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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lin deutscher Zesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien

Indianer die Zugochsen, die man ihnen anvertraut hatte, ohne weiteres brieten
und aufzehrten und das hölzerne Joch dazu als Brennholz benutzten. Sodann
ging es in die Wälder, um durch deren Ausrodung neuen Boden für den
Ackerbau zu gewinnen. Das Verfahren war etwa dasselbe, wie es heutzutage
die Siedler im ersten Stadium der Bebauung anzuwenden pflegen. Bäume und
Gesträuch wurden niedergehauen, zum Teil mit den Steinbeilen, die die Indianer
noch führten, und das Holz wurde, nachdem es dürr geworden war, angezündet
und verbrannt. Nun nahm der Indianer oder sein Weib den nächsten besten
Stecken oder die Rippe eines zuvor verzehrten Stückes Rindvieh zur Hand,
rührte damit die Asche ein wenig auf, machte ein kleines Loch und warf zwei
oder drei Weizenkerne, Erbsen oder Bohnen hinein, worauf sie es wieder mit
Asche zudeckten. Wenn dann der Morgentau drei- oder viermal darauf ge¬
fallen war, oder ein kleiner Regen die Erde befeuchtet hatte, so sproßte als¬
bald die Saat hervor, die mit der Zeit das hundertfältige gab, was, wie
Pater Sepp meint, "der faule Indianer durchaus nicht verdienet." Immerhin
blieb noch genug Wald übrig, um das nötige Brenn- und Bauholz zu liefern
und als Reserveland für die einzelnen Acker- und Wiesenlose zu dienen, deren
Vermessung und Zuteilung an die Kaziken und deren Unterthanen nunmehr
in Augriff genommen wurde.

Bald zeigten überall aufgepflanzte Kreuze, die als Marksteine dienten,
die Flurgrenzeu an. Nun mußte aber auch für die Bekleidung der künftigen
Bürger dieses Landes gesorgt werden. Daher ließ Sepp die geschickter" unter
den Indianern lange Seile in die Länge und Quere ausspannen, und wo diese
sich schnitten, was immer in einem Abstand von sechs bis acht Schuh zu ge¬
schehen Pflegte, steckte er sieben oder acht Kerne des Baumwollstrauchs, für
dessen Gedeihen das Klima sich besonders eignete. Nachdem so das Nötigste
für des Leibes Notdurft vorgesehen war, galt es die provisorisch errichteten
Zelte und Hütten durch dauernde, solide Behausungen zu ersetzen. Nun war
ja unser Pater kein gelernter Baumeister, aber er war ein Mann, der sich,
weil er nicht an Überstudiertheit litt, in allen Lebenslagen zu helfen wußte.

Bei seinen vielen Reisen in Europa hatte er wohl beobachtet, daß so
viele Dörfer und Städte in ihrer Anlage einen festen Plan vermissen ließen,
daß die engen und krummen Güßlein die eine da, die andre dort überzwerch
hinaus liefen, und die einzelnen Häuser bald hoch, bald niedrig erbaut waren.
Neben der Unbequemlichkeit war bei dieser Bauart die Feuersgefahr sehr groß.
Den Pfarrhof und die Kirche aber hatten die Baumeister vielfach, wie Sepp
aus Mangel an historischen Kenntnissen irrtümlich annahm, ohne weiteres Nach¬
denken willkürlich statt in die Mitte von Stadt oder Dorf an deren Ende
hinausgestellt. Um diese Fehler zu vermeiden, nahm er zuvor gründliche
Messungen mit der Richtschnur vor und ließ in der Mitte einen geräumigen
Platz frei, der jene beiden wichtigsten Gebäude aufnehmen sollte, und von dein


Lin deutscher Zesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien

Indianer die Zugochsen, die man ihnen anvertraut hatte, ohne weiteres brieten
und aufzehrten und das hölzerne Joch dazu als Brennholz benutzten. Sodann
ging es in die Wälder, um durch deren Ausrodung neuen Boden für den
Ackerbau zu gewinnen. Das Verfahren war etwa dasselbe, wie es heutzutage
die Siedler im ersten Stadium der Bebauung anzuwenden pflegen. Bäume und
Gesträuch wurden niedergehauen, zum Teil mit den Steinbeilen, die die Indianer
noch führten, und das Holz wurde, nachdem es dürr geworden war, angezündet
und verbrannt. Nun nahm der Indianer oder sein Weib den nächsten besten
Stecken oder die Rippe eines zuvor verzehrten Stückes Rindvieh zur Hand,
rührte damit die Asche ein wenig auf, machte ein kleines Loch und warf zwei
oder drei Weizenkerne, Erbsen oder Bohnen hinein, worauf sie es wieder mit
Asche zudeckten. Wenn dann der Morgentau drei- oder viermal darauf ge¬
fallen war, oder ein kleiner Regen die Erde befeuchtet hatte, so sproßte als¬
bald die Saat hervor, die mit der Zeit das hundertfältige gab, was, wie
Pater Sepp meint, „der faule Indianer durchaus nicht verdienet." Immerhin
blieb noch genug Wald übrig, um das nötige Brenn- und Bauholz zu liefern
und als Reserveland für die einzelnen Acker- und Wiesenlose zu dienen, deren
Vermessung und Zuteilung an die Kaziken und deren Unterthanen nunmehr
in Augriff genommen wurde.

Bald zeigten überall aufgepflanzte Kreuze, die als Marksteine dienten,
die Flurgrenzeu an. Nun mußte aber auch für die Bekleidung der künftigen
Bürger dieses Landes gesorgt werden. Daher ließ Sepp die geschickter» unter
den Indianern lange Seile in die Länge und Quere ausspannen, und wo diese
sich schnitten, was immer in einem Abstand von sechs bis acht Schuh zu ge¬
schehen Pflegte, steckte er sieben oder acht Kerne des Baumwollstrauchs, für
dessen Gedeihen das Klima sich besonders eignete. Nachdem so das Nötigste
für des Leibes Notdurft vorgesehen war, galt es die provisorisch errichteten
Zelte und Hütten durch dauernde, solide Behausungen zu ersetzen. Nun war
ja unser Pater kein gelernter Baumeister, aber er war ein Mann, der sich,
weil er nicht an Überstudiertheit litt, in allen Lebenslagen zu helfen wußte.

Bei seinen vielen Reisen in Europa hatte er wohl beobachtet, daß so
viele Dörfer und Städte in ihrer Anlage einen festen Plan vermissen ließen,
daß die engen und krummen Güßlein die eine da, die andre dort überzwerch
hinaus liefen, und die einzelnen Häuser bald hoch, bald niedrig erbaut waren.
Neben der Unbequemlichkeit war bei dieser Bauart die Feuersgefahr sehr groß.
Den Pfarrhof und die Kirche aber hatten die Baumeister vielfach, wie Sepp
aus Mangel an historischen Kenntnissen irrtümlich annahm, ohne weiteres Nach¬
denken willkürlich statt in die Mitte von Stadt oder Dorf an deren Ende
hinausgestellt. Um diese Fehler zu vermeiden, nahm er zuvor gründliche
Messungen mit der Richtschnur vor und ließ in der Mitte einen geräumigen
Platz frei, der jene beiden wichtigsten Gebäude aufnehmen sollte, und von dein


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[0271] Lin deutscher Zesuitenpater als Kolonisator in Südbrasilien Indianer die Zugochsen, die man ihnen anvertraut hatte, ohne weiteres brieten und aufzehrten und das hölzerne Joch dazu als Brennholz benutzten. Sodann ging es in die Wälder, um durch deren Ausrodung neuen Boden für den Ackerbau zu gewinnen. Das Verfahren war etwa dasselbe, wie es heutzutage die Siedler im ersten Stadium der Bebauung anzuwenden pflegen. Bäume und Gesträuch wurden niedergehauen, zum Teil mit den Steinbeilen, die die Indianer noch führten, und das Holz wurde, nachdem es dürr geworden war, angezündet und verbrannt. Nun nahm der Indianer oder sein Weib den nächsten besten Stecken oder die Rippe eines zuvor verzehrten Stückes Rindvieh zur Hand, rührte damit die Asche ein wenig auf, machte ein kleines Loch und warf zwei oder drei Weizenkerne, Erbsen oder Bohnen hinein, worauf sie es wieder mit Asche zudeckten. Wenn dann der Morgentau drei- oder viermal darauf ge¬ fallen war, oder ein kleiner Regen die Erde befeuchtet hatte, so sproßte als¬ bald die Saat hervor, die mit der Zeit das hundertfältige gab, was, wie Pater Sepp meint, „der faule Indianer durchaus nicht verdienet." Immerhin blieb noch genug Wald übrig, um das nötige Brenn- und Bauholz zu liefern und als Reserveland für die einzelnen Acker- und Wiesenlose zu dienen, deren Vermessung und Zuteilung an die Kaziken und deren Unterthanen nunmehr in Augriff genommen wurde. Bald zeigten überall aufgepflanzte Kreuze, die als Marksteine dienten, die Flurgrenzeu an. Nun mußte aber auch für die Bekleidung der künftigen Bürger dieses Landes gesorgt werden. Daher ließ Sepp die geschickter» unter den Indianern lange Seile in die Länge und Quere ausspannen, und wo diese sich schnitten, was immer in einem Abstand von sechs bis acht Schuh zu ge¬ schehen Pflegte, steckte er sieben oder acht Kerne des Baumwollstrauchs, für dessen Gedeihen das Klima sich besonders eignete. Nachdem so das Nötigste für des Leibes Notdurft vorgesehen war, galt es die provisorisch errichteten Zelte und Hütten durch dauernde, solide Behausungen zu ersetzen. Nun war ja unser Pater kein gelernter Baumeister, aber er war ein Mann, der sich, weil er nicht an Überstudiertheit litt, in allen Lebenslagen zu helfen wußte. Bei seinen vielen Reisen in Europa hatte er wohl beobachtet, daß so viele Dörfer und Städte in ihrer Anlage einen festen Plan vermissen ließen, daß die engen und krummen Güßlein die eine da, die andre dort überzwerch hinaus liefen, und die einzelnen Häuser bald hoch, bald niedrig erbaut waren. Neben der Unbequemlichkeit war bei dieser Bauart die Feuersgefahr sehr groß. Den Pfarrhof und die Kirche aber hatten die Baumeister vielfach, wie Sepp aus Mangel an historischen Kenntnissen irrtümlich annahm, ohne weiteres Nach¬ denken willkürlich statt in die Mitte von Stadt oder Dorf an deren Ende hinausgestellt. Um diese Fehler zu vermeiden, nahm er zuvor gründliche Messungen mit der Richtschnur vor und ließ in der Mitte einen geräumigen Platz frei, der jene beiden wichtigsten Gebäude aufnehmen sollte, und von dein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/271>, abgerufen am 23.07.2024.