Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Gberelsaß

halb der Erntezeit viele Hände beschäftigt und somit die bedenkliche Saison¬
arbeit vermieden wird. Gegenwärtig wandern aber der junge Bursche und die
kräftige Magd mit Vorliebe in die französische Fremde, wo ja auch höhere
Löhne winken und nach den Schilderungen des gewissenlosen französisch ge¬
sinnten Pfarrers und des geistesverwandten Fabrikherrn das gelobte Land der
Freiheit ist. Thatsächlich hat diese elsässische Landflucht die Löhne der Ita¬
liener so gesteigert, daß der zur Auswandrung verführte Knecht in der Heimat
schließlich doch sein besseres Auskommen fände. Die Behörden sind diesem
Treiben mit wirkungslosen Warnungen vor dem Eintritt in die Fremdenlegion
und vor der Versäumnis der Wehrpflicht entgegen getreten. Freilich sind die
gesetzlichen Handhaben für die besondern Verhältnisse der Neichslmide unge¬
nügend und mehr auf das übrige Deutschland zugeschnitten, wo sie auch schon
anfangen, sich als mangelhaft zu erweisen.

Die Mittel zur Ausmerzung der französischen Sprache sind, soweit sie
nicht schon vorhanden sind, gesetzlich zu gewähren. Als ein in italienischer
Sprache in Nizza erscheinendes Blatt den Schutz der italienischen Nationalität
dieses durchaus nicht französischen Landstrichs forderte, wurde sofort ein
Sondergesetz erlassen, das die in fremder Zunge gedruckten Zeitungen den
ausländischen gleichstellte, und dadurch wurde das italienische Blatt einfach
auf dem Verwaltungswege unterdrückt. Der fast niemals angewandte Dik-
tatnrparagraph der französischen Zeit erlaubt aber ohne besondre gesetzliche
Bestimmung ein solches Verbot. Es ist eine nationale Pflicht der Regierung,
die französisch geschriebn? Presse des Landes einfach aus Grund dieses Gesetzes
zu beseitigen, da keinerlei Bedürfnis für eine französische Landeszeitung vor¬
liegt. Die ungebildeten Grenzer Lothringens lesen außerdem diese elsässischen
Hetzblätter gar nicht, sondern überall findet man die kleinen Provinzzeitnngen
des französischen Lothringens und die Pariser Sonblätter. Natürlich muß
man durch einfaches Polizeiverbot den französischen Blättern ebenfalls die
Grenze verschließen. Der deutsche Bilduugsphilister mag dies sehr grausam
und hart finden, ja vielleicht sogar als mittelalterliche, gewaltsame Verdum¬
mung brandmarken. Thatsächlich liegen in allen Wirtschaften des Oberelsasses,
auch in solchen, die nur von Altdeutschen besucht werden, die großen franzö¬
sischen Blätter aus. Ihre Kenntnis ist unbethvrten Gemütern sicherlich nicht
schädlich, aber der französisch gesinnte Elsüsser folgert nicht ohne eine gewisse
Berechtigung aus dieser Thatsache der allgemeinen Verbreitung der französischen
Presse, daß die Reichslande ein halbfranzösisches Zwitterland sind. Ist der
PostVertrieb der Zeitungen untersagt, so wird natürlich die Einschmuggelung der
französischen Zeitungen uuter Deckumschlag nicht aufhören, aber sie verschwinden
aus den Gasthöfen und Schankstcitten, und die Post kann die unerlaubte Ein¬
führung erheblich erschweren. Die französischen Bücher und die selbstverständ¬
lich unbehelligt zu lassenden wissenschastlichen Zeitschriften werden niemals


Aus dem Gberelsaß

halb der Erntezeit viele Hände beschäftigt und somit die bedenkliche Saison¬
arbeit vermieden wird. Gegenwärtig wandern aber der junge Bursche und die
kräftige Magd mit Vorliebe in die französische Fremde, wo ja auch höhere
Löhne winken und nach den Schilderungen des gewissenlosen französisch ge¬
sinnten Pfarrers und des geistesverwandten Fabrikherrn das gelobte Land der
Freiheit ist. Thatsächlich hat diese elsässische Landflucht die Löhne der Ita¬
liener so gesteigert, daß der zur Auswandrung verführte Knecht in der Heimat
schließlich doch sein besseres Auskommen fände. Die Behörden sind diesem
Treiben mit wirkungslosen Warnungen vor dem Eintritt in die Fremdenlegion
und vor der Versäumnis der Wehrpflicht entgegen getreten. Freilich sind die
gesetzlichen Handhaben für die besondern Verhältnisse der Neichslmide unge¬
nügend und mehr auf das übrige Deutschland zugeschnitten, wo sie auch schon
anfangen, sich als mangelhaft zu erweisen.

