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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.8?9

und Österreichs verhindert. Als der Zar sich am 4. September von seinem Oheim
verabschiedete, beteuerte er, Graf Adlerberg, Miljntin und Giers Hütten sich sehr
erfreut darüber ausgesprochen, daß nun die Mißverständnisse aufgeklärt seien;
nur über Österreichs Haltung 1877/78 war er unzufrieden, da die Abkunft von
Reichstadt die Besetzung Bosniens nur unter der Voraussetzung zugelassen habe,
daß Österreich sich irgendwie am Kriege beteilige, was dann ja unterblieb. An
demselben Morgen hatte .Kaiser Wilhelm noch Besprechungen mit Adlcrberg,
Giers und Miljutin (dem Kriegsminister). Auch hier hob er einerseits "sehr
bestimmt" die feindselige Haltung der russischen Presse hervor, die sich hoffent¬
lich nach den neuen strengen Erlassen bessern werde, da sonst "Zerwürfnisse"
zu besorgen seien, andrerseits (gegenüber Miljutin) die russischen Rüstungen,
die ganz Europa alarmiert hatten. Miljutiu suchte diese Aufstellungen damit
zu begründen, daß die russische Armee, die sehr verzettelt sei, einen "Kern"
brauche, der den europäischen Verhältnissen gewachsen sei. Zudem habe man
Nachrichten, "daß sich eine Koalition zwischen Österreich, England und vielleicht
Frankreich bilde"; England wühle in Kleinasien, und ein Konflikt im Orient
sei nahe. Kaiser Wilhelm widersprach diesen Befürchtungen; sobald nur erst
die Kongreßbeschlüsse vollständig durchgeführt wären, sei kein neuer Krieg dort
zu besorgen, denn vor allem bedürfe die Türkei des Friedens.

Die ausführliche Darlegung dieser Unterredungen, die während der Manöver¬
reisen in Ostpreußen und Pommern aufgezeichnet wurden, begleitete Kaiser
Wilhelm, der inzwischen Bismarcks Denkschrift vom 2. September erhalten hatte,
am 10. September mit einem ausführlichen Schreiben an Fürst Bismarck, das
er erst am 12. in Stettin beendete. Nach dem, was in Alexandrvwv besprochen
worden, bestünde eine Gefahr von russischer Seite her nicht; da somit die
Prämissen Bismarcks wegfielen, so könne er zu dessen Projekte die Hand nicht
bieten, nachdem er sich soeben mit seinem persönlichen Freunde, nächsten Ver¬
wandten und Bundesgenossen in guten und bösen Zeiten freundschaftlich aus¬
gesprochen habe. Und doch habe Bismarck schon mit Andrassy davon ge¬
sprochen und sogar dem Kaiser Franz Joseph Mitteilung machen lassen! Ge¬
fahren möchten von Rußland vielleicht bei einem Thronwechsel drohen, aber
ein solcher sei doch nicht so nahe, und Bismarck selbst habe immer vor Ver¬
trägen wegen bloßer Eventualitäten gewarnt. Bismarck möge nach Wien gehn
und dort in xourxMois über die gegen eine etwaige feindliche Haltung Rußlands
zu ergreifenden Maßregeln eintreten, aber zu irgend einem Abschluß einer Konven¬
tion oder gar Allianz autorisiere er, der Kaiser, seinem Gewissen nach ihn
nicht. Es sei ihm sehr schmerzlich, daß es scheine, als ob sie zum erstenmale
seit siebzehn Jahren sich nicht verstünden, aber er sei überzeugt, daß ein Verständ¬
nis zwischen ihnen wieder eintreten werde. Dieser Hoffnung gab der Kaiser auch
in einem zweiten Schreiben aus Stettin vom 15. September Ausdruck, nach¬
dem er ein Telegramm Bismarcks vom 7. September und einen weiter" Be-


Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.8?9

und Österreichs verhindert. Als der Zar sich am 4. September von seinem Oheim
verabschiedete, beteuerte er, Graf Adlerberg, Miljntin und Giers Hütten sich sehr
erfreut darüber ausgesprochen, daß nun die Mißverständnisse aufgeklärt seien;
nur über Österreichs Haltung 1877/78 war er unzufrieden, da die Abkunft von
Reichstadt die Besetzung Bosniens nur unter der Voraussetzung zugelassen habe,
daß Österreich sich irgendwie am Kriege beteilige, was dann ja unterblieb. An
demselben Morgen hatte .Kaiser Wilhelm noch Besprechungen mit Adlcrberg,
Giers und Miljutin (dem Kriegsminister). Auch hier hob er einerseits „sehr
bestimmt" die feindselige Haltung der russischen Presse hervor, die sich hoffent¬
lich nach den neuen strengen Erlassen bessern werde, da sonst „Zerwürfnisse"
zu besorgen seien, andrerseits (gegenüber Miljutin) die russischen Rüstungen,
die ganz Europa alarmiert hatten. Miljutiu suchte diese Aufstellungen damit
zu begründen, daß die russische Armee, die sehr verzettelt sei, einen „Kern"
brauche, der den europäischen Verhältnissen gewachsen sei. Zudem habe man
Nachrichten, „daß sich eine Koalition zwischen Österreich, England und vielleicht
Frankreich bilde"; England wühle in Kleinasien, und ein Konflikt im Orient
sei nahe. Kaiser Wilhelm widersprach diesen Befürchtungen; sobald nur erst
die Kongreßbeschlüsse vollständig durchgeführt wären, sei kein neuer Krieg dort
zu besorgen, denn vor allem bedürfe die Türkei des Friedens.

