Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hansestädte und Aolonialpolitik

Anzahl Leutnants und Assessoren hinauszuschicken, die mit ihren schneidigen
Verordnungen das bischen Handel noch vollends zu zerstören drohten? Das
sind Anschauungen, die anch heute noch in den Hansestädten sehr mächtig sind.

Es kommt noch dazu, daß dem Kaufmann mit der großen Aufmerksamkeit,
die man ihm in den Kolonialgesellschaften zuwendet, gar nicht sehr gedient ist.
Das ist eine ganz natürliche Folge des Konkurrenzkampfs. Über Art und
Ertrag seiner Geschäfte Rechenschaft abzulegen, seine Handelsbeziehungen auf¬
zudecken, den Betrieb seiner Faktoreien zu schildern, dazu findet er sich sehr ungern
bereit, und von seinem Standpunkte mit Recht; es ist ihm manchmal lieber,
sich mit irgend einem Negerpotentaten schlecht und recht auseinanderzusetzen,
als sich von den deutschen Beamten in den Topf gucken und jeden ein- oder
ausgehenden Warmhalten sorgfältig zählen und aufzeichnen zu lassen. Daher
ist auch bei deu Firmen, die in deutschen Besitzungen arbeiten, die Begeisterung
sür die neue Lage nicht so groß und allgemein, wie sich erwarten ließe; wo
sie an der kolonialpolitischen Bewegung in der Heimat teilnehmen, geschieht
es mehr aus wohlverstandner Klugheit -- es ist immer besser, mit der Re¬
gierung auf gutem Fuß zu bleiben, die schon über allerlei Mittel verfügt, den
Kaufleuten das Dasein zu erleichtern oder zu erschweren.

Das Verhältnis würde herzlicher sein, wenn sich das hanseatische Kapital
eifriger an dem aufblühenden Plantagenban beteiligen würde; aber auch in
diesem Falle sind es zuerst die industriellen Kreise des Binnenlandes gewesen,
die aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten sind, abgesehen von einigen wenigen
Ausnahmen. Das hanseatische Kapital sucht eben nach alter Gewohnheit An¬
lage im Handelsverkehr, wie er nur in kultivierten Gebieten gedeihen kann,
und daher auch die Freude über den Erwerb von Kiautschou. Hier wird sich
eine wirkliche Handelskolonie entwickeln, wie sie die Hanseaten wünschen und
brauchen.

Das Verhalten der beiden Hansestädte an der Nordsee ist gegenüber der
Kolonialpolitik nicht ganz dasselbe gewesen. Hamburg hat unbedingt von
Anfang an mehr Verständnis für die Sache gezeigt und bethätigt, während
sich Bremen äußerst zugeknöpft verhielt; es ändert daran nichts, daß der erste
Anstoß zur Erwerbung von Kolonien von dem Bremer Kaufmann Lüderitz
ausging, denn Lüderitz nahm keine hervorragende Stellung ein und ist bis
zuletzt vereinzelt geblieben. Die Ursachen der Verschiedenheit liegen hauptsächlich
darin, daß in Hamburg der Ausfuhrhandel vorwaltet, in Bremen dagegen der
Import, und zwar der Import einiger weniger Güter, wie Tabak, Baumwolle,
Wolle, Reis. Petroleum usw. Der Bremer Handel hat also seine ganz be¬
stimmten Bahnen, an die er sich gewöhnt hat, und demnach wenig Interesse
für neue Produktionsgebiete; die Hamburger Ausfuhr dagegen muß mit der
beständigen Vermehrung der Absatzländer rechnen und läßt sich die Ausschließung
der deutschen Kolonien nicht ungern gefallen. Die deutsche Regierung fand


Hansestädte und Aolonialpolitik

Anzahl Leutnants und Assessoren hinauszuschicken, die mit ihren schneidigen
Verordnungen das bischen Handel noch vollends zu zerstören drohten? Das
sind Anschauungen, die anch heute noch in den Hansestädten sehr mächtig sind.

Es kommt noch dazu, daß dem Kaufmann mit der großen Aufmerksamkeit,
die man ihm in den Kolonialgesellschaften zuwendet, gar nicht sehr gedient ist.
Das ist eine ganz natürliche Folge des Konkurrenzkampfs. Über Art und
Ertrag seiner Geschäfte Rechenschaft abzulegen, seine Handelsbeziehungen auf¬
zudecken, den Betrieb seiner Faktoreien zu schildern, dazu findet er sich sehr ungern
bereit, und von seinem Standpunkte mit Recht; es ist ihm manchmal lieber,
sich mit irgend einem Negerpotentaten schlecht und recht auseinanderzusetzen,
als sich von den deutschen Beamten in den Topf gucken und jeden ein- oder
ausgehenden Warmhalten sorgfältig zählen und aufzeichnen zu lassen. Daher
ist auch bei deu Firmen, die in deutschen Besitzungen arbeiten, die Begeisterung
sür die neue Lage nicht so groß und allgemein, wie sich erwarten ließe; wo
sie an der kolonialpolitischen Bewegung in der Heimat teilnehmen, geschieht
es mehr aus wohlverstandner Klugheit — es ist immer besser, mit der Re¬
gierung auf gutem Fuß zu bleiben, die schon über allerlei Mittel verfügt, den
Kaufleuten das Dasein zu erleichtern oder zu erschweren.

