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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9

abends traf er, unterwegs auf allen Stationen mit stürmischem Jubel em¬
pfangen, in Wien ein") und hatte hier in den nächsten Tagen mit allen ma߬
gebenden Persönlichkeiten, dem Kaiser Franz Joseph, Andrassy, Haymerle (dem
schon bezeichneten Nachfolger Andrassys), Tisza u. a. mehr ausführliche Be¬
sprechungen.

Am 24. September konnte der Vertragsentwurf in Schönbrunn unter¬
zeichnet werden, am Abend desselben Tages verließ Vismarck Wien, um nach
Berlin zurückzukehren, wo er am Mittag des 25. eintraf.

Inzwischen hatte sich Kaiser Wilhelm zum Herbstaufenthalt nach Baden-
Baden begeben. Da dem Reichskanzler die Rücksicht auf seine Gesundheit nach
der angreifenden Gasteiner Kur verbot, persönlich dorthin zu gehen, so entsandte
er am 29. September den Grafen Stolberg, um die Zustimmung des Monarchen
zu dem Vertrage zu erlangen, dessen Text er ihm mit den Protokollen schon
am 24. von Wien aus zugestellt hattet) Der Kaiser wollte davon zunächst
nichts hören. Er nannte in einem Briefe an Bismarck vom 2. Oktober den
Abschluß einer Allianz, die sich ausdrücklich gegen Rußland richte, nach den
Besprechungen von Alcxandrowo und ohne Mitteilung in Petersburg eine
"Illoyalität," verweigerte die sofortige Ratifikation des Vertrages und bezeichnete
es als den einzigen Ausweg aus dem "Dilemma," in dem er sich mit seinem
Gewissen und seiner Ehrlichkeit gegen Rußland befinde, daß man diesem sofort
Mitteilung mache und es zum Veitritt auffordere, sobald es nämlich auf die
Frage, ob es sich auf eine defensive Politik gemäß dem Berliner Vertrage auch
gegenüber Deutschland und Osterreich beschränken wolle, eine bejahende Antwort
gegeben habe. Demgemäß wollte er manche wesentliche Abänderungen des
Vertrages; namentlich sollte Österreich sein Versprechen zum Beistande auch
auf Frankreich ausdehnen. Auch ein langes Telegramm Bismarcks vermochte
den Monarchen in dieser seiner abweichenden Auffassung nicht zu erschüttern.

Um dem Kaiser entgegenzukommen, hatte Fürst Bismarck schon um
29. September einen Vorschlag an Andrassy gerichtet, in welcher Weise etwa
eine Mitteilung an Rußland möglich sei, ohne den Zweck des Vertrages zu
gefährden. Andrassy verwarf jedoch (aus Schönbrunn vom 3. Oktober) jede
Mitteilung vor der Unterzeichnung des Vertrages als bedenklich. Nachher
könne ein vereinbartes Memorandum mitgeteilt werden mit der Erläuterung,
daraus ergebe sich der rein defensive Zweck des Vertrages, dem Nußland jede
Spitze abbrechen könne. Eine Notwendigkeit, auch den Text mitzuteilen, werde
dann vermieden und müsse vermieden werden. Ehe er irgend eine Mitteilung
vor der Unterzeichnung der Abmachung zugebe, wolle er lieber gar keinen
Vertrag. Im letzten Augenblicke drohte dieser also noch zu scheitern. Es




") a, n. O, 254 f,
"*) In diesen Zusmmuenhnm, gehört wohl mich seine im Bismorck-JalMch 1, IM ff. mit¬
teilte Denkschrift.
Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9

abends traf er, unterwegs auf allen Stationen mit stürmischem Jubel em¬
pfangen, in Wien ein") und hatte hier in den nächsten Tagen mit allen ma߬
gebenden Persönlichkeiten, dem Kaiser Franz Joseph, Andrassy, Haymerle (dem
schon bezeichneten Nachfolger Andrassys), Tisza u. a. mehr ausführliche Be¬
sprechungen.

Am 24. September konnte der Vertragsentwurf in Schönbrunn unter¬
zeichnet werden, am Abend desselben Tages verließ Vismarck Wien, um nach
Berlin zurückzukehren, wo er am Mittag des 25. eintraf.

Inzwischen hatte sich Kaiser Wilhelm zum Herbstaufenthalt nach Baden-
Baden begeben. Da dem Reichskanzler die Rücksicht auf seine Gesundheit nach
der angreifenden Gasteiner Kur verbot, persönlich dorthin zu gehen, so entsandte
er am 29. September den Grafen Stolberg, um die Zustimmung des Monarchen
zu dem Vertrage zu erlangen, dessen Text er ihm mit den Protokollen schon
am 24. von Wien aus zugestellt hattet) Der Kaiser wollte davon zunächst
nichts hören. Er nannte in einem Briefe an Bismarck vom 2. Oktober den
Abschluß einer Allianz, die sich ausdrücklich gegen Rußland richte, nach den
Besprechungen von Alcxandrowo und ohne Mitteilung in Petersburg eine
„Illoyalität," verweigerte die sofortige Ratifikation des Vertrages und bezeichnete
es als den einzigen Ausweg aus dem „Dilemma," in dem er sich mit seinem
Gewissen und seiner Ehrlichkeit gegen Rußland befinde, daß man diesem sofort
Mitteilung mache und es zum Veitritt auffordere, sobald es nämlich auf die
Frage, ob es sich auf eine defensive Politik gemäß dem Berliner Vertrage auch
gegenüber Deutschland und Osterreich beschränken wolle, eine bejahende Antwort
gegeben habe. Demgemäß wollte er manche wesentliche Abänderungen des
Vertrages; namentlich sollte Österreich sein Versprechen zum Beistande auch
auf Frankreich ausdehnen. Auch ein langes Telegramm Bismarcks vermochte
den Monarchen in dieser seiner abweichenden Auffassung nicht zu erschüttern.