Die ausführliche Darlegung dieser Unterredungen, die während der Manöver¬
reisen in Ostpreußen und Pommern aufgezeichnet wurden, begleitete Kaiser
Wilhelm, der inzwischen Bismarcks Denkschrift vom 2. September erhalten hatte,
am 10. September mit einem ausführlichen Schreiben an Fürst Bismarck, das
er erst am 12. in Stettin beendete. Nach dem, was in Alexandrvwv besprochen
worden, bestünde eine Gefahr von russischer Seite her nicht; da somit die
Prämissen Bismarcks wegfielen, so könne er zu dessen Projekte die Hand nicht
bieten, nachdem er sich soeben mit seinem persönlichen Freunde, nächsten Ver¬
wandten und Bundesgenossen in guten und bösen Zeiten freundschaftlich aus¬
gesprochen habe. Und doch habe Bismarck schon mit Andrassy davon ge¬
sprochen und sogar dem Kaiser Franz Joseph Mitteilung machen lassen! Ge¬
fahren möchten von Rußland vielleicht bei einem Thronwechsel drohen, aber
ein solcher sei doch nicht so nahe, und Bismarck selbst habe immer vor Ver¬
trägen wegen bloßer Eventualitäten gewarnt. Bismarck möge nach Wien gehn
und dort in xourxMois über die gegen eine etwaige feindliche Haltung Rußlands
zu ergreifenden Maßregeln eintreten, aber zu irgend einem Abschluß einer Konven¬
tion oder gar Allianz autorisiere er, der Kaiser, seinem Gewissen nach ihn
nicht. Es sei ihm sehr schmerzlich, daß es scheine, als ob sie zum erstenmale
seit siebzehn Jahren sich nicht verstünden, aber er sei überzeugt, daß ein Verständ¬
nis zwischen ihnen wieder eintreten werde. Dieser Hoffnung gab der Kaiser auch
in einem zweiten Schreiben aus Stettin vom 15. September Ausdruck, nach¬
dem er ein Telegramm Bismarcks vom 7. September und einen weiter» Be-


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[0589] Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.8?9 und Österreichs verhindert. Als der Zar sich am 4. September von seinem Oheim verabschiedete, beteuerte er, Graf Adlerberg, Miljntin und Giers Hütten sich sehr erfreut darüber ausgesprochen, daß nun die Mißverständnisse aufgeklärt seien; nur über Österreichs Haltung 1877/78 war er unzufrieden, da die Abkunft von Reichstadt die Besetzung Bosniens nur unter der Voraussetzung zugelassen habe, daß Österreich sich irgendwie am Kriege beteilige, was dann ja unterblieb. An demselben Morgen hatte .Kaiser Wilhelm noch Besprechungen mit Adlcrberg, Giers und Miljutin (dem Kriegsminister). Auch hier hob er einerseits „sehr bestimmt" die feindselige Haltung der russischen Presse hervor, die sich hoffent¬ lich nach den neuen strengen Erlassen bessern werde, da sonst „Zerwürfnisse" zu besorgen seien, andrerseits (gegenüber Miljutin) die russischen Rüstungen, die ganz Europa alarmiert hatten. Miljutiu suchte diese Aufstellungen damit zu begründen, daß die russische Armee, die sehr verzettelt sei, einen „Kern" brauche, der den europäischen Verhältnissen gewachsen sei. Zudem habe man Nachrichten, „daß sich eine Koalition zwischen Österreich, England und vielleicht Frankreich bilde"; England wühle in Kleinasien, und ein Konflikt im Orient sei nahe. Kaiser Wilhelm widersprach diesen Befürchtungen; sobald nur erst die Kongreßbeschlüsse vollständig durchgeführt wären, sei kein neuer Krieg dort zu besorgen, denn vor allem bedürfe die Türkei des Friedens. Die ausführliche Darlegung dieser Unterredungen, die während der Manöver¬ reisen in Ostpreußen und Pommern aufgezeichnet wurden, begleitete Kaiser Wilhelm, der inzwischen Bismarcks Denkschrift vom 2. September erhalten hatte, am 10. September mit einem ausführlichen Schreiben an Fürst Bismarck, das er erst am 12. in Stettin beendete. Nach dem, was in Alexandrvwv besprochen worden, bestünde eine Gefahr von russischer Seite her nicht; da somit die Prämissen Bismarcks wegfielen, so könne er zu dessen Projekte die Hand nicht bieten, nachdem er sich soeben mit seinem persönlichen Freunde, nächsten Ver¬ wandten und Bundesgenossen in guten und bösen Zeiten freundschaftlich aus¬ gesprochen habe. Und doch habe Bismarck schon mit Andrassy davon ge¬ sprochen und sogar dem Kaiser Franz Joseph Mitteilung machen lassen! Ge¬ fahren möchten von Rußland vielleicht bei einem Thronwechsel drohen, aber ein solcher sei doch nicht so nahe, und Bismarck selbst habe immer vor Ver¬ trägen wegen bloßer Eventualitäten gewarnt. Bismarck möge nach Wien gehn und dort in xourxMois über die gegen eine etwaige feindliche Haltung Rußlands zu ergreifenden Maßregeln eintreten, aber zu irgend einem Abschluß einer Konven¬ tion oder gar Allianz autorisiere er, der Kaiser, seinem Gewissen nach ihn nicht. Es sei ihm sehr schmerzlich, daß es scheine, als ob sie zum erstenmale seit siebzehn Jahren sich nicht verstünden, aber er sei überzeugt, daß ein Verständ¬ nis zwischen ihnen wieder eintreten werde. Dieser Hoffnung gab der Kaiser auch in einem zweiten Schreiben aus Stettin vom 15. September Ausdruck, nach¬ dem er ein Telegramm Bismarcks vom 7. September und einen weiter» Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/589>, abgerufen am 23.07.2024.