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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Vborelsaß

Gemeinderate, wenn sie ihre Pflicht thäte, und nachdrücklicher Schutz der staat¬
lichen Aufsichtsbehörde erscheint bei den gegenwärtigen Verhältnissen und der
friedfertigen Stimmung in den Regierungskreisen auch höchst zweifelhaft. Dieses
Beispiel ist aber vorbildlich und findet seine Bestätigung in allen Garnison-
städten, wo sich die Truppen bei solchen Zuständen wie im Feindesland fühlen
müssen. Im Oberelsaß treffen sich daher auch die Osfiziersfanulien nicht
einmal am dritten Ort mit den Angehörige" der guten elsässischen Gesellschaft.

Diese Verhältnisse sind aber unhaltbar und für den Bestand des Reichs,
das schon genug unter den Sondergclüsten einzelner einflußreicher Kreise zu
leiden hat, geradezu gefährlich. Hier können aber nur energische Maßnahmen
helfen, die das falsche Franzosentum ins Mark treffen. In nationalen
Fragen weht ja jetzt im Reiche ein frischerer Wind. Es ist falsch, zu erwarten,
daß die altdeutsche Eiuwaudruug und der Abfluß der unznfriedneu Ein¬
heimischen die beste Verdeutschung seien, n"d anzunehmen, daß diese bisher für
das mäßige Ergebnis der bisherigen Germanisation von beträchtlicher Be¬
deutung gewesen seien. Man sollte vielmehr die widerhanrigen Deutschen, die
das Land verlassen, mit kräftiger Hand ihrem eignen Volkstum wieder zuführen.
Frankreich wimmelt schon von Elsässern, die jetzt selbst dem französischen Chau¬
vinismus lustig werden, da sie verhätschelt sein wollen und den gebornen
Franzosen die besten Erwerbsgelegenheiten wegnehmen. Man ist nachgerade
neidisch auf die elsässischen Verbannten geworden, die sehr praktisch die Schwäche
des alten Adoplivvaterlandes auszubeuten verstehn. Aber welche Volkskraft
ist uns dadurch verloren gegangen! Frankreich erneut sich thatsächlich mit
deutschem Blute, und diesem Vorgang sieht die Regierung ruhig zu. Frank¬
reichs Kolonialkriege führt der deutsche Krieger, da zwei Drittel der Fremden¬
legion ans Deutschen bestehn, darunter 7000 Elsässer, lind welchen Bedarf
an Menschenmaterial fordert alljährlich diese mörderische Fremdenlegion! Die
schlimmste Gewaltherrschaft im Elsaß hätte nicht solche Wirkung hervorbringen
können, wie diese schwächliche, wider Willen antinationale Haltung der Negie¬
rung. Der Umstand, daß das deutsche Heimatsgefühl einen beträchtlichen Teil
der Auswandrer im lothringischen Grenzlande festgehalten hat, ist kein Verdienst
der Negierung, ebenso wenig wenn wir in einem künftigen Kriege erfreulicher¬
weise damit rechnen dürfen, daß wir den noch bei Frankreich gebliebner Teil
Lothringens dank dieser elsässischen Verstärkung der ursprünglich deutschen und
nur oberflächlich französierten Bevölkerung schon wieder etwas verdeutscht vor¬
finden werden. Übrigens hat die altdeutsche Eiuwaudruug nicht einmal die
Lücken gefüllt, die der Auszug der Landeseingebornen verursacht hat. Der
italienische Sommerarbeiter, ein gefährliches Element der Unordnung, bleibt
schon häufig auch im Winter in dem schönen Lande und wird sich schließlich
seßhaft mache". Trotz der großen Industrie hat früher im Oberelsaß niemals
Arbeitermaiigel geherrscht, da der Kleiubetrieb der Landwirtschaft auch außer-


Aus dem Vborelsaß

Gemeinderate, wenn sie ihre Pflicht thäte, und nachdrücklicher Schutz der staat¬
lichen Aufsichtsbehörde erscheint bei den gegenwärtigen Verhältnissen und der
friedfertigen Stimmung in den Regierungskreisen auch höchst zweifelhaft. Dieses
Beispiel ist aber vorbildlich und findet seine Bestätigung in allen Garnison-
städten, wo sich die Truppen bei solchen Zuständen wie im Feindesland fühlen
müssen. Im Oberelsaß treffen sich daher auch die Osfiziersfanulien nicht
einmal am dritten Ort mit den Angehörige» der guten elsässischen Gesellschaft.

