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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

seien," so wird der objektive Beurteiler, der dem konfessionellen Standpunkt
in Kunstfrcigen fern steht, diesem Urteile nnr beipflichten müssen. Die beachtens¬
werten Ausführungen von Veremundus befassen sich nun vornehmlich mit der
Frage, wie es um die katholische Belletristik in unsern Tagen steht. Beim
Lesen dieser Schrift kommen wir unwillkürlich zu den Fragen: Ist das immer
so gewesen, wie war insbesondre das deutsche Litteraturleben in den vor¬
wiegend katholischen Gegenden unsrer engern Heimat in der Vergangenheit be¬
schaffen, und in welchem Maße hat die Rheinbevölkerung an dem geistigen
Umschwunge des vorigen Jahrhunderts Anteil genommen? Man hat diese
Frage häufig mit Voreingenommenheit behandelt, und um so mehr dürfte es
sich zur Ergänzung der Wahrheit und zur Klärung vielfach bestehender Vor¬
urteile empfehlen, in einer kurzen Betrachtung auf völlig objektiver Grundlage
die Frage endgiltig zu würdigen, auf welcher Hohe das deutsche Litteraturleben
am Rhein damals gewesen ist.

Ich will mich bei der Untersuchung und Entscheidung nur an die That¬
sachen und die Quellen*) halten und diese sins irs et stuäio abwägen und
prüfen. Ich bemerke hierbei ausdrücklich, daß ich an dieser Frage von keinerlei
politischem oder konfessionellen Standpunkte aus, sondern lediglich als rhei¬
nischer Schriftsteller interessiert bin, da meine Eltern und Voreltern am Rhein
gelebt und gewirkt und auch an dem geistigen Leben der damaligen Zeit
nach ihren Verhältnissen und Kräften teilgenommen haben. Es ist mir daher
keineswegs gleichgiltig, in welcher geistigen Luft sich ihr Dasein vollzogen hat.
Freie Mitteilung der Wahrheit ist nach Fichte das schönste Vereinigungsband,
das die Welt der Geister zusammenhält, und so wollen auch wir die Wahr¬
heit, wenn sie auch bitter sein sollte, nicht scheuen und sie in dieser die deutsche
Litteraturgeschichte eng berührenden Frage ungeschminkt und vorurteilslos zu
Worte kommen lassen, eingedenk der Worte Shakespeares:


Die Wahrheit lnszt sich nicht genug bestätigen,
Selbst wenn der Zweifel immer schwiege.

Die rheinische Litteraturgeschichte hätte unzweifelhaft beim Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts einen andern Lauf genommen, wenn die kirchlichen und
nationalen Gegensätze nicht die Zerreißung der Niederlande und die Trennung
vom deutschen Reich bewirkt und sich nicht dem freien Staat der protestan¬
tischen Niederlande im Norden die katholischen Niederlande im Süden unter
fremden Einflüsse", fremder Herrschaft und fremdem Geschmack gegenüber
gestellt hätten. Dieser Einfluß und Geschmack, der das Fremde begünstigte,
wirkte nachhaltig auch in Beziehung ans die Litteratur am Rhein bis tief in



Die in dieser Abhandlung aufgeführten Quellen, Urkunden und Schriften liegen sämtlich
im Archiv und in der Stadtbibliothek zu Köln,
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

seien," so wird der objektive Beurteiler, der dem konfessionellen Standpunkt
in Kunstfrcigen fern steht, diesem Urteile nnr beipflichten müssen. Die beachtens¬
werten Ausführungen von Veremundus befassen sich nun vornehmlich mit der
Frage, wie es um die katholische Belletristik in unsern Tagen steht. Beim
Lesen dieser Schrift kommen wir unwillkürlich zu den Fragen: Ist das immer
so gewesen, wie war insbesondre das deutsche Litteraturleben in den vor¬
wiegend katholischen Gegenden unsrer engern Heimat in der Vergangenheit be¬
schaffen, und in welchem Maße hat die Rheinbevölkerung an dem geistigen
Umschwunge des vorigen Jahrhunderts Anteil genommen? Man hat diese
Frage häufig mit Voreingenommenheit behandelt, und um so mehr dürfte es
sich zur Ergänzung der Wahrheit und zur Klärung vielfach bestehender Vor¬
urteile empfehlen, in einer kurzen Betrachtung auf völlig objektiver Grundlage
die Frage endgiltig zu würdigen, auf welcher Hohe das deutsche Litteraturleben
am Rhein damals gewesen ist.

Ich will mich bei der Untersuchung und Entscheidung nur an die That¬
sachen und die Quellen*) halten und diese sins irs et stuäio abwägen und
prüfen. Ich bemerke hierbei ausdrücklich, daß ich an dieser Frage von keinerlei
politischem oder konfessionellen Standpunkte aus, sondern lediglich als rhei¬
nischer Schriftsteller interessiert bin, da meine Eltern und Voreltern am Rhein
gelebt und gewirkt und auch an dem geistigen Leben der damaligen Zeit
nach ihren Verhältnissen und Kräften teilgenommen haben. Es ist mir daher
keineswegs gleichgiltig, in welcher geistigen Luft sich ihr Dasein vollzogen hat.
Freie Mitteilung der Wahrheit ist nach Fichte das schönste Vereinigungsband,
das die Welt der Geister zusammenhält, und so wollen auch wir die Wahr¬
heit, wenn sie auch bitter sein sollte, nicht scheuen und sie in dieser die deutsche
Litteraturgeschichte eng berührenden Frage ungeschminkt und vorurteilslos zu
Worte kommen lassen, eingedenk der Worte Shakespeares:


Die Wahrheit lnszt sich nicht genug bestätigen,
Selbst wenn der Zweifel immer schwiege.

Die rheinische Litteraturgeschichte hätte unzweifelhaft beim Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts einen andern Lauf genommen, wenn die kirchlichen und
nationalen Gegensätze nicht die Zerreißung der Niederlande und die Trennung
vom deutschen Reich bewirkt und sich nicht dem freien Staat der protestan¬
tischen Niederlande im Norden die katholischen Niederlande im Süden unter
fremden Einflüsse», fremder Herrschaft und fremdem Geschmack gegenüber
gestellt hätten. Dieser Einfluß und Geschmack, der das Fremde begünstigte,
wirkte nachhaltig auch in Beziehung ans die Litteratur am Rhein bis tief in



Die in dieser Abhandlung aufgeführten Quellen, Urkunden und Schriften liegen sämtlich
im Archiv und in der Stadtbibliothek zu Köln,
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[0214] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert seien," so wird der objektive Beurteiler, der dem konfessionellen Standpunkt in Kunstfrcigen fern steht, diesem Urteile nnr beipflichten müssen. Die beachtens¬ werten Ausführungen von Veremundus befassen sich nun vornehmlich mit der Frage, wie es um die katholische Belletristik in unsern Tagen steht. Beim Lesen dieser Schrift kommen wir unwillkürlich zu den Fragen: Ist das immer so gewesen, wie war insbesondre das deutsche Litteraturleben in den vor¬ wiegend katholischen Gegenden unsrer engern Heimat in der Vergangenheit be¬ schaffen, und in welchem Maße hat die Rheinbevölkerung an dem geistigen Umschwunge des vorigen Jahrhunderts Anteil genommen? Man hat diese Frage häufig mit Voreingenommenheit behandelt, und um so mehr dürfte es sich zur Ergänzung der Wahrheit und zur Klärung vielfach bestehender Vor¬ urteile empfehlen, in einer kurzen Betrachtung auf völlig objektiver Grundlage die Frage endgiltig zu würdigen, auf welcher Hohe das deutsche Litteraturleben am Rhein damals gewesen ist. Ich will mich bei der Untersuchung und Entscheidung nur an die That¬ sachen und die Quellen*) halten und diese sins irs et stuäio abwägen und prüfen. Ich bemerke hierbei ausdrücklich, daß ich an dieser Frage von keinerlei politischem oder konfessionellen Standpunkte aus, sondern lediglich als rhei¬ nischer Schriftsteller interessiert bin, da meine Eltern und Voreltern am Rhein gelebt und gewirkt und auch an dem geistigen Leben der damaligen Zeit nach ihren Verhältnissen und Kräften teilgenommen haben. Es ist mir daher keineswegs gleichgiltig, in welcher geistigen Luft sich ihr Dasein vollzogen hat. Freie Mitteilung der Wahrheit ist nach Fichte das schönste Vereinigungsband, das die Welt der Geister zusammenhält, und so wollen auch wir die Wahr¬ heit, wenn sie auch bitter sein sollte, nicht scheuen und sie in dieser die deutsche Litteraturgeschichte eng berührenden Frage ungeschminkt und vorurteilslos zu Worte kommen lassen, eingedenk der Worte Shakespeares: Die Wahrheit lnszt sich nicht genug bestätigen, Selbst wenn der Zweifel immer schwiege. Die rheinische Litteraturgeschichte hätte unzweifelhaft beim Beginn des acht¬ zehnten Jahrhunderts einen andern Lauf genommen, wenn die kirchlichen und nationalen Gegensätze nicht die Zerreißung der Niederlande und die Trennung vom deutschen Reich bewirkt und sich nicht dem freien Staat der protestan¬ tischen Niederlande im Norden die katholischen Niederlande im Süden unter fremden Einflüsse», fremder Herrschaft und fremdem Geschmack gegenüber gestellt hätten. Dieser Einfluß und Geschmack, der das Fremde begünstigte, wirkte nachhaltig auch in Beziehung ans die Litteratur am Rhein bis tief in Die in dieser Abhandlung aufgeführten Quellen, Urkunden und Schriften liegen sämtlich im Archiv und in der Stadtbibliothek zu Köln,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/214>, abgerufen am 04.07.2024.