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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

verfehlt, daß sie sich das Ziel zu hoch steckte" und zu gute Wohnungen bauten.
Ich scheue absichtlich nicht das Wort "zu gut"; denn hier ist es wirklich so,
daß nicht nur das Bessere der Feind des Guten, sondern auch das Gute der
Feind des zuerst und durchaus notwendigen sein kann.

Auch sonst hat ja auf diesem Gebiet ein gewisser hygienischer Übereifer
nur geschadet. So stellt sich jetzt auch in Frankfurt heraus, daß die rigoroser
Bcmverorduungen, die man vor zwei Jahren in bester Absicht erlassen hat,
direkt ungünstig gewirkt haben, insofern sie den Neubau vou kleinen Wohnungen
erschweren und so dazu beitragen, die ärmsten Leute in den schlechten alten
Häusern zusammenzudrängen. Es ist überhaupt Einbildung, zu glauben, daß
man in absehbarer Zeit für die Majorität anch nur der mittelgut gestellten
Arbeiter wirklich ganz den gesundheitlichen Anforderungen entsprechende Woh¬
nungen ermöglichen könne; denn einer der Hauptmißstünde, die Überfüllung,
läßt sich gar nicht ganz beseitigen. Man mag noch so genau das Minimum
von Luftraum, das in einer Wohnung für die Person vorhanden sein muß,
berechnen: in Hunderten von Fällen wird die Kinderzahl einen dicken Strich
durch die Rechnung machen. Denn der "kleine Mann" kann ja nicht ent¬
sprechend seiner wachsenden Kinderzahl auch größere Wohnungen mieten;
hierin ist er eben an ein gewisses Maximum gebunden, das durch den Betrag,
den er für Wohnung ausgeben kann, bestimmt ist, und dieser wird selbst bei
dem besser gestellten Arbeiter kaum 25 Mark pro Monat übersteigen; dafür
erhält er, je nach den Umständen in besserer oder schlechterer Beschaffenheit,
zwei Zimmer nebst Küche, was vom streng hygienischen Standpunkt für eine
zahlreiche Familie nicht genügt.

Wie viel Hunderte von Existenzen giebt es aber, die nicht entfernt soviel
für ihre Wohnung zu verwenden imstande sind, Familien z. B., wo der Mann
gestorben oder krank und arbeitsunfähig ist und nun die Frau, so gut sie kann,
den Unterhalt für sich und ihre Kinder zu gewinnen sucht. Gerade solche
Fülle sind viel häufiger, als man denkt, und hier steckt ein Stück Frauenfrage,
das viel wichtiger ist als die meisten der in der Öffentlichkeit sich so breit
machenden Forderungen. Wenn man diesen Ärmsten der Armen helfen will,
darf man sich von vornherein das Ziel nicht zu hoch stecken, sondern muß
zufrieden sein, wenn man ihnen wenigstens einigermaßen erträgliche Wohnungen
verschafft, die dafür auch wirklich von ihnen benutzt werden können. Dies ge¬
schieht aber nur durch den Bau von großen Mietkasernen, und zwar nicht
nur mit Zweizimmerwohnungen, sondern auch mit Wohnungen, die aus einem
Zimmer nebst Küche, ja solchen, die aus einem einzigen Raum bestehen,
der aber von vornherein als selbständige Wohnung eingerichtet ist.*) Gewiß



Denn hier liegt ja die Wurzel vieler Übel, daß heute Räume als Wohnungen dienen,
die ursprünglich nicht dazu bestimmt waren. Es ist deshalb mehr als naiv, wenn bei den
Grenzboten I 1899 32
Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage

verfehlt, daß sie sich das Ziel zu hoch steckte» und zu gute Wohnungen bauten.
Ich scheue absichtlich nicht das Wort „zu gut"; denn hier ist es wirklich so,
daß nicht nur das Bessere der Feind des Guten, sondern auch das Gute der
Feind des zuerst und durchaus notwendigen sein kann.

Auch sonst hat ja auf diesem Gebiet ein gewisser hygienischer Übereifer
nur geschadet. So stellt sich jetzt auch in Frankfurt heraus, daß die rigoroser
Bcmverorduungen, die man vor zwei Jahren in bester Absicht erlassen hat,
direkt ungünstig gewirkt haben, insofern sie den Neubau vou kleinen Wohnungen
erschweren und so dazu beitragen, die ärmsten Leute in den schlechten alten
Häusern zusammenzudrängen. Es ist überhaupt Einbildung, zu glauben, daß
man in absehbarer Zeit für die Majorität anch nur der mittelgut gestellten
Arbeiter wirklich ganz den gesundheitlichen Anforderungen entsprechende Woh¬
nungen ermöglichen könne; denn einer der Hauptmißstünde, die Überfüllung,
läßt sich gar nicht ganz beseitigen. Man mag noch so genau das Minimum
von Luftraum, das in einer Wohnung für die Person vorhanden sein muß,
berechnen: in Hunderten von Fällen wird die Kinderzahl einen dicken Strich
durch die Rechnung machen. Denn der „kleine Mann" kann ja nicht ent¬
sprechend seiner wachsenden Kinderzahl auch größere Wohnungen mieten;
hierin ist er eben an ein gewisses Maximum gebunden, das durch den Betrag,
den er für Wohnung ausgeben kann, bestimmt ist, und dieser wird selbst bei
dem besser gestellten Arbeiter kaum 25 Mark pro Monat übersteigen; dafür
erhält er, je nach den Umständen in besserer oder schlechterer Beschaffenheit,
zwei Zimmer nebst Küche, was vom streng hygienischen Standpunkt für eine
zahlreiche Familie nicht genügt.