Das Verhältnis würde herzlicher sein, wenn sich das hanseatische Kapital
eifriger an dem aufblühenden Plantagenban beteiligen würde; aber auch in
diesem Falle sind es zuerst die industriellen Kreise des Binnenlandes gewesen,
die aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten sind, abgesehen von einigen wenigen
Ausnahmen. Das hanseatische Kapital sucht eben nach alter Gewohnheit An¬
lage im Handelsverkehr, wie er nur in kultivierten Gebieten gedeihen kann,
und daher auch die Freude über den Erwerb von Kiautschou. Hier wird sich
eine wirkliche Handelskolonie entwickeln, wie sie die Hanseaten wünschen und
brauchen.

Das Verhalten der beiden Hansestädte an der Nordsee ist gegenüber der
Kolonialpolitik nicht ganz dasselbe gewesen. Hamburg hat unbedingt von
Anfang an mehr Verständnis für die Sache gezeigt und bethätigt, während
sich Bremen äußerst zugeknöpft verhielt; es ändert daran nichts, daß der erste
Anstoß zur Erwerbung von Kolonien von dem Bremer Kaufmann Lüderitz
ausging, denn Lüderitz nahm keine hervorragende Stellung ein und ist bis
zuletzt vereinzelt geblieben. Die Ursachen der Verschiedenheit liegen hauptsächlich
darin, daß in Hamburg der Ausfuhrhandel vorwaltet, in Bremen dagegen der
Import, und zwar der Import einiger weniger Güter, wie Tabak, Baumwolle,
Wolle, Reis. Petroleum usw. Der Bremer Handel hat also seine ganz be¬
stimmten Bahnen, an die er sich gewöhnt hat, und demnach wenig Interesse
für neue Produktionsgebiete; die Hamburger Ausfuhr dagegen muß mit der
beständigen Vermehrung der Absatzländer rechnen und läßt sich die Ausschließung
der deutschen Kolonien nicht ungern gefallen. Die deutsche Regierung fand


