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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Hansestädte und Uolonialxolitik

Wahrheit erscheint dem Hamburger oder Bremer Kaufmann die schutzlose, die
schreckliche Zeit gar nicht in so grausigen Lichte, ja sie hatte neben manchem
Unerquicklichen ihre Vorzüge, an die er vielleicht mit einer gewissen Sehnsucht
zurückdenkt. Man kann seine damalige bescheidne, aber nicht unangenehme
Lage am besten mit der gegenwärtigen der zahlreichen Schweizer Kaufleute
vergleichen, die an allen möglichen Punkten des Erdballs ebenso munter und
erfolgreich ihre Geschäfte treiben wie ihre englischen oder deutschen Berufs¬
genossen. Die Schweiz hat keine Flotte und kann nie eine haben, und doch
hat es den Schweizern niemals an Schutz gefehlt, und gerade die Kleinheit
und Harmlosigkeit ihres Landes schafft ihnen Freunde. Ähnlich verhält es sich
mit Belgien. Solange Deutschland ein geographischer Begriff war, erfreuten
sich die kleinen, im ganzen wohlgelittneu hanseatischen Republiken gleich günstiger
Umstünde. Seit der Gründung des Reichs ist es natürlich damit aus -- no-
blEssö odliZs --, aber in rein materieller Hinsicht ist der Tausch gar nicht
so unendlich vorteilhaft, und man darf es dem Kaufmann, der immer zunächst
mit materiellem Gewinn und Verlust zu rechnen hat, nicht ganz verdenken,
wenn er nicht sonderlich warm dabei wird. Er steht eben der Sache zu nahe.
Der Binnenländer dagegen neigt vielmehr zur Kolonial- und Flottenbegeisterung;
er wird sich vielleicht in tausend Einzelheiten irren und verrechnen, aber er
sieht klarer das große Ziel des Ganzen, das weit über den Bereich nüchterner
Rechenkunst hinausfällt.

Ein weiterer Umstand trägt dazu bei, den Hanseaten gegen die anfangs
etwas schülerhaften Versuche der deutschen Kolonialpolitik mißtrauisch und
kritisch zu macheu; das ist seine Bewunderung für England. Bei dem wilden
deutsch-englischen Zeitungskampfe nach dem Jamesonschen Einfalle war es auf¬
fällig, wie gerade von der hanseatischen Presse Müßigung und Versöhnung
gepredigt wurde, zuweilen und besonders in Bremen in einem Maße, das hart
ein die Grenze dessen ging, was mit nationalem Selbstgefühl vereinbar war.
Das war nicht einfach ein Ausfluß der Abneigung gegen kriegerische Wirren,
wie er allen Handelsstädten natürlich eigen ist, das beruhte auf einem tiefern
freundschaftlichen Gefühle gegen England, das in früherer Zeit so oft den
Schutz hanseatischer Interessen bereitwillig übernommen hatte. England ist
das Land des Großhandels, der als Herrscher auftritt und dem Volke und
allen staatlichen Einrichtungen seinen Stempel aufprägt; nirgends fühlt sich
denn auch der Kaufmann, mag er Brite sein oder nicht, so wohl und un¬
gestört wie in den englischen Besitzungen mit ihrem Freihandel, ihrer bürger¬
lichen Freiheit und ihrem Mangel an militärischen und büreaukratischen Ein¬
griffen. Wenn man sich in den unermeßlichen englischen Kolonien frei
bewegen und seine herkömmlichen Handelsbeziehungen pflegen konnte, wozu
brauchte man da auf ein paar vernachlässigten und anscheinend geringwertigen
Küstenstrecken Afrikas und Ozeaniens deutsche Grenzpfähle aufzustellen und eine


Hansestädte und Uolonialxolitik

Wahrheit erscheint dem Hamburger oder Bremer Kaufmann die schutzlose, die
schreckliche Zeit gar nicht in so grausigen Lichte, ja sie hatte neben manchem
Unerquicklichen ihre Vorzüge, an die er vielleicht mit einer gewissen Sehnsucht
zurückdenkt. Man kann seine damalige bescheidne, aber nicht unangenehme
Lage am besten mit der gegenwärtigen der zahlreichen Schweizer Kaufleute
vergleichen, die an allen möglichen Punkten des Erdballs ebenso munter und
erfolgreich ihre Geschäfte treiben wie ihre englischen oder deutschen Berufs¬
genossen. Die Schweiz hat keine Flotte und kann nie eine haben, und doch
hat es den Schweizern niemals an Schutz gefehlt, und gerade die Kleinheit
und Harmlosigkeit ihres Landes schafft ihnen Freunde. Ähnlich verhält es sich
mit Belgien. Solange Deutschland ein geographischer Begriff war, erfreuten
sich die kleinen, im ganzen wohlgelittneu hanseatischen Republiken gleich günstiger
Umstünde. Seit der Gründung des Reichs ist es natürlich damit aus — no-
blEssö odliZs —, aber in rein materieller Hinsicht ist der Tausch gar nicht
so unendlich vorteilhaft, und man darf es dem Kaufmann, der immer zunächst
mit materiellem Gewinn und Verlust zu rechnen hat, nicht ganz verdenken,
wenn er nicht sonderlich warm dabei wird. Er steht eben der Sache zu nahe.
Der Binnenländer dagegen neigt vielmehr zur Kolonial- und Flottenbegeisterung;
er wird sich vielleicht in tausend Einzelheiten irren und verrechnen, aber er
sieht klarer das große Ziel des Ganzen, das weit über den Bereich nüchterner
Rechenkunst hinausfällt.

