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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Hansestädte und Kolonialpolitik

denn auch fast ausschließlich Hamburger Faktoreien in den nenerworbnen Ge¬
bieten vor. In Deutsch-Westafrika treibt nur eine größere Bremer Firma
Handel, und diese eine steht in enger Beziehung zur norddeutschen Mission,
was ihre Freude an der deutschen Besitzergreifung sicher nicht vermehrt hat.
Ist es doch der Leiter dieser Mission, der in der Bremer Presse oft in sehr
scharfer und einseitiger Weise die Pläne der Negierung, das Schutzgebiet von
Togo zu erweitern, bekämpft und verurteilt hat!

So ist es denn auch gekommen, daß die Wendung zu Gunsten der Ko-
lonialpolitik in Hamburg früher und stärker eingetreten ist als in Bremen,
wo die Kolonialfreudigkeit auch jetzt noch etwas Künstliches hat und mehr
dem Bestreben entspringt, nach obenhin guten Willen zu zeigen, als herzlicher
Teilnahme. Auch der schwerfälligere, obgleich zähe und gediegne Charakter
des Bremers kommt hier zur Geltung, daneben auch ein gut Stück berechtigten
hanseatischen Selbstgefühls, das sich nicht gern von andern ins Schlepptau
nehmen läßt. Man beginnt Wohl einzusehen, daß die lange ironische Zurück¬
haltung ein Fehler war, daß es hohe Zeit ist einzulenken, wenn man noch
am gedeckten Tische Platz finden will, aber ein gewisser Trotz hindert noch
daran, das offen einzugestehen. Übrigens werden die Hansestädte, wenn sie
einmal warm geworden sind, auch in andrer Weise eingreifen, als durch
Vereinsmeierei, die in solchen Fällen dem kaufmännischen Wesen nicht entspricht.

Was man in den Hansestädten zu sehr übersehen hat, ist die unermeßliche
ideale Bedeutung des machtvollen Hinausgreifens über den engen Raum der
Heimat. Das friedliche Bild des Welthandels mit der offenstehenden englischen
Thür kann sich einmal verhängnisvoll ändern, und wohl dem, der dann seinen
"Platz an der Sonne" hat! Die neue, für Deutschland ungünstige Zollpolitik
Kanadas ist das erste Grollen eines aufsteigenden Gewitters, das Einsichtige
längst prophezeit haben. Und auch die geistigen Interessen Deutschlands
fordern es, daß es nicht in seinen engen europäischen Grenzen verkümmert und
verknöchert. Das sind Anschauungen, die in der ältern Generation der
Hanseaten noch wenig Boden finden, für die aber in der Jugend das Ver¬
ständnis zu dämmern beginnt. Die Hansestädte müssen und werden sich mit
den Kolonien und der Weltpolitik befreunden, dafür bürgt die Gesinnung des
heranwachsenden Geschlechts.

Dann aber wird man in diesen Städten vielleicht auch einsehen, daß die
kalte Zurückhaltung ein schweres Unrecht gegen das übrige deutsche Volk und
gegen die Regierung gewesen ist. Es war freilich leicht, kinderleicht, über
mißlungne Verwaltungsmaßregeln und fragwürdige Beamtengestalten zu spotten,
der Bitte aber: Helft uns, daß wir es besser machen! ein kühles Achselzucken
entgegenzusetzen. Es genügt da wahrhaftig nicht, in der Frühstückspause vor
der Börse einige zerschmetternde Bemerkungen fallen zu lassen, oder durch die
Presse ein paar weise Lehren zu erteilen; hier handelt es sich um das gute


Hansestädte und Kolonialpolitik

denn auch fast ausschließlich Hamburger Faktoreien in den nenerworbnen Ge¬
bieten vor. In Deutsch-Westafrika treibt nur eine größere Bremer Firma
Handel, und diese eine steht in enger Beziehung zur norddeutschen Mission,
was ihre Freude an der deutschen Besitzergreifung sicher nicht vermehrt hat.
Ist es doch der Leiter dieser Mission, der in der Bremer Presse oft in sehr
scharfer und einseitiger Weise die Pläne der Negierung, das Schutzgebiet von
Togo zu erweitern, bekämpft und verurteilt hat!

So ist es denn auch gekommen, daß die Wendung zu Gunsten der Ko-
lonialpolitik in Hamburg früher und stärker eingetreten ist als in Bremen,
wo die Kolonialfreudigkeit auch jetzt noch etwas Künstliches hat und mehr
dem Bestreben entspringt, nach obenhin guten Willen zu zeigen, als herzlicher
Teilnahme. Auch der schwerfälligere, obgleich zähe und gediegne Charakter
des Bremers kommt hier zur Geltung, daneben auch ein gut Stück berechtigten
hanseatischen Selbstgefühls, das sich nicht gern von andern ins Schlepptau
nehmen läßt. Man beginnt Wohl einzusehen, daß die lange ironische Zurück¬
haltung ein Fehler war, daß es hohe Zeit ist einzulenken, wenn man noch
am gedeckten Tische Platz finden will, aber ein gewisser Trotz hindert noch
daran, das offen einzugestehen. Übrigens werden die Hansestädte, wenn sie
einmal warm geworden sind, auch in andrer Weise eingreifen, als durch
Vereinsmeierei, die in solchen Fällen dem kaufmännischen Wesen nicht entspricht.