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230042"/>
          <fw type="header" place="top"> Hansestädte und Aolonialpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1484" prev="#ID_1483"> Anzahl Leutnants und Assessoren hinauszuschicken, die mit ihren schneidigen<lb/>
Verordnungen das bischen Handel noch vollends zu zerstören drohten? Das<lb/>
sind Anschauungen, die anch heute noch in den Hansestädten sehr mächtig sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485"> Es kommt noch dazu, daß dem Kaufmann mit der großen Aufmerksamkeit,<lb/>
die man ihm in den Kolonialgesellschaften zuwendet, gar nicht sehr gedient ist.<lb/>
Das ist eine ganz natürliche Folge des Konkurrenzkampfs. Über Art und<lb/>
Ertrag seiner Geschäfte Rechenschaft abzulegen, seine Handelsbeziehungen auf¬<lb/>
zudecken, den Betrieb seiner Faktoreien zu schildern, dazu findet er sich sehr ungern<lb/>
bereit, und von seinem Standpunkte mit Recht; es ist ihm manchmal lieber,<lb/>
sich mit irgend einem Negerpotentaten schlecht und recht auseinanderzusetzen,<lb/>
als sich von den deutschen Beamten in den Topf gucken und jeden ein- oder<lb/>
ausgehenden Warmhalten sorgfältig zählen und aufzeichnen zu lassen. Daher<lb/>
ist auch bei deu Firmen, die in deutschen Besitzungen arbeiten, die Begeisterung<lb/>
sür die neue Lage nicht so groß und allgemein, wie sich erwarten ließe; wo<lb/>
sie an der kolonialpolitischen Bewegung in der Heimat teilnehmen, geschieht<lb/>
es mehr aus wohlverstandner Klugheit &#x2014; es ist immer besser, mit der Re¬<lb/>
gierung auf gutem Fuß zu bleiben, die schon über allerlei Mittel verfügt, den<lb/>
Kaufleuten das Dasein zu erleichtern oder zu erschweren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1486"> Das Verhältnis würde herzlicher sein, wenn sich das hanseatische Kapital<lb/>
eifriger an dem aufblühenden Plantagenban beteiligen würde; aber auch in<lb/>
diesem Falle sind es zuerst die industriellen Kreise des Binnenlandes gewesen,<lb/>
die aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten sind, abgesehen von einigen wenigen<lb/>
Ausnahmen. Das hanseatische Kapital sucht eben nach alter Gewohnheit An¬<lb/>
lage im Handelsverkehr, wie er nur in kultivierten Gebieten gedeihen kann,<lb/>
und daher auch die Freude über den Erwerb von Kiautschou. Hier wird sich<lb/>
eine wirkliche Handelskolonie entwickeln, wie sie die Hanseaten wünschen und<lb/>
brauchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1487" next="#ID_1488"> Das Verhalten der beiden Hansestädte an der Nordsee ist gegenüber der<lb/>
Kolonialpolitik nicht ganz dasselbe gewesen. Hamburg hat unbedingt von<lb/>
Anfang an mehr Verständnis für die Sache gezeigt und bethätigt, während<lb/>
sich Bremen äußerst zugeknöpft verhielt; es ändert daran nichts, daß der erste<lb/>
Anstoß zur Erwerbung von Kolonien von dem Bremer Kaufmann Lüderitz<lb/>
ausging, denn Lüderitz nahm keine hervorragende Stellung ein und ist bis<lb/>
zuletzt vereinzelt geblieben. Die Ursachen der Verschiedenheit liegen hauptsächlich<lb/>
darin, daß in Hamburg der Ausfuhrhandel vorwaltet, in Bremen dagegen der<lb/>
Import, und zwar der Import einiger weniger Güter, wie Tabak, Baumwolle,<lb/>
Wolle, Reis. Petroleum usw. Der Bremer Handel hat also seine ganz be¬<lb/>
stimmten Bahnen, an die er sich gewöhnt hat, und demnach wenig Interesse<lb/>
für neue Produktionsgebiete; die Hamburger Ausfuhr dagegen muß mit der<lb/>
beständigen Vermehrung der Absatzländer rechnen und läßt sich die Ausschließung<lb/>
der deutschen Kolonien nicht ungern gefallen.  Die deutsche Regierung fand</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Hansestädte und Aolonialpolitik Anzahl Leutnants und Assessoren hinauszuschicken, die mit ihren schneidigen Verordnungen das bischen Handel noch vollends zu zerstören drohten? Das sind Anschauungen, die anch heute noch in den Hansestädten sehr mächtig sind. Es kommt noch dazu, daß dem Kaufmann mit der großen Aufmerksamkeit, die man ihm in den Kolonialgesellschaften zuwendet, gar nicht sehr gedient ist. Das ist eine ganz natürliche Folge des Konkurrenzkampfs. Über Art und Ertrag seiner Geschäfte Rechenschaft abzulegen, seine Handelsbeziehungen auf¬ zudecken, den Betrieb seiner Faktoreien zu schildern, dazu findet er sich sehr ungern bereit, und von seinem Standpunkte mit Recht; es ist ihm manchmal lieber, sich mit irgend einem Negerpotentaten schlecht und recht auseinanderzusetzen, als sich von den deutschen Beamten in den Topf gucken und jeden ein- oder ausgehenden Warmhalten sorgfältig zählen und aufzeichnen zu lassen. Daher ist auch bei deu Firmen, die in deutschen Besitzungen arbeiten, die Begeisterung sür die neue Lage nicht so groß und allgemein, wie sich erwarten ließe; wo sie an der kolonialpolitischen Bewegung in der Heimat teilnehmen, geschieht es mehr aus wohlverstandner Klugheit — es ist immer besser, mit der Re¬ gierung auf gutem Fuß zu bleiben, die schon über allerlei Mittel verfügt, den Kaufleuten das Dasein zu erleichtern oder zu erschweren. Das Verhältnis würde herzlicher sein, wenn sich das hanseatische Kapital eifriger an dem aufblühenden Plantagenban beteiligen würde; aber auch in diesem Falle sind es zuerst die industriellen Kreise des Binnenlandes gewesen, die aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten sind, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen. Das hanseatische Kapital sucht eben nach alter Gewohnheit An¬ lage im Handelsverkehr, wie er nur in kultivierten Gebieten gedeihen kann, und daher auch die Freude über den Erwerb von Kiautschou. Hier wird sich eine wirkliche Handelskolonie entwickeln, wie sie die Hanseaten wünschen und brauchen. Das Verhalten der beiden Hansestädte an der Nordsee ist gegenüber der Kolonialpolitik nicht ganz dasselbe gewesen. Hamburg hat unbedingt von Anfang an mehr Verständnis für die Sache gezeigt und bethätigt, während sich Bremen äußerst zugeknöpft verhielt; es ändert daran nichts, daß der erste Anstoß zur Erwerbung von Kolonien von dem Bremer Kaufmann Lüderitz ausging, denn Lüderitz nahm keine hervorragende Stellung ein und ist bis zuletzt vereinzelt geblieben. Die Ursachen der Verschiedenheit liegen hauptsächlich darin, daß in Hamburg der Ausfuhrhandel vorwaltet, in Bremen dagegen der Import, und zwar der Import einiger weniger Güter, wie Tabak, Baumwolle, Wolle, Reis. Petroleum usw. Der Bremer Handel hat also seine ganz be¬ stimmten Bahnen, an die er sich gewöhnt hat, und demnach wenig Interesse für neue Produktionsgebiete; die Hamburger Ausfuhr dagegen muß mit der beständigen Vermehrung der Absatzländer rechnen und läßt sich die Ausschließung der deutschen Kolonien nicht ungern gefallen. Die deutsche Regierung fand

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/356>, abgerufen am 23.07.2024.