Diese Verhältnisse sind aber unhaltbar und für den Bestand des Reichs,
das schon genug unter den Sondergclüsten einzelner einflußreicher Kreise zu
leiden hat, geradezu gefährlich. Hier können aber nur energische Maßnahmen
helfen, die das falsche Franzosentum ins Mark treffen. In nationalen
Fragen weht ja jetzt im Reiche ein frischerer Wind. Es ist falsch, zu erwarten,
daß die altdeutsche Eiuwaudruug und der Abfluß der unznfriedneu Ein¬
heimischen die beste Verdeutschung seien, n»d anzunehmen, daß diese bisher für
das mäßige Ergebnis der bisherigen Germanisation von beträchtlicher Be¬
deutung gewesen seien. Man sollte vielmehr die widerhanrigen Deutschen, die
das Land verlassen, mit kräftiger Hand ihrem eignen Volkstum wieder zuführen.
Frankreich wimmelt schon von Elsässern, die jetzt selbst dem französischen Chau¬
vinismus lustig werden, da sie verhätschelt sein wollen und den gebornen
Franzosen die besten Erwerbsgelegenheiten wegnehmen. Man ist nachgerade
neidisch auf die elsässischen Verbannten geworden, die sehr praktisch die Schwäche
des alten Adoplivvaterlandes auszubeuten verstehn. Aber welche Volkskraft
ist uns dadurch verloren gegangen! Frankreich erneut sich thatsächlich mit
deutschem Blute, und diesem Vorgang sieht die Regierung ruhig zu. Frank¬
reichs Kolonialkriege führt der deutsche Krieger, da zwei Drittel der Fremden¬
legion ans Deutschen bestehn, darunter 7000 Elsässer, lind welchen Bedarf
an Menschenmaterial fordert alljährlich diese mörderische Fremdenlegion! Die
schlimmste Gewaltherrschaft im Elsaß hätte nicht solche Wirkung hervorbringen
können, wie diese schwächliche, wider Willen antinationale Haltung der Negie¬
rung. Der Umstand, daß das deutsche Heimatsgefühl einen beträchtlichen Teil
der Auswandrer im lothringischen Grenzlande festgehalten hat, ist kein Verdienst
der Negierung, ebenso wenig wenn wir in einem künftigen Kriege erfreulicher¬
weise damit rechnen dürfen, daß wir den noch bei Frankreich gebliebner Teil
Lothringens dank dieser elsässischen Verstärkung der ursprünglich deutschen und
nur oberflächlich französierten Bevölkerung schon wieder etwas verdeutscht vor¬
finden werden. Übrigens hat die altdeutsche Eiuwaudruug nicht einmal die
Lücken gefüllt, die der Auszug der Landeseingebornen verursacht hat. Der
italienische Sommerarbeiter, ein gefährliches Element der Unordnung, bleibt
schon häufig auch im Winter in dem schönen Lande und wird sich schließlich
seßhaft mache». Trotz der großen Industrie hat früher im Oberelsaß niemals
Arbeitermaiigel geherrscht, da der Kleiubetrieb der Landwirtschaft auch außer-


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[0491] Aus dem Vborelsaß Gemeinderate, wenn sie ihre Pflicht thäte, und nachdrücklicher Schutz der staat¬ lichen Aufsichtsbehörde erscheint bei den gegenwärtigen Verhältnissen und der friedfertigen Stimmung in den Regierungskreisen auch höchst zweifelhaft. Dieses Beispiel ist aber vorbildlich und findet seine Bestätigung in allen Garnison- städten, wo sich die Truppen bei solchen Zuständen wie im Feindesland fühlen müssen. Im Oberelsaß treffen sich daher auch die Osfiziersfanulien nicht einmal am dritten Ort mit den Angehörige» der guten elsässischen Gesellschaft. Diese Verhältnisse sind aber unhaltbar und für den Bestand des Reichs, das schon genug unter den Sondergclüsten einzelner einflußreicher Kreise zu leiden hat, geradezu gefährlich. Hier können aber nur energische Maßnahmen helfen, die das falsche Franzosentum ins Mark treffen. In nationalen Fragen weht ja jetzt im Reiche ein frischerer Wind. Es ist falsch, zu erwarten, daß die altdeutsche Eiuwaudruug und der Abfluß der unznfriedneu Ein¬ heimischen die beste Verdeutschung seien, n»d anzunehmen, daß diese bisher für das mäßige Ergebnis der bisherigen Germanisation von beträchtlicher Be¬ deutung gewesen seien. Man sollte vielmehr die widerhanrigen Deutschen, die das Land verlassen, mit kräftiger Hand ihrem eignen Volkstum wieder zuführen. Frankreich wimmelt schon von Elsässern, die jetzt selbst dem französischen Chau¬ vinismus lustig werden, da sie verhätschelt sein wollen und den gebornen Franzosen die besten Erwerbsgelegenheiten wegnehmen. Man ist nachgerade neidisch auf die elsässischen Verbannten geworden, die sehr praktisch die Schwäche des alten Adoplivvaterlandes auszubeuten verstehn. Aber welche Volkskraft ist uns dadurch verloren gegangen! Frankreich erneut sich thatsächlich mit deutschem Blute, und diesem Vorgang sieht die Regierung ruhig zu. Frank¬ reichs Kolonialkriege führt der deutsche Krieger, da zwei Drittel der Fremden¬ legion ans Deutschen bestehn, darunter 7000 Elsässer, lind welchen Bedarf an Menschenmaterial fordert alljährlich diese mörderische Fremdenlegion! Die schlimmste Gewaltherrschaft im Elsaß hätte nicht solche Wirkung hervorbringen können, wie diese schwächliche, wider Willen antinationale Haltung der Negie¬ rung. Der Umstand, daß das deutsche Heimatsgefühl einen beträchtlichen Teil der Auswandrer im lothringischen Grenzlande festgehalten hat, ist kein Verdienst der Negierung, ebenso wenig wenn wir in einem künftigen Kriege erfreulicher¬ weise damit rechnen dürfen, daß wir den noch bei Frankreich gebliebner Teil Lothringens dank dieser elsässischen Verstärkung der ursprünglich deutschen und nur oberflächlich französierten Bevölkerung schon wieder etwas verdeutscht vor¬ finden werden. Übrigens hat die altdeutsche Eiuwaudruug nicht einmal die Lücken gefüllt, die der Auszug der Landeseingebornen verursacht hat. Der italienische Sommerarbeiter, ein gefährliches Element der Unordnung, bleibt schon häufig auch im Winter in dem schönen Lande und wird sich schließlich seßhaft mache». Trotz der großen Industrie hat früher im Oberelsaß niemals Arbeitermaiigel geherrscht, da der Kleiubetrieb der Landwirtschaft auch außer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/491>, abgerufen am 23.07.2024.