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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

sorge nicht mit Unrecht gerühmt wird. Leider hat aber der Magistrat gerade
für seine Weitschauende Bodenpolitik, die die Grundlage jeder durchgreifenden
und nachhaltigen Wohnungsreform ist, bei den Stadtverordneten keine Zu¬
stimmung gefunden. Mit den "kleinen Mitteln" aber, über die man bisher
nie recht gewagt hat hinauszugehn, ist es den immer größer werdenden Mi߬
ständen gegenüber nicht mehr gethan. Dies hat gerade die Frankfurter Enquete
wieder klar gezeigt. Ich will hier nur auf einen Punkt, der mir der wichtigste
scheint, aufmerksam machen.

Daß es auch in Frankfurt an kleinen Wohnungen fehlt, war voraus¬
zusehen. Was aber jetzt besonders erschreckend zu Tage getreten ist und oft
in seiner gesonderten Bedeutung nicht genug gewürdigt wird, ist der Mangel
an allerkleinsten Wohnungen für die allerärmste Bevölkerungsschicht. Daß
hieran die private Bauthätigkeit etwas ändert, muß nach den bisherigen Er¬
fahrungen als ausgeschlossen gelten. Ebenso wenig darf man aber hier auf
baugenossenschaftliche "Selbsthilfe" rechnen. Denn die Leute, um die es sich
dabei handelt, sind, wie Mangoldt mit Recht betont, viel zu hilf- und mittellos,
um sich zu Baugenossenschaften zusammen schließen zu können. Es ist deshalb
notwendig, daß die Stadt und die gemeinnützigen Gesellschaften endlich hier
eingreifen und Abhilfe schaffen. Dazu muß aber vor allem Klarheit darüber
bestehen, wie dies geschehen kann.

W. H. Riehl stellte einst in seiner "Familie" an die gemeinnützigen Ball¬
gesellschaften die Forderung, sie möchten beherzigen, "daß es im Geiste ihrer
Mission als einer sozialen liegt, nicht Wohnungskasernen herzustellen, und
seien dieselben noch so trefflich eingerichtet, sondern wirkliche Familienhäuser."
Dieser Wunsch ist nicht ganz unerfüllt geblieben: noch heute schwebt den Bau-
genossenschaften und Ballgesellschaften mehr oder weniger bei ihrer Thätigkeit
das Ideal des Familienhauses, wenn auch nicht gerade des Einfamilienhauses
vor. So gut das gemeint ist, so wenig wird es den realen Verhältnissen
gerecht. Eine einigermaßen freundliche und gute Wohnung läßt sich nun
einmal nicht unter einem gewissen Preise, zumal in einer Großstadt, herstellen
und deshalb auch nicht unter einem gewissen Preise vermieten, selbst wenn
eine noch so mäßige Verzinsung^) gefordert wird. So mag also der Mietpreis
verhältnismüßig noch so billig sein, ein großer Teil unsrer untersten Vevölke-
rrillgsklassen wird nicht imstande sein, ihn zu zahlen. Auch die gemeinnützigen
Ballgesellschaften haben bisher in der Regel ans die geringe Leistungsfähigkeit
dieser ärmsten Schichten zu wenig Rücksicht genommen und selbst da, wo sie
die cmsgesprochue Absicht hatten, ihnen zu helfen,**) dadurch ihren Zweck




*> Daß an einer mäßigen Verzinsung festgehalten werden muß, darüber kann unter
Leuten, die die Frage praktisch ansehen, kein Zweifel besteh",
......) z, B, die berühmte Penbody-Stiftung in London,
Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

sorge nicht mit Unrecht gerühmt wird. Leider hat aber der Magistrat gerade
für seine Weitschauende Bodenpolitik, die die Grundlage jeder durchgreifenden
und nachhaltigen Wohnungsreform ist, bei den Stadtverordneten keine Zu¬
stimmung gefunden. Mit den „kleinen Mitteln" aber, über die man bisher
nie recht gewagt hat hinauszugehn, ist es den immer größer werdenden Mi߬
ständen gegenüber nicht mehr gethan. Dies hat gerade die Frankfurter Enquete
wieder klar gezeigt. Ich will hier nur auf einen Punkt, der mir der wichtigste
scheint, aufmerksam machen.

Daß es auch in Frankfurt an kleinen Wohnungen fehlt, war voraus¬
zusehen. Was aber jetzt besonders erschreckend zu Tage getreten ist und oft
in seiner gesonderten Bedeutung nicht genug gewürdigt wird, ist der Mangel
an allerkleinsten Wohnungen für die allerärmste Bevölkerungsschicht. Daß
hieran die private Bauthätigkeit etwas ändert, muß nach den bisherigen Er¬
fahrungen als ausgeschlossen gelten. Ebenso wenig darf man aber hier auf
baugenossenschaftliche „Selbsthilfe" rechnen. Denn die Leute, um die es sich
dabei handelt, sind, wie Mangoldt mit Recht betont, viel zu hilf- und mittellos,
um sich zu Baugenossenschaften zusammen schließen zu können. Es ist deshalb
notwendig, daß die Stadt und die gemeinnützigen Gesellschaften endlich hier
eingreifen und Abhilfe schaffen. Dazu muß aber vor allem Klarheit darüber
bestehen, wie dies geschehen kann.

W. H. Riehl stellte einst in seiner „Familie" an die gemeinnützigen Ball¬
gesellschaften die Forderung, sie möchten beherzigen, „daß es im Geiste ihrer
Mission als einer sozialen liegt, nicht Wohnungskasernen herzustellen, und
seien dieselben noch so trefflich eingerichtet, sondern wirkliche Familienhäuser."
Dieser Wunsch ist nicht ganz unerfüllt geblieben: noch heute schwebt den Bau-
genossenschaften und Ballgesellschaften mehr oder weniger bei ihrer Thätigkeit
das Ideal des Familienhauses, wenn auch nicht gerade des Einfamilienhauses
vor. So gut das gemeint ist, so wenig wird es den realen Verhältnissen
gerecht. Eine einigermaßen freundliche und gute Wohnung läßt sich nun
einmal nicht unter einem gewissen Preise, zumal in einer Großstadt, herstellen
und deshalb auch nicht unter einem gewissen Preise vermieten, selbst wenn
eine noch so mäßige Verzinsung^) gefordert wird. So mag also der Mietpreis
verhältnismüßig noch so billig sein, ein großer Teil unsrer untersten Vevölke-
rrillgsklassen wird nicht imstande sein, ihn zu zahlen. Auch die gemeinnützigen
Ballgesellschaften haben bisher in der Regel ans die geringe Leistungsfähigkeit
dieser ärmsten Schichten zu wenig Rücksicht genommen und selbst da, wo sie
die cmsgesprochue Absicht hatten, ihnen zu helfen,**) dadurch ihren Zweck




*> Daß an einer mäßigen Verzinsung festgehalten werden muß, darüber kann unter
Leuten, die die Frage praktisch ansehen, kein Zweifel besteh»,
......) z, B, die berühmte Penbody-Stiftung in London,
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[0256] Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage sorge nicht mit Unrecht gerühmt wird. Leider hat aber der Magistrat gerade für seine Weitschauende Bodenpolitik, die die Grundlage jeder durchgreifenden und nachhaltigen Wohnungsreform ist, bei den Stadtverordneten keine Zu¬ stimmung gefunden. Mit den „kleinen Mitteln" aber, über die man bisher nie recht gewagt hat hinauszugehn, ist es den immer größer werdenden Mi߬ ständen gegenüber nicht mehr gethan. Dies hat gerade die Frankfurter Enquete wieder klar gezeigt. Ich will hier nur auf einen Punkt, der mir der wichtigste scheint, aufmerksam machen. Daß es auch in Frankfurt an kleinen Wohnungen fehlt, war voraus¬ zusehen. Was aber jetzt besonders erschreckend zu Tage getreten ist und oft in seiner gesonderten Bedeutung nicht genug gewürdigt wird, ist der Mangel an allerkleinsten Wohnungen für die allerärmste Bevölkerungsschicht. Daß hieran die private Bauthätigkeit etwas ändert, muß nach den bisherigen Er¬ fahrungen als ausgeschlossen gelten. Ebenso wenig darf man aber hier auf baugenossenschaftliche „Selbsthilfe" rechnen. Denn die Leute, um die es sich dabei handelt, sind, wie Mangoldt mit Recht betont, viel zu hilf- und mittellos, um sich zu Baugenossenschaften zusammen schließen zu können. Es ist deshalb notwendig, daß die Stadt und die gemeinnützigen Gesellschaften endlich hier eingreifen und Abhilfe schaffen. Dazu muß aber vor allem Klarheit darüber bestehen, wie dies geschehen kann. W. H. Riehl stellte einst in seiner „Familie" an die gemeinnützigen Ball¬ gesellschaften die Forderung, sie möchten beherzigen, „daß es im Geiste ihrer Mission als einer sozialen liegt, nicht Wohnungskasernen herzustellen, und seien dieselben noch so trefflich eingerichtet, sondern wirkliche Familienhäuser." Dieser Wunsch ist nicht ganz unerfüllt geblieben: noch heute schwebt den Bau- genossenschaften und Ballgesellschaften mehr oder weniger bei ihrer Thätigkeit das Ideal des Familienhauses, wenn auch nicht gerade des Einfamilienhauses vor. So gut das gemeint ist, so wenig wird es den realen Verhältnissen gerecht. Eine einigermaßen freundliche und gute Wohnung läßt sich nun einmal nicht unter einem gewissen Preise, zumal in einer Großstadt, herstellen und deshalb auch nicht unter einem gewissen Preise vermieten, selbst wenn eine noch so mäßige Verzinsung^) gefordert wird. So mag also der Mietpreis verhältnismüßig noch so billig sein, ein großer Teil unsrer untersten Vevölke- rrillgsklassen wird nicht imstande sein, ihn zu zahlen. Auch die gemeinnützigen Ballgesellschaften haben bisher in der Regel ans die geringe Leistungsfähigkeit dieser ärmsten Schichten zu wenig Rücksicht genommen und selbst da, wo sie die cmsgesprochue Absicht hatten, ihnen zu helfen,**) dadurch ihren Zweck *> Daß an einer mäßigen Verzinsung festgehalten werden muß, darüber kann unter Leuten, die die Frage praktisch ansehen, kein Zweifel besteh», ......) z, B, die berühmte Penbody-Stiftung in London,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/256>, abgerufen am 23.07.2024.