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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Glück günstig ist, bald einen Dienst findet. Zuweilen dauert aber die Geschichte
auch recht lange, sodnsz das Mädchen tief in Schulden kommt, denn die Hausfrauen
sehen sich die Dienstbücher doch ziemlich genau an, und wenn da am Ende eine
große Lücke darin ist, so werden sie sehr nachdenklich. In den Großstädten, in
denen vielfach Dienstbotenmangel herrscht, wird die Sache vielleicht günstiger liegen,
aber die sittlichen Gefahren sind auch viel größer. Es giebt freilich Herrschaften,
die unbedenklich jedes Mädchen annehmen, solche nämlich, die keinen ordentlichen
Dienstboten mehr bekommen. Diese also würden gierig zugreifen, und die Ver¬
mieterin Hütte kein Interesse, es zu verhindern. Der Fürsvrgeverein aber hat dieses
Interesse. Wir achten darauf, daß unsre Pfleglinge in gesunde, wenn auch strenge
Verhältnisse kommen, und lehnen den Vorwurf entschieden ab, Entlassene jemals
gegen einen Süudenlohn an irgend wen und gar an gewissenlose Blutsauger und
Halsabschneider verkuppelt zu haben. Auch die andern Vereine werden diese An¬
schuldigung mit Entrüstung zurückweisen.

Zugestanden soll es werden, daß die Entlassener auch ohne unsre Hilfe
oft schnell und leicht eine Arbeitsstelle finden, zumal wo sich Verwandte oder
Freunde um sie kümmern, denn da diese der Sphäre angehören, der der Gefangne
entstammt, und die der Entlassene wieder aufsuchen will, so ist es ganz natürlich,
daß sie über die jeweiligen Arbeitsgelegenheiten besser unterrichtet sind als wir.
Was uns viele Mühe und manche Schererei kosten würde, machen sie, wenn sie
rin dem Arbeitgeber oder Werkmeister gut stehn, oft unter der Hand und mit
einem Worte ab. Das giebt uns nun nicht einen Augenblick das Gefühl, über¬
flüssig auf Erden zu sein; wir wären ja Thoren, wenn wir uns Mühe und Sorge
auflasten wollten, die von andern leichter getragen wird und sie auch zunächst an¬
geht. Jeder, der uus hilft, ist unser Freund, mag er nun Hinz oder Kunz heißen,
ein Monopol beanspruchen wir wahrlich nicht. Doch will ich es der Vollständigkeit
wegen noch anführen, daß wir zuweilen die lieben Verwandten erst zur Erfüllung
ihrer verwandtschaftliche" und reinmenschlichen Pflichten anstacheln, hänfig zuguder-
letzt anch noch mit unserm Einfluß und unsrer Fürsprache einspringen müssen, damit
das gute Werk gelingt.

(Schluß folgt)




Der goldne Gngel
Luise Glaß Erzählung von
(F-ortschung)

is die Geschwister einander beim Abendbrot gegenüber saßen, sagte
Line: Ich hab mirs uun tausendfältig überlegt, Karl, meinst du
denn nicht auch, man solle den Herren vom Fach alles verkaufen,
was da ist? Den Nvthnagel sind wir damit los, und vielleicht --
vielleicht langes sür Meister Ackermann -- Karl --!

Karl sah nachdenklich vor sich ans den Teller und löffelte an dem
Snppenrest herum, der zu klein war, um noch gefaßt zu werden. Die Lampe,


Glück günstig ist, bald einen Dienst findet. Zuweilen dauert aber die Geschichte
auch recht lange, sodnsz das Mädchen tief in Schulden kommt, denn die Hausfrauen
sehen sich die Dienstbücher doch ziemlich genau an, und wenn da am Ende eine
große Lücke darin ist, so werden sie sehr nachdenklich. In den Großstädten, in
denen vielfach Dienstbotenmangel herrscht, wird die Sache vielleicht günstiger liegen,
aber die sittlichen Gefahren sind auch viel größer. Es giebt freilich Herrschaften,
die unbedenklich jedes Mädchen annehmen, solche nämlich, die keinen ordentlichen
Dienstboten mehr bekommen. Diese also würden gierig zugreifen, und die Ver¬
mieterin Hütte kein Interesse, es zu verhindern. Der Fürsvrgeverein aber hat dieses
Interesse. Wir achten darauf, daß unsre Pfleglinge in gesunde, wenn auch strenge
Verhältnisse kommen, und lehnen den Vorwurf entschieden ab, Entlassene jemals
gegen einen Süudenlohn an irgend wen und gar an gewissenlose Blutsauger und
Halsabschneider verkuppelt zu haben. Auch die andern Vereine werden diese An¬
schuldigung mit Entrüstung zurückweisen.

Zugestanden soll es werden, daß die Entlassener auch ohne unsre Hilfe
oft schnell und leicht eine Arbeitsstelle finden, zumal wo sich Verwandte oder
Freunde um sie kümmern, denn da diese der Sphäre angehören, der der Gefangne
entstammt, und die der Entlassene wieder aufsuchen will, so ist es ganz natürlich,
daß sie über die jeweiligen Arbeitsgelegenheiten besser unterrichtet sind als wir.
Was uns viele Mühe und manche Schererei kosten würde, machen sie, wenn sie
rin dem Arbeitgeber oder Werkmeister gut stehn, oft unter der Hand und mit
einem Worte ab. Das giebt uns nun nicht einen Augenblick das Gefühl, über¬
flüssig auf Erden zu sein; wir wären ja Thoren, wenn wir uns Mühe und Sorge
auflasten wollten, die von andern leichter getragen wird und sie auch zunächst an¬
geht. Jeder, der uus hilft, ist unser Freund, mag er nun Hinz oder Kunz heißen,
ein Monopol beanspruchen wir wahrlich nicht. Doch will ich es der Vollständigkeit
wegen noch anführen, daß wir zuweilen die lieben Verwandten erst zur Erfüllung
ihrer verwandtschaftliche» und reinmenschlichen Pflichten anstacheln, hänfig zuguder-
letzt anch noch mit unserm Einfluß und unsrer Fürsprache einspringen müssen, damit
das gute Werk gelingt.

(Schluß folgt)




Der goldne Gngel
Luise Glaß Erzählung von
(F-ortschung)

is die Geschwister einander beim Abendbrot gegenüber saßen, sagte
Line: Ich hab mirs uun tausendfältig überlegt, Karl, meinst du
denn nicht auch, man solle den Herren vom Fach alles verkaufen,
was da ist? Den Nvthnagel sind wir damit los, und vielleicht —
vielleicht langes sür Meister Ackermann — Karl —!

Karl sah nachdenklich vor sich ans den Teller und löffelte an dem
Snppenrest herum, der zu klein war, um noch gefaßt zu werden. Die Lampe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/558>, abgerufen am 23.07.2024.