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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Reinhold

Summe des Willens ließ ein düsteres Bild und eine im Sinne des Menschen¬
freundes hoffnungslose Suche zurück. Du blitzte in dieser Welt dunkler und
dämonischer Triebe das Licht der Idee, der Wille erfüllte seine Welt mit immer
reichern Bildern und brachte es bis zur Umkehrung und Verneinung seiner
selbst, bis zu dem unglaubhaften und doch wahren Zustande, wo die Vor¬
stellung den Dienst des Willens verläßt, wo der edle Sklave den Herrn über¬
windet" (S. 621). Das ist natürlich reiner Unsinn. Der Wrlle steht nicht
im Gegensatz oder Widerspruch zur Idee, und diese blitzt nicht in ihn hinein
(oder in ihm, wie Reinhold sagt), sondern der vernünftige Wille ist von Haus
aus mit Ideen erfüllt und nichts andres als der Trieb und Drang zur Ver¬
wirklichung der Ideen. Der Wille will nicht bloß essen und trinken, sondern
auch Schönes sehen, Nützliches schaffen, Liebe und Gerechtigkeit üben. Die
Konflikte entstehen nicht aus einem Gegensatz zwischen Idee und Willen, sondern
daraus, daß innerhalb der Schranken der Endlichkeit von je zwei gleichberech¬
tigten Willensstrebungen immer nur eine verwirklicht werden kann, also die
eine auf Kosten der andern. "Es überkommt in dem sinnlosen Weben der auch
die Menschenwelt beherrschenden blinden Natur mit ihrer selbstmörderischen
Lebensfülle und ihrer organischen Vernichtung den betrachtenden und sittlichen
Geist oft das Gefühl des den Pessimismus noch überbietende" Nihilismus.
Und zu dieser offnen Bankrotterklärung muß es erst kommen, diese Beichte der
Vernichtung muß allen weitern Schritten vorhergehen. Aber eine unbesiegbare
innere Überzeugung, eine sittliche und rein menschliche Notwendigkeit treibt
immer wieder ans den Glauben an die höhere Bestimmung des Menschen¬
geschlechts zurück" (S. 622). Seite 624 wird Colbert gerühmt, der im Gegen¬
satz zur grausamen Armengesetzgebung Englands ein Edikt zur Errichtung einer
niüison as roi'v.g'"z erwirkte, vo. 1v8 inckiKons clev-lieue 6t>rv rshus voulus
innmw'of vivsnts äiz ^""us-LIiriLt,, "Mit einer solchen Gesinnung ist das In¬
strument gewonnen, mit dem Wunder gewirkt werden." Diese Gesinnung erzeuge
einen neuen Gemeinschaftsgeist. "In richtiger Würdigung dieses schöpferischen
und versittlichenden, aber nur in geschichtlich konkreten und übersehbaren Kreisen
möglichen Gemeinschaftsgeistes haben die einsichtigsten und praktisch reform-
sreundlichen deutschen Nationalökonomen die eminente Bedeutung des nationalen
Staates stark betont" (S. 626). "Das älteste wie das neuste Problem ist:
ob die Idee der im nationalen Staat plastisch verkörperten eignen Volksper¬
sönlichkeit und die Ordnungsgewalt des Staatsgedankens eine der religiösen
Vorstellung ebenbürtige Kraft entwickeln können" (S. 627). "Die große und
schwere Aufgabe der Gegenwart besteht darin, auf dem Grunde des theore¬
tischen Pessimismus einen praktischen Optimismus zum Durchbruch zu bringen,
der sich zugleich mutig an die speziellen Probleme der Zeit heranmacht und
nie das Gefühl seiner Schranken verliert. Diese optimistische Auffassung hat


