziehungen versprochen und
nnr für Angriffsfälle gegenseitige Hilfe zugesagt würde.

Inzwischen hatte Fürst Bismarck auch dem Könige von Bayern am 10. Sep¬
tember Mitteilung von seiner Absicht gemacht und von diesem unter dein
16. September die Versicherung vollster Zustimmung erhalten, worauf er am 19.
dankend erwiderte.") Im Besitz auch der Mitteilungen Stolbergs schrieb er am
20. September an Andrassy, der Kaiser habe sein prinzipielles Einverständnis
mit einer Konvention erklärt, vermöge deren sich beide Mächte gegenseitig ver¬
sprechen würden, auch serner für die Erhaltung des Friedens und namentlich
für die Pflege ihrer gegenseitigen friedlichen Beziehungen mit Rußland einzu¬
treten, in dem Falle aber, daß eine von ihnen von einer oder mehreren Mächten
angegriffen werden sollte, diesen Angriff mit ganzer Macht gemeinsam abzu¬
wehren. Er sei also ermächtigt, eine Defensivallianz bedingungslos und mit
oder ohne bestimmte Zeitdauer vorzuschlagen und bäte um eine mündliche Be¬
sprechung. An demselben Tage reiste er nach Salzburg, am 21. September



») Gedanken und Ennncnmnen ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/590>, abgerufen am 23.07.2024.