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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

sprochen. die dem Fürsten höchstens zu kurzen Bemerkungen Veranlassung geben.
Als er hört, daß ich mit der Fürstin über einen Bibelspruch Streite, droht er
mir mit den Worten: "Lassen Sie sich nicht mit meiner Frau in solchen Streit
ein, sonst ziehn Sie den kürzern; die Bibel und den Gothaischen Hofkalender
kennt sie auswendig!" Dann erzählt er von seiner letzten Reise anläßlich der
Hochzeitsfeier seines Sohnes und bedauert besonders, daß er auch den ihm
wohlgeneigten König von Sachsen nicht besuchen durfte, für den er eine
wirklich von Herzen kommende Verehrung empfände; eine Genugthuung sei es
ihm gewesen, zu erfahren, daß gerade der König über den ihm durch die
Dresdner Bevölkerung bereiteten enthusiastischen Empfang die größte Freude
empfunden hätte.

Abends sitzen wir wieder im Zimmer der Hausfrau. Der Fürst spricht
mit Bedauern davon, daß es ihm auch an seinem Lebensabende nicht vergönnt
sei, als einfacher Privatmann zu leben; er würde gern öfter nach Hamburg
ins Theater fahren, wenn das nur ohne Aufsehen geschehen könnte. Dann
greift er zu den Zeitungen und vertieft sich ganz in die Lektüre; nachdem er
sich längere Zeit mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt hat, legt er
das zuletzt gelesene Berliner Tageblatt mit einer raschen Handbewegung bei¬
seite und sagt: "Ich möchte wohl wissen, ob der Dualismus, der durch unser
ganzes Erdendasein geht, sich auch bis auf das höchste Wesen erstreckt; bei uns
ist ja alles zweiteilig, der Mensch besteht aus Geist und Körper, der Staat
aus Regierung und Volksvertretung, und die Existenz des ganzen Menschen¬
geschlechts basiert auf dem gegenseitigen Verhältnis von Mann und Frau; ja
dieser Dualismus erstreckt sich bis auf ganze Völkerschaften, die sich gewisser¬
maßen in ihren Eigenschaften ergänzen -- wie der körperlich starke, sittliche,
aber etwas steife Germane und der elegante, leichter bewegliche, aber weniger
kräftige Slawe. Ohne mich einer Gotteslästerung schuldig zu machen, möchte
ich daher wohl wissen, ob nicht auch unser Gott ein Wesen zur Seite hat,
das ihn so ergänzt, wie uns die Frau."

Man erinnert den Fürsten an die heilige Dreieinigkeit, worauf er aber,
als etwas unfaßbares, nicht eingeht. "Dann habe ich schon oft darüber nach¬
gedacht -- so fährt er fort --, ob es zwischen uns unvollkommnen Menschen
und der höchsten Gottheit nicht noch Zwischenstufen giebt, und ob der große
Gott, bei all seiner Allmächtigkeit, nicht noch Wesen zur Verfügung hat, auf
die er sich bei der Verwaltung des unermeßlichen Weltsystems stützen kann.
Wenn ich zum Beispiel hier in den Zeitungen immer wieder lesen muß, wie
unvollkommen unser ganzes Dasein ist, wie erbärmlich es bei uns zugeht, und
wie ungerecht Glück und Unglück verteilt sind, dann muß ich immer daran
denken, ob wir für unsre kleine Erde nicht gerade einen Oberpräsidenten er¬
wischt haben, der den Willen unsers großen, allgütigen Gottes nicht immer
erfüllt und uns manchmal etwas stiefmütterlich behandelt!"


Erinnerungen an Friedrichsruh

sprochen. die dem Fürsten höchstens zu kurzen Bemerkungen Veranlassung geben.
Als er hört, daß ich mit der Fürstin über einen Bibelspruch Streite, droht er
mir mit den Worten: „Lassen Sie sich nicht mit meiner Frau in solchen Streit
ein, sonst ziehn Sie den kürzern; die Bibel und den Gothaischen Hofkalender
kennt sie auswendig!" Dann erzählt er von seiner letzten Reise anläßlich der
Hochzeitsfeier seines Sohnes und bedauert besonders, daß er auch den ihm
wohlgeneigten König von Sachsen nicht besuchen durfte, für den er eine
wirklich von Herzen kommende Verehrung empfände; eine Genugthuung sei es
ihm gewesen, zu erfahren, daß gerade der König über den ihm durch die
Dresdner Bevölkerung bereiteten enthusiastischen Empfang die größte Freude
empfunden hätte.

Abends sitzen wir wieder im Zimmer der Hausfrau. Der Fürst spricht
mit Bedauern davon, daß es ihm auch an seinem Lebensabende nicht vergönnt
sei, als einfacher Privatmann zu leben; er würde gern öfter nach Hamburg
ins Theater fahren, wenn das nur ohne Aufsehen geschehen könnte. Dann
greift er zu den Zeitungen und vertieft sich ganz in die Lektüre; nachdem er
sich längere Zeit mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt hat, legt er
das zuletzt gelesene Berliner Tageblatt mit einer raschen Handbewegung bei¬
seite und sagt: „Ich möchte wohl wissen, ob der Dualismus, der durch unser
ganzes Erdendasein geht, sich auch bis auf das höchste Wesen erstreckt; bei uns
ist ja alles zweiteilig, der Mensch besteht aus Geist und Körper, der Staat
aus Regierung und Volksvertretung, und die Existenz des ganzen Menschen¬
geschlechts basiert auf dem gegenseitigen Verhältnis von Mann und Frau; ja
dieser Dualismus erstreckt sich bis auf ganze Völkerschaften, die sich gewisser¬
maßen in ihren Eigenschaften ergänzen — wie der körperlich starke, sittliche,
aber etwas steife Germane und der elegante, leichter bewegliche, aber weniger
kräftige Slawe. Ohne mich einer Gotteslästerung schuldig zu machen, möchte
ich daher wohl wissen, ob nicht auch unser Gott ein Wesen zur Seite hat,
das ihn so ergänzt, wie uns die Frau."