Um dem Kaiser entgegenzukommen, hatte Fürst Bismarck schon um
29. September einen Vorschlag an Andrassy gerichtet, in welcher Weise etwa
eine Mitteilung an Rußland möglich sei, ohne den Zweck des Vertrages zu
gefährden. Andrassy verwarf jedoch (aus Schönbrunn vom 3. Oktober) jede
Mitteilung vor der Unterzeichnung des Vertrages als bedenklich. Nachher
könne ein vereinbartes Memorandum mitgeteilt werden mit der Erläuterung,
daraus ergebe sich der rein defensive Zweck des Vertrages, dem Nußland jede
Spitze abbrechen könne. Eine Notwendigkeit, auch den Text mitzuteilen, werde
dann vermieden und müsse vermieden werden. Ehe er irgend eine Mitteilung
vor der Unterzeichnung der Abmachung zugebe, wolle er lieber gar keinen
Vertrag. Im letzten Augenblicke drohte dieser also noch zu scheitern. Es




") a, n. O, 254 f,
"*) In diesen Zusmmuenhnm, gehört wohl mich seine im Bismorck-JalMch 1, IM ff. mit¬
teilte Denkschrift.
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[0591] Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9 abends traf er, unterwegs auf allen Stationen mit stürmischem Jubel em¬ pfangen, in Wien ein") und hatte hier in den nächsten Tagen mit allen ma߬ gebenden Persönlichkeiten, dem Kaiser Franz Joseph, Andrassy, Haymerle (dem schon bezeichneten Nachfolger Andrassys), Tisza u. a. mehr ausführliche Be¬ sprechungen. Am 24. September konnte der Vertragsentwurf in Schönbrunn unter¬ zeichnet werden, am Abend desselben Tages verließ Vismarck Wien, um nach Berlin zurückzukehren, wo er am Mittag des 25. eintraf. Inzwischen hatte sich Kaiser Wilhelm zum Herbstaufenthalt nach Baden- Baden begeben. Da dem Reichskanzler die Rücksicht auf seine Gesundheit nach der angreifenden Gasteiner Kur verbot, persönlich dorthin zu gehen, so entsandte er am 29. September den Grafen Stolberg, um die Zustimmung des Monarchen zu dem Vertrage zu erlangen, dessen Text er ihm mit den Protokollen schon am 24. von Wien aus zugestellt hattet) Der Kaiser wollte davon zunächst nichts hören. Er nannte in einem Briefe an Bismarck vom 2. Oktober den Abschluß einer Allianz, die sich ausdrücklich gegen Rußland richte, nach den Besprechungen von Alcxandrowo und ohne Mitteilung in Petersburg eine „Illoyalität," verweigerte die sofortige Ratifikation des Vertrages und bezeichnete es als den einzigen Ausweg aus dem „Dilemma," in dem er sich mit seinem Gewissen und seiner Ehrlichkeit gegen Rußland befinde, daß man diesem sofort Mitteilung mache und es zum Veitritt auffordere, sobald es nämlich auf die Frage, ob es sich auf eine defensive Politik gemäß dem Berliner Vertrage auch gegenüber Deutschland und Osterreich beschränken wolle, eine bejahende Antwort gegeben habe. Demgemäß wollte er manche wesentliche Abänderungen des Vertrages; namentlich sollte Österreich sein Versprechen zum Beistande auch auf Frankreich ausdehnen. Auch ein langes Telegramm Bismarcks vermochte den Monarchen in dieser seiner abweichenden Auffassung nicht zu erschüttern. Um dem Kaiser entgegenzukommen, hatte Fürst Bismarck schon um 29. September einen Vorschlag an Andrassy gerichtet, in welcher Weise etwa eine Mitteilung an Rußland möglich sei, ohne den Zweck des Vertrages zu gefährden. Andrassy verwarf jedoch (aus Schönbrunn vom 3. Oktober) jede Mitteilung vor der Unterzeichnung des Vertrages als bedenklich. Nachher könne ein vereinbartes Memorandum mitgeteilt werden mit der Erläuterung, daraus ergebe sich der rein defensive Zweck des Vertrages, dem Nußland jede Spitze abbrechen könne. Eine Notwendigkeit, auch den Text mitzuteilen, werde dann vermieden und müsse vermieden werden. Ehe er irgend eine Mitteilung vor der Unterzeichnung der Abmachung zugebe, wolle er lieber gar keinen Vertrag. Im letzten Augenblicke drohte dieser also noch zu scheitern. Es ") a, n. O, 254 f, "*) In diesen Zusmmuenhnm, gehört wohl mich seine im Bismorck-JalMch 1, IM ff. mit¬ teilte Denkschrift.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/591>, abgerufen am 23.07.2024.