Ein weiterer Umstand trägt dazu bei, den Hanseaten gegen die anfangs
etwas schülerhaften Versuche der deutschen Kolonialpolitik mißtrauisch und
kritisch zu macheu; das ist seine Bewunderung für England. Bei dem wilden
deutsch-englischen Zeitungskampfe nach dem Jamesonschen Einfalle war es auf¬
fällig, wie gerade von der hanseatischen Presse Müßigung und Versöhnung
gepredigt wurde, zuweilen und besonders in Bremen in einem Maße, das hart
ein die Grenze dessen ging, was mit nationalem Selbstgefühl vereinbar war.
Das war nicht einfach ein Ausfluß der Abneigung gegen kriegerische Wirren,
wie er allen Handelsstädten natürlich eigen ist, das beruhte auf einem tiefern
freundschaftlichen Gefühle gegen England, das in früherer Zeit so oft den
Schutz hanseatischer Interessen bereitwillig übernommen hatte. England ist
das Land des Großhandels, der als Herrscher auftritt und dem Volke und
allen staatlichen Einrichtungen seinen Stempel aufprägt; nirgends fühlt sich
denn auch der Kaufmann, mag er Brite sein oder nicht, so wohl und un¬
gestört wie in den englischen Besitzungen mit ihrem Freihandel, ihrer bürger¬
lichen Freiheit und ihrem Mangel an militärischen und büreaukratischen Ein¬
griffen. Wenn man sich in den unermeßlichen englischen Kolonien frei
bewegen und seine herkömmlichen Handelsbeziehungen pflegen konnte, wozu
brauchte man da auf ein paar vernachlässigten und anscheinend geringwertigen
Küstenstrecken Afrikas und Ozeaniens deutsche Grenzpfähle aufzustellen und eine


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[0355] Hansestädte und Uolonialxolitik Wahrheit erscheint dem Hamburger oder Bremer Kaufmann die schutzlose, die schreckliche Zeit gar nicht in so grausigen Lichte, ja sie hatte neben manchem Unerquicklichen ihre Vorzüge, an die er vielleicht mit einer gewissen Sehnsucht zurückdenkt. Man kann seine damalige bescheidne, aber nicht unangenehme Lage am besten mit der gegenwärtigen der zahlreichen Schweizer Kaufleute vergleichen, die an allen möglichen Punkten des Erdballs ebenso munter und erfolgreich ihre Geschäfte treiben wie ihre englischen oder deutschen Berufs¬ genossen. Die Schweiz hat keine Flotte und kann nie eine haben, und doch hat es den Schweizern niemals an Schutz gefehlt, und gerade die Kleinheit und Harmlosigkeit ihres Landes schafft ihnen Freunde. Ähnlich verhält es sich mit Belgien. Solange Deutschland ein geographischer Begriff war, erfreuten sich die kleinen, im ganzen wohlgelittneu hanseatischen Republiken gleich günstiger Umstünde. Seit der Gründung des Reichs ist es natürlich damit aus — no- blEssö odliZs —, aber in rein materieller Hinsicht ist der Tausch gar nicht so unendlich vorteilhaft, und man darf es dem Kaufmann, der immer zunächst mit materiellem Gewinn und Verlust zu rechnen hat, nicht ganz verdenken, wenn er nicht sonderlich warm dabei wird. Er steht eben der Sache zu nahe. Der Binnenländer dagegen neigt vielmehr zur Kolonial- und Flottenbegeisterung; er wird sich vielleicht in tausend Einzelheiten irren und verrechnen, aber er sieht klarer das große Ziel des Ganzen, das weit über den Bereich nüchterner Rechenkunst hinausfällt. Ein weiterer Umstand trägt dazu bei, den Hanseaten gegen die anfangs etwas schülerhaften Versuche der deutschen Kolonialpolitik mißtrauisch und kritisch zu macheu; das ist seine Bewunderung für England. Bei dem wilden deutsch-englischen Zeitungskampfe nach dem Jamesonschen Einfalle war es auf¬ fällig, wie gerade von der hanseatischen Presse Müßigung und Versöhnung gepredigt wurde, zuweilen und besonders in Bremen in einem Maße, das hart ein die Grenze dessen ging, was mit nationalem Selbstgefühl vereinbar war. Das war nicht einfach ein Ausfluß der Abneigung gegen kriegerische Wirren, wie er allen Handelsstädten natürlich eigen ist, das beruhte auf einem tiefern freundschaftlichen Gefühle gegen England, das in früherer Zeit so oft den Schutz hanseatischer Interessen bereitwillig übernommen hatte. England ist das Land des Großhandels, der als Herrscher auftritt und dem Volke und allen staatlichen Einrichtungen seinen Stempel aufprägt; nirgends fühlt sich denn auch der Kaufmann, mag er Brite sein oder nicht, so wohl und un¬ gestört wie in den englischen Besitzungen mit ihrem Freihandel, ihrer bürger¬ lichen Freiheit und ihrem Mangel an militärischen und büreaukratischen Ein¬ griffen. Wenn man sich in den unermeßlichen englischen Kolonien frei bewegen und seine herkömmlichen Handelsbeziehungen pflegen konnte, wozu brauchte man da auf ein paar vernachlässigten und anscheinend geringwertigen Küstenstrecken Afrikas und Ozeaniens deutsche Grenzpfähle aufzustellen und eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/355>, abgerufen am 23.07.2024.