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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

ihrer uralten Kulturblüte. Es ist die Schlacht bei Manzikert in der Gegend
des Wansees zwischen Seldschuken und Griechen, die die Völkergeschicke des
Orients entscheidet. Schon 1074 wird ein Vertrag zwischen dem Kaiser und
den Türken geschlossen, wonach diese die Regierung über die von ihnen besetzten
Provinzen behalten, dagegen dem Kaiser gegen die Normannen und gegen einen
Thronprätendenten Hilfe leisten sollen. In dieselbe Zeit fallen die norman¬
nischen Eroberungen in Sizilien und Unteritalien. So sehen wir, wie sich
Rom zu dem bevorstehenden Entscheidungskampfe die Normannen, Bagdad die
Türken fast gleichzeitig einverleibt. Der 1081 beginnende Angriff der Nor¬
mannen auf Byzanz bringt das griechische Reich nun in die mißlichste Lage
und zwingt es zum Lavieren zwischen den beiden großen Parteien, während
wiederum die Feindschaft zwischen den Kalifaten von Bagdad und Kairo es
den abendländischen Kreuzfahrern ermöglicht, in Syrien Fuß zu fassen.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Kreuzzüge näher einzugehen, wir haben
es nur mit ihren Resultaten für die morgenländischen Entwicklungen zu thun.
Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist die Seldschukenherrschaft in
Kleinasien schon im Verfall: in Ägypten und Syrien herrschen die Nachkommen
Saladins, in sieben Zweige geteilt. Der ägyptische Sultan bricht 1244 mit
zahlreichen asiatischen Soldtruppen in Palästina ein und macht nach einem
Siege bei Askalon der christlichen Herrschaft ein Ende. Seitdem steht Syrien
unter ägyptischer Herrschaft. Ein furchtbares Unheil brach in demselben Jahre
mit den Mongolen über Vorderasien herein. Die Seldschuken wurden von
ihnen niedergeworfen und Bagdad 1258 erobert; seitdem bestehen in Kleinasien
nur noch eine Menge seldschukischer Kleinstaaten, und nach dem Ebben der
Mongoleuflnt ist Raum gegeben für das Emporkommen und Vordringen der
Osmanen. Der größte der Mongolenherrscher, Usbeck (ein Zeitgenosse Ludwigs
des Bayern), wendet sich mit seinem Volke dem Islam zu, und von nun an
erst nehmen Morgenland und Abendland entgegengesetzte Formen und Ent¬
wicklungen an. Im Morgenlande bleibt das Papstkönigtum als Prinzip be¬
stehen; im Abendlande ist das Papsttum zwar noch überwiegend, aber selbst
auf geistigem Gebiete zeigt sich innerhalb der Kirche beständig eine Opposition,
während die weltlichen Gewalten mehr und mehr erstarken und sich auf die
Nationalitäten zurückziehen. Die Mongolen zerstören den Islam an der Zentral¬
stelle zu Bagdad; so sammeln sich alle Kräfte in Syrien und Ägypten und
machen der dortigen Christenherrschaft ein Ende (Ptolemüis fällt 1291). In dem
Islam gewinnen seitdem die rohsten Elemente das Übergewicht, und es be¬
festigt sich eine fortschreitender Entwicklung äußerst ungünstige Herrschaftsform,
denn "es ist fast zu schwer für den Menschen, den Besitz der Gewaltfülle mit
der Anerkennung fremder Freiheit und Selbstbestimmung zu verbinden."") Nun
erst entfremdete sich der Islam völlig der Entwicklung der übrigen Welt.



*) Ranke, Weltgeschichte, Vd, 8, S, 410.
Islam und Zivilisation

ihrer uralten Kulturblüte. Es ist die Schlacht bei Manzikert in der Gegend
des Wansees zwischen Seldschuken und Griechen, die die Völkergeschicke des
Orients entscheidet. Schon 1074 wird ein Vertrag zwischen dem Kaiser und
den Türken geschlossen, wonach diese die Regierung über die von ihnen besetzten
Provinzen behalten, dagegen dem Kaiser gegen die Normannen und gegen einen
Thronprätendenten Hilfe leisten sollen. In dieselbe Zeit fallen die norman¬
nischen Eroberungen in Sizilien und Unteritalien. So sehen wir, wie sich
Rom zu dem bevorstehenden Entscheidungskampfe die Normannen, Bagdad die
Türken fast gleichzeitig einverleibt. Der 1081 beginnende Angriff der Nor¬
mannen auf Byzanz bringt das griechische Reich nun in die mißlichste Lage
und zwingt es zum Lavieren zwischen den beiden großen Parteien, während
wiederum die Feindschaft zwischen den Kalifaten von Bagdad und Kairo es
den abendländischen Kreuzfahrern ermöglicht, in Syrien Fuß zu fassen.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Kreuzzüge näher einzugehen, wir haben
es nur mit ihren Resultaten für die morgenländischen Entwicklungen zu thun.
Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist die Seldschukenherrschaft in
Kleinasien schon im Verfall: in Ägypten und Syrien herrschen die Nachkommen
Saladins, in sieben Zweige geteilt. Der ägyptische Sultan bricht 1244 mit
zahlreichen asiatischen Soldtruppen in Palästina ein und macht nach einem
Siege bei Askalon der christlichen Herrschaft ein Ende. Seitdem steht Syrien
unter ägyptischer Herrschaft. Ein furchtbares Unheil brach in demselben Jahre
mit den Mongolen über Vorderasien herein. Die Seldschuken wurden von
ihnen niedergeworfen und Bagdad 1258 erobert; seitdem bestehen in Kleinasien
nur noch eine Menge seldschukischer Kleinstaaten, und nach dem Ebben der
Mongoleuflnt ist Raum gegeben für das Emporkommen und Vordringen der
Osmanen. Der größte der Mongolenherrscher, Usbeck (ein Zeitgenosse Ludwigs
des Bayern), wendet sich mit seinem Volke dem Islam zu, und von nun an
erst nehmen Morgenland und Abendland entgegengesetzte Formen und Ent¬
wicklungen an. Im Morgenlande bleibt das Papstkönigtum als Prinzip be¬
stehen; im Abendlande ist das Papsttum zwar noch überwiegend, aber selbst
auf geistigem Gebiete zeigt sich innerhalb der Kirche beständig eine Opposition,
während die weltlichen Gewalten mehr und mehr erstarken und sich auf die
Nationalitäten zurückziehen. Die Mongolen zerstören den Islam an der Zentral¬
stelle zu Bagdad; so sammeln sich alle Kräfte in Syrien und Ägypten und
machen der dortigen Christenherrschaft ein Ende (Ptolemüis fällt 1291). In dem
Islam gewinnen seitdem die rohsten Elemente das Übergewicht, und es be¬
festigt sich eine fortschreitender Entwicklung äußerst ungünstige Herrschaftsform,
denn „es ist fast zu schwer für den Menschen, den Besitz der Gewaltfülle mit
der Anerkennung fremder Freiheit und Selbstbestimmung zu verbinden."") Nun
erst entfremdete sich der Islam völlig der Entwicklung der übrigen Welt.



