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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineaus Geschichtskonstruktion

Diese in ernstem Tone gesprochnen Worte machten auf uns einen er¬
greifenden Eindruck; die vorher heitre Unterhaltung wurde nicht wieder auf¬
genommen, und wir kamen auf Religion, auf die verschiednen Dogmen, auf
Christus und die Bibel zu sprechen. Der Fürst sagt dazu folgendes: "Ich
bemühe mich, ein gläubiger Christ zu sein, und bekenne überall gern mein
Christentum; ich halte es auch für notwendig, daß dem Volke die christliche
Religion erhalten wird, aber religiöse Unduldsamkeit ist mir verhaßt, und ich
würde unter meiner Amtsführung keinerlei Glaubenszwang geduldet haben."
Nach der Ansicht eines anwesenden Herrn müßte in der Bibel durch exakte
Forschung noch vieles klar gestellt und manches ausgeschieden werden; als ich
darauf hinweise, daß man an der Bibel ohne Gefahr für den Glauben des
Volkes nicht rühren dürfe, stimmt mir der Fürst zu und sagt mit warnend
erhobnen Finger: (juistg, non inovsrs.




Gobineaus Geschichtskonstruktion

in 36. Heft des vorigen Jahrgangs haben wir die Theorie des
Grafen Gobineau und unsre Stellung zu ihr dargelegt. Der
Kern dieser Theorie läßt sich in den Sätzen ausdrücken: die
Menschenrassen sind an sich unveränderlich; nur durch Blut-
mischung kann ein Rassentypus abgeändert werden; auch alle
großen politischen, überhaupt alle historischen Veränderungen sind auf Nassen-
mischnngen zurückzuführen; nur die weiße Nasse ist fähig. Kultur zu erzeugen,
und da deren Blut, ohnehin nirgends mehr rein vorhanden, durch fortgesetzte
Mischungen immer mehr verschlechtert wird, so entartet der Typus des Kultur¬
menschen immer mehr. Diese Sätze werden im ersten Bande der im From-
mannschen Verlage (Stuttgart) erschienenen und von Ludwig Schemann ver¬
faßten deutschen Übersetzung entwickelt. Die übrigen drei Bände sollen den histo¬
rischen Beweis für die Theorie erbringen. Nach dem vorliegenden zweiten Bande
zu urteilen, der soeben erschienen ist. handelt es sich aber mehr um eine Geschichts¬
konstruktion nach der Theorie als um eine Sammlung von Beweismaterial
für die Theorie. Wir behaupten nicht, daß die Theorie durchaus falsch sei.
Eines der Elemente der historischen Wandlungen und Ereignisse liegt ganz
gewiß in der Beharrlichkeit der ursprünglichen Rasscneigentümlichkeiten und in
den Rassenmischungen. Aber es tragen eben noch andre Umstünde und Kräfte
zur Gestaltung der Völker und Staaten und ihrer Geschicke bei, und wenn
man diese andern Ursachen alle übersieht und den ganzen welthistorischen


Gobineaus Geschichtskonstruktion

Diese in ernstem Tone gesprochnen Worte machten auf uns einen er¬
greifenden Eindruck; die vorher heitre Unterhaltung wurde nicht wieder auf¬
genommen, und wir kamen auf Religion, auf die verschiednen Dogmen, auf
Christus und die Bibel zu sprechen. Der Fürst sagt dazu folgendes: „Ich
bemühe mich, ein gläubiger Christ zu sein, und bekenne überall gern mein
Christentum; ich halte es auch für notwendig, daß dem Volke die christliche
Religion erhalten wird, aber religiöse Unduldsamkeit ist mir verhaßt, und ich
würde unter meiner Amtsführung keinerlei Glaubenszwang geduldet haben."
Nach der Ansicht eines anwesenden Herrn müßte in der Bibel durch exakte
Forschung noch vieles klar gestellt und manches ausgeschieden werden; als ich
darauf hinweise, daß man an der Bibel ohne Gefahr für den Glauben des
Volkes nicht rühren dürfe, stimmt mir der Fürst zu und sagt mit warnend
erhobnen Finger: (juistg, non inovsrs.