Was man in den Hansestädten zu sehr übersehen hat, ist die unermeßliche
ideale Bedeutung des machtvollen Hinausgreifens über den engen Raum der
Heimat. Das friedliche Bild des Welthandels mit der offenstehenden englischen
Thür kann sich einmal verhängnisvoll ändern, und wohl dem, der dann seinen
„Platz an der Sonne" hat! Die neue, für Deutschland ungünstige Zollpolitik
Kanadas ist das erste Grollen eines aufsteigenden Gewitters, das Einsichtige
längst prophezeit haben. Und auch die geistigen Interessen Deutschlands
fordern es, daß es nicht in seinen engen europäischen Grenzen verkümmert und
verknöchert. Das sind Anschauungen, die in der ältern Generation der
Hanseaten noch wenig Boden finden, für die aber in der Jugend das Ver¬
ständnis zu dämmern beginnt. Die Hansestädte müssen und werden sich mit
den Kolonien und der Weltpolitik befreunden, dafür bürgt die Gesinnung des
heranwachsenden Geschlechts.

Dann aber wird man in diesen Städten vielleicht auch einsehen, daß die
kalte Zurückhaltung ein schweres Unrecht gegen das übrige deutsche Volk und
gegen die Regierung gewesen ist. Es war freilich leicht, kinderleicht, über
mißlungne Verwaltungsmaßregeln und fragwürdige Beamtengestalten zu spotten,
der Bitte aber: Helft uns, daß wir es besser machen! ein kühles Achselzucken
entgegenzusetzen. Es genügt da wahrhaftig nicht, in der Frühstückspause vor
der Börse einige zerschmetternde Bemerkungen fallen zu lassen, oder durch die
Presse ein paar weise Lehren zu erteilen; hier handelt es sich um das gute


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[0357] Hansestädte und Kolonialpolitik denn auch fast ausschließlich Hamburger Faktoreien in den nenerworbnen Ge¬ bieten vor. In Deutsch-Westafrika treibt nur eine größere Bremer Firma Handel, und diese eine steht in enger Beziehung zur norddeutschen Mission, was ihre Freude an der deutschen Besitzergreifung sicher nicht vermehrt hat. Ist es doch der Leiter dieser Mission, der in der Bremer Presse oft in sehr scharfer und einseitiger Weise die Pläne der Negierung, das Schutzgebiet von Togo zu erweitern, bekämpft und verurteilt hat! So ist es denn auch gekommen, daß die Wendung zu Gunsten der Ko- lonialpolitik in Hamburg früher und stärker eingetreten ist als in Bremen, wo die Kolonialfreudigkeit auch jetzt noch etwas Künstliches hat und mehr dem Bestreben entspringt, nach obenhin guten Willen zu zeigen, als herzlicher Teilnahme. Auch der schwerfälligere, obgleich zähe und gediegne Charakter des Bremers kommt hier zur Geltung, daneben auch ein gut Stück berechtigten hanseatischen Selbstgefühls, das sich nicht gern von andern ins Schlepptau nehmen läßt. Man beginnt Wohl einzusehen, daß die lange ironische Zurück¬ haltung ein Fehler war, daß es hohe Zeit ist einzulenken, wenn man noch am gedeckten Tische Platz finden will, aber ein gewisser Trotz hindert noch daran, das offen einzugestehen. Übrigens werden die Hansestädte, wenn sie einmal warm geworden sind, auch in andrer Weise eingreifen, als durch Vereinsmeierei, die in solchen Fällen dem kaufmännischen Wesen nicht entspricht. Was man in den Hansestädten zu sehr übersehen hat, ist die unermeßliche ideale Bedeutung des machtvollen Hinausgreifens über den engen Raum der Heimat. Das friedliche Bild des Welthandels mit der offenstehenden englischen Thür kann sich einmal verhängnisvoll ändern, und wohl dem, der dann seinen „Platz an der Sonne" hat! Die neue, für Deutschland ungünstige Zollpolitik Kanadas ist das erste Grollen eines aufsteigenden Gewitters, das Einsichtige längst prophezeit haben. Und auch die geistigen Interessen Deutschlands fordern es, daß es nicht in seinen engen europäischen Grenzen verkümmert und verknöchert. Das sind Anschauungen, die in der ältern Generation der Hanseaten noch wenig Boden finden, für die aber in der Jugend das Ver¬ ständnis zu dämmern beginnt. Die Hansestädte müssen und werden sich mit den Kolonien und der Weltpolitik befreunden, dafür bürgt die Gesinnung des heranwachsenden Geschlechts. Dann aber wird man in diesen Städten vielleicht auch einsehen, daß die kalte Zurückhaltung ein schweres Unrecht gegen das übrige deutsche Volk und gegen die Regierung gewesen ist. Es war freilich leicht, kinderleicht, über mißlungne Verwaltungsmaßregeln und fragwürdige Beamtengestalten zu spotten, der Bitte aber: Helft uns, daß wir es besser machen! ein kühles Achselzucken entgegenzusetzen. Es genügt da wahrhaftig nicht, in der Frühstückspause vor der Börse einige zerschmetternde Bemerkungen fallen zu lassen, oder durch die Presse ein paar weise Lehren zu erteilen; hier handelt es sich um das gute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/357>, abgerufen am 23.07.2024.