*) Ranke, Weltgeschichte, Vd, 8, S, 410.
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[0383] Islam und Zivilisation ihrer uralten Kulturblüte. Es ist die Schlacht bei Manzikert in der Gegend des Wansees zwischen Seldschuken und Griechen, die die Völkergeschicke des Orients entscheidet. Schon 1074 wird ein Vertrag zwischen dem Kaiser und den Türken geschlossen, wonach diese die Regierung über die von ihnen besetzten Provinzen behalten, dagegen dem Kaiser gegen die Normannen und gegen einen Thronprätendenten Hilfe leisten sollen. In dieselbe Zeit fallen die norman¬ nischen Eroberungen in Sizilien und Unteritalien. So sehen wir, wie sich Rom zu dem bevorstehenden Entscheidungskampfe die Normannen, Bagdad die Türken fast gleichzeitig einverleibt. Der 1081 beginnende Angriff der Nor¬ mannen auf Byzanz bringt das griechische Reich nun in die mißlichste Lage und zwingt es zum Lavieren zwischen den beiden großen Parteien, während wiederum die Feindschaft zwischen den Kalifaten von Bagdad und Kairo es den abendländischen Kreuzfahrern ermöglicht, in Syrien Fuß zu fassen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Kreuzzüge näher einzugehen, wir haben es nur mit ihren Resultaten für die morgenländischen Entwicklungen zu thun. Um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts ist die Seldschukenherrschaft in Kleinasien schon im Verfall: in Ägypten und Syrien herrschen die Nachkommen Saladins, in sieben Zweige geteilt. Der ägyptische Sultan bricht 1244 mit zahlreichen asiatischen Soldtruppen in Palästina ein und macht nach einem Siege bei Askalon der christlichen Herrschaft ein Ende. Seitdem steht Syrien unter ägyptischer Herrschaft. Ein furchtbares Unheil brach in demselben Jahre mit den Mongolen über Vorderasien herein. Die Seldschuken wurden von ihnen niedergeworfen und Bagdad 1258 erobert; seitdem bestehen in Kleinasien nur noch eine Menge seldschukischer Kleinstaaten, und nach dem Ebben der Mongoleuflnt ist Raum gegeben für das Emporkommen und Vordringen der Osmanen. Der größte der Mongolenherrscher, Usbeck (ein Zeitgenosse Ludwigs des Bayern), wendet sich mit seinem Volke dem Islam zu, und von nun an erst nehmen Morgenland und Abendland entgegengesetzte Formen und Ent¬ wicklungen an. Im Morgenlande bleibt das Papstkönigtum als Prinzip be¬ stehen; im Abendlande ist das Papsttum zwar noch überwiegend, aber selbst auf geistigem Gebiete zeigt sich innerhalb der Kirche beständig eine Opposition, während die weltlichen Gewalten mehr und mehr erstarken und sich auf die Nationalitäten zurückziehen. Die Mongolen zerstören den Islam an der Zentral¬ stelle zu Bagdad; so sammeln sich alle Kräfte in Syrien und Ägypten und machen der dortigen Christenherrschaft ein Ende (Ptolemüis fällt 1291). In dem Islam gewinnen seitdem die rohsten Elemente das Übergewicht, und es be¬ festigt sich eine fortschreitender Entwicklung äußerst ungünstige Herrschaftsform, denn „es ist fast zu schwer für den Menschen, den Besitz der Gewaltfülle mit der Anerkennung fremder Freiheit und Selbstbestimmung zu verbinden."") Nun erst entfremdete sich der Islam völlig der Entwicklung der übrigen Welt. *) Ranke, Weltgeschichte, Vd, 8, S, 410.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/383>, abgerufen am 23.07.2024.