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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Z"r Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9

Kaiser Franz Joseph nach Prag und wurde von diesem am 30. August im
Lager bei Brück an der Leitha empfangen. Sobald auch Kaiser Wilhelm zu¬
gestimmt hatte, sollte der Wortlaut des Vertrags festgestellt werden, von dessen
"Nützlichkeit, ja Notwendigkeit" Andrassy um so mehr durchdrungen war, je be¬
drohlicher ihm die Haltung Rußlands erschien, so lauge er den Friedel! Europas
in den Händen Miljutins, Jvminis und wohl gar Jgnatjews sah, obwohl er
überzeugt war, daß Alexander II. persönlich den Krieg nicht wollte. Ans diese
Mitteilungen Andrassys in einem Schreiben aus Schönbrunn vom 1. September
antwortete Fürst Bismarck am 3. September mit dem Ausdrucke des Dankes
für Kaiser Franz Joseph und der Hoffnung, daß es gelingen werde, auch den
Kaiser Wilhelm zu gewinnen. Freilich sei das nicht so leicht, da ihm bei der
örtlichen Entfernung jede Möglichkeit einer persönlichen Einwirkung auf seinen
Herrn fehle und es diesem "außerordentlich schwer" werde, "zwischen den
beiden Nachbarreichen optieren zu sollen." Bisher habe der Kaiser nur zu¬
gegeben, daß er in Wien seine Besprechungen mit Andrassh wieder aufnehme,
aber nicht seine Genehmigung zu irgend welcher Abmachung erteilt, während
er früher nicht einmal seine Reise über Wien habe zugeben wollen. Am
2. September habe er dem Kaiser Bericht erstattet, aber eine wirkliche Ant¬
wort darauf könne er nicht eher erwarten, als bis dessen beabsichtigte Zusammen¬
kunft mit Alexander II. vorüber sei.

Denn während die beiden Staatsmänner an einem deutsch-österreichischen
Bündnis arbeiteten, das seine Spitze gegen Rußland kehren mußte, hatte
Kaiser Wilhelm, von der alten Tradition und seinen Empfindungen für Ale¬
xander II., seinen Neffen, bestimmt, einen ganz andern Weg eingeschlagen, um
die Spannung mit Rußland zu lösen. Zunächst tief betroffen von jenem
drohenden Briefe und den Rüstungen Rußlands war er doch durch eine freund¬
liche Einladung, Offiziere zu den Manövern nach Warschau zu schicken, und
durch die gnädige Aufnahme des daraufhin entsandten Generals von Man-
teuffel wieder halb versöhnt worden und versuchte, sei es selbständig, sei es
auf eine russische Anregung hin, sich persönlich mit Alexander II. zu ver¬
ständigen, obwohl ihm Fürst Bismarck entschieden abriet. Am 3. September
traf er mit ihm in Alexandrowo (unweit von Thorn) zusammen. Der Zar
bedauerte seinen Brief, von dem niemand gewußt habe, kam aber dann auf
seine Beschwerden über die Haltung der deutschen Presse und der deutschen
Kommissare im Orient zurück, durch die die Türkei immer hartnäckiger ge¬
worden sei, nud meinte, Bismarck habe, verletzt durch das "dumme" Zirkular
Gvrtschakows vou 1875, diese Stimmung auf Rußland übertragen, mit Un¬
recht, denn Gortschakow sei ein überlebter Mann, den er fast gar nicht mehr
konsultiere. Kaiser Wilhelm wies diese Beschwerden als unbegründet zurück, ver¬
sicherte namentlich, Bismarck denke über Rußland wie früher, in Erinnerung an die
Haltung Rußlands 1870, habe deshalb 1876/77 eine Koalition der Westmächte


Z»r Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9

Kaiser Franz Joseph nach Prag und wurde von diesem am 30. August im
Lager bei Brück an der Leitha empfangen. Sobald auch Kaiser Wilhelm zu¬
gestimmt hatte, sollte der Wortlaut des Vertrags festgestellt werden, von dessen
„Nützlichkeit, ja Notwendigkeit" Andrassy um so mehr durchdrungen war, je be¬
drohlicher ihm die Haltung Rußlands erschien, so lauge er den Friedel! Europas
in den Händen Miljutins, Jvminis und wohl gar Jgnatjews sah, obwohl er
überzeugt war, daß Alexander II. persönlich den Krieg nicht wollte. Ans diese
Mitteilungen Andrassys in einem Schreiben aus Schönbrunn vom 1. September
antwortete Fürst Bismarck am 3. September mit dem Ausdrucke des Dankes
für Kaiser Franz Joseph und der Hoffnung, daß es gelingen werde, auch den
Kaiser Wilhelm zu gewinnen. Freilich sei das nicht so leicht, da ihm bei der
örtlichen Entfernung jede Möglichkeit einer persönlichen Einwirkung auf seinen
Herrn fehle und es diesem „außerordentlich schwer" werde, „zwischen den
beiden Nachbarreichen optieren zu sollen." Bisher habe der Kaiser nur zu¬
gegeben, daß er in Wien seine Besprechungen mit Andrassh wieder aufnehme,
aber nicht seine Genehmigung zu irgend welcher Abmachung erteilt, während
er früher nicht einmal seine Reise über Wien habe zugeben wollen. Am
2. September habe er dem Kaiser Bericht erstattet, aber eine wirkliche Ant¬
wort darauf könne er nicht eher erwarten, als bis dessen beabsichtigte Zusammen¬
kunft mit Alexander II. vorüber sei.