Die Mittel zur Ausmerzung der französischen Sprache sind, soweit sie
nicht schon vorhanden sind, gesetzlich zu gewähren. Als ein in italienischer
Sprache in Nizza erscheinendes Blatt den Schutz der italienischen Nationalität
dieses durchaus nicht französischen Landstrichs forderte, wurde sofort ein
Sondergesetz erlassen, das die in fremder Zunge gedruckten Zeitungen den
ausländischen gleichstellte, und dadurch wurde das italienische Blatt einfach
auf dem Verwaltungswege unterdrückt. Der fast niemals angewandte Dik-
tatnrparagraph der französischen Zeit erlaubt aber ohne besondre gesetzliche
Bestimmung ein solches Verbot. Es ist eine nationale Pflicht der Regierung,
die französisch geschriebn? Presse des Landes einfach aus Grund dieses Gesetzes
zu beseitigen, da keinerlei Bedürfnis für eine französische Landeszeitung vor¬
liegt. Die ungebildeten Grenzer Lothringens lesen außerdem diese elsässischen
Hetzblätter gar nicht, sondern überall findet man die kleinen Provinzzeitnngen
des französischen Lothringens und die Pariser Sonblätter. Natürlich muß
man durch einfaches Polizeiverbot den französischen Blättern ebenfalls die
Grenze verschließen. Der deutsche Bilduugsphilister mag dies sehr grausam
und hart finden, ja vielleicht sogar als mittelalterliche, gewaltsame Verdum¬
mung brandmarken. Thatsächlich liegen in allen Wirtschaften des Oberelsasses,
auch in solchen, die nur von Altdeutschen besucht werden, die großen franzö¬
sischen Blätter aus. Ihre Kenntnis ist unbethvrten Gemütern sicherlich nicht
schädlich, aber der französisch gesinnte Elsüsser folgert nicht ohne eine gewisse
Berechtigung aus dieser Thatsache der allgemeinen Verbreitung der französischen
Presse, daß die Reichslande ein halbfranzösisches Zwitterland sind. Ist der
PostVertrieb der Zeitungen untersagt, so wird natürlich die Einschmuggelung der
französischen Zeitungen uuter Deckumschlag nicht aufhören, aber sie verschwinden
aus den Gasthöfen und Schankstcitten, und die Post kann die unerlaubte Ein¬
führung erheblich erschweren. Die französischen Bücher und die selbstverständ¬
lich unbehelligt zu lassenden wissenschastlichen Zeitschriften werden niemals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230178"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem Gberelsaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1997" prev="#ID_1996"> halb der Erntezeit viele Hände beschäftigt und somit die bedenkliche Saison¬<lb/>
arbeit vermieden wird. Gegenwärtig wandern aber der junge Bursche und die<lb/>
kräftige Magd mit Vorliebe in die französische Fremde, wo ja auch höhere<lb/>
Löhne winken und nach den Schilderungen des gewissenlosen französisch ge¬<lb/>
sinnten Pfarrers und des geistesverwandten Fabrikherrn das gelobte Land der<lb/>
Freiheit ist. Thatsächlich hat diese elsässische Landflucht die Löhne der Ita¬<lb/>
liener so gesteigert, daß der zur Auswandrung verführte Knecht in der Heimat<lb/>
schließlich doch sein besseres Auskommen fände. Die Behörden sind diesem<lb/>
Treiben mit wirkungslosen Warnungen vor dem Eintritt in die Fremdenlegion<lb/>
und vor der Versäumnis der Wehrpflicht entgegen getreten. Freilich sind die<lb/>
gesetzlichen Handhaben für die besondern Verhältnisse der Neichslmide unge¬<lb/>
nügend und mehr auf das übrige Deutschland zugeschnitten, wo sie auch schon<lb/>
anfangen, sich als mangelhaft zu erweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1998" next="#ID_1999"> Die Mittel zur Ausmerzung der französischen Sprache sind, soweit sie<lb/>
nicht schon vorhanden sind, gesetzlich zu gewähren. Als ein in italienischer<lb/>
Sprache in Nizza erscheinendes Blatt den Schutz der italienischen Nationalität<lb/>
dieses durchaus nicht französischen Landstrichs forderte, wurde sofort ein<lb/>
Sondergesetz erlassen, das die in fremder Zunge gedruckten Zeitungen den<lb/>
ausländischen gleichstellte, und dadurch wurde das italienische Blatt einfach<lb/>
auf dem Verwaltungswege unterdrückt. Der fast niemals angewandte Dik-<lb/>
tatnrparagraph der französischen Zeit erlaubt aber ohne besondre gesetzliche<lb/>
Bestimmung ein solches Verbot. Es ist eine nationale Pflicht der Regierung,<lb/>
die französisch geschriebn? Presse des Landes einfach aus Grund dieses Gesetzes<lb/>
zu beseitigen, da keinerlei Bedürfnis für eine französische Landeszeitung vor¬<lb/>
liegt. Die ungebildeten Grenzer Lothringens lesen außerdem diese elsässischen<lb/>
Hetzblätter gar nicht, sondern überall findet man die kleinen Provinzzeitnngen<lb/>
