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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

Durch die mongolische Invasion sind auch die osmanischen Türken west¬
wärts in Bewegung gesetzt worden. Im Dienste der letzten Seldschukenfürsten
kommen sie zwischen Mongolen und Griechen in Kleinasien auf; ihr Führer
Ertoghrul gewinnt zunächst ein kleines Gelnet um Dorylüum. Sein Sohn
Osman, nach dem diese Türken benannt sind, ein eifriger Muhammedaner,
begründet um 1300 die türkische Herrschaft an den Grenzen Asiens, wo es
seiner Zeit eine geordnete Macht überhaupt nicht mehr gab. In zunehmender
Menge finden sich seitdem türkische Söldnerscharen in byzantinischen Diensten,
und bei den unaufhörlichen Thronstreitigkeiten und Bürgerkriegen wächst ihre
Bedeutung. Bei der Einfachheit ihrer Sitten und der Abhärtung des Feld¬
lebens gelingt es ihren klugen und thatkräftigen Führern bald, innerhalb des
verfallenden griechischen Reichs ihre Macht selbständig zu machen und weiter
auszudehnen. Im Jahre 1330 fällt Nicäa in ihre Hände, 1354 setzen sie sich
in den Besitz von Gallipoli auf dem europäischen Ufer. Türkische Massen
drängen als Ansiedler über den Hellespont nach, 1363 wird Philippvpel
erobert, 1365 Adrianopel, die Residenz des Osmanenreichs. Die griechischen
Kaiser erkennen diese Eroberungen an, ihre Macht ist seitdem auf Konstanti¬
nopel und seine Umgebung beschränkt. Sultan Orchan, der Schwiegersohn des
griechischen Kaisers, und sein Bruder Alaeddin -- der erste Vezier -- sind
in dieser Zeit als die Organisatoren des Osmanenreichs anzusehen. In die
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts fällt auch die Errichtung der Janitscharen,
eines Söldnerfußvolks aus christlichen, in der muhammedanischen Religion auf-
erzognen Knaben. Gleichzeitig gewinnt auch im abendländischen Kriegswesen
das Fußvolk zunächst in den Schweizern seine erhöhte Bedeutung.

Auch in Europa werden die von den Osmanen eroberten Ländereien zu
Lehen ausgethan, deren Träger zu Kriegsdienst und Heeresfolge verpflichtet
sind. Gegen den zweiten Nachfolger Orchans, Bajazid I., erhebt sich das Abend¬
land und die Mongolenmacht. Sigismund, der König von Ungarn und spätere
deutsche Kaiser, unterstützt namentlich von der französischen und deutschen Ritter¬
schaft, erliegt 1396 bei Nikopolis; der Mongole Timur bricht 1400 von
Scimarkand her in Kleinasien ein und vernichtet 1402 das osmanische Heer in
der Schlacht von Angora. Nach seinem Tode 1405 zerfüllt das Reich schnell
wieder; die Söhne Bajcizids geraten in Krieg mit einander, aber schon 1413
gelingt es dem thatkräftigsten, Mohammed, das Reich mit Hilfe der Griechen
und Serben wieder zu vereinigen und innerlich zu befestigen. Noch einmal
erheben sich Ungarn und Polen, um die Osmanen aus Europa zu vertreiben.
Mit der Niederlage von Varna 1444 erlosch jede Aussicht hierzu, und nun
hatte die Todesstunde Ostroms geschlagen. 9000 Verteidiger widerstanden
länger als sieben Wochen den 165000 Angreifern; am 29. Mai 1453 fiel das
Bollwerk der Zivilisation des Westens, das die Nachfolger Konstantins ein
Jahrtausend lang gegen eine Welt von Feinden behauptet hatten.


Islam und Zivilisation

Durch die mongolische Invasion sind auch die osmanischen Türken west¬
wärts in Bewegung gesetzt worden. Im Dienste der letzten Seldschukenfürsten
kommen sie zwischen Mongolen und Griechen in Kleinasien auf; ihr Führer
Ertoghrul gewinnt zunächst ein kleines Gelnet um Dorylüum. Sein Sohn
Osman, nach dem diese Türken benannt sind, ein eifriger Muhammedaner,
begründet um 1300 die türkische Herrschaft an den Grenzen Asiens, wo es
seiner Zeit eine geordnete Macht überhaupt nicht mehr gab. In zunehmender
Menge finden sich seitdem türkische Söldnerscharen in byzantinischen Diensten,
und bei den unaufhörlichen Thronstreitigkeiten und Bürgerkriegen wächst ihre
Bedeutung. Bei der Einfachheit ihrer Sitten und der Abhärtung des Feld¬
lebens gelingt es ihren klugen und thatkräftigen Führern bald, innerhalb des
verfallenden griechischen Reichs ihre Macht selbständig zu machen und weiter
auszudehnen. Im Jahre 1330 fällt Nicäa in ihre Hände, 1354 setzen sie sich
in den Besitz von Gallipoli auf dem europäischen Ufer. Türkische Massen
drängen als Ansiedler über den Hellespont nach, 1363 wird Philippvpel
erobert, 1365 Adrianopel, die Residenz des Osmanenreichs. Die griechischen
Kaiser erkennen diese Eroberungen an, ihre Macht ist seitdem auf Konstanti¬
nopel und seine Umgebung beschränkt. Sultan Orchan, der Schwiegersohn des
griechischen Kaisers, und sein Bruder Alaeddin — der erste Vezier — sind
in dieser Zeit als die Organisatoren des Osmanenreichs anzusehen. In die
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts fällt auch die Errichtung der Janitscharen,
eines Söldnerfußvolks aus christlichen, in der muhammedanischen Religion auf-
erzognen Knaben. Gleichzeitig gewinnt auch im abendländischen Kriegswesen
das Fußvolk zunächst in den Schweizern seine erhöhte Bedeutung.