Gobineaus Geschichtskonstruktion

in 36. Heft des vorigen Jahrgangs haben wir die Theorie des
Grafen Gobineau und unsre Stellung zu ihr dargelegt. Der
Kern dieser Theorie läßt sich in den Sätzen ausdrücken: die
Menschenrassen sind an sich unveränderlich; nur durch Blut-
mischung kann ein Rassentypus abgeändert werden; auch alle
großen politischen, überhaupt alle historischen Veränderungen sind auf Nassen-
mischnngen zurückzuführen; nur die weiße Nasse ist fähig. Kultur zu erzeugen,
und da deren Blut, ohnehin nirgends mehr rein vorhanden, durch fortgesetzte
Mischungen immer mehr verschlechtert wird, so entartet der Typus des Kultur¬
menschen immer mehr. Diese Sätze werden im ersten Bande der im From-
mannschen Verlage (Stuttgart) erschienenen und von Ludwig Schemann ver¬
faßten deutschen Übersetzung entwickelt. Die übrigen drei Bände sollen den histo¬
rischen Beweis für die Theorie erbringen. Nach dem vorliegenden zweiten Bande
zu urteilen, der soeben erschienen ist. handelt es sich aber mehr um eine Geschichts¬
konstruktion nach der Theorie als um eine Sammlung von Beweismaterial
für die Theorie. Wir behaupten nicht, daß die Theorie durchaus falsch sei.
Eines der Elemente der historischen Wandlungen und Ereignisse liegt ganz
gewiß in der Beharrlichkeit der ursprünglichen Rasscneigentümlichkeiten und in
den Rassenmischungen. Aber es tragen eben noch andre Umstünde und Kräfte
zur Gestaltung der Völker und Staaten und ihrer Geschicke bei, und wenn
man diese andern Ursachen alle übersieht und den ganzen welthistorischen


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[0531] Gobineaus Geschichtskonstruktion Diese in ernstem Tone gesprochnen Worte machten auf uns einen er¬ greifenden Eindruck; die vorher heitre Unterhaltung wurde nicht wieder auf¬ genommen, und wir kamen auf Religion, auf die verschiednen Dogmen, auf Christus und die Bibel zu sprechen. Der Fürst sagt dazu folgendes: „Ich bemühe mich, ein gläubiger Christ zu sein, und bekenne überall gern mein Christentum; ich halte es auch für notwendig, daß dem Volke die christliche Religion erhalten wird, aber religiöse Unduldsamkeit ist mir verhaßt, und ich würde unter meiner Amtsführung keinerlei Glaubenszwang geduldet haben." Nach der Ansicht eines anwesenden Herrn müßte in der Bibel durch exakte Forschung noch vieles klar gestellt und manches ausgeschieden werden; als ich darauf hinweise, daß man an der Bibel ohne Gefahr für den Glauben des Volkes nicht rühren dürfe, stimmt mir der Fürst zu und sagt mit warnend erhobnen Finger: (juistg, non inovsrs. Gobineaus Geschichtskonstruktion in 36. Heft des vorigen Jahrgangs haben wir die Theorie des Grafen Gobineau und unsre Stellung zu ihr dargelegt. Der Kern dieser Theorie läßt sich in den Sätzen ausdrücken: die Menschenrassen sind an sich unveränderlich; nur durch Blut- mischung kann ein Rassentypus abgeändert werden; auch alle großen politischen, überhaupt alle historischen Veränderungen sind auf Nassen- mischnngen zurückzuführen; nur die weiße Nasse ist fähig. Kultur zu erzeugen, und da deren Blut, ohnehin nirgends mehr rein vorhanden, durch fortgesetzte Mischungen immer mehr verschlechtert wird, so entartet der Typus des Kultur¬ menschen immer mehr. Diese Sätze werden im ersten Bande der im From- mannschen Verlage (Stuttgart) erschienenen und von Ludwig Schemann ver¬ faßten deutschen Übersetzung entwickelt. Die übrigen drei Bände sollen den histo¬ rischen Beweis für die Theorie erbringen. Nach dem vorliegenden zweiten Bande zu urteilen, der soeben erschienen ist. handelt es sich aber mehr um eine Geschichts¬ konstruktion nach der Theorie als um eine Sammlung von Beweismaterial für die Theorie. Wir behaupten nicht, daß die Theorie durchaus falsch sei. Eines der Elemente der historischen Wandlungen und Ereignisse liegt ganz gewiß in der Beharrlichkeit der ursprünglichen Rasscneigentümlichkeiten und in den Rassenmischungen. Aber es tragen eben noch andre Umstünde und Kräfte zur Gestaltung der Völker und Staaten und ihrer Geschicke bei, und wenn man diese andern Ursachen alle übersieht und den ganzen welthistorischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/531>, abgerufen am 03.07.2024.