Reinhold

Summe des Willens ließ ein düsteres Bild und eine im Sinne des Menschen¬
freundes hoffnungslose Suche zurück. Du blitzte in dieser Welt dunkler und
dämonischer Triebe das Licht der Idee, der Wille erfüllte seine Welt mit immer
reichern Bildern und brachte es bis zur Umkehrung und Verneinung seiner
selbst, bis zu dem unglaubhaften und doch wahren Zustande, wo die Vor¬
stellung den Dienst des Willens verläßt, wo der edle Sklave den Herrn über¬
windet" (S. 621). Das ist natürlich reiner Unsinn. Der Wrlle steht nicht
im Gegensatz oder Widerspruch zur Idee, und diese blitzt nicht in ihn hinein
(oder in ihm, wie Reinhold sagt), sondern der vernünftige Wille ist von Haus
aus mit Ideen erfüllt und nichts andres als der Trieb und Drang zur Ver¬
wirklichung der Ideen. Der Wille will nicht bloß essen und trinken, sondern
auch Schönes sehen, Nützliches schaffen, Liebe und Gerechtigkeit üben. Die
Konflikte entstehen nicht aus einem Gegensatz zwischen Idee und Willen, sondern
daraus, daß innerhalb der Schranken der Endlichkeit von je zwei gleichberech¬
tigten Willensstrebungen immer nur eine verwirklicht werden kann, also die
eine auf Kosten der andern. „Es überkommt in dem sinnlosen Weben der auch
die Menschenwelt beherrschenden blinden Natur mit ihrer selbstmörderischen
Lebensfülle und ihrer organischen Vernichtung den betrachtenden und sittlichen
Geist oft das Gefühl des den Pessimismus noch überbietende» Nihilismus.
Und zu dieser offnen Bankrotterklärung muß es erst kommen, diese Beichte der
Vernichtung muß allen weitern Schritten vorhergehen. Aber eine unbesiegbare
innere Überzeugung, eine sittliche und rein menschliche Notwendigkeit treibt
immer wieder ans den Glauben an die höhere Bestimmung des Menschen¬
geschlechts zurück" (S. 622). Seite 624 wird Colbert gerühmt, der im Gegen¬
satz zur grausamen Armengesetzgebung Englands ein Edikt zur Errichtung einer
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strument gewonnen, mit dem Wunder gewirkt werden." Diese Gesinnung erzeuge
einen neuen Gemeinschaftsgeist. „In richtiger Würdigung dieses schöpferischen
und versittlichenden, aber nur in geschichtlich konkreten und übersehbaren Kreisen
möglichen Gemeinschaftsgeistes haben die einsichtigsten und praktisch reform-
sreundlichen deutschen Nationalökonomen die eminente Bedeutung des nationalen
Staates stark betont" (S. 626). „Das älteste wie das neuste Problem ist:
ob die Idee der im nationalen Staat plastisch verkörperten eignen Volksper¬
sönlichkeit und die Ordnungsgewalt des Staatsgedankens eine der religiösen
Vorstellung ebenbürtige Kraft entwickeln können" (S. 627). „Die große und
schwere Aufgabe der Gegenwart besteht darin, auf dem Grunde des theore¬
tischen Pessimismus einen praktischen Optimismus zum Durchbruch zu bringen,
der sich zugleich mutig an die speziellen Probleme der Zeit heranmacht und
nie das Gefühl seiner Schranken verliert. Diese optimistische Auffassung hat


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[0439] Reinhold Summe des Willens ließ ein düsteres Bild und eine im Sinne des Menschen¬ freundes hoffnungslose Suche zurück. Du blitzte in dieser Welt dunkler und dämonischer Triebe das Licht der Idee, der Wille erfüllte seine Welt mit immer reichern Bildern und brachte es bis zur Umkehrung und Verneinung seiner selbst, bis zu dem unglaubhaften und doch wahren Zustande, wo die Vor¬ stellung den Dienst des Willens verläßt, wo der edle Sklave den Herrn über¬ windet" (S. 621). Das ist natürlich reiner Unsinn. Der Wrlle steht nicht im Gegensatz oder Widerspruch zur Idee, und diese blitzt nicht in ihn hinein (oder in ihm, wie Reinhold sagt), sondern der vernünftige Wille ist von Haus aus mit Ideen erfüllt und nichts andres als der Trieb und Drang zur Ver¬ wirklichung der Ideen. Der Wille will nicht bloß essen und trinken, sondern auch Schönes sehen, Nützliches schaffen, Liebe und Gerechtigkeit üben. Die Konflikte entstehen nicht aus einem Gegensatz zwischen Idee und Willen, sondern daraus, daß innerhalb der Schranken der Endlichkeit von je zwei gleichberech¬ tigten Willensstrebungen immer nur eine verwirklicht werden kann, also die eine auf Kosten der andern. „Es überkommt in dem sinnlosen Weben der auch die Menschenwelt beherrschenden blinden Natur mit ihrer selbstmörderischen Lebensfülle und ihrer organischen Vernichtung den betrachtenden und sittlichen Geist oft das Gefühl des den Pessimismus noch überbietende» Nihilismus. Und zu dieser offnen Bankrotterklärung muß es erst kommen, diese Beichte der Vernichtung muß allen weitern Schritten vorhergehen. Aber eine unbesiegbare innere Überzeugung, eine sittliche und rein menschliche Notwendigkeit treibt immer wieder ans den Glauben an die höhere Bestimmung des Menschen¬ geschlechts zurück" (S. 622). Seite 624 wird Colbert gerühmt, der im Gegen¬ satz zur grausamen Armengesetzgebung Englands ein Edikt zur Errichtung einer niüison as roi'v.g'«z erwirkte, vo. 1v8 inckiKons clev-lieue 6t>rv rshus voulus innmw'of vivsnts äiz ^««us-LIiriLt,, „Mit einer solchen Gesinnung ist das In¬ strument gewonnen, mit dem Wunder gewirkt werden." Diese Gesinnung erzeuge einen neuen Gemeinschaftsgeist. „In richtiger Würdigung dieses schöpferischen und versittlichenden, aber nur in geschichtlich konkreten und übersehbaren Kreisen möglichen Gemeinschaftsgeistes haben die einsichtigsten und praktisch reform- sreundlichen deutschen Nationalökonomen die eminente Bedeutung des nationalen Staates stark betont" (S. 626). „Das älteste wie das neuste Problem ist: ob die Idee der im nationalen Staat plastisch verkörperten eignen Volksper¬ sönlichkeit und die Ordnungsgewalt des Staatsgedankens eine der religiösen Vorstellung ebenbürtige Kraft entwickeln können" (S. 627). „Die große und schwere Aufgabe der Gegenwart besteht darin, auf dem Grunde des theore¬ tischen Pessimismus einen praktischen Optimismus zum Durchbruch zu bringen, der sich zugleich mutig an die speziellen Probleme der Zeit heranmacht und nie das Gefühl seiner Schranken verliert. Diese optimistische Auffassung hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/439>, abgerufen am 23.07.2024.