des französischen Lothringens und die Pariser Sonblätter. Natürlich muß<lb/>
man durch einfaches Polizeiverbot den französischen Blättern ebenfalls die<lb/>
Grenze verschließen. Der deutsche Bilduugsphilister mag dies sehr grausam<lb/>
und hart finden, ja vielleicht sogar als mittelalterliche, gewaltsame Verdum¬<lb/>
mung brandmarken. Thatsächlich liegen in allen Wirtschaften des Oberelsasses,<lb/>
auch in solchen, die nur von Altdeutschen besucht werden, die großen franzö¬<lb/>
sischen Blätter aus. Ihre Kenntnis ist unbethvrten Gemütern sicherlich nicht<lb/>
schädlich, aber der französisch gesinnte Elsüsser folgert nicht ohne eine gewisse<lb/>
Berechtigung aus dieser Thatsache der allgemeinen Verbreitung der französischen<lb/>
Presse, daß die Reichslande ein halbfranzösisches Zwitterland sind. Ist der<lb/>
PostVertrieb der Zeitungen untersagt, so wird natürlich die Einschmuggelung der<lb/>
französischen Zeitungen uuter Deckumschlag nicht aufhören, aber sie verschwinden<lb/>
aus den Gasthöfen und Schankstcitten, und die Post kann die unerlaubte Ein¬<lb/>
führung erheblich erschweren. Die französischen Bücher und die selbstverständ¬<lb/>
lich unbehelligt zu lassenden wissenschastlichen Zeitschriften werden niemals</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Aus dem Gberelsaß halb der Erntezeit viele Hände beschäftigt und somit die bedenkliche Saison¬ arbeit vermieden wird. Gegenwärtig wandern aber der junge Bursche und die kräftige Magd mit Vorliebe in die französische Fremde, wo ja auch höhere Löhne winken und nach den Schilderungen des gewissenlosen französisch ge¬ sinnten Pfarrers und des geistesverwandten Fabrikherrn das gelobte Land der Freiheit ist. Thatsächlich hat diese elsässische Landflucht die Löhne der Ita¬ liener so gesteigert, daß der zur Auswandrung verführte Knecht in der Heimat schließlich doch sein besseres Auskommen fände. Die Behörden sind diesem Treiben mit wirkungslosen Warnungen vor dem Eintritt in die Fremdenlegion und vor der Versäumnis der Wehrpflicht entgegen getreten. Freilich sind die gesetzlichen Handhaben für die besondern Verhältnisse der Neichslmide unge¬ nügend und mehr auf das übrige Deutschland zugeschnitten, wo sie auch schon anfangen, sich als mangelhaft zu erweisen. Die Mittel zur Ausmerzung der französischen Sprache sind, soweit sie nicht schon vorhanden sind, gesetzlich zu gewähren. Als ein in italienischer Sprache in Nizza erscheinendes Blatt den Schutz der italienischen Nationalität dieses durchaus nicht französischen Landstrichs forderte, wurde sofort ein Sondergesetz erlassen, das die in fremder Zunge gedruckten Zeitungen den ausländischen gleichstellte, und dadurch wurde das italienische Blatt einfach auf dem Verwaltungswege unterdrückt. Der fast niemals angewandte Dik- tatnrparagraph der französischen Zeit erlaubt aber ohne besondre gesetzliche Bestimmung ein solches Verbot. Es ist eine nationale Pflicht der Regierung, die französisch geschriebn? Presse des Landes einfach aus Grund dieses Gesetzes zu beseitigen, da keinerlei Bedürfnis für eine französische Landeszeitung vor¬ liegt. Die ungebildeten Grenzer Lothringens lesen außerdem diese elsässischen Hetzblätter gar nicht, sondern überall findet man die kleinen Provinzzeitnngen des französischen Lothringens und die Pariser Sonblätter. Natürlich muß man durch einfaches Polizeiverbot den französischen Blättern ebenfalls die Grenze verschließen. Der deutsche Bilduugsphilister mag dies sehr grausam und hart finden, ja vielleicht sogar als mittelalterliche, gewaltsame Verdum¬ mung brandmarken. Thatsächlich liegen in allen Wirtschaften des Oberelsasses, auch in solchen, die nur von Altdeutschen besucht werden, die großen franzö¬ sischen Blätter aus. Ihre Kenntnis ist unbethvrten Gemütern sicherlich nicht schädlich, aber der französisch gesinnte Elsüsser folgert nicht ohne eine gewisse Berechtigung aus dieser Thatsache der allgemeinen Verbreitung der französischen Presse, daß die Reichslande ein halbfranzösisches Zwitterland sind. Ist der PostVertrieb der Zeitungen untersagt, so wird natürlich die Einschmuggelung der französischen Zeitungen uuter Deckumschlag nicht aufhören, aber sie verschwinden aus den Gasthöfen und Schankstcitten, und die Post kann die unerlaubte Ein¬ führung erheblich erschweren. Die französischen Bücher und die selbstverständ¬ lich unbehelligt zu lassenden wissenschastlichen Zeitschriften werden niemals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/492>, abgerufen am 23.07.2024.