Man erinnert den Fürsten an die heilige Dreieinigkeit, worauf er aber,
als etwas unfaßbares, nicht eingeht. „Dann habe ich schon oft darüber nach¬
gedacht — so fährt er fort —, ob es zwischen uns unvollkommnen Menschen
und der höchsten Gottheit nicht noch Zwischenstufen giebt, und ob der große
Gott, bei all seiner Allmächtigkeit, nicht noch Wesen zur Verfügung hat, auf
die er sich bei der Verwaltung des unermeßlichen Weltsystems stützen kann.
Wenn ich zum Beispiel hier in den Zeitungen immer wieder lesen muß, wie
unvollkommen unser ganzes Dasein ist, wie erbärmlich es bei uns zugeht, und
wie ungerecht Glück und Unglück verteilt sind, dann muß ich immer daran
denken, ob wir für unsre kleine Erde nicht gerade einen Oberpräsidenten er¬
wischt haben, der den Willen unsers großen, allgütigen Gottes nicht immer
erfüllt und uns manchmal etwas stiefmütterlich behandelt!"


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[0530] Erinnerungen an Friedrichsruh sprochen. die dem Fürsten höchstens zu kurzen Bemerkungen Veranlassung geben. Als er hört, daß ich mit der Fürstin über einen Bibelspruch Streite, droht er mir mit den Worten: „Lassen Sie sich nicht mit meiner Frau in solchen Streit ein, sonst ziehn Sie den kürzern; die Bibel und den Gothaischen Hofkalender kennt sie auswendig!" Dann erzählt er von seiner letzten Reise anläßlich der Hochzeitsfeier seines Sohnes und bedauert besonders, daß er auch den ihm wohlgeneigten König von Sachsen nicht besuchen durfte, für den er eine wirklich von Herzen kommende Verehrung empfände; eine Genugthuung sei es ihm gewesen, zu erfahren, daß gerade der König über den ihm durch die Dresdner Bevölkerung bereiteten enthusiastischen Empfang die größte Freude empfunden hätte. Abends sitzen wir wieder im Zimmer der Hausfrau. Der Fürst spricht mit Bedauern davon, daß es ihm auch an seinem Lebensabende nicht vergönnt sei, als einfacher Privatmann zu leben; er würde gern öfter nach Hamburg ins Theater fahren, wenn das nur ohne Aufsehen geschehen könnte. Dann greift er zu den Zeitungen und vertieft sich ganz in die Lektüre; nachdem er sich längere Zeit mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt hat, legt er das zuletzt gelesene Berliner Tageblatt mit einer raschen Handbewegung bei¬ seite und sagt: „Ich möchte wohl wissen, ob der Dualismus, der durch unser ganzes Erdendasein geht, sich auch bis auf das höchste Wesen erstreckt; bei uns ist ja alles zweiteilig, der Mensch besteht aus Geist und Körper, der Staat aus Regierung und Volksvertretung, und die Existenz des ganzen Menschen¬ geschlechts basiert auf dem gegenseitigen Verhältnis von Mann und Frau; ja dieser Dualismus erstreckt sich bis auf ganze Völkerschaften, die sich gewisser¬ maßen in ihren Eigenschaften ergänzen — wie der körperlich starke, sittliche, aber etwas steife Germane und der elegante, leichter bewegliche, aber weniger kräftige Slawe. Ohne mich einer Gotteslästerung schuldig zu machen, möchte ich daher wohl wissen, ob nicht auch unser Gott ein Wesen zur Seite hat, das ihn so ergänzt, wie uns die Frau." Man erinnert den Fürsten an die heilige Dreieinigkeit, worauf er aber, als etwas unfaßbares, nicht eingeht. „Dann habe ich schon oft darüber nach¬ gedacht — so fährt er fort —, ob es zwischen uns unvollkommnen Menschen und der höchsten Gottheit nicht noch Zwischenstufen giebt, und ob der große Gott, bei all seiner Allmächtigkeit, nicht noch Wesen zur Verfügung hat, auf die er sich bei der Verwaltung des unermeßlichen Weltsystems stützen kann. Wenn ich zum Beispiel hier in den Zeitungen immer wieder lesen muß, wie unvollkommen unser ganzes Dasein ist, wie erbärmlich es bei uns zugeht, und wie ungerecht Glück und Unglück verteilt sind, dann muß ich immer daran denken, ob wir für unsre kleine Erde nicht gerade einen Oberpräsidenten er¬ wischt haben, der den Willen unsers großen, allgütigen Gottes nicht immer erfüllt und uns manchmal etwas stiefmütterlich behandelt!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/530>, abgerufen am 03.07.2024.