Auch in Europa werden die von den Osmanen eroberten Ländereien zu
Lehen ausgethan, deren Träger zu Kriegsdienst und Heeresfolge verpflichtet
sind. Gegen den zweiten Nachfolger Orchans, Bajazid I., erhebt sich das Abend¬
land und die Mongolenmacht. Sigismund, der König von Ungarn und spätere
deutsche Kaiser, unterstützt namentlich von der französischen und deutschen Ritter¬
schaft, erliegt 1396 bei Nikopolis; der Mongole Timur bricht 1400 von
Scimarkand her in Kleinasien ein und vernichtet 1402 das osmanische Heer in
der Schlacht von Angora. Nach seinem Tode 1405 zerfüllt das Reich schnell
wieder; die Söhne Bajcizids geraten in Krieg mit einander, aber schon 1413
gelingt es dem thatkräftigsten, Mohammed, das Reich mit Hilfe der Griechen
und Serben wieder zu vereinigen und innerlich zu befestigen. Noch einmal
erheben sich Ungarn und Polen, um die Osmanen aus Europa zu vertreiben.
Mit der Niederlage von Varna 1444 erlosch jede Aussicht hierzu, und nun
hatte die Todesstunde Ostroms geschlagen. 9000 Verteidiger widerstanden
länger als sieben Wochen den 165000 Angreifern; am 29. Mai 1453 fiel das
Bollwerk der Zivilisation des Westens, das die Nachfolger Konstantins ein
Jahrtausend lang gegen eine Welt von Feinden behauptet hatten.


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[0384] Islam und Zivilisation Durch die mongolische Invasion sind auch die osmanischen Türken west¬ wärts in Bewegung gesetzt worden. Im Dienste der letzten Seldschukenfürsten kommen sie zwischen Mongolen und Griechen in Kleinasien auf; ihr Führer Ertoghrul gewinnt zunächst ein kleines Gelnet um Dorylüum. Sein Sohn Osman, nach dem diese Türken benannt sind, ein eifriger Muhammedaner, begründet um 1300 die türkische Herrschaft an den Grenzen Asiens, wo es seiner Zeit eine geordnete Macht überhaupt nicht mehr gab. In zunehmender Menge finden sich seitdem türkische Söldnerscharen in byzantinischen Diensten, und bei den unaufhörlichen Thronstreitigkeiten und Bürgerkriegen wächst ihre Bedeutung. Bei der Einfachheit ihrer Sitten und der Abhärtung des Feld¬ lebens gelingt es ihren klugen und thatkräftigen Führern bald, innerhalb des verfallenden griechischen Reichs ihre Macht selbständig zu machen und weiter auszudehnen. Im Jahre 1330 fällt Nicäa in ihre Hände, 1354 setzen sie sich in den Besitz von Gallipoli auf dem europäischen Ufer. Türkische Massen drängen als Ansiedler über den Hellespont nach, 1363 wird Philippvpel erobert, 1365 Adrianopel, die Residenz des Osmanenreichs. Die griechischen Kaiser erkennen diese Eroberungen an, ihre Macht ist seitdem auf Konstanti¬ nopel und seine Umgebung beschränkt. Sultan Orchan, der Schwiegersohn des griechischen Kaisers, und sein Bruder Alaeddin — der erste Vezier — sind in dieser Zeit als die Organisatoren des Osmanenreichs anzusehen. In die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts fällt auch die Errichtung der Janitscharen, eines Söldnerfußvolks aus christlichen, in der muhammedanischen Religion auf- erzognen Knaben. Gleichzeitig gewinnt auch im abendländischen Kriegswesen das Fußvolk zunächst in den Schweizern seine erhöhte Bedeutung. Auch in Europa werden die von den Osmanen eroberten Ländereien zu Lehen ausgethan, deren Träger zu Kriegsdienst und Heeresfolge verpflichtet sind. Gegen den zweiten Nachfolger Orchans, Bajazid I., erhebt sich das Abend¬ land und die Mongolenmacht. Sigismund, der König von Ungarn und spätere deutsche Kaiser, unterstützt namentlich von der französischen und deutschen Ritter¬ schaft, erliegt 1396 bei Nikopolis; der Mongole Timur bricht 1400 von Scimarkand her in Kleinasien ein und vernichtet 1402 das osmanische Heer in der Schlacht von Angora. Nach seinem Tode 1405 zerfüllt das Reich schnell wieder; die Söhne Bajcizids geraten in Krieg mit einander, aber schon 1413 gelingt es dem thatkräftigsten, Mohammed, das Reich mit Hilfe der Griechen und Serben wieder zu vereinigen und innerlich zu befestigen. Noch einmal erheben sich Ungarn und Polen, um die Osmanen aus Europa zu vertreiben. Mit der Niederlage von Varna 1444 erlosch jede Aussicht hierzu, und nun hatte die Todesstunde Ostroms geschlagen. 9000 Verteidiger widerstanden länger als sieben Wochen den 165000 Angreifern; am 29. Mai 1453 fiel das Bollwerk der Zivilisation des Westens, das die Nachfolger Konstantins ein Jahrtausend lang gegen eine Welt von Feinden behauptet hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/384>, abgerufen am 23.07.2024.