Denn während die beiden Staatsmänner an einem deutsch-österreichischen
Bündnis arbeiteten, das seine Spitze gegen Rußland kehren mußte, hatte
Kaiser Wilhelm, von der alten Tradition und seinen Empfindungen für Ale¬
xander II., seinen Neffen, bestimmt, einen ganz andern Weg eingeschlagen, um
die Spannung mit Rußland zu lösen. Zunächst tief betroffen von jenem
drohenden Briefe und den Rüstungen Rußlands war er doch durch eine freund¬
liche Einladung, Offiziere zu den Manövern nach Warschau zu schicken, und
durch die gnädige Aufnahme des daraufhin entsandten Generals von Man-
teuffel wieder halb versöhnt worden und versuchte, sei es selbständig, sei es
auf eine russische Anregung hin, sich persönlich mit Alexander II. zu ver¬
ständigen, obwohl ihm Fürst Bismarck entschieden abriet. Am 3. September
traf er mit ihm in Alexandrowo (unweit von Thorn) zusammen. Der Zar
bedauerte seinen Brief, von dem niemand gewußt habe, kam aber dann auf
seine Beschwerden über die Haltung der deutschen Presse und der deutschen
Kommissare im Orient zurück, durch die die Türkei immer hartnäckiger ge¬
worden sei, nud meinte, Bismarck habe, verletzt durch das „dumme" Zirkular
Gvrtschakows vou 1875, diese Stimmung auf Rußland übertragen, mit Un¬
recht, denn Gortschakow sei ein überlebter Mann, den er fast gar nicht mehr
konsultiere. Kaiser Wilhelm wies diese Beschwerden als unbegründet zurück, ver¬
sicherte namentlich, Bismarck denke über Rußland wie früher, in Erinnerung an die
Haltung Rußlands 1870, habe deshalb 1876/77 eine Koalition der Westmächte


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[0588] Z»r Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von !^3?9 Kaiser Franz Joseph nach Prag und wurde von diesem am 30. August im Lager bei Brück an der Leitha empfangen. Sobald auch Kaiser Wilhelm zu¬ gestimmt hatte, sollte der Wortlaut des Vertrags festgestellt werden, von dessen „Nützlichkeit, ja Notwendigkeit" Andrassy um so mehr durchdrungen war, je be¬ drohlicher ihm die Haltung Rußlands erschien, so lauge er den Friedel! Europas in den Händen Miljutins, Jvminis und wohl gar Jgnatjews sah, obwohl er überzeugt war, daß Alexander II. persönlich den Krieg nicht wollte. Ans diese Mitteilungen Andrassys in einem Schreiben aus Schönbrunn vom 1. September antwortete Fürst Bismarck am 3. September mit dem Ausdrucke des Dankes für Kaiser Franz Joseph und der Hoffnung, daß es gelingen werde, auch den Kaiser Wilhelm zu gewinnen. Freilich sei das nicht so leicht, da ihm bei der örtlichen Entfernung jede Möglichkeit einer persönlichen Einwirkung auf seinen Herrn fehle und es diesem „außerordentlich schwer" werde, „zwischen den beiden Nachbarreichen optieren zu sollen." Bisher habe der Kaiser nur zu¬ gegeben, daß er in Wien seine Besprechungen mit Andrassh wieder aufnehme, aber nicht seine Genehmigung zu irgend welcher Abmachung erteilt, während er früher nicht einmal seine Reise über Wien habe zugeben wollen. Am 2. September habe er dem Kaiser Bericht erstattet, aber eine wirkliche Ant¬ wort darauf könne er nicht eher erwarten, als bis dessen beabsichtigte Zusammen¬ kunft mit Alexander II. vorüber sei. Denn während die beiden Staatsmänner an einem deutsch-österreichischen Bündnis arbeiteten, das seine Spitze gegen Rußland kehren mußte, hatte Kaiser Wilhelm, von der alten Tradition und seinen Empfindungen für Ale¬ xander II., seinen Neffen, bestimmt, einen ganz andern Weg eingeschlagen, um die Spannung mit Rußland zu lösen. Zunächst tief betroffen von jenem drohenden Briefe und den Rüstungen Rußlands war er doch durch eine freund¬ liche Einladung, Offiziere zu den Manövern nach Warschau zu schicken, und durch die gnädige Aufnahme des daraufhin entsandten Generals von Man- teuffel wieder halb versöhnt worden und versuchte, sei es selbständig, sei es auf eine russische Anregung hin, sich persönlich mit Alexander II. zu ver¬ ständigen, obwohl ihm Fürst Bismarck entschieden abriet. Am 3. September traf er mit ihm in Alexandrowo (unweit von Thorn) zusammen. Der Zar bedauerte seinen Brief, von dem niemand gewußt habe, kam aber dann auf seine Beschwerden über die Haltung der deutschen Presse und der deutschen Kommissare im Orient zurück, durch die die Türkei immer hartnäckiger ge¬ worden sei, nud meinte, Bismarck habe, verletzt durch das „dumme" Zirkular Gvrtschakows vou 1875, diese Stimmung auf Rußland übertragen, mit Un¬ recht, denn Gortschakow sei ein überlebter Mann, den er fast gar nicht mehr konsultiere. Kaiser Wilhelm wies diese Beschwerden als unbegründet zurück, ver¬ sicherte namentlich, Bismarck denke über Rußland wie früher, in Erinnerung an die Haltung Rußlands 1870, habe deshalb 1876/77 eine Koalition der Westmächte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/588>, abgerufen am 23.07.2024.