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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.379

Der Gedanke, ein enges völkerrechtliches Vnndesverhältnis zwischen dem
unter Preußens Führung geeinten Deutschland und Osterreich auf der Grund¬
lage völliger Gleichberechtigung herzustellen, geht bekanntlich bis in die erste
Zeit von Bismarcks politischem Wirken zurück und wurde, man kann sagen,
noch auf dem Schlachtfelde vou Königgrätz wieder aufgenommen, als der
Streit um die Führerschaft Deutschlands entschieden war; er bestimmte daher
auch Bismarcks Haltung bei den Verhandlungen von Nikolsburg. Im ge¬
wissen Sinne kam er dann nach dem Rücktritte Beusts,") des Hauptträgers
einer gegen die werdende deutsche Einheit gerichteten Kvalitionspolitik, unter
dessen Nachfolger Graf Julius Andrassy im Dreikaiserbündnis von 1872 zur
Ausführung. Eine ganz neue Wendung trat ein, als nach dem Berliner
Kongresse von 1878 in Nußland die panslawistischen Strömungen, die den
Kaiser Alexander II. wider seinen Willen schon in den türkischen Krieg hinein¬
gedrängt hatten, anch die Haltung des Zaren gegenüber Deutschland zu be¬
stimmen anfingen und die Gescchr einer russisch-französische!? Koalition näher
rückten. Den Antrieb zu einem entscheidenden Schritte gab endlich der von
Gortschcckow redigierte fast drohende Brief Alexanders 11. an Kaiser Wilhelm 1.
aus Zarskoje Scio vom 3./15. August 1879, worin sich der Zar über die
den russischen Interessen angeblich feindliche Haltung der deutschen Kommissare
in den Verhandlungen über die Ausführung des Berliner Vertrages beschwerte,
sie auf den persönlichen Groll des Fürsten Gortschcckow zurückführte und vor
den "verhängnisvollen Konsequenzen" warnte, die dieses Verhalten für beide
Länder haben könne, und die schon in der Haltung der Presse zu Tage träte.**)
Außerdem wußte man, daß Rußland in Frankreich ein Bündnis gegen Deutsch¬
land vorgeschlagen habe, allerdings abschlügig beschieden worden sei. Beun¬
ruhigt dadurch griff Fürst Bismarck, der am 21. August von Kissingen in
Gastein eingetroffen war, den Gedanken eines Verteidigungsbündnisses zwischen
Deutschland und Österreich um so energischer auf, als der nahe bevorstehende
Rücktritt Andrassys zur Eile mahnte, da das diesem gewidmete Vertrauen sich
nicht ohne weiteres auf den Nachfolger übertragen konnte. Für einen be¬
sonders sichern Bundesgenossen hielt er allerdings Österreich nach dessen ganzer
Znsammensetzung und seinen katholischen Traditionen keineswegs, aber für den
erreichbarsten und willigsten, da es von der russischen Politik mehr bedroht
wurde als Deutschland. So verabredete er mit Graf Andrassy persönlich am
27. und 28. August die Grundlagen eines "Defensivabkommens," "jeden An¬
griff auf eins von den beiden Reichen gemeinsam abzuweisen," auch dann,
"wenn eines von einer dritten Macht angegriffen und Rußland mit dieser
kooperieren würde." Andrassy meldete dieses Ergebnis der Besprechungen dem




*) 8. November 1871,
-) Im französischen Urtext bei H. Kohl, 168 ff. vgl. Gedanken und Erinnerungen II, 236,
Es handelte sich besonders an Vorgänge in der Ärenzkommission in Novibazar.
Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.379

Der Gedanke, ein enges völkerrechtliches Vnndesverhältnis zwischen dem
unter Preußens Führung geeinten Deutschland und Osterreich auf der Grund¬
lage völliger Gleichberechtigung herzustellen, geht bekanntlich bis in die erste
Zeit von Bismarcks politischem Wirken zurück und wurde, man kann sagen,
noch auf dem Schlachtfelde vou Königgrätz wieder aufgenommen, als der
Streit um die Führerschaft Deutschlands entschieden war; er bestimmte daher
auch Bismarcks Haltung bei den Verhandlungen von Nikolsburg. Im ge¬
wissen Sinne kam er dann nach dem Rücktritte Beusts,") des Hauptträgers
einer gegen die werdende deutsche Einheit gerichteten Kvalitionspolitik, unter
dessen Nachfolger Graf Julius Andrassy im Dreikaiserbündnis von 1872 zur
Ausführung. Eine ganz neue Wendung trat ein, als nach dem Berliner
Kongresse von 1878 in Nußland die panslawistischen Strömungen, die den
Kaiser Alexander II. wider seinen Willen schon in den türkischen Krieg hinein¬
gedrängt hatten, anch die Haltung des Zaren gegenüber Deutschland zu be¬
stimmen anfingen und die Gescchr einer russisch-französische!? Koalition näher
rückten. Den Antrieb zu einem entscheidenden Schritte gab endlich der von
Gortschcckow redigierte fast drohende Brief Alexanders 11. an Kaiser Wilhelm 1.
aus Zarskoje Scio vom 3./15. August 1879, worin sich der Zar über die
den russischen Interessen angeblich feindliche Haltung der deutschen Kommissare
in den Verhandlungen über die Ausführung des Berliner Vertrages beschwerte,
sie auf den persönlichen Groll des Fürsten Gortschcckow zurückführte und vor
den „verhängnisvollen Konsequenzen" warnte, die dieses Verhalten für beide
Länder haben könne, und die schon in der Haltung der Presse zu Tage träte.**)
Außerdem wußte man, daß Rußland in Frankreich ein Bündnis gegen Deutsch¬
land vorgeschlagen habe, allerdings abschlügig beschieden worden sei. Beun¬
ruhigt dadurch griff Fürst Bismarck, der am 21. August von Kissingen in
Gastein eingetroffen war, den Gedanken eines Verteidigungsbündnisses zwischen
Deutschland und Österreich um so energischer auf, als der nahe bevorstehende
Rücktritt Andrassys zur Eile mahnte, da das diesem gewidmete Vertrauen sich
nicht ohne weiteres auf den Nachfolger übertragen konnte. Für einen be¬
sonders sichern Bundesgenossen hielt er allerdings Österreich nach dessen ganzer
Znsammensetzung und seinen katholischen Traditionen keineswegs, aber für den
erreichbarsten und willigsten, da es von der russischen Politik mehr bedroht
wurde als Deutschland. So verabredete er mit Graf Andrassy persönlich am
27. und 28. August die Grundlagen eines „Defensivabkommens," „jeden An¬
griff auf eins von den beiden Reichen gemeinsam abzuweisen," auch dann,
»wenn eines von einer dritten Macht angegriffen und Rußland mit dieser
kooperieren würde." Andrassy meldete dieses Ergebnis der Besprechungen dem




*) 8. November 1871,
-) Im französischen Urtext bei H. Kohl, 168 ff. vgl. Gedanken und Erinnerungen II, 236,
Es handelte sich besonders an Vorgänge in der Ärenzkommission in Novibazar.
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[0587] Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von H.379 Der Gedanke, ein enges völkerrechtliches Vnndesverhältnis zwischen dem unter Preußens Führung geeinten Deutschland und Osterreich auf der Grund¬ lage völliger Gleichberechtigung herzustellen, geht bekanntlich bis in die erste Zeit von Bismarcks politischem Wirken zurück und wurde, man kann sagen, noch auf dem Schlachtfelde vou Königgrätz wieder aufgenommen, als der Streit um die Führerschaft Deutschlands entschieden war; er bestimmte daher auch Bismarcks Haltung bei den Verhandlungen von Nikolsburg. Im ge¬ wissen Sinne kam er dann nach dem Rücktritte Beusts,") des Hauptträgers einer gegen die werdende deutsche Einheit gerichteten Kvalitionspolitik, unter dessen Nachfolger Graf Julius Andrassy im Dreikaiserbündnis von 1872 zur Ausführung. Eine ganz neue Wendung trat ein, als nach dem Berliner Kongresse von 1878 in Nußland die panslawistischen Strömungen, die den Kaiser Alexander II. wider seinen Willen schon in den türkischen Krieg hinein¬ gedrängt hatten, anch die Haltung des Zaren gegenüber Deutschland zu be¬ stimmen anfingen und die Gescchr einer russisch-französische!? Koalition näher rückten. Den Antrieb zu einem entscheidenden Schritte gab endlich der von Gortschcckow redigierte fast drohende Brief Alexanders 11. an Kaiser Wilhelm 1. aus Zarskoje Scio vom 3./15. August 1879, worin sich der Zar über die den russischen Interessen angeblich feindliche Haltung der deutschen Kommissare in den Verhandlungen über die Ausführung des Berliner Vertrages beschwerte, sie auf den persönlichen Groll des Fürsten Gortschcckow zurückführte und vor den „verhängnisvollen Konsequenzen" warnte, die dieses Verhalten für beide Länder haben könne, und die schon in der Haltung der Presse zu Tage träte.**) Außerdem wußte man, daß Rußland in Frankreich ein Bündnis gegen Deutsch¬ land vorgeschlagen habe, allerdings abschlügig beschieden worden sei. Beun¬ ruhigt dadurch griff Fürst Bismarck, der am 21. August von Kissingen in Gastein eingetroffen war, den Gedanken eines Verteidigungsbündnisses zwischen Deutschland und Österreich um so energischer auf, als der nahe bevorstehende Rücktritt Andrassys zur Eile mahnte, da das diesem gewidmete Vertrauen sich nicht ohne weiteres auf den Nachfolger übertragen konnte. Für einen be¬ sonders sichern Bundesgenossen hielt er allerdings Österreich nach dessen ganzer Znsammensetzung und seinen katholischen Traditionen keineswegs, aber für den erreichbarsten und willigsten, da es von der russischen Politik mehr bedroht wurde als Deutschland. So verabredete er mit Graf Andrassy persönlich am 27. und 28. August die Grundlagen eines „Defensivabkommens," „jeden An¬ griff auf eins von den beiden Reichen gemeinsam abzuweisen," auch dann, »wenn eines von einer dritten Macht angegriffen und Rußland mit dieser kooperieren würde." Andrassy meldete dieses Ergebnis der Besprechungen dem *) 8. November 1871, -) Im französischen Urtext bei H. Kohl, 168 ff. vgl. Gedanken und Erinnerungen II, 236, Es handelte sich besonders an Vorgänge in der Ärenzkommission in Novibazar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/587>, abgerufen am 23.07.2024.