Wie viel Hunderte von Existenzen giebt es aber, die nicht entfernt soviel
für ihre Wohnung zu verwenden imstande sind, Familien z. B., wo der Mann
gestorben oder krank und arbeitsunfähig ist und nun die Frau, so gut sie kann,
den Unterhalt für sich und ihre Kinder zu gewinnen sucht. Gerade solche
Fülle sind viel häufiger, als man denkt, und hier steckt ein Stück Frauenfrage,
das viel wichtiger ist als die meisten der in der Öffentlichkeit sich so breit
machenden Forderungen. Wenn man diesen Ärmsten der Armen helfen will,
darf man sich von vornherein das Ziel nicht zu hoch stecken, sondern muß
zufrieden sein, wenn man ihnen wenigstens einigermaßen erträgliche Wohnungen
verschafft, die dafür auch wirklich von ihnen benutzt werden können. Dies ge¬
schieht aber nur durch den Bau von großen Mietkasernen, und zwar nicht
nur mit Zweizimmerwohnungen, sondern auch mit Wohnungen, die aus einem
Zimmer nebst Küche, ja solchen, die aus einem einzigen Raum bestehen,
der aber von vornherein als selbständige Wohnung eingerichtet ist.*) Gewiß



Denn hier liegt ja die Wurzel vieler Übel, daß heute Räume als Wohnungen dienen,
die ursprünglich nicht dazu bestimmt waren. Es ist deshalb mehr als naiv, wenn bei den
Grenzboten I 1899 32
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[0257] Zwei Artikel zur Arbeiterwohnungsfrage verfehlt, daß sie sich das Ziel zu hoch steckte» und zu gute Wohnungen bauten. Ich scheue absichtlich nicht das Wort „zu gut"; denn hier ist es wirklich so, daß nicht nur das Bessere der Feind des Guten, sondern auch das Gute der Feind des zuerst und durchaus notwendigen sein kann. Auch sonst hat ja auf diesem Gebiet ein gewisser hygienischer Übereifer nur geschadet. So stellt sich jetzt auch in Frankfurt heraus, daß die rigoroser Bcmverorduungen, die man vor zwei Jahren in bester Absicht erlassen hat, direkt ungünstig gewirkt haben, insofern sie den Neubau vou kleinen Wohnungen erschweren und so dazu beitragen, die ärmsten Leute in den schlechten alten Häusern zusammenzudrängen. Es ist überhaupt Einbildung, zu glauben, daß man in absehbarer Zeit für die Majorität anch nur der mittelgut gestellten Arbeiter wirklich ganz den gesundheitlichen Anforderungen entsprechende Woh¬ nungen ermöglichen könne; denn einer der Hauptmißstünde, die Überfüllung, läßt sich gar nicht ganz beseitigen. Man mag noch so genau das Minimum von Luftraum, das in einer Wohnung für die Person vorhanden sein muß, berechnen: in Hunderten von Fällen wird die Kinderzahl einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Denn der „kleine Mann" kann ja nicht ent¬ sprechend seiner wachsenden Kinderzahl auch größere Wohnungen mieten; hierin ist er eben an ein gewisses Maximum gebunden, das durch den Betrag, den er für Wohnung ausgeben kann, bestimmt ist, und dieser wird selbst bei dem besser gestellten Arbeiter kaum 25 Mark pro Monat übersteigen; dafür erhält er, je nach den Umständen in besserer oder schlechterer Beschaffenheit, zwei Zimmer nebst Küche, was vom streng hygienischen Standpunkt für eine zahlreiche Familie nicht genügt. Wie viel Hunderte von Existenzen giebt es aber, die nicht entfernt soviel für ihre Wohnung zu verwenden imstande sind, Familien z. B., wo der Mann gestorben oder krank und arbeitsunfähig ist und nun die Frau, so gut sie kann, den Unterhalt für sich und ihre Kinder zu gewinnen sucht. Gerade solche Fülle sind viel häufiger, als man denkt, und hier steckt ein Stück Frauenfrage, das viel wichtiger ist als die meisten der in der Öffentlichkeit sich so breit machenden Forderungen. Wenn man diesen Ärmsten der Armen helfen will, darf man sich von vornherein das Ziel nicht zu hoch stecken, sondern muß zufrieden sein, wenn man ihnen wenigstens einigermaßen erträgliche Wohnungen verschafft, die dafür auch wirklich von ihnen benutzt werden können. Dies ge¬ schieht aber nur durch den Bau von großen Mietkasernen, und zwar nicht nur mit Zweizimmerwohnungen, sondern auch mit Wohnungen, die aus einem Zimmer nebst Küche, ja solchen, die aus einem einzigen Raum bestehen, der aber von vornherein als selbständige Wohnung eingerichtet ist.*) Gewiß Denn hier liegt ja die Wurzel vieler Übel, daß heute Räume als Wohnungen dienen, die ursprünglich nicht dazu bestimmt waren. Es ist deshalb mehr als naiv, wenn bei den Grenzboten I 1899 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/257>, abgerufen